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USA/1262: Deportation von Einwanderern erreicht neuen Höchststand (SB)


Sicherheitsdoktrin blendet soziale Frage systematisch aus


Die Verelendung wachsender Teile der US-Gesellschaft schürt eine Fremdenfeindlichkeit, die die Einwanderungspolitik vollends auf ein Instrument der Drangsalierung und Vertreibung all jener Bevölkerungsgruppen reduziert, die als "illegal" klassifiziert werden. Schätzungen zufolge leben zwölf Millionen Einwanderer ohne offizielles Aufenthaltsrecht in den USA, bei denen es sich überwiegend um Migranten aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern handelt. Wie vor ihm schon George W. Bush hatte auch US-Präsident Barack Obama vor seiner Wahl im Jahr 2008 angekündigt, er wolle sich um eine Legalisierung ihres Aufenthalts bemühen. Bislang hat seine Regierung diesbezüglich jedoch keinen Vorstoß unternommen, womit diese ohnehin vage Hoffnung endgültig ins Reich der politischen Fiktion verwiesen wird. Statt dessen schmieden vorteilsgetriebener Bürgersinn und administrative Konfliktregulation jene unheilige Allianz, die insbesondere in Krisenzeiten geradezu automatisch dafür sorgt, die herrschenden Widersprüche zu verschleiern und den Druck gegen Menschen zu richten, denen man jedes Recht auf Teilhabe an existenzsichernden Lebensverhältnissen abspricht.

In diesem Sanktions- und Verdrängungsprozeß wird die Bezichtigung der Illegalität immer breiter gefaßt und offensiver zur Anwendung gebracht. Verstand man in Kontext der Einwanderungspolitik darunter zunächst eine Person, die wie so viele andere heimlich die Grenze überquert hatte und ohne gültige Papiere im Land lebte, was als Vergehen eingestuft wurde, so wird ein illegaler Aufenthalt inzwischen nahezu als Straftatbestand aufgefaßt, der offensiver Verfolgung bedarf. Da sich die von der Bush-Administration geschürte Furcht, über die Südgrenze könnten "Terroristen" in die USA eindringen, durchweg als lächerliche Behauptung erwiesen hat, verlagerte sich der Fokus der Bezichtigung auf Kriminalität, die angeblich durch die unkontrollierte Migration eingeschleppt wird. Auf diese Weise blendet man die zugrundeliegende soziale Frage aus und postuliert an deren Stelle ein Sicherheitsproblem, das den Ausbau administrativer Zwangsmittel legitimiert.

In den vergangenen zwölf Monaten haben die USA eine Rekordzahl an "illegalen" Einwanderern ausgewiesen. Nach Angaben von Heimatschutzministerin Janet Napolitano wurden im Haushaltsjahr 2010, das am 30. September endete, mehr als 392.000 Menschen des Landes verwiesen, womit der Höchststand des vorangegangenen Jahres von rund 390.000 noch übertroffen wurde. Laut "Washington Post" haben mehr als 195.000 Ausgewiesene zuvor Straftaten begangen, worunter mehr als 1000 Mörder, 45.000 Drogenkriminelle und 28.000 Menschen fielen, die betrunken Auto gefahren waren. [1]

Die hohe Zahl unterstreiche die unermüdlichen Bemühungen, das Land sicherer zu machen, teilte die Einwanderungsbehörde mit. Ins gleiche Horn stieß Napolitano, die hervorhob, daß die Regierung von Präsident Barack Obama die Einwanderungsgesetze streng umgesetzt habe. Die Ministerin verwies zugleich auf die Stationierung von 17.000 Grenzschützern und 1.200 Mitgliedern der Nationalgarde, was dazu geführt habe, daß einige der sichersten Städte der USA in Grenznähe lägen. [2]

