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NAHOST/1542: Frankreich und Italien kämpfen um Einfluß in Libyen (SB)


Frankreich und Italien kämpfen um Einfluß in Libyen

Nach Gipfel in Paris kündigt Rom Marineeinsatz in Libyens Gewässern an


Der unkontrollierte Strom afrikanischer Migranten über das Mittelmeer veranlaßt die EU, insbesondere die europäischen Anrainerstaaten, zum Handeln. Seit Januar haben bereits mehr als 100.000 Menschen die gefährliche Überquerung geschafft. Mehr als 2000 Kriegsflüchtlinge und Arbeitsmigranten dagegen sind - trotz des Einsatzes einer EU-Flottille - ertrunken, nachdem ihre wenig seetauglichen Boote gekentert oder gesunken waren. Italien, wo die meisten der Bootsflüchtlinge anlanden, fühlt sich von seinen europäischen Partnern unzureichend unterstützt. In Brüssel und Berlin will man die Migration übers Mittelmeer am liebsten auf dem afrikanischen Kontinent, allerspätestens in Libyen, von wo aus die meisten Reisewilligen Richtung Lampedusa bzw. Sizilien aufbrechen, zum Erliegen bringen. Doch in Libyen herrscht nach wie vor jenes politische Chaos, das die europäischen NATO-Mächte 2011 zusammen mit dem Verbündeten USA durch den gewaltsamen Sturz Muammar Gaddhafis verursacht haben. Verzweifelt sucht die westliche Politik nach Wegen, Libyen zu stabilisieren und dort wieder Institutionen zu schaffen, die der EU die Hauptlast der Migrationsproblematik abnehmen.

Zu diesem Zweck hat der neue französische Präsident Emanuel Macron mit großem Tamtam die beiden wichtigsten Rivalen um die Macht in Libyen am 25. Juli zum Friedensgipfel im Pariser Élyséepalast eingeladen, um sie zur Zusammenarbeit zu verpflichten. Unterschiedlicher könnten die Positionen der beiden Streithähne nicht sein. Der Geschäftsmann Fayiz Al Sarradsch hat als Premierminister der Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA), die 2015 aus Gesprächen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen hervorgegangen ist, zwar internationale Legitimation, aber keine wirkliche Macht. Seit der Rückkehr nach Tripolis 2016 müssen sich Sarradschs Männer dort mit Milizen herumschlagen, die weiterhin der Erlösungsregierung des früheren Allgemeinen Nationalkongresses (General National Congress - GNC) um Khalifa Mohamed Al Ghweil die Treue halten. Lediglich die Unterstützung der schlagkräftigen Milizen der Stadt Misurata haben Al Sarradsch bisher vor dem völligen Untergang bewahrt.

Hifter, ein früherer Mitstreiter Gaddhafis, der rund 20 Jahre in den USA verbracht hat, bis er 2011 rechtzeitig zum "Regimewechsel" in sein Heimatland zurückkehrte, genießt die Unterstützung des Repräsentantenhauses (House of Representatives - HoR), dessen Vertreter 2014 erfolgreich aus allgemeinen Wahlen hervorgegangen sind, sich jedoch im selben Jahr wegen der Kämpfe in Tripolis in das östliche Tobruk absetzen mußten. Im Auftrag des HoR befehligt Hifter im Rang eines Feldmarschalls die früheren Angehörigen der Streitkräfte Gaddhafis, die heute unter dem Namen Libysche Nationalarmee (LNA) firmieren. Seit 2014 sind Hifter und die LNA auf Antiterrorfeldzug. Anfang Juli haben sie nach langen und schweren Kämpfen die Vertreibung der Gruppe Ansar al Scharia aus der Stadt Benghazi gemeldet. Aktuell belagern sie die Stadt Derna, die zwischen Benghazi und der ägyptischen Grenze liegt.

