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BERICHT/278: Schlagseite Militarismus - steter Tropfen ... (SB)



Antimilitarismus tut gerade in Zeiten des Friedens not, gilt es doch, der Entfesselung kriegerischer Eskalation entgegenzutreten in einer Situation, in der dies überhaupt noch möglich ist. Der dauerhafte Bestand bürgerlicher Freiheiten ist keineswegs in Stein gemeißelt, wie deren fortwährende Aushöhlung durch legalistische Manöver, deren verfassungsrechtlicher Legitimation der Wortlaut des Grundgesetzes keineswegs standhalten muß, zeigt. Der seit den 1990er Jahren mit allen Mitteln winkeladvokatischer Rechtskasuistik vollzogene Übergang vom Prinzip territorialer Selbstverteidigung zum globalen Interventionismus provoziert das Eintreten des Ernstfalls mit geradezu programmatischer Konsequenz. Werden im Spannungs- oder Kriegsfall exekutive Ermächtigungen wirksam, mit Hilfe derer bloße Meinungsbekundungen oder Formen des zivilen Ungehorsams in der Öffentlichkeit gewaltsam unterbunden werden können, dann laufen antimilitaristische Aktivistinnen und Aktivisten Gefahr, systematisch kriminalisiert zu werden.

Dabei ist die Abwesenheit von Kriegshandlungen im eigenen Land nicht nur durch internationale Konflikte oder terroristische Handlungen, die administrativ längst als neue Form des Krieges behandelt werden, bedroht. Die Dialektik von Krieg und Frieden besagt, daß der Preis für letzteren in kapitalistischen Gesellschaften in der Akzeptanz einer Klassengesellschaft besteht, der der soziale Krieg immanent ist. Der Klassenkompromiß, der die offene Austragung sozialer Widersprüche unter dem Deckel einvernehmlicher Teilhaberschaft am nationalen Gesamtprodukt beläßt, setzt die Auslagerung nur gewaltsam durchzusetzender Formen von Ausbeutung und Zerstörung in die europäische Peripherie und den Globalen Süden voraus. Dies erfolgt im weitesten Sinne durch Lohndumping, Kapitalexport, Schuldendiktate, Ressourcenextraktivismus und die Externalisierung ökologischer Kosten vor dem Hintergrund eines Weltmarktes, der jeden noch so kleinen Betrieb dem Preis- und Kostenniveau globaler Reproduktion aussetzt.

Der regelhafte Vollzug des globalen Handelsregimes wird von der Krisenkonkurrenz daran beteiligter Staaten ebenso destabilisiert wie von dem sozialen Widerstand jener Menschen, die der Mangel an essentiellen Lebensmitteln an den Rand der Existenzvernichtung treibt. Ohne die Bereitschaft derjenigen Staaten, die von diesem Weltwirtschaftssystem am meisten profitieren, zum Ergreifen militärischer Maßnahmen sind basale Rechtsformen und Organisationsprinzipien wie die universale Gültigkeit von Eigentumstiteln, die bilateral oder suprastaatlich vereinbarte Anwendung von Wettbewerbs- und Marktregulativen, die Freizügigkeit des Transfers von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften nicht durchzusetzen. Der Übergang von ökonomischer zu militärischer Gewaltanwendung ist mithin fließend.

Solange der herrschende Frieden einer der Paläste ist, sind die Hütten mit Krieg geschlagen, was für viele Länder des Südens in wortwörtlichem Sinne gilt. Das in Gestalt permanent einsatzbereiter Streitkräfte manifeste Gewaltmonopol des Staates ist der letztinstanzliche Garant dieser Ordnung, die zum Zwecke maximaler militärischer Handlungsfreiheit zusehends entufert, wie die staatsideologische Einebnung des Unterschieds von innerer und äußerer Sicherheit belegt. Der aus exekutiver Sicht höchst praktischen Aufhebung der Trennung von innerer und äußerer Gewaltanwendung einen mindestens äquivalenten Zusammenschluß antagonistischer Kräfte gegenüberzustellen, wäre mithin die Aufgabe eines internationalistischen Widerstandes, der äußere Aggression und innere Repression als komplementäre Elemente imperialistischer Politik begreift.