Da die Kongreßwahlen näherrücken, steht die Obama-Administration unter enormem Druck, sowohl die unkontrollierte Einwanderung, als auch den Drogen- und Waffenhandel im Grenzgebiet zu Mexiko einzudämmen. Zwar rief die Heimatschutzministerin den Kongreß dazu auf, die umstrittene Reform der Einwanderung zu verabschieden, die mehreren Millionen Migranten den Weg zum Erwerb der US-Staatsbürgerschaft ebnen würde, doch war das kaum mehr als ein Feigenblatt, mit dem sich die Regierung mit Blick auf die hispanischen Wählerstimmen abzusichern versucht. Gegner insbesondere aus den Reihen der Republikaner werfen ihr vor, sie wolle eine Amnestie für Gesetzesbrecher auflegen. [3]

Mangels einer Einwanderungsreform auf Bundesebene sind Bundesstaaten, Städte und Gemeinden vielerorts dazu übergegangen, repressive Maßnahmen gegen Migranten für rechtens zu erklären und anzuwenden. Umstritten ist insbesondere das neue Einwanderungsgesetz in Arizona, gegen das die Regierung in Washington Klage eingereicht hat. Wie Menschen hispanischer Herkunft zu Recht geltend machen, öffne die Legislative des Bundesstaats einer rassistisch motivierten Verfolgung bestimmter Bevölkerungsgruppen Tür und Tor. Im Wahlkampf für den Kongreß erweist sich die Haltung zu der gesetzlichen Regelung Arizonas insbesondere im Südwesten der USA als ein zentraler Prüfstein der Kandidaten, worauf man vor allem im republikanischen Lager achtet. [4]

Die steigende Zahl der Deportationen verdankt sich nicht zuletzt einem um sich greifenden Trend, bei Festnahmen automatisch den Aufenthaltsstatus zu überprüfen. Das Programm "Secure Communities" wurde erstmals 2008 im texanischen Harris County aufgelegt, wo nach Angaben der Behörden seither mehr als 20.000 Personen identifiziert worden sind, die sich ohne gültige Papiere im Land aufhielten und deshalb der Abschiebung zugeführt wurden. Das Verfahren, die Fingerabdrücke in Haft genommener Personen mit Datenbanken des Heimatschutzministeriums abzugleichen, hat inzwischen Schule gemacht und wird heute landesweit in rund 660 Städten und Distrikten angewendet.

Der beträchtliche Anteil von Straftätern an der Gesamtzahl der Deportierten erklärt sich also vor allem daraus, daß man insbesondere in den kleinen Gefängnissen systematisch nach "Illegalen" sucht. Zugleich drängt sich zwangsläufig die Frage auf, was man den fast 200.000 Migranten zur Last gelegt hat, die keine Straftaten begangen haben, aber dennoch abgeschoben wurden. Wie die Einwanderungsbehörde behauptet, handle es sich in vielen Fällen um Personen, die vor kurzem illegal eingewandert oder auf der Flucht vor Einwanderungsgerichten seien.

Überprüfbar ist diese Aussage jedoch nicht, was um so mehr gilt, als die Bundesbehörden offenbar erstmals alle diesbezüglichen Daten unter Verschluß halten. Institute wie Transactional Records Access Clearinghouse, die regelmäßig Daten solcher Behörden auswerten, sprechen in diesem Zusammenhang von einem beispiellosen Fall. Daß diese Informationssperre, deren Rechtmäßigkeit noch zu prüfen sein wird, handfeste politische Gründe hat, liegt nahe.

Anmerkungen:

[1] Migration. USA schieben Rekordzahl illegaler Einwanderer ab (07.10.10) www.spiegel.de

[2] USA weisen Rekordzahl von Illegalen aus (07.10.10)
newsticker.sueddeutsche.de

[3] USA wiesen heuer bisher knapp 400.000 Illegale aus (07.10.10) www.kleinezeitung.at

[4] Deportations From U.S. Hit a Record High (06.10.10)
New York Times

7. Oktober 2010