Hifter hat zwar international keine Legitimität, dafür jede Menge faktische Macht. Vor Monaten haben seine Kämpfer in Zentrallibyen Kräfte, die der GNA nahestanden, eine Reihe von Militärstützpunkten abgenommen. Bereits im letzten Herbst hat die LNA die wichtigsten Ölförderanlagen und -verladeterminals Libyens eingenommen. Seitdem wird der Ölexport hochgefahren, was größere Geldsummen in die Staatskasse fließen läßt. Bisher hat sich die HoR-Legislative geweigert, Al Sarradschs GNC-Exekutive anzuerkennen, obwohl der UN-Friedensplan eine Zusammenarbeit beider Institution vorsieht. Ein Streitpunkt, vielleicht der wichtigste, ist die Rolle Hifters, der angeblich den Posten des Generalstabschefs und Verteidigungsministers in Personalunion anstrebt.

Um den gordischen Knoten zu durchschlagen hat Macron, der selbst zum Bonapartismus neigt, den Feldmarschall und den Premierminister Libyens zu sich an die Seine eingeladen. Aus den Beratungen, bei denen der neue UN-Sonderbotschafter für Libyen Ghassan Salame - einst Kulturminister des Libanons - den Vorsitz innehatte, ist eine schwammige Absichtserklärung herausgekommen, in der sich Hifter und Al Sarradsch zum Waffenstillstand zwischen ihren Streitkräften sowie zur Abhaltung von Parlamentswahlen im Frühjahr 2018 verpflichten.

Sind sich die beiden Kontrahenten in Paris tatsächlich näher gekommen als bei ihrem ersten, bekanntlich ergebnislosen Treffen im Mai in Abu Dhabi? Man darf seine Zweifel haben. Die libysche Moslembruderschaft, die zuletzt im GNC stark vertreten war und nur unter Vorbehalt mit Al Sarradsch zusammenarbeitet, hat die Vereinbarungen von Paris als wertlos bezeichnet und eine Umsetzung des UN-Friedensplans ohne Wenn und Aber gefordert. Unmittelbar nach dem Stelldichein bei Macron erklärte Hifter im französischen Fernsehen, er werde keinen Posten in Al Sarradschs Präsidentenrat annehmen, weil dort zu viele "Terroristen" säßen; ihn interessierten keine Wahlen, sondern lediglich die Schaffung eines "stabilen" Libyens. Zwei Tage später hat sich Hifter gegenüber der in London erscheinenden arabischen Zeitung Al Hayat zur Zusammenarbeit mit "gemäßigten" Islamisten bereiterklärt, gleichzeitig aber gesagt, er könne sich eine wichtige Rolle für Saif Al Gaddhafi in der libyschen Politik vorstellen. Der Sohn und einst designierte Nachfolger Muammar Gaddhafis war im Juni auf Veranlassung des HoR nach fast sechs Jahren in Untersuchungshaft freigelassen worden. Nach Angaben Hifters befindet sich Gaddhafi jun. an einem sicheren Ort im Osten Libyens.

In Rom hat die plötzliche Einmischung Macrons in die libysche Innenpolitik für Verärgerung gesorgt. Schließlich betrachtet die frühere Kolonialmacht Italien Libyen als eigene Einflußsphäre - und das vermutlich um so mehr, seitdem dort das Öl wieder richtig zu fließen beginnt. Um nicht von Macron in den Schatten gestellt zu werden, hat Italiens Premierminister Paolo Gentiloni am 26. Juni Al Sarradsch im Chigi-Palast zu Rom empfangen und von diesem die formelle Zustimmung für den Einsatz italienischer Kriegsschiffe in libyschen Hoheitsgewässern erhalten. Eine solche völkerrechtliche Genehmigung hatte Italien schon länger gefordert, da seine Marine nun innerhalb der 12-Seemeilengrenze zur libyschen Küste agieren und die Bootsflüchtlinge sogar daran hindern kann, in See zu stechen. Nach der geplanten Verabschiedung eines entsprechenden Aktionsplans durch das Parlament im Rom will das italienische Verteidigungsministerium noch im August drei bis sechs Kriegsschiffe unmittelbar vor der libyschen Küste stationieren, die dort mit Hilfe von Hubschraubern, Drohnen und Kampfjets den Kampf gegen die "illegalen Schlepperbanden" aufnehmen sollen.

29. Juli 2017


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