Bundeswehrmotto 'Wir.Dienen.Deutschland' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick

Antimilitaristischer Widerstand tut not gerade auch in den urbanen Zentren aggressiver Kriegführung. Neben der Luftwaffe gehört die Marine der Bundeswehr zu denjenigen Teilstreitkräften, die für Kriege in aller Welt unverzichtbar sind. Einer ihrer größten Stützpunkte befindet sich in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel, die zudem mit den Werften ThyssenKrupp und German Naval Yards sowie einem Dutzend weiterer Rüstungsbetriebe zu den maßgeblichen Standorten deutscher Waffenschmieden zählt. Im strukturschwachen Schleswig-Holstein gehört die Rüstungsindustrie mit rund 6000 Beschäftigten, davon 4200 in Kiel, zu den wichtigsten industriellen Arbeitgebern des Landes. Dabei werden zwischen 50 und 70 Prozent der dort hergestellten Waffen exportiert, und das selbstverständlich auch in Kriegsgebiete wie den Nahen und Mittleren Osten.

Diese Region stand auch im Fokus des Kiel International Seapower Symposiums (KISS), mit dem zum dritten Mal in Folge eine ausgesprochene Kriegskonferenz während der Kieler Woche abgehalten wurde. Als Veranstalter zeichnet das Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel (ISPK) verantwortlich, das mit dem Center for Naval Analyses ein hochkarätiges, von der US-Regierung finanziertes, aber nicht dem Pentagon unterstehendes Forschungs- und Planungszentrum für militärstrategische Fragen als Partner gewonnen hat.

Zu den vorrangigen Aufgaben dieses in Arlington, Virginia, angesiedelten Think Tanks gehört die Bearbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie für die US-Teilstreitkräfte Navy und Marine Corps, die auf der Basis von Auswertungen des Irakkrieges und anderer Schauplätze US-amerikanischen Kriegführung erfolgt. Da das Marine Corps und die sogenannten Spezialstreitkräfte, die ebenfalls zu den Arbeitsfeldern des Instituts gehören, an vorderster Front von der US-Regierung betriebener Interventionskriege stehen, dürften diese Gäste die ganze Aufmerksamkeit der Kieler Kriegsforscher erhalten haben. Die Studien des als Non-Profit-Organisation firmierenden Center for Naval Analyses sind öffentlich einsehbar [1] und als Ergebnisse avancierter Militärwissenschaft zwecks Antizipation künftiger Herausforderungen auch für Antimilitaristinnen interessant.


Fronttransparent 'War Starts Here - Keine Kriegskonferenz in Kiel!' - Foto: © 2017 by Schattenblick

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Um die Vorbereitung künftiger Kriege inmitten derjenigen Woche des Jahres, in der die Wogen öffentlicher Bespaßung in Kiel am höchsten schlagen, nicht untergehen zu lassen, rief ein breites Bündnis antimilitaristischer Organisationen für den 20. Juni, an dem die KISS-Konferenz stattfand, zu einer Demonstration unter dem Motto "War Starts Here - Let's Stop It Here" auf. Nach der Auftaktkundgebung vor dem Sitz des ISPK zogen rund 200 Aktivistinnen und Aktivisten in Richtung Förde, wo inmitten des Trubels der Kieler Woche die Abschlußkundgebung stattfand.

