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BERICHT/077: Petersberg II - Auktion Afghanistan (SB)


Zivilgesellschaftliches Forum Afghanistan, Beethovenhalle, Bonn, 03.12.2011

Guido Westerwelle schmückt sich mit Vorzeige-Afghanen


Zehn Jahre nach dem Einmarsch westlicher Streitkräfte in Afghanistan und dem Sturz der Taliban-Regierung sieht die Lage für die "Wertegemeinschaft" NATO am Hindukusch wenig vielversprechend aus. Die Taliban und ihre Verbündeten vom Hakkani-Netzwerk und der Hisb-i-Islami Gulbuddin Hekmatyars geben sich weiterhin ungeschlagen. Die Aufstandsbekämpfungsstrategie von US-General David Petraeus, die mit einer drastischen und extrem teuren Truppenaufstockung einherging, hat in den vergangenen zwei Jahren zwar einige taktische Erfolge gezeitigt, jedoch militärisch nicht die große Wende gebracht und sich angesichts der Finanzkrise in den USA und der EU als nicht durchhaltbar erwiesen. Darum haben die NATO-Regierungschefs auf ihrem Gipfeltreffen im November 2010 im portugiesischen Lissabon einen schrittweisen Truppenabzug und eine Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit an die neue afghanische Armee und Polizei bis 2014 beschlossen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich immer dringender die Frage, wie sich der sogenannte Übergang in Afghanistan gestaltet und wie eine dauerhafte Lösung des Konfliktes erzielt werden kann, welche die NATO als Erfolg im Kampf um "Freiheit", "Demokratie" und "Menschenrechte" verkaufen kann. Daß die USA und ihre Verbündeten hier vor einem schweren bis gar nicht lösbaren Problem stehen, geht aus dem Bericht hervor, den Anthony Cordesman vom Washingtoner Center for Strategic & International Studies (CSIS) am 15. November unter der Überschrift "The Afghanistan-Pakistan War At The End Of 2011: Strategic Failure? Talk Without Hope? Tactical Success? Spend Not Build (And Then Stop Spending?)" [1] veröffentlicht hat. Cordesman, einer der renommiertesten Militärstrategen Amerikas, sieht die USA mit ihren NATO-Partnern in Afghanistan am Rande des "strategischen Scheiterns".

Zivilgesellschaftliches Forum Afghanistan in der Bonner Beethovenhalle - © 2011 by Schattenblick

Zivilgesellschaftliches Forum Afghanistan in der Bonner Beethovenhalle
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Laut Cordesman haben die an der Mission der International Stabilization Assistance Force (ISAF) in Afghanistan beteiligten Staaten seit Ende 2001 rund eine halbe Billion Dollar zu militärischen Zwecken und 73 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern - "vieles davon mit keinem langfristigen Nutzen" - verpulvert. Das Geld, das die westlichen Truppen und Nicht-Regierungsorganisationen in Afghanistan ausgeben, hat nicht nur der Korruption dort zur höchsten Blüte verholfen, sondern über den Umweg der Schutzgelderpressung - zum Beispiel von einheimischen Speditionsunternehmen, die den Nachschub für die ausländischen Soldaten transportieren, an die Taliban - den Aufstand sogar mitfinanziert. Inzwischen herrscht in Afghanistan eine aufgeblähte Kriegsökonomie, weswegen Cordesman und andere Experten infolge des geplanten weitgehenden Truppenabzugs der NATO und damit der Verringerung der finanziellen Aufwendungen der Besatzungsmächte vor Ort vor einer verheerenden Wirtschaftskrise warnen. Es ist zudem völlig unklar, wer ab 2014 die Kosten für die afghanischen Sicherheitskräfte, welche die Steuereinnahmen der Regierung von Präsident Hamid Karsai in Kabul um ein mehrfaches übersteigen, tragen soll.

Pressekonferenz auf dem Afghanistan-Forum mit Najiba Ayubi, Barry Salaam, Moderator Walther Bajohr, Selmay Ghaffar und Mohammed Saeed Niazi - © 2011 by Schattenblick

Pressekonferenz auf dem Afghanistan-Forum mit Najiba Ayubi, Barry
Salaam, Moderator Walther Bajohr, Selmay Ghaffar und Mohammed Saeed Niazi
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Aus vielerlei Gründen wollen die USA und einige andere NATO-Staaten wie Deutschland ihre Streitkräfte in drei Jahren nicht gänzlich aus Afghanistan abziehen, sondern sich dort dauerhaft mit Ausbildern, Beratern und Basen einrichten. Man hofft, daß die Taliban sich der Entschlossenheit der NATO beugen und die eigene kategorische Forderung nach einem Abzug aller ausländischen Streitkräfte fallenlassen. Entsprechende Verhandlungen zwischen Washington und Kabul über den Beschluß einer "strategischen Partnerschaft" laufen bereits. Vor einigen Wochen hat Präsident Karsai sogar eine Nationalversammlung - Loya Jirga - abhalten lassen, deren Delegierte ihm Rückendeckung für die Verhandlungen mit der Regierung Barack Obamas verschaffen sollten; was sie auch taten. Gleichzeitig kam es in Kabul zu wütenden Straßenprotesten seitens säkularer Studenten, die, obwohl sie nichts mit den Taliban am Hut haben, ebenfalls dem Szenario einer dauerhaften westlichen Militärpräsenz in Afghanistan ablehnend gegenüberstehen.

Die Außenminister Deutschlands und Afghanistans, Guido Westerwelle und Salmai Rassoul - © 2011 by Schattenblick

Die Außenminister Deutschlands und
Afghanistans, Guido Westerwelle und
Salmai Rassoul © 2011 by Schattenblick Rund zehn Jahre nach der von der damaligen US-Regierung George W. Bushs durchgesetzten Inthronisierung Karsais zum afghanischen Präsidenten auf der großen Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn sollten in der einstigen Bundeshauptstadt nun die Weichen für den "Übergang" am Hindukusch gestellt werden. An der eintägigen Konferenz am 5. Dezember im ehemaligen Bundestag - auch Petersberg II genannt - nahmen neben Karsai, dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle, dessen amerikanische Amtskollegin Hillary Clinton und UN- Generalsekretär Ban Ki-moon Regierungsmitglieder aus mehr als 100 Staaten teil. Ebenfalls auf der Konferenz sprachen zwei Vertreter der afghanischen "Zivilgesellschaft", womit der Eindruck erweckt werden sollte, aus der Sicht der einfachen Menschen in Afghanistan sei eine Fortsetzung der internationalen Intervention, um einen Rückfall Afghanistans in die islamfundamentalistische Steinzeit zu verhindern, erwünscht.

Zwei