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USA/1248: WikiLeaks legt nach - Memo der CIA-Unterabteilung Red Cell veröffentlicht (SB)


US-Suprematie auf dem Feld extra-legaler Aktivitäten in Gefahr?


Die Organisation WikiLeaks hält mit ihrer Internetseite eine sichere Plattform für sogenannte Whistleblower vor, die darauf vertrauliche Dokumente ablegen können, die sie der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen. Mitunter wird auf diesem Weg brisantes Material publiziert wie zuletzt Zehntausende geheime Berichte von US-Militärs aus Afghanistan, die dazu beitrugen, das Bild von der Lage in dem von den westlichen Mächten besetzten Land zu präzisieren und bislang vertuschte Zwischenfälle offenzulegen. Nun hat WikiLeaks ein internes Memo des Geheimdienstes CIA veröffentlicht, dessen Thema Gedankenexperimente rund um "Terroristen" mit US-Pässen sind. Die als geheim eingestufte Analyse untersucht mögliche Auswirkungen auf das Ansehen der USA, sollten US-Bürger im Ausland Anschläge verüben. [1]

Ein Vertreter der US-Regierung, der nicht namentlich genannt werden wollte, stufte die Bedeutung des Papiers als sehr gering ein. Ein Sprecher der CIA winkte ab, daß es sich bei dem Dokument um nichts weiter als ein Gedankenspiel handle. So viel betontes Desinteresse sollte hellhörig machen, zumal Pentagonvertreter zunächst genauso reagiert hatten, als Wikileaks Dokumente zum Afghanistaneinsatz veröffentlichte. Wenig später wurde dann aus der angeblichen Mücke plötzlich ein Elefant, als man der Plattform vorwarf, sie gefährde Soldaten und Informanten in den Krisengebieten.

Auf der Suche nach der undichten Stelle ermitteln die US-Militärs gegen den Gefreiten Bradley Manning, der die Papiere weitergeleitet haben soll. Ihm wurde bereits vorgeworfen, im Februar ein Video aus einem Kampfhubschrauber im Irak an Wikileaks weitergegeben zu haben. Daten auf seinem Laptop ließen darauf schließen, daß er auch für die Weitergabe der Dokumente aus Afghanistan verantwortlich sei, berichteten US-Medien. [2]

Wikileaks-Gründer Julian Assange wurde durch die Veröffentlichung der geheimen US-Dokumente zum Afghanistankrieg weltweit bekannt und zugleich Zielobjekt diverser Angriffe und Nachstellungen. Inzwischen wurden die in Schweden gegen ihn erhobenen Vorwürfe erheblich zurückgefahren, da die Staatsanwaltschaft hinsichtlich angeblicher sexueller Übergriffe einen Rückzieher machen mußte. So kündigte Oberstaatsanwältin Eva Finné die komplette Einstellung aller Ermittlungen zum Vergewaltigungsvorwurf an. Bei einem zweiten Fall wird der Verdacht "sexueller Belästigung" zu "Belästigung" abgeschwächt.

Das nun von WikiLeaks publizierte dreiseitige Memo vom 5. Februar 2010 wurde von einer Unterabteilung des US-Auslandsgeheimdienstes CIA namens Red Cell angefertigt. Diese Einheit innerhalb der CIA wurde nach dem 11. September 2001 eingerichtet und hat den Auftrag, außerhalb gängiger Schemata zu denken. Wie die CIA auf ihrer öffentlich zugänglichen Internetseite schreibt, solle Red Cell Gedanken provozieren und alternative Blickwinkel aufzeigen. Da es sich weder um eine offizielle Einschätzung der US-Regierung, noch die vorherrschende Auffassung der CIA handelt, ließe sich argumentieren, daß man es lediglich mit bloßen Gedankenspielen zu tun hat, die wenig oder gar keine Relevanz hinsichtlich einer möglichen Umsetzung besitzen. Andererseits liegt damit offenbar der Werkstattbericht einiger Vordenker des Geheimdienstes vor, deren Aufgabe darin besteht, über den Tellerrand aktueller Ereignisse und Auffassungen hinauszublicken und künftige Entwicklungen vorherzusehen oder gar zu impulsieren.