Bei einem Zwischenstopp erklärte der Landessprecher der Partei Die Linke, Lorenz Gösta Beutin, weshalb dieser Protest unentbehrlich ist. Dabei richtete er den Blick insbesondere auf das steile Nord-Süd-Gefälle, dessen Aufrechterhaltung von der Bundesrepublik mit allen Mitteln verteidigt wird. So habe die Bevölkerung Deutschlands den ihr für den unterstellten Fall einer gerechten globalen Verteilung zustehenden Anteil an verfügbaren Ressourcen bereits im April verbraucht. Sie braucht also drei Welten, um ihren Lebensstandard zu halten, der angesichts des starken sozialen Auseinanderklaffens auch im Land selbst ungleich verteilt ist.


Am Mikrofon des Lautsprecherwagens - Foto: © 2017 by Schattenblick

Lorenz Gösta Beutin bei der Zwischenkundgebung
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Beutin erinnerte daran, daß die Vereinten Nationen bereits im Februar vor der größten humanitären Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg am Horn von Afrika und in anderen Regionen des Kontinents gewarnt hatten. Um dieses Thema ist es besonders still in der Öffentlichkeit geworden, denn dort verhungern Menschen in großer Zahl auch dafür, daß hierzulande reichlich konsumiert werden kann. Das Totschweigen des globalen Hungers ist ein Symptom dessen, daß der "Wert" eines Menschen im Globalen Kapitalismus anhand seiner Verwertbarkeit bemessen wird. Gleiches gilt, wie Beutin ausführte, für die Spaltung der Menschen, die aus ihren Ländern nach Europa fliehen, in Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen aufgenommen werden, und sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge, die, wenn nicht an den europäischen Außengrenzen abgewehrt, dann abgeschoben werden, weil sie angeblich aus eigennützigen Motiven nach Europa wollen.

"Würde man die Spaltung der Geflüchteten nicht mitmachen, hieße das, die Ursächlichkeit unserer Weltwirtschaftsordnung für globale Ungleichheit und Armut zuzugeben. Deshalb, weil wir der Ansicht sind, daß die Weltunordnung - und dazu zählen auch die Verheerungen in Folge des Klimawandels - ursächlich dafür sind, nehmen wir diese Spaltung nicht hin. Der Kapitalismus ist eine zentrale Fluchtursache." Mit diesen Worten forderte Beutin dazu auf, sich mit den Menschen, die in der Bundesrepublik Schutz vor den Folgen deutscher Politik suchen, solidarisch zu zeigen und gemeinsam für eine Welt zu kämpfen, die Menschen nicht nach ihrer Verwertbarkeit einteilt.


Seitentransparent 'G20 - Welcome To Hell' - Foto: © 2017 by Schattenblick

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Ein Aktivist der Kieler Gruppe Subvertere warb für eine starke Beteiligung an den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg und begründete dies mit einer kurzen Analyse der Durchsetzung neoliberaler Strategien. Er erinnerte an die heutzutage kaum noch erwähnte kriegerische Zerschlagung Jugoslawiens, die systematische Destabilisierung der Sowjetunion und die verschiedenen Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent, als deren Ursache er die Eroberung und aggressive Sicherung des deregulierten Zugriffs der Global Player auf Absatzmärkte beziehungsweise die Ausbeutung von Ressourcen nannte. Dies läßt inzwischen 60 Millionen Menschen kaum eine andere Möglichkeit, als ihr Leben durch Flucht in andere Regionen zu retten, was wiederum häufig tödlich verläuft.

Was auf der Kieler Woche mit Kriegskonferenz, Kriegsschiffen, Bundeswehrtruck und Militärkapelle stattfindet, sei ein Paradebeispiel dafür, daß die Militarisierung politischen Handelns im Äußeren zu einer Militarisierung im Inneren führt. Dies zeige sich auch in der wachsenden Akzeptanz eines Krisenmanagements, das soziale und ökonomische Konflikte mit polizeilicher und sogar militärischer Repression im Inneren unterdrückt. Daß diese Form der Krisenbewältigung als äußerer Zerfall der Globalisierungsidee eines Gemeinsamen Marktes hervortrete, führe zu Nationalismus, Protektionismus und einer erhöhten Konfrontationsbereitschaft zwischen den hegemonialen kapitalistischen Kernstaaten. Nahezu alle G20-Staaten seien direkt oder indirekt in kriegerische Auseinandersetzungen involviert, was ein Grund mehr dafür sei, bei ihrem Gipfel in Hamburg auf die Straße zu gehen.


