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USA/1416: Washington - Trumps Übergriffe - Stricke und Fallen ... (SB)


Washington - Trumps Übergriffe - Stricke und Fallen ...


Mit seinen furiosen Twitter-Meldungen beherrscht Donald Trump die laufende Berichterstattung, mobilisiert seine republikanische Anhängerschaft, bringt die demokratische Opposition in die Reaktion und sorgt für jede Menge Unruhe in den außenpolitischen Beziehungen der USA, ganz gleich, ob es sich um Mexiko, Kanada, China, Rußland, Nordkorea, den Iran, die EU oder die NATO handelt. Trumps unkontrollierte Absonderungen stellen seine Kabinettsmitglieder vor große Probleme und bringen sie häufig öffentlich in Verlegenheit. Entnervt sind deshalb nach nicht einmal zwei Jahren im Amt der frühere Exxon-Vorstandschef Rex Tillerson als Außenminister und der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Irak und in Afghanistan, General James "Mad Dog" Mattis, zurückgetreten. Gerade diese beiden Titanen des militärisch-industriellen Komplexes galten als die "Erwachsenen", die nach Trumps Einzug ins Weiße Haus im Januar 2017 den launischen, nachtragenden und sprunghaften Baulöwen aus New York bändigen sollten.

Das extrem egoistische, illoyale Agieren Trumps allen anderen Menschen gegenüber ist auch die Ursache dafür, daß es so viele seiner Mitarbeiter nicht lange mit ihm aushalten und daß sich an der US-Regierungsspitze seit mehr als drei Jahren das Personalkarussell in Dauerrotation befindet. Pressesprecher Sean Spicer und der persönliche Anwalt Michael Cohen sind vielleicht die besten Beispiele für Trump vermeintlich nahestehende Personen, die er, ohne mit der Wimper zu zucken, den Wölfen zum Fraß vorgeworfen hat. Doch nun hat ein noch im Amt befindliches Kabinettsmitglied, nämlich Justizminister William Barr, die Dauertwitterei Trumps nicht nur öffentlich kritisiert, sondern auch verurteilt. Man darf gespannt sein, wie Trump mit dem bislang größten Affront seiner Präsidentschaft umgeht, denn Barr ist zweifelsohne der Regierungsmitarbeiter, auf den er am wenigsten verzichten kann, will er die Wahl im kommenden November gewinnen und eine zweite Amtszeit zu Ende führen, ohne womöglich vorher ins Gefängnis geworfen zu werden.

Anlaß der spektakulären Äußerung Barrs war die Einmischung Trumps in das laufende Verfahren gegen seinen langjährigen Amigo Roger Stone. Der selbsternannte "Dirty Trickster" ist darüber gestolpert, daß er mitten im Wahlkampf 2016 gegenüber Trump mit Kontakten zu Wikileaks, die er nicht hatte, geprahlt und die Veröffentlichung belastenden Materials über Hillary Clinton angekündigt hat, was Julian Assange einige Wochen zuvor in Aussicht gestellt hatte. Bei der späteren Untersuchung der Russiagate-Affäre verwickelte sich Stone aus Eitelkeit in Widersprüche und bediente sich nicht nur gegenüber FBI-Ermittlern, sondern auch beim Auftritt vor dem Geheimdienstausschuß des Repräsentantenhauses im September 2017 einer Falschaussage. Später stellte das FBI fest, daß Stone, um seinen Ruf als Insider zu retten, versucht hatte, den New Yorker Radiomoderator Randy Credico - seine angebliche Verbindung zu Wikileaks, die niemals eine war - mittels Drohungen zu einer Falschaussage zu bewegen.

Wegen dieses absurden Komplotts wurde Stone im vergangenen November von einem Gericht in Washington verurteilt. Ihm wurden unter anderem Zeugenbeeinflussung, Behinderung der Justiz und Falschaussage unter Eid nachgewiesen. Am 10. Februar beantragte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von sieben bis neun Jahren und begründete dies vor allem mit seinem absolut mangelnden Respekt für das Gesetz. Gleich am selben Abend sprang Trump per Twitter dem armen Stone bei, bezeichnete das drohende Strafmaß als "schrecklich und sehr ungerecht" und das Verfahren als "Justizirrtum". Dabei verstieg sich Trump zu der Behauptung, die "echten Vergehen" geschähen "auf der anderen Seite". Gemeint sind die Ermittlungen um Trumps "Verhältnis" zum Kreml, die seit 2016 von den Demokraten im Kongreß und ihnen befreundeten Beamten im Justizapparat trotz erheblichen Mangels an Beweisen eifrig vorangetrieben bzw. hochgespielt werden.