Unter dem Titel "Was, wenn Ausländer die USA als Terror-Exporteur wahrnehmen?" beschäftigen sich die ungenannten Autoren des von WikiLeaks veröffentlichten Memos mit dem Umstand, daß Bürger der Vereinigten Staaten dann und wann Anschläge in anderen Ländern verüben. Dies könnte möglicherweise dazu führen, daß man dort die Täter verstärkt mit ihrem Herkunftsland in Verbindung bringt und dadurch neue Forderungen an die USA stellt.

Das Papier beginnt mit einem knappen historischer Abriß über US-Bürger, die sich in der Vergangenheit dschihadistischen Gruppen, aber auch irischen Militanten oder jüdisch-fundamentalistischen Attentätern angeschlossen haben. Dann umreißt das Memo die unter Umständen daraus resultierende Problemlage, daß man die USA im Ausland zunehmend mit anderen Augen sehen und sie als einen "Exporteur von Terrorismus" wahrnehmen könnte. Welche Reaktionen ausländischer Regierungen wären unter diesen Voraussetzungen vorstellbar? Die Autoren spielen verschiedene Möglichkeiten durch und halten es unter anderem für möglich, daß die betreffenden Staaten ihre Zusammenarbeit hinsichtlich "extra-legaler Aktivitäten" (extrajudicial activities) erheblich einschränken könnten. Als Beispiele werden in dem Memo unter anderem "Ingewahrsamnahme sowie Überstellung und Verhör von Verdächtigen in Drittstaaten" genannt. Überdies könnten andere Staaten künftig sogar ihrerseits verlangen, daß US-Bürger per Rendition überstellt werden. Und sollte sich die US-Regierung weigern, ließe sich nicht ausschließen, daß im Extremfall andere Staaten US-Bürger, die sie des "Terrorismus" verdächtigen, auf eigene Faust entführen oder töten.

Da es sich bei Red Cell um eine Unterabteilung der CIA handelt, wird man zwangsläufig keine Bestätigung erhalten, welche Bedeutung solche Arbeitsergebnisse für die künftige geheimdienstliche Tätigkeit und politische Umsetzung haben. Möglicherweise ist Red Cell eine bloße Attrappe für die Öffentlichkeit, welche die Phantasie der Laien in Beschlag nehmen soll. Ebensogut könnte der offiziell ausgewiesene Auftrag dieser Abteilung eine Tarnung sein oder gar - auch dies sollte man nicht von vornherein ausschließen - das Material WikiLeaks sogar von geheimdienstlicher Seite in der Absicht zugespielt worden sein, es als vermeintliche Enthüllung und somit authentisch auszugeben.

Sich in diesbezüglichen Spekulationen zu ergehen oder gar in Grabenkriegen das jeweils favorisierte Deutungsmuster erbittert von anderen abzugrenzen, führt offensichtlich ins Abseits. Von Interesse bleibt jedoch, die in dem veröffentlichten Papier angesprochenen Inhalte zu prüfen und im Kontext der eigenen Bewertung zu diskutieren. Auf einen einfachen Nenner gebracht, fürchten die Autoren, daß andere Regierungen eines Tages die Vereinigten Staaten in dem genannten Zusammenhang genauso behandeln könnten, wie dies die US-Regierung in ihrem Umgang mit anderen Ländern selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt.

Präsident Barack Obama hat sich bei seinem Amtsantritt der Formel bedient, Vergangenheit lasse sich am besten bewältigen, wenn man den Blick forsch in die Zukunft richtet. Die Politik der vorangegangenen Administration auf diese Weise nicht ernsthaft anzutasten, kann nur der Absicht geschuldet sein, sie fortzusetzen, was Obama denn ja auch getan hat. Die wichtigsten polizeistaatlichen Verfügungen der Bush-Ära wie zeitlich unbegrenzte Haft ohne Prozeß, Überwachung im Inland, Verschleppung im Ausland und gezielte Tötungen haben weiter Bestand. Das weltweite System geheimer Folterstätten wurde nicht abgeschafft, und Guantánamo ist auch acht Monate nach dem von Obama einst angekündigten Schließungstermin am 20. Januar 2010 nach wie vor in Betrieb, um Menschen zu erniedrigen, zu foltern und zu vernichten.

