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NAHOST/1713: Libyen - westliches Ökonomieinteresse an Kriegsbeteiligung ... (SB)


Libyen - westliches Ökonomieinteresse an Kriegsbeteiligung ...


Die Bundeswehr soll sich mit 300 Mann im Mittelmeer an der Überwachung des UN-Waffenembargos für Libyen beteiligen. Das hat am 22. April die Große Koalition in Berlin unter der Leitung von Kanzlerin Angela Merkel beschlossen. Der vom Kabinett beschlossene Gesetzesentwurf für ein entsprechendes Bundeswehrmandat soll demnächst dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt werden, wo er aller Voraussicht nach von den Abgeordneten durchgewunken wird. Inwieweit der Einsatz von Schiffen der Bundesmarine und Spähflugzeugen der Luftwaffe im östlichen Mittelmeer zur Beruhigung der Lage im Bürgerkriegsland Libyen beitragen wird, ist jedoch fraglich.

Die EU-Mission Irini dürfte lediglich den Waffennachschub aus der Türkei an die Truppen der seit 2016 existierenden und von den Vereinten Nationen anerkannten und vor allem von Italien unterstützten Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) in der Hauptstadt Tripolis um Premierminister Fayiz Al Sarradsch erschweren. Die Achse Ankara-Tripolis ist vor allem für Griechenland, Zypern und Israel ein Ärgernis, weil sie deren Interessen an der Gewinnung und dem Transport von Öl und Gas im Raum östliches Mittelmeer negativ tangiert. Im Gegenzug für die Rüstungshilfe der Türkei hatte die GNA die Ansprüche Ankaras auf Erkundung und Ausbeutung der fossilen Energiereserven in der Region schriftlich anerkannt.

Wie dagegen die Teilnehmer der multinationalen Irini-Mission die Versorgung der libyschen Nationalarmee (LNA), die im Namen der im östlichen Tobruk residierenden Gegenregierung namens House of Representatives (HoR) agiert und unter dem Befehl des früheren Muammar-Gaddhafi-Kameraden und späteren CIA-Verbindungsmannes "Feldmarschall" Khalifa Hifter steht, mit Waffen und Munition unterbinden wollen, ist völlig unklar. Das HoR wird vor allem von Frankreich, Rußland, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Israel und Ägypten unterstützt. Zwar läuft der Waffennachschub für die LNA zum Teil auch per Luft und übers Meer - wie beispielsweise die jüngste Lieferungen von 11.000 Tonnen Flugbenzin aus den VAE, über die die Financial Times am 20. April berichtete -, doch die meisten Rüstungsgüter für Hifters Männer kommen auf dem Landweg aus Ägypten mit dem Lastwagen. Zudem rekrutiert die LNA Söldner aus dem Sudan und Tschad, die schlicht mit Geländewagen an die Kriegsfront fahren.

Die demonstrative Aufstockung der Irini-Mission durch die Bundeswehr wird als Reaktion Berlins und Brüssels auf die Zunahme der Kämpfe, die in den letzten Wochen in Libyen zu verzeichnen sind, dargestellt. Mit Hilfe von türkischen Verbindungsoffizieren und mehr als 2000 "Söldnern" - heißt sunnitische Mudschaheddin - aus Syrien hat die GNA seit Mitte März den Belagerungsring um Tripolis, den Hifters Truppen im April vergangenen Jahres gezogen hatten, durchbrechen können. Die GNA-Milizionäre haben mehrere Städte westlich von Tripolis, darunter Sabrata, zurückerobert und fast den kompletten Küstenstreifen bis zur tunesischen Grenze "befreit". Aktuell versuchen Al Sarradschs Kämpfer den Luftwaffenstützpunkt Al Watiya, der 125 Kilometer südwestlich von Tripolis liegt und für Hifters LNA von großer strategischer Bedeutung ist, einzunehmen.

Die militärischen Erfolge der GNA der letzten Wochen sind vor allem auf die militärische Unterstützung der Türkei zurückzuführen. Hatte die LNA fast ein Jahr lang die alleinige Lufthoheit im Bürgerkrieg, so haben die von Ankara gelieferten Späh- und Kampfdrohnen aus türkischer und israelischen Produktion die Kräfteverhältnisse zugunsten der GNA verändert. Mit regelmäßigen Angriffen auf LNA-Militärkonvois haben die GNA-Drohnenpiloten die langen Nachschubwege des Gegners zum eigenen Vorteil genutzt. Durch den Ausbruch in westliche Richtung hat die GNA zudem die Verbindungslinien der LNA zusätzlich verlängert und damit noch angreifbarer gemacht.

Doch nicht alles läuft glatt für die GNA. Am 20. April berichtete Jemai Guesmi bei der Arab Weekly von Schießereien und Scharmützeln zwischen den "Söldnern" aus Syrien und den einheimischen Milizionären, die der GNA Treue geschworen hatten. Sogar gegen ihre türkischen Vorgesetzten sollen die "Gotteskrieger" letzte Woche rebelliert haben. Nicht wenige der Kämpfer, die Libyen als berufliches Betätigungsfeld gegen Syrien eingetauscht hatten, sind desertiert, weil sie versuchen wollen, von Nordafrika in die EU zu gelangen. Angeblich hat Al Sarradschs Innenminister Fathi Bashagha eine Sondereinheit aus kampferprobten Milizionären aus Misurata zusammengestellt, die als Feldjäger so rasch wie möglich die geflohenen "Söldner" wieder einfangen sollen. Dazu schreibt Guesmi: "Bashaga hatte sich harsche Warnungen seitens Vertretern der italienischen Regierung anhören müssen, die über den möglichen Export söldnerischer Elemente nach Italien extrem besorgt gewesen sind."

23. April 2020


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