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NAHOST/1703: Israel - Trumps Vorschlag durchsichtig ... (SB)


Israel - Trumps Vorschlag durchsichtig ...


"Dies sollte ein Feiertag sein, aber mir ist nicht nach Feiern zumute, denn wenn ich hier vor Ihnen, den Bürgern Israels, stehe, empfinde ich tiefe Scham. Wir verdienen keinen weiteren häßlichen und schmutzigen Wahlkampf wie den, der heute zu Ende geht, und wir verdienen keine endlose Instabilität. Wir verdienen eine Regierung, die für uns arbeitet". So klangen die trotzig-deprimierten Worte des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin nach Abgabe seiner Stimme bei der Knessetwahl am 2. März. Nach Wahlen im April und September 2019 war es der dritte Versuch innerhalb eines Jahres, eine stabile Parlamentsmehrheit in Israel zustande zu bringen. Doch auch diesmal scheint der Versuch gescheitert zu sein.

Wie bei den beiden vorangegangenen Wahlen drehte sich auch diesmal alles um Benjamin Netanjahu. Inzwischen Premierminister mit der längsten Amtszeit in der Geschichte Israels, schlägt sich Netanjahu, den seine Anhänger "König Bibi" nennen, mit mehreren schweren Korruptionsaffären herum - darunter eine um Schmiergeldzahlungen in Verbindung mit dem Kauf mehrerer Millionen Euro teueren U-Boote Made in Germany. Seit vergangenem Oktober steht Netanjahu deswegen unter Anklage. Nur der Verbleib an der Regierungsspitze kann den Vorsitzenden der konservativ-nationalen Likud-Partei vor der Justiz retten - zumindest für weitere vier Jahre. Mächtige Unterstützung hatte Netanjahu im Wahlkampf aus den USA erhalten. Im Februar gab US-Präsident Donald Trump endlich den Inhalt seines mit Spannung erwarteten Plans zur Lösung des Dauerkonflikts zwischen Israelis und Palästinensern bekannt. Trumps "Deal of the Century" sieht die Annektierung Ostjerusalems sowie weiter Teile des Westjordanlands, wo heute illegale jüdische Siedlungen stehen, durch Israel vor. Der "Palästinenserstaat" soll lediglich aus mehreren räumlich voneinander getrennten und von Israel eingeschlossenen Gebieten ohne eigene Armee und ohne eigenen Zugang zur restlichen Welt bestehen.

Im Wahlkampf gegen die Mitte-Links-Allianz Kahol Lavan (Blau und Weiß) um Ex-Generalstabschef Benny Gantz hat sich Netanjahu als welterfahrener Staatsmann und Militärstratege präsentiert, der als einzige Person in der Lage sei, Israel vor den "terroristischen" Gefahren zu schützen, die angeblich von den Palästinensern, Syrien, der libanesischen Hisb Allah und dem Iran ausgehen. In diesem Zusammenhang muß auch die Liquidierung des iranischen Generals Qassem Soleimani am 3. Januar bei Bagdad durch einen CIA-Drohnenangriff als Wahlkampfgeschenk des Weißen Hauses an Netanjahu betrachtet werden. Soleimani, der die militärische Zusammenarbeit Teherans mit der Hisb Allah, mit den schiitischen Milizen im Irak, mit dem "Regime" Bashar Al Assads in Damasksu sowie mit der im palästinensischen Gazastreifen reagierenden Hamas-Bewegung koordinierte, stand ganz oben auf der Abschußliste Israels. US-Medienberichten zufolge sollen nicht zuletzt nachrichtendienstliche Erkenntnisse der Israelis über die Bewegungen Soleimanis in den letzten Stunden und Tagen vor seinem Tod das Attentat der Amerikaner ermöglicht haben.

