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USA/1403: Nach Bush jun. bekommt auch Trump einen Niger-Skandal (SB)


Nach Bush jun. bekommt auch Trump einen Niger-Skandal

Der niemals endende Antiterrorkrieg nistet sich in Afrika ein


Die Republik Niger gilt als einer der ärmsten Staaten der Welt. Das nordwestafrikanische Land, das von den Nachbarn Algerien und Libyen im Norden, Tschad im Osten, Nigeria und Benin im Süden sowie Burkina Faso und Mali im Westen umgeben ist und folglich über keinen Zugang zum Meer verfügt, besteht topographisch zu 80 Prozent aus Wüste. Auf der Entwicklungsliste der Vereinten Nationen rangiert Niger weit unten auf Platz 188. Über die Hälfte der Bevölkerung von mehr als 20 Millionen Menschen lebt in bitterster Armut. Die allermeisten Nicht-Afrikaner hätten bestimmt Schwierigkeiten, Niger auf der Landkarte zu finden. Und dennoch steht es zum zweiten Mal innerhalb von rund zehn Jahren im Mittelpunkt eines heftigen politischen Skandals in den USA. Es ist derselbe Umstand, der Niger während der Ära George W. Bushs in die Schlagzeilen katapultierte und weswegen das Land die Regierung Donald Trump nun in Erklärungsnot bringt: der Militarismus und das Streben des Pentagons nach "Full Spectrum Dominance", nach der globalen Vorherrschaft des US-Militärs an Land, zu Wasser, in der Luft, im Weltall sowie in Cyberspace.

Am 4. Juli 2003 - ausgerechnet am Nationalfeiertag - trat Joseph Wilson, der ehemalige US-Botschafter in Bagdad, mit der Veröffentlichung des Gastkommentars "What I Didn't Find In Niger" in der New York Times eine heftige Kontroverse los. Dreieinhalb Monate zuvor waren US-Streitkräfte unter dem Vorwand in den Irak einmarschiert, Saddam Hussein müsse gestürzt werden, bevor Bagdad atomare, biologische oder chemische Waffen an das "Terrornetzwerk" Al Kaida weitergebe. Unter dem Eindruck der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 und der Anthrax-Briefanschläge in den Wochen danach glaubten weite Teile der amerikanischen Bevölkerung das Märchen vom "finsteren Nexus" zwischen Osama Bin Laden und Saddam Hussein, das ihnen die Bush-Regierung und führende Medien, allen voran die New York Times, aufgetischt hatten.

Zur Begründung des illegalen Einmarsches hatten Bush und Vizepräsident Dick Cheney unter Verweis auf vermeintliche geheimdienstliche Erkenntnisse unter anderem behauptet, Saddam Hussein versuche, sich Uran aus Niger zwecks Atombombenbau zu besorgen. Wilson wußte, daß dies gelogen war, denn er war 2002 im Auftrag der CIA extra nach Niger gereist, um entsprechende Verdachtsmomente zu überprüfen, hatte sie für gegenstandslos befunden und die Verantwortlichen in Langley darüber in Kenntnis gesetzt. Ohne direkt das Wort "Lüge" zu benutzen, warf Wilson Bush und Cheney in der New York Times vor, gegen besseres Wissen und mit Absicht das Volk in die Irre geführt und die vom "Regime" Saddam Husseins angeblich ausgehende Bedrohung maßlos aufgebauscht zu haben.

Die Bush-Leute, damals noch berauscht vom Blitzsieg über Saddams Armee, wollten die Vorwürfe Wilsons nicht einfach so stehen lassen und starteten deshalb eine hochaggressive Diffamierungskampagne gegen den "Nestbeschmutzer". Über befreundete Journalisten, allen voran Judith Miller von der New York Times, stellten sie Wilson als Hampelmann dar, der kein Militärexperte, sondern lediglich ein abgehalfterter Diplomat sei und den Auftrag zur Erkundungstour nach Niger einzig der Tatsache zu verdanken habe, daß seine Gattin bei der CIA arbeite. Doch der versuchte Rufmord erwies sich schnell als Bumerang. Wilsons Frau Valerie Plame war nicht irgendeine CIA-Angestellte, sondern arbeitete für den Auslandsgeheimdienst der USA "undercover". Die Preisgabe ihrer Tarnung stand unter Strafe. Es folgte ein jahrelanges juristisches Nachspiel, in dessen Verlauf sich Miller zwischendurch als Märtyrerin für die Pressefreiheit stilisierte, indem sie sich für 85 Tage hinter Gitter bringen ließ, und schließlich ihr Informant, Cheneys Stabschef Irving Lewis "Scooter" Libby, rechtskräftig verurteilt wurde und von Bush begnadigt werden mußte.