Der Beschluß, nicht zurückzuschauen und nur nicht anzufangen, führende Exponenten des Vorgängerregimes für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen, repräsentiert zugleich Obamas Anspruch, mit seiner Administration ebenso ungeschoren davonzukommen. Im Juni 2010 setzte sich die Obama-Administration mit ihrer Auffassung durch, daß sich der Oberste Gerichtshof aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht mit der Ablehnung des Falls Maher Arar gegen John Ashcroft und andere ehemalige Regierungsvertreter befassen dürfe. Arar, der syrisch-kanadischer Herkunft ist, wurde 2002 von New York nach Syrien verschleppt, wo man ihn systematisch folterte und monatelang gefangenhielt. [3]

Während die Obama-Administration zahlreiche Anfragen ausländischer Regierungen nach Informationen und Dokumenten in Fällen von Entführung und Folter durch US-Bundesagenten zurückgewiesen hat, werden in anderen Ländern immer häufiger derartige Verfahren geführt, bei denen die Rolle führender Vertreter der US-Regierung bei der Etablierung eines Folterregimes zur Sprache kommt. So wurden im November 2009 in Italien der CIA-Stationschef und 22 weitere Mitarbeiter der CIA in Abwesenheit wegen Entführung des muslimischen Geistlichen Abu Omar nach Ägypten, wo er grausam gefoltert wurde, verurteilt. Die Obama-Regierung verweigerte den italienischen Behörden jede Zusammenarbeit bei den Ermittlungen und zeigte sich tief enttäuscht über das Urteil. Obgleich die Verurteilten nach italienischem Recht flüchtig sind, werden sie von den USA nicht ausgeliefert und bleiben auf freiem Fuß.

In Spanien läuft derzeit ein Prozeß, in dem vier spanische Staatsbürger, die im Lager Guantánamo festgehalten und gefoltert wurden, gegen sechs hochrangige Mitglieder der Bush-Regierung zu Felde ziehen. Auch in diesem Fall lehnt die Obama-Regierung jede Kooperation ab. Die britischen Behörden mußten kürzlich auf gerichtliche Anweisung geheime Informationen über die Verschleppung des gebürtigen Äthiopiers Binyam Mohamed zugänglich machen, der in Morokko, Afghanistan und Guantánamo gequält worden ist. Als die brutalen Foltermethoden publik wurden, löste dies Entsetzen und Empörung in der britischen Öffentlichkeit aus. Es versteht sich fast von selbst, daß aus Washington auch diesbezüglich keinerlei Unterstützung kam und die Offenlegung der Informationen als "nicht hilfreich" und "sehr bedauerlich" abgekanzelt wurde. Untersuchungen zu den von der US-Regierung organisierten Folterpraktiken werden zudem in Australien, Polen und Litauen sowie beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßbourg geführt.

Die Obama-Administration bedient sich der unter Bush gezimmerten juristischen Absicherung, wonach der US-Präsident als Oberbefehlshaber der Streitkräfte über weitreichende außenpolitische Vollmachten verfüge und durch die im Gefolge des 11. September 2001 beschlossene Autorisierung zur Anwendung militärischer Gewalt mit umfassenden Befugnissen im "Antiterrorkrieg" ausgestattet sei. Diese imperiale Anmaßung nahezu unumschränkter Macht ist größer als Bush oder Obama und strategisch zu weitreichend im Dienst US-amerikanischer Dominanz, als daß ein Regierungswechsel in Washington sie beeinträchtigen oder zurücknehmen würde.

Washington gebietet über die Waffen der stärksten Macht und somit die überzeugendsten Argumente, seine Verbündeten im Zaum zu halten und als perifer eingestufte Nationen und Völkerschaften heimzusuchen. Wie alle hegemonialen oder imperialen Machtkomplexe kommt jedoch auch die US-Suprematie nicht ohne ein unermüdlich gewobenes und sorgsam gepflegtes Netz der Einbindung aus, das dem aus der Expansion resultierenden tendentiellen Zerfall entgegenwirkt. Während die USA ihre Vorherrschaft zu Lasten der restlichen Welt niemals freiwillig aufgeben werden, läge es durchaus im Ermessen dieser Mehrheit, sich nicht länger um des erhofften Vorteils willen dem Diktat Washingtons zu unterwerfen.

Anmerkungen:

[1] Dokument zu US-Dschihadisten. WikiLeaks veröffentlicht CIA-Memo (25.08.10)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,713823,00.html

[2] Wikileaks. Neues Geheimdokument über US-Killerkommandos aufgetaucht (26.08.10)
http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article1611560/Neues-Geheimdokument-ueber-US-Killerkommandos-aufgetaucht.html

[3] Obama administration continues to cover up US torture of prisoners (25.08.10)
World Socialist Web Site

27. August 2010