Seitentransparente und Frontalaufnahme der Demonstration - Foto: © 2017 by Schattenblick Seitentransparente und Frontalaufnahme der Demonstration - Foto: © 2017 by Schattenblick Seitentransparente und Frontalaufnahme der Demonstration - Foto: © 2017 by Schattenblick

Fotos: © 2017 by Schattenblick

Je näher der Demonstrationszug seinem Ziel an der Förde kommt, desto wohlhabender und ausladender sind die Häuser und Parkanlagen, die die Straße säumen. Kurz vor der sogenannten Kiellinie, dem breiten Boulevard am Meeresrand, zeigt ein großangelegtes Kinderfest, daß die Kieler Woche auch noch ausgesprochen zivile Seiten hat. Am Wasser wiederum wird das Szenario von einer Amüsiermeile dominiert, deren Konsumangebote leicht ersichtlich machen, welche Privilegien die Hungerleider in aller Welt vor allem bedrohen.

Auf der vor einem Riesenrad stattfindenden Abschlußkundgebung war ein Aktivist der DKP denn auch bemüht zu versichern, daß sich Kommunistinnen und Kommunisten nicht gegen die Kollegen und Kolleginnen in den Rüstungsfirmen stellen, sondern an ihrer Seite stehen, zumal man in denselben Gewerkschaften organisiert sei. In seinen Ausführungen zu den in Kiel ansässigen Rüstungsbetrieben und ihren Lobbyisten in Politik und Wirtschaft stellte er klar, wogegen sich der antimilitaristische Protest richtet, und warb anschließend um das Verständnis der Beschäftigten der Rüstungsindustrie. Daß diese ihrerseits kein Interesse an Krieg und Zerstörung haben, liegt auf der Hand, doch die Möglichkeit, mit ihrer Hilfe die Kriegsproduktion zu verhindern, weil die Rüstungskonzerne ohne ihre Arbeitskraft nichts seien, wirkt auch deshalb wenig überzeugend, als die gewerkschaftliche Sozialpartnerschaft nichts auf den Ruf der Sozialdemokraten kommen läßt, das Vaterland wie vor hundert Jahren im Kriegsfall nicht im Stich zu lassen.


Transparent 'All die Toten schon vergessen? Segeln Kaufen Bratwurst Fressen' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick

Dies wird auch durch die Feststellung des DKP-Genossen, hinsichtlich der Forderung nach Rüstungskonversion mangele es massiv an praktischen realen Aktionen in Betrieb und auf der Straße, bestätigt. Auch wenn Thyssen, Daimler und Deutsche Bank, um mit Karl Liebknecht zu sprechen, weiterhin als Hauptfeind im eigenen Land stehen und es im Kapitalismus keinen dauerhaften Frieden geben kann, wenn die Bundeswehr die lästige Konkurrenz deutscher Konzerne ausschaltet, während Siemens am Wiederaufbau in Afghanistan verdient, bleibt die Hoffnung auf Einsicht der lohnarbeitenden Bevölkerung zumindest vorerst eine eben solche.