Der Trump-Regierung droht vom aktuellen Niger-Skandal, in den sie mit voller Wucht hineingeloppiert ist, ebensoviel Ungemach, wie die Bush-Administration mit der unsäglichen Plame-Affäre auf sich geladen hat. Angefangen hat das ganze Theater, als am 4. Oktober vier US-Soldaten bei einem Einsatz in Niger gewaltsam ums Leben gekommen waren und dies in den Tagen darauf publik wurde. Als am 17. Oktober Trump von Journalisten gefragt wurde, warum er sich hierzu nicht äußere, reagierte der dünnhäutige New Yorker Ex-Baumagnat unwirsch. Statt die Frage einfach zu beantworten, ging Trump, wie gewohnt in solchen Situationen, zum vermeintlichen Gegenangriff über und nörgelte an Vorgänger Barack Obama herum, weil dieser während seiner acht Jahre im Weißen Haus angeblich nicht mit den Hinterbliebenen gefallener US-Soldaten telefoniert hätte.

Das war natürlich ganz großer Humbug. Kein US-Präsident hat die Zeit, bei der Familie eines jeden im Kampfeinsatz verstorbenen Soldaten anzurufen. Manchmal tun sie das, in der Regel jedoch unterschreiben sie einen offiziellen Beileidsbrief, zu dem sie vielleicht einige zusätzliche Worte des Trostes hinzufügen. Ungeachtet dessen führte Trump seinen Stabschef, Ex-Marineinfanteriegeneral John Kelly, als Zeuge in die Diskussion ein, weil dieser, als sein Sohn Robert 2010 in Afghanistan fiel, kein Telefonat von Obama erhielt. Doch da fingen die Dinge an, außer Kontrolle zu geraten.

Wegen der heftigen Kritik an Obama fühlte sich Trump offenbar gezwungen, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Am nächsten Tag, dem 18. Oktober, rief er vom Oval Office aus die Witwe von Feldwebel La David Johnson an, der in Niger ums Leben gekommen war. Das Gespräch geriet zum Fiasko und Politikum in einem. Nach Angaben der zweifachen Mutter Myeshia Johnson, die mit einem dritten Kind schwanger ist, war Trump derart desinteressiert, daß er sich nicht an den Namen ihres Ehemanns erinnern konnte und statt sie zu trösten gesagt habe, der Verstorbene habe als Militärangehöriger "gewußt, wozu er sich verpflichtet" hatte.

Als diese Version des Gesprächs bekannt wurde, dementierte sie Trump und nannte Frau Johnson per Twitter eine "Lügnerin". Pech nur für ihn, daß Johnson eine Zeugin hat. Als Trump sie angerufen hatte, saß neben ihr Frederica Wilson, Abgeordnete der Demokraten im Kongreß zu Florida. Weil sie zu Johnson, wie sie eine Afroamerikanerin, hält, wird Wilson nun von Trump und Kelly angegangen. Der Präsident bezeichnete sie als "irre Demokratin", während der ehemalige Marinegeneral sie auf einer Pressekonferenz bezichtigte, die Ehre der US-Streitkräfte zu besudeln, und ihr vorwarf, mittels einer Rede die Einweihung eines FBI-Gebäudes in ihrem Wahlkreis in Florida zu Wahlkampfzwecken mißbraucht zu haben. Bei YouTube kann jeder selbst die fragliche Wilson-Rede anhören; die Angaben Kellys entsprechen nicht der Wahrheit.

Nebenher ist in Washington eine große, zutiefst heuchlerische Diskussion über den Militäreinsatz in Niger ausgebrochen. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß die US-Streitkräfte dort 1000 Mann stationiert haben. Zahlenmäßig ist das der drittgrößte Kampfeinsatz des US-Militärs nach Afghanistan und dem Irak. Nichtsdestotrotz wollen führende Politiker im Kongreß bis vor wenigen Tagen nichts bzw. nur ganz wenig über die Entwicklung in Nordafrika gewußt haben. Gegenüber der Presse gaben sich sowohl Chuck Schumer, der aus New York stammende Anführer der demokratischen Fraktion im Senat, und Lindsey Graham, das aus South Carolina stammende, langjähriges Mitglied des Militärausschusses des Kongreßoberhauses, "erstaunt" und "überrascht" zu erfahren, wie viele US-Soldaten sich inzwischen in Niger aufhielten.

