Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


SOZIALES/2103: Riesterrente, Betriebsrente ... Altersarmut (SB)



Lücke in der gesetzlichen Altersvorsorge wächst

Im Zuge des marktradikalen Abbaus des Sozialstaates seit den 90er Jahren wurden die von Altersarmut Betroffenen in zunehmendem Maße bezichtigt, ihre Misere durch eigenes Verschulden herbeigeführt zu haben. Teilzeitarbeitende Frauen, prekäre Arbeitsverhältnisse, Niedriglohn, Erwerbslosigkeit, Krankheit - an dem individuellen Mißerfolg im Arbeitsleben könne eine Rentenpolitik nichts ändern. Am schlimmsten seien Geringverdienende, die trotz staatlicher Zulagen nicht für eine Riesterrente sparten und sich weigerten, von ihrem Salär Beiträge für eine Betriebsrente zu leisten. Die irrationale Furcht der deutschen Bevölkerung, die viel zu wenig Geld auf den hochrentablen Aktienmärkten anlege, sei einfach nicht auszurotten.

Das Rentenmodell aller Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte geht davon aus, daß ein obligatorisch umlagefinanziertes Alterssicherungssystem für sich genommen der Armutsvermeidung dient, während eine tendenzielle Annäherung an das frühere Einkommen über private kapitalmarktabhängige Sicherung erfolgen soll und kann. Drohe die Gefahr steigender Altersarmut, liege das nicht an der seinerzeit eingeschlagenen Politik, sondern an den widerspenstigen Bürgern, welche die von ihnen erwartete private Vorsorge verweigerten. [1]

Daß Altersarmut auf dem Vormarsch ist und in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird, sofern die Weichen in der Rentenpolitik nicht von Grund auf neu gestellt werden, dürfte entgegen solcher Schuldzuweisungen unbestritten sein. So muß man davon ausgehen, daß das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente in Zukunft sinken wird. Bei der Ermittlung des Rentenniveaus wird eine standardisierte Rentenleistung mit einem durchschnittlichen Arbeitnehmerentgelt verglichen. Damit stellt das Rentenniveau dar, in welchem Verhältnis die Standardrente eines Jahres zum Durchschnittsverdienst der Beitragszahler desselben Jahres steht. Um die Talfahrt zu bremsen, will die Bundesregierung wachsende Lücken bei der gesetzlichen Altersvorsorge mit Riester- und Betriebsrenten stopfen. Das wird jedoch zum einen deswegen nicht funktionieren, weil es bei der Riesterrente selbst große Löcher gibt.

Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage der Linken-Abgeordneten Sabine Zimmermann hervorgeht, ist jeder fünfte der rund 16,5 Millionen Riesterverträge zur Altersvorsorge in Deutschland ruhend gestellt - die Sparer zahlen also nichts mehr ein. Zur Zahl der stornierten Verträge könnten keine Angaben gemacht werden, so die Regierung. Das Finanzministerium beruft sich dabei auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Die Linken-Fraktionsvize Zimmermann bezeichnet die Riesterrente als gescheitert. Grundsätzlich habe nur knapp die Hälfte der Förderberechtigten überhaupt einen Riestervertrag abgeschlossen. Und viele, die einen Vertrag haben, könnten irgendwann die Beiträge nicht mehr aufbringen. Gerade Geringverdiener benötigten jeden Euro für das tägliche Überleben.

Knapp vier Monate vor der Bundestagswahl hat die große Koalition ihre letzten drei größeren Rentengesetze auf den Weg gebracht. Die Stärkung der Betriebsrenten soll insbesondere Geringverdiener besser vor Altersarmut schützen. Bis 2025 soll die Ost- an die Westrente angeglichen werden. Zudem werden die Leistungen für Menschen, die künftig eine Erwerbsminderungsrente beziehen, ausgebaut. Die SPD wird in den kommenden Tagen ihr Rentenkonzept für den Wahlkampf vorlegen, wobei Sozialministerin Andrea Nahles ihre Vorstellung bereits umrissen hat. Demnach sollen ein zu starkes Absinken des Rentenniveaus und ein zu starkes Ansteigen der Beiträge durch frische Steuerzuschüsse in Milliardenhöhe verhindert werden. Nahles will jedoch daran festhalten, daß neben der gesetzlichen Rente auch private und betriebliche Vorsorge als wichtige Säulen bestehen bleiben. [2]

Das am 1. Juni mit den Stimmen von CDU und SPD vom Bundestag verabschiedete neue Betriebsrentengesetz bietet jedoch keineswegs Schutz vor Altersarmut. Vielmehr schwächt es die gesetzliche Rente und stärkt vor allem Versicherungen und börsennotierte Pensionfonds, so daß es vielen Unternehmen, aber nur wenigen Geringverdienern nützt. Woher der Wind weht, unterstreichen die überaus positiven Reaktionen auf seiten der Fondsmanager und Unternehmen. Das Gesetz sei "revolutionär" und "ein Meilenstein", lobt Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des Fondsverbands BVI. Dieser Entwurf sei seit langem das Beste, was die Politik zum Thema Rente vorgelegt habe. Auch der Arbeitgeberverband BDA begrüßt das neue Gesetz und spricht von einer innovativen Lösung, die neue Renditechancen biete.