Einen Grund für die geringe Begeisterung der Bevölkerung, gegen die Militarisierung der Gesellschaft vorzugehen, lieferte anschließend eine SDAJ-Genossin mit ihren Ausführungen über die Werbestrategien der Bundeswehr. Diese werde nicht nur in klassischen Medien plaziert, sondern erfolge zusehends über das Internet, wo zum Beispiel die Web-Serie "Wir Rekruten" den Dienst bei der Bundeswehr als großes Abenteuer verkauft. Allein 2015 habe die Bundeswehr 35 Millionen Euro für die Nachwuchswerbung ausgegeben, davon 1,7 für die Produktion von "Die Rekruten". Doch nicht nur suggestive Werbung im Staatsauftrag, sondern die allgemeine Erwerbslosigkeit treibt Jugendliche in die Arme der Bundeswehr, die nicht davor zurückschreckt, bei Minderjährigen für ihre todsicheren Jobs zu werben. Über 1500 Jugendliche unter 18 Jahren haben sich 2016 in einem Alter bei der Bundeswehr verpflichtet, in dem ihnen noch nicht einmal zugetraut wird, ihr Wahlrecht in Anspruch zu nehmen. Diese Form der Rekrutierung zu verbieten und die Bundeswehr aus allen Schulen und von allen Jobmessen zu verweisen, lauteten denn auch die Forderungen des kommunistischen Jugendverbandes.


Aktion vor dem Bundeswehrtruck - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick

Nach dem offiziellen Abschluß der Demonstration durch die Veranstalter konnte man auf der Kieler Woche hautnah erleben, wie passiv bis abwehrend sich große Teile der Bevölkerung verhalten, wenn sie im öffentlichen Raum mit antimilitaristischen Protesten konfrontiert werden. Vorbei an mit Maschinenpistolen bewaffneter Polizei und Fahrzeugblockaden gegen terroristische Anschläge geht es zum Bundeswehrtruck, der sich nahtlos in die Stände und Bühnen voller Lustbarkeiten aller Art eingereiht hat. Hier verstellen die Aktivistinnen und Aktivisten mit mehreren Transparenten den Zugang zu dem Bundeswehrfahrzeug, während sich drei Aktivistinnen zu einem improvisierten Die-In vor ihnen auf das Pflaster legen. Die in Erwartung einer solchen Aktion bereits dort postierte Polizei hält sich zurück, auch die bulligen Securities, die den Truck bewachten, zeigen Präsenz, wobei ein flüchtig hinschauender Passant den Eindruck haben könnte, der Präsentation einer Bodybuilding-Show beizuwohnen.


Bundeswehrtruck mit Werbung - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick

Nachdem das Rekrutierungspersonal im Truck bemerkt hat, daß bis auf weiteres kein Anwärter zu ihnen durchdringen wird, schließen die Soldaten die Glastüren und verlegen sich darauf, die Aktivistinnen und Aktivisten zu fotografieren. Wie erfahren die Personaloffiziere im Umgang mit derartigen Situation sind, beweisen sie durch das Aufstellen eines Plakates, auf dem sie sich der Verteidigung des Rechtes rühmten, auch gegen sie zu sein. Sich als die Verteidiger der Freiheit zu inszenieren gehört allerdings zur ideologischen Grundausstattung der Bundeswehr. Der christliche Friedensaktivist Eugen Drewermann antwortete einmal auf einen Oberst der Bundeswehr, der seine pazifistische Rede mit den empörten Worten quittierte, niemals so viel Haß und Feindseligkeit vernommen zu haben, um dann zu versichern, er werde sich dennoch stets dafür einzusetzen, daß Drewermann seine Worte frei aussprechen könne, daß er keine Soldaten brauche, um sein freies Wort zu riskieren. Er habe "nie gewollt, daß man mit militärischen Mitteln meine Freiheit schützt, denn dadurch würde ich sie verraten" [2].