Wie es zu dem blutigen Vorfall kommen konnte, ist auch nicht ganz klar. Offiziell dienen die US-Soldaten in Niger hauptsächlich als Ausbilder und nicht als Kämpfer. Laut John Kelly besteht ihre Aufgabe darin, den nigerischen Kameraden "Respekt für die Menschenrechte" beizubringen. Gleichwohl scheint festzustehen, daß am 3. Oktober 30 Angehörige der Spezialstreitkräfte - vier Green Berets und 26 Elitesoldaten aus Niger - zur Ortschaft Tongo-Tongo nahe der Grenze zu Mali aufgebrochen waren, um Hinweisen nach dem Aufenthalt von Adnan Al Saharaoui nachzugehen und den selbsterklärten Emir einer mit der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) verbündeten Gruppe in der Sahel-Zone entweder gefangenzunehmen oder zu töten. Sie übernachteten in der Nähe von Tongo-Tongo. Am nächsten Tag gerieten sie in einen Hinterhalt und wurden von rund 50 islamistischen Rebellen angegriffen. Johnson wurde von der Gruppe getrennt. Erst zwei Tage später konnte seine Leiche geborgen werden. Das erklärt vielleicht, warum die Familie seinen Sarg nicht öffnen durfte.

Für den Hinterhalt wird die einheimische Bevölkerung, die offenbar mehr Sympathien für die Rebellen als die nigerischen Soldaten und deren ausländische Alliierten hegt, verantwortlich gemacht. Sie kann sich folglich auf schwere Repressalien gefaßt machen, welche die Gewaltspirale weiter beschleunigen werden. Nach einem Bericht des staatlichen Radiosenders Voice of America vom 21. Oktober wurde Mounkaila Alassane, der Dorfälteste von Tongo-Tongo, "verhaftet"; sein Aufenthaltsort sei "unbekannt". 2013 hat Washington mit der Regierung in Niamey die Einrichtung eines 100 Millionen Dollar teueren Drohnenstützpunkts in Niger vereinbart. Die Fertigstellung dieser Anlage, mittels derer CIA und Pentagon in den kommenden Jahren Angst und Schrecken in der Region verbreiten werden, steht kurz vor dem Abschluß. Währenddessen nutzt das zuständige Kommando AFRICOM den Vorfall von Tongo-Tongo, um vom Kongreß noch mehr Geld für seine "Mission" zu fordern.

Wer meint, die US-Streitkräfte brächten "Stabilität" oder gar "Frieden" nach Afrika, der irrt sich gewaltig. Der informierteste Beobachter des Treibens des US-Militärs in Afrika ist mit Abstand der Journalist und Buchautor Nick Turse, dessen aufschlußreiche, detaillierte Artikel zu diesem Thema seit Jahren bei TomDispatch.com, Antiwar.com und The Intercept zu lesen sind. In einem Turse-Beitrag, der am 19. Dezember 2016 bei TomDispatch unter der Überschrift "Washington's Commandos Without Borders" erschien, hieß es:

In Wirklichkeit aber haben Ozeane und Entfernung die meisten Amerikaner vor terroristischen Organisationen wie AQIM [Al Kaida im Islamischen Maghreb - Anm. d. SB-Red.] und Boko Haram geschützt. Dasselbe kann man für diejenigen nicht sagen, die in Ländern leben, die von diesen Gruppen bedroht werden. In Afrika ist die Anzahl der terroristischen Organisationen und der Anschläge parallel zur Zunahme der dortigen Missionen der US-Spezialstreitkräfte in die Höhe geschossen. 2006 betrug der Anteil der vorwärts stationierten Elitesoldaten auf dem Kontinent lediglich 1% aller weltweit im Einsatz befindlichen US-Spezialstreitkräfte. 2014 war der Anteil auf 10% gesprungen - ein Anstieg von 900% in weniger als einem Jahrzehnt. Während desselben Zeitraums ist nach Angaben des National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism an der Universität von Maryland die Anzahl der terroristischen Vorfälle in Afrika dramatisch gestiegen - von 100 auf fast 2400 jährlich. Im selben Zeitraum ist die Anzahl der transnationalen terroristischen Organisationen und illegalen Gruppen auf dem Kontinent nach Schätzung von Bolduc [General Donald Bolduc, Leiter der Sonderoperationen bei AFRICOM - Anm. d. SB-Red.] von einer auf fast 50 hochgeschossen.

26. Oktober 2017


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