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NAHOST/1668: Libyen - französische Ränke ... (SB)


Libyen - französische Ränke ...


Seit dem 4. April versucht die Libysche Nationalarmee (LNA) unter dem Kommando von "Feldmarschall" Khalifa Hifter Tripolis einzunehmen - doch bislang vergeblich. Wegen des erbitterten Widerstands islamischer Glaubenskrieger sowie der Milizen der Städte Misurata und Zawiya, welche die in Tripolis residierende, von den Vereinten Nationen anerkannte Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) um Premierminister Fayiz Al Sarradsch unterstützen, ist die LNA nicht weiter als in die südlichen Randbezirke der libyschen Hauptstadt gekommen. Dort tobt seit Wochen ein blutiger Häuserkampf. Bisher hat Hifters Griff nach der Macht nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 443 Menschen das Leben gekostet, darunter nicht wenige Zivilisten, und 2100 verletzt. Mehr als 60.000 Menschen sind vor den Kämpfen geflohen.

Am 10. Mai hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig von allen Kriegsbeteiligten eine Feuerpause sowie die Teilnahme an den Vermittlungen des UN-Sondergesandten Ghassan Salamé verlangt. Zwei Tage zuvor hatte der WHO-Vertreter in Libyen Dr. Syed Jaffar Hussain im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters vor einer humanitären Katastrophe bei einer Fortsetzung der LNA-Offensive in Tripolis gewarnt. Je mehr sich Hifters Truppen dem dichtbevölkerten Stadtkern näherten, um so mehr Zivilisten würden in Mitleidenschaft gezogen werden, so Hussein. Dieser warnte zudem vor einer raschen Ausbreitung von Seuchen wie Cholera infolge der schlechten hygienischen Bedingungen während der Belagerung, der zunehmenden Schäden an der staatlichen Infrastruktur und der hohen sommerlichen Temperaturen.

Am 9. Mai traf Premierminister Al Sarradsch nach Besuchen in Rom und Berlin zu Beratungen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Paris zusammen. Die Franzosen spielen in der Libyen-Krise eine zwielichtige Rolle. Neben Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gilt Frankreich als Hauptunterstützer Hifters und der zweiten, international nicht anerkannten Regierung Libyens, des House of Representatives (HoR), im östlichen Tobruk. Seit Wochen kursieren unbestätigte Meldungen über die Anwesenheit französischer Fremdenlegionäre oder Söldner auf seiten der LNA an der Front. Das staatliche französische Ölunternehmen Total ist seit Jahren in Libyen tätig und will offenbar seinen Zugriff auf die dortigen Energiereserven mit Hilfe Hifters erhöhen und zwar auf Kosten des italienischen Rivalen ENI. Italien steht bislang zusammen mit der Türkei und Katar fest an der Seite der GNA. Vermutlich deshalb hat am 9. Mai die Regierung in Tripolis 40 in Libyen tätige ausländische Energieunternehmen, Total eingeschlossen, zur Erneuerung ihrer Lizenzen aufgerufen und damit durch die Blume mit dem Entzug derselben gedroht.

Inwieweit Macron Hifter von seinem aktuell nicht besonders erfolgreich verlaufenden Vorhaben abbringen kann oder will, ist unklar. Immerhin hat der französische Präsident nach der Unterredung mit Al Sarradsch im Élysée Palast alle Kriegsbeteiligten zur Teilnahme an einem Waffenstillstand aufgerufen. Doch bereits am 6. Mai hatte Hifter seine Truppen dazu aufgefordert, ihre Anstrengungen "zu verdoppeln" und die feindlichen Milizen in Tripolis "auszurotten". Auch aus Abu Dhabi kommen martialische Töne. Am 2. Mai hatte Anwar Gargash, außenpolitischer Sprecher der VAE, Al Sarradsch Mitschuld an der aktuellen Krise gegeben. Libyens Premierminister hätte sich bei einem Treffen mit Hifter Mitte Februar in Abu Dhabi auf einen Friedensprozeß verständigt, der bis Ende des Jahres in Parlamentswahlen münden sollte; statt dessen würden "extremistische Milizen" weiterhin die libysche Hauptstadt "kontrollieren und die Suche nach einer politischen Lösung unmöglich machen", so Gargash.

Seit dem gewaltsamen Sturz Muammar Gaddhafis vor acht Jahren gilt Libyen als Schauplatz eines regionalen Konflikts zwischen den Befürwortern der Moslembruderschaft wie der Türkei und Katar auf der einen und ihren Gegnern wie Ägypten, Saudi-Arabien und den VAE auf der anderen Seite. Nimmt man die Aussage von Gargash ernst - "Priorität in Libyen hat die Bekämpfung von Extremismus/Terrorismus und die Schaffung von Stabilität zur Beendigung einer langwierigen Krise" - dann sieht es nicht danach aus, als würde die LNA bald die Waffen schweigen lassen. Die VAE, die sich nicht zuletzt wegen ihrer aktiven Teilnahme am Krieg Saudi-Arabiens gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen zum "arabischen Sparta" entwickelt haben, belassen es auch im Libyen-Konflikt nicht bei rhetorischer Unterstützung und Rüstungshilfe für Hifters LNA. Angeblich fliegen VAE-Piloten vom Militärstützpunkt Al Khadim, die im Osten Libyens liegt, Drohnenangriffe gegen Ziele in Tripolis. Nach Angaben von Militärexperten soll es sich bei den eingesetzten Drohnen um das chinesische Modell Wing Loong II handeln, das sich bereits seit einiger Zeit im Arsenal der VAE-Streitkräfte befindet.

13. April 2019


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