Mann inspiziert Transparent vor Bundeswehrtruck - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick

Mit Parolen wie "Ich will nichts, ich kann nichts, gebt mir eine Uniform" wird das Ansinnen, Menschen dazu zu bewegen, sich vertraglich auf ihr vorzeitiges Ableben einzulassen, heiter auf die Spitze genommen, und auch sonst ist die Stimmung vor dem Truck, wo sich weitere Menschen aus dem Demonstrationszug eingefunden haben, die sich diesen inoffiziellen Höhepunkt des Protestes nicht entgehen lassen wollen, gelöst. Zu offenkundigen Solidarisierungen aus dem Strom der Amüsierlustigen, der sich auf dem nunmehr verengten Weg an dem Truck vorbeischiebt, kommt es allerdings nicht. Sichtbar sind eher abfällige Handbewegungen, mürrische Gesichter, provokante Aktionen wie die eines jungen Mannes, der sich neben die Aktivistinnen aufs Pflaster legt, um Liegestütze zu machen, oder ärgerliche Bemerkungen wie die einer Frau, die es für "unfair" befindet, direkt vor den Soldaten zu protestieren. Daß diese ebenfalls auf demonstrative Weise für Krieg werben und dafür sogar bezahlt werden, leuchtet ihr nicht ein. Sie wendet vielmehr ein, daß ohne NATO und Bundeswehr alles noch schlimmer wäre als ohnehin schon. Ungerührt von alledem spielt nun in Hörweite eine Rockband auf - alle Räder müssen rollen für den Sieg, das gilt auch für eine ehedem rebellische Jugendkultur, die sich so nahtlos in die kapitalistische Kulturindustrie integriert hat, daß sie eher bei der Truppenbetreuung als bei antimilitaristischen Protesten anzutreffen ist.


Seitenansicht der Aktion vor dem Bundeswehrtruck - Foto: © 2017 by Schattenblick Seitenansicht der Aktion vor dem Bundeswehrtruck - Foto: © 2017 by Schattenblick

Fotos: © 2017 by Schattenblick

Im Brennglas dieser konfrontativen Aktion auf der Kieler Woche zeigte sich, wie weit die Transformation der Gesellschaft zur gewaltbereiten Not- und Überlebensgemeinschaft bereits gediehen ist. In dieser Entwicklung spielt die Zurichtung der Hochschulen und des Wissenschaftsbetriebes auf Militär- und Rüstungsforschung eine besonders kritikwürdige Rolle, die im einzelnen ausführlich zu untersuchen ist. Allein der mittelbare Nutzen scheinbar unverdächtiger Wissenschaftzweige wie die der Tiefsee- oder Materialforschung für konkrete militärstrategische Zwecke ist erheblich. Gleiches gilt für die Anwendung anthropologischer Erkenntnisse im Human Terrain System, die Rekrutierung von Psychologen für die Folterforschung, die Nutzung der medizinischen Wissenschaften für die Steigerung der Wiederverwendungsfähigkeit verletzter Soldatinnen und Soldaten oder die interdisziplinäre Resilienzforschung im Kontext ziviler Abwehrbereitschaft.

Der Frieden der Paläste wird auch von vielen derjenigen verteidigt, die nicht in ihnen wohnen, und legt jemand den Finger in die Wunde eigenen Wohllebens, indem auf die Not der Menschen in anderen Weltregionen verwiesen wird, dann ist die Festungsmentalität des Burgfriedens und der Flüchtlingsabwehr erste Wahl. Gründe für sozialen Widerstand gegen Kapitalismus und Militarismus, gegen Rassismus und Patriarchat gibt es mehr als genug, allein die Bereitschaft der Menschen, über den eigenen Tellerrand zu schauen und sich der eigenen Anteile am weltweiten sozialen Krieg gewahr zu werden, läßt zu wünschen übrig, wie der wachsende Zulauf zur bürgerlichen und radikalen Rechten belegt. Um so unverzichtbarer sind antimilitaristische Aktionen aller Art, schreitet das Vergessen vermeintlich bewältigter Grausamkeiten doch unaufhaltsam voran und vergrößert die Möglichkeit ihrer Wiederholung mit jeder Vorteilserwägung, die im Bewußtsein anwachsenden Mangels getroffen wird.


Pferdestatue mit Plakat 'War Starts Here' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] https://www.cna.org/research/

[2] BERICHT/150: Quo vadis NATO ... Schluß damit! (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0150.html


26. Juni 2017


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