Der Verdacht, daß nach dem Scheitern der immer weniger angenommenen Riesterrente den privaten Versicherungen wieder neue Kunden und damit frische Gelder zugetrieben werden sollen, die dann für spekulative Geschäfte verwendet werden können, erhärtet sich, sobald man das neue Betriebsrentengesetz unter die Lupe nimmt. Ein entscheidender Rückschritt aus Sicht der Beitragszahler besteht darin, daß die Unternehmen ihren ehemaligen Arbeitern und Angestellten im Alter keine feste Betriebsrente mehr garantieren müssen. Vielmehr sollen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften künftig in den Tarifverträgen nur über die unverbindliche "Zielhöhe" einigen. Ob diese Rentenhöhe später tatsächlich erreicht wird, hängt von der bekanntlich höchst risikobefrachteten Entwicklung der Börse ab.

Die künftige Betriebsrente soll vor allem durch "Entgeltumwandlung" finanziert werden, nämlich durch Beiträge, die von der Lohnsumme des Arbeitnehmers abgezogen werden. Hingegen muß das Unternehmen nicht unbedingt etwas dazugeben. Falls es aber doch einen Beitrag dazu beisteuert, bekommt es dreißig Prozent davon vom Staat und damit aus Steuergeldern zurück. Sozialministerin Nahles will mit diesen weitgehenden Zugeständnissen vor allem einen Anreiz zur Einrichtung von Betriebsrenten in kleinen und mittleren Unternehmen schaffen. Dieses Modell mache insbesondere für Niedrigverdiener und für kleine und mittlere Betriebe die Betriebsrenten wieder attraktiv, so die Ministerin.

Da die Betriebsrentenbeiträge direkt vom Bruttolohn abgezogen werden, sparen die Unternehmen bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Und da von den verringerten Bruttolöhnen die gesetzlichen Steuer- und Sozialbeiträge abgehen, verringern sich diese ebenfalls, so daß das Niveau der gesetzlichen Rente weiter sinkt. Dennoch trifft das als "Sozialpartnermodell" angepriesene Gesetz offenbar auf Zustimmung der Gewerkschaften, die sich davon mehr Einfluß in den kleinen und mittleren Betrieben, nicht zuletzt aber Beteiligung an den Fonds zu versprechen scheinen, in denen die Beitragsgelder angelegt und von Arbeitgebern und Gewerkschaften gemeinsam verwaltet werden sollen.

In den Vereinigten Staaten, wo die private Altersvorsorge traditionell viel weiter verbreitet als in Deutschland ist, hat die Finanzkrise Hunderttausende Rentner in Armut gestürzt, weil ihre Rentenfonds massive Verluste erlitten. Dessen ungeachtet erhöht das neue Betriebsrentengesetz eben diese Gefahr massiver Verluste im Falle künftiger Krisen, da es das Risiko den Arbeitnehmern aufbürdet und die gesetzliche Rente schwächt. Seit über zwanzig Jahren sinkt das Niveau der gesetzlichen Rente, heute kommen die Rentner mit 47,3 Prozent nicht einmal mehr auf die Hälfte ihres durchschnittlichen Arbeitslohnes. Fast jeder zweite Rentner erhält 750 Euro oder weniger, wovon man in keiner deutschen Stadt angemessen leben kann. Eine Berechnung des Bundestags kam kürzlich zu dem Ergebnis, daß die Nettorente in wenigen Jahren auf 43 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes absinken werde. Zudem steht zu befürchten, daß 2030 jeder zweite Neurentner nur noch eine Rente auf Hartz-IV-Niveau erhalten wird. [3]

Eine Kumpanei aus Union, SPD, Grünen und FDP hat ab dem Jahr 2000 das Rentenniveau gesenkt, Kürzungsfaktoren erfunden und verkündet, daß sich die Lücke in der gesetzlichen Rente durch die kapitalgedeckte Riesterrente komplett schließen lasse. Diese Ideologie ist für die meisten Menschen mit der Finanzkrise und der lang anhaltenden Niedrigzinsphase geplatzt. Sabine Zimmermann nennt folgende Kernforderungen der Linkspartei zur Rentenpolitik: "Die gesetzliche Rente muss wieder gestärkt werden, unter anderem durch Anhebung des Rentenniveaus auf mindestens 53 Prozent, Abschaffung der Kürzungsfaktoren und der Rente erst ab 67 sowie die Einführung einer solidarischen Mindestrente." So unverzichtbar eine Anhebung des Rentenniveaus sein mag, kann diese als einzelne Maßnahme Altersarmut nicht abwenden. Erforderlich ist in der Tat ein umfassendes Konzept, das alle Komponenten der Rentenpolitik auf den Prüfstand stellt.


Fußnoten:

[1] https://www.jungewelt.de/artikel/306403.sicher-im-alter.html

[2] http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-06/altersvorsorge-riester-rente-einzahlungen-beitraege

[3] https://www.wsws.org/de/articles/2017/06/03/rent-j03.html

5. Juni 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang