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USA/1281: Gericht läßt Klage gegen Telekomüberwachungsgesetz zu (SB)


Gericht läßt Klage gegen Telekomüberwachungsgesetz zu

ACLU und Verbündete erringen Teilsieg gegen Obamas Schnüffelstaat


Mit rund 50 Milliarden Dollar im Jahr geben die USA allein für ihre 16 Geheimdienste mehr als jeder anderer Staat für seine Streitkräfte aus. Das meiste dieser Summe geht an die National Security Agency (NSA), die, obwohl weit weniger bekannt als die Central Intelligence Agency (CIA), der größte und mächtigste Geheimdienst der Welt ist. Die in Fort Meade ansässige NSA ist nicht nur der größte Arbeitgeber des US-Bundesstaates Maryland, sondern beschäftigt auch mehr Mathematiker als jede andere Institution auf der Welt. Kernaufgabe der NSA ist das Abfangen und die Auswertung - gegebenenfalls nach einer Dechiffrierung - von elektronischen Nachrichten.

Im Dezember 2005 löste die New York Times mit der Enthüllung, Präsident George W. Bush habe es der NSA nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 gestattet, ohne richterliche Genehmigung den E-Mail- und Telefonverkehr von US-Bürgern mit verdächtigen Personen im Ausland zu kontrollieren, eine jahrelange Kontroverse aus. Einige Kommentatoren wie Präsident Richard Nixons ehemaliger Rechtsberater John Dean warfen Bush jun. vor, gegen den 4. Zusatz der US-Verfassung, der dem Bürger Schutz vor "willkürlichen Durchsuchungen" garantiert, verstoßen und damit seinen Eid als Präsident gebrochen zu haben.

Einig waren sich in Medien und Politik alle, daß die Bush-Regierung mit der Anweisung an die NSA gegen das 1978 in Reaktion auf die Watergate-Affäre erlassene Gesetz namens Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA), das bei Lauschangriffen die Genehmigung eines richterlichen Sondergremiums vorschreibt, verstoßen hatte. Doch weil die Mehrheit der Demokraten und Republikaner im Kongreß dem Weißen Haus die Behauptung, zu der drastischen Maßnahme lediglich gegriffen zu haben, um weitere "Terroranschläge" wie die gegen das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington zu verhindern, abnahm, zogen Repräsentantenhaus und Senat im Juli 2008 durch die Verabschiedung des FISA Amendment Act, das die illegale NSA-Schnüffelei nachträglich legitimierte und die daran beteiligten US-Telekomunternehmen und -Internetprovider vor Schadensersatzklagen ihrer Kunde schützte, einen Schlußstrich unter die Kontroverse. Selbst Barack Obama, damals Senator aus Illinois und Präsidentschaftskandidat der Demokraten, hat entgegen früherer Zusicherungen doch noch für die umstrittene Gesetzesnovelle gestimmt.

Seitdem versucht eine von der American Civil Liberties Union (ACLU) angeführte Gruppe von Bürgerrechtlern, Anwälten einiger Guantánamo-Häftlinge und kritischen Journalisten das FISA-Zusatz-Gesetz gerichtlich zu Fall zu bringen. 2009 erlitten sie vor dem Bundesbezirksgericht in New York eine erste Niederlage. Damals ließ Richter John G. Koeltl die Klage gegen die FISA-Novelle mit der Begründung nicht zu, die sich beschwerenden Parteien könnten den Beweis nicht antreten, daß ihre Telekommunikationen tatsächlich von der NSA kontrolliert würden. Nach dem Motto, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, tat der Richter zudem die Angst der Kläger vor elektronischer Überwachung des Staates und damit vor der Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte als "rein subjektiv" ab. Am 21. März hat jedoch das dreiköpfige Bundesberufungsgericht für den 2. Bezirk das Urteil Koeltls einkassiert und den Weg für eine gerichtliche Überprüfung der Frage, inwieweit das Gesetz überhaupt verfassungskonform ist, freigemacht.