Wenige Stunden nach der Intervention Trumps im Stone-Fall wurde ein Schreiben des Justizministeriums an den zuständigen Richter bekannt, in dem Barr um Milde für den schillernden Politikberater wegen dessen Alter von 67 Jahren sowie des Umstands, daß er bis dahin niemals mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, bat. Die Empfehlung Barrs, Stone mit 15 Monaten auf Bewährung davonkommen zu lassen, löste eine heftige Kontroverse aus. Trump - per Twitter - war vom Einsatz des Kabinettskollegen natürlich begeistert. Dagegen haben die vier am Fall beteiligten Staatsanwälte aus Protest die weitere Mitarbeit am Stone-Verfahren aufgekündigt; einer von ihnen ist sogar ganz aus dem Justizministerium ausgeschieden.

Die beispiellosen Vorgänge lösten einen Sturm der Entrüstung aus. Die Demokraten warfen Trump vor, sich wie ein römischer Cäsar zu gebärden, das in der US-Verfassung festgeschriebene Gebot der Gewaltenteilung von Exekutive, Judikative und Legislative mit Füßen zu treten und die Vereinigten Staaten Schritt für Schritt in eine "Bananenrepublik" zu verwandeln. Der Vorwurf ist nicht von der Hand zu weisen. Bereits letztes Jahr griff Trump demonstrativ in das Verfahren gegen Eddie Gallagher, den US-Navy SEAL, der in Kalifornien wegen schwerer Kriegsverbrechen vor einem Militärgericht stand, ein und setzte die Richter unter Druck. Nachdem Gallagher nur wegen eines minderen Vergehens verurteilt wurde, setzte Trump als Oberkommandierender der Streitkräfte auch noch die von der Marineführung empfohlene Degradierung des Killersoldaten außer Kraft.

Wegen der Stone-Affäre hat Chuck Schumer, Minderheitsführer der Demokraten im Senat, für Ende März eine Sonderanhörung anberaumt und Barr dazu eingeladen. Der Justizminister hat die Einladung inzwischen angenommen. Bereits am 13. Februar hatte Barr im Interview mit der Nachrichtenredaktion des US-Fernsehsenders ABC behauptet, die umstrittene Entscheidung, dem Richter ein weniger hartes Strafmaß für Stone zu empfehlen, sei vor der fraglichen Twitter-Meldung bezüglich des Antrags der Staatsanwaltschaft getroffen worden. Gleichwohl stellte Barr unmißverständlich fest, Trumps ständige Twitter-Begleitung von laufenden Verfahren mache seine Arbeit als Justizminister "unmöglich" und stelle einen schweren Angriff auf "die Integrität" des amerikanischen Justizwesens als Ganzes dar. Wenngleich kein anderer Mitarbeiter Trumps den Präsidenten so deutlich in der Öffentlichkeit kritisiert hat, wird sich der Choleriker aus Queens hüten, sich an Barr zu rächen oder ihn zu entlassen.

Als "ehemaliger" CIA-Mann gilt Barr als absoluter Koloß der Washingtoner Bürokratie, mit dem sich niemand anzulegen wagt. Als Justizminister von George Bush hat Barr Anfang der neunziger Jahre eigenhändig die explosive Iran-Contra-Affäre entschärft und eine ganze Reihe ranghoher Mitarbeiter des Weißen Hauses vor dem Gefängnis gerettet. Als amtierender Justizminister steht er den laufenden strafrechtlichen Ermittlungen vor, welche die dubiosen Machenschaften von FBI und Demokraten in Sachen "Russiagate" aufdecken sollten. Gleichzeitig hält er Trump in allen Rechtsstreitigkeiten den Rücken frei. Wenn Trump schlau ist, wird er sich diesmal die Majestätsbeleidigung gefallen lassen.

15. Februar 2020


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