Während Gantz sich lediglich als Saubermann zu verkaufen versuchte, hat Netanjahu in den letzten Wochen den Bau neuer Siedlungen in Ostjerusalem angekündigt und die Annektierung des Jordantals samt des Grenzstreifens zu Jordanien als Sofortmaßnahme nach einem eventuellen Wahlsieg versprochen. Nebenher ließ der Premierminister als Machtdemonstration die israelische Luftwaffe immer wieder nächtliche Angriffe auf Ziele in Syrien und im Gazastreifen fliegen. Kein Wunder, daß Gantz dagegen blaß wirkte. Auch dessen weitgehende Annäherung an Netanjahus "Politik der harten Hand" war keine besonders schlaue Wahlkampfstrategie. Warum sollten die Leute "Netanjahu 2.0" wählen, wenn sie beim Original bleiben konnten?

Und so kam es, wie es kommen mußte. Beim dritten Aufeinanderprallen mit Netanjahu hat Gantz den kürzeren gezogen. Blau-Weiß hat wie im vergangenen September 33 Sitze gewonnen, Netanjahus Likud dagegen die Zahl ihrer Mandate von damals 32 auf 36 erhöhen können. Damit ist die Likud wieder stärkste politische Kraft Israels geworden. Allerdings steht Netanjahu erneut vor dem Problem, daß seine politischen Verbündeten aus dem jüdisch-orthodoxen und dem rechtsextremen Lager durch die Bank geschwächelt und Sitze abgeben haben. Die Regierungskoalition, die Netanjahu noch anführt, hat erneut die erforderliche Mehrheit von 61 Mandaten in der 120sitzigen Knesset knapp verfehlt. Für Netanjahu bestehen nun die einzigen Alternativen darin, eine große Koalition aus Likud und Blau-Weiß zu bilden, die sieben Sitze der säkular-nationalistischen Jisra'el Beitenu seines Todfeinds Avigdor Lieberman ins Boot zu holen oder zu versuchen, sich als Premierminister einer Minderheitsregierung durchzuwurschteln.

Die eigentliche Gewinnerin der jüngsten Knesset-Wahl ist die Vereinte Liste, die aus vier arabischen Parteien besteht. Dank reger Wahlbeteiligung der israelischen Araber sowie des Zuspruchs nicht weniger linker jüdischer Wähler hat die VL mit 12,65 Prozent Stimmenanteil und 15 Sitzen ihr bestes jemals erzieltes Ergebnis bei einer Knessetwahl eingefahren. Nach Likud und Blau-Weiß wurde sie drittstärkste Kraft. Die hohe Mobilisierung der VL-Wähler ist nicht nur als Reaktion auf den generellen Rechtsruck der israelischen Politik zu verstehen, sondern hängt auch direkt mit Trumps "Deal des Jahrhunderts" zusammen. Der Vorstoß des Weißes Haus sieht die Übergabe der Souveränität über Teile des israelischen Staatsgebiets, die am Westjordanland angrenzen und die einen fast ausschließlich arabischen Bevölkerungsanteil aufweisen, an die palästinensische Autonomiebehörde vor. Damit würden Hunderttausende Araber ihre israelische Staatsbürgerschaft verlieren. Der Widerstand gegen die Initiative erklärt, warum die Wahlbeteiligung bei den israelischen Arabern mit 64,7 Prozent so hoch wie nie zuvor gewesen ist.

Auch wenn sie ihr nicht selbst angehört, will die VL nun in der Knesset einer Regierung zur Macht verhelfen, der Netanjahu nicht mehr vorsteht - eine Koalition aus Blau-Weiß und kleineren Parteien. Nach Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses schickte der VL-Vorsitzende Aiman Odeh folgende Twitter-Meldung in die Welt hinaus: "Bibi, ich werde Dir zeigen, was Demokratie ist. Sie besteht in der Herrschaft der Mehrheit der Bürger, nicht allein der Mehrheit der Juden. Pack Deine Koffer. Deine Zeit ist abgelaufen." Als Reaktion auf die Kampfansage Odeys versucht Netanjahu inzwischen, die mögliche Rolle der VL als Königsmacherin in der Knesset als unzulässige Einmischung der Todfeinde Israels in deren Innenpolitik zu diffamieren. Der Kampf der israelischen Araber sowie ihrer palästinensischen Verwandten um Gleichberechtigung und Menschenwürde geht offenbar in eine neue Runde.

7. März 2020


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