In dem Urteil hieß es, die Klage sei zulässig, denn die Beschwerdeführer hätten sehr wohl nachgewiesen, daß ihre Angst vor Überwachung ihrer Telefonate und ihres E-Mail-Verkehrs mit Personen im Ausland, die eventuell unter einem "Terrorverdacht" stünden, "keine Phantasie oder Spekulation", sondern im Gegenteil durchaus begründet sei. Die Richter erklärten, das erweiterte FISA-Gesetz habe die Kläger in eine "unerträgliche Position" gebracht: "entweder tauschen sie weiterhin vertrauliche Informationen auf elektronischem Wege aus und gehen das erhebliche Risiko ein, im Rahmen eines Statuts, das sie für verfassungswidrig halten, überwacht zu werden, oder sie könnten finanzielle und berufliche Kosten auf sich nehmen, um sich einer Überwachung zu entziehen".

Wie die Nachrichtenagentur Associated Press am selben Tag berichtete, hat Jameel Jaffer von der ACLU das "Grundsatzurteil" des 2nd U.S. Circuit Court of Appeals begrüßt und erneut erläutert, warum das Gesetz dringend überprüft werden müsse. Aus Sicht der Kläger ermögliche das Gesetz der NSA den großen Lauschangriff, indem es sie von der Notwendigkeit der Einholung einer richterlichen Genehmigung befreie und der Vorlage eines dringenden Tatverdachts enthebe, so Jaffer. In einem Artikel, der am 22. März bei der Torontoer Zeitung Globe & Mail erschienen ist, gab sich die Kanadierin Naomi Klein, weltweit bekannte Autorin der globalisierungskritischen Bücher "No Logo" und "Die Schock-Doktrin", ebenfalls zufrieden über das Urteil.

Klein nimmt an der Klage teil, weil sie Kontakt zu Oppositionellen in Lateinamerika wie Mitgliedern der Zapatista-Bewegung in Mexiko pflegt, die vom Sicherheitsapparat der USA als potentielle "Terroristen" eingestuft werden könnten - oder bereits eingestuft worden sind, ohne daß wir es wissen. Auch wenn Klein keine unmittelbare Gefahr für sich selbst sieht, macht sie sich schon Sorgen, daß Informationen, die von der NSA aus ihren Kommunikationen gewonnen werden, eventuell an befreundete Dienste der Länder, in denen sich besagte Oppositionelle - Umweltschützer, Indianervertreter, Gewerkschaftler usw. - befinden, weitergeleitet werden und dort als Anlaß für Repressalien dienen könnten. Wegen dieser Gefahr muß Klein zu den Leuten reisen, um mit ihnen direkt zu sprechen, statt wie früher zu telefonieren oder mit ihnen E-Mails auszutauschen.

In einem am 23. März veröffentlichten Leitartikel mit dem Titel "The Right to Sue Over Wiretapping" hat die New York Times das "wichtige Urteil" des Bundesberufungsgerichts für den 2. Bezirk begrüßt und sich über die Tatsache, daß die Anwendung des FISA-Zusatz-Gesetzes bislang "geheim" ist und ohne richterliche Überprüfung abläuft, beschwert und eine Korrektur in Richtung Transparenz gefordert. Der kritische Standpunkt von Amerikas "Paper of Record" in diesem Zusammenhang wäre jedoch glaubwürdiger, hätten nicht der Herausgeber Arthur Sulzberger jun. und sein Chefredakteur Bill Keller in Absprache mit dem Weißen Haus die eigenen Reporter James Risen und Eric Lichtblau mehr als ein Jahr lang an der Bekanntgabe der Existenz des illegalen NSA-Überwachungsprogramms gehindert. Als Sulzberger und Keller im Sommer 2004 davon erfuhren, reisten sie extra nach Washington, um sich im Oval Office mit Präsident Bush und dessen Vizepräsident Dick Cheney über das pikante publizistische Problem zu beraten. Anschließend wurde angeblich aus Rücksicht auf die nationale Sicherheit Risens und Lichtblaus Enthüllung erst einmal zurückgehalten. Durch die Sperrung der spektakulären Geschichte hat das NYT-Spitzenduo Bush eine heftige Kontroverse wenige Wochen vor der Präsidentenwahl im November 2004 und dadurch diesen zu weiteren vier Jahren im Amt verholfen.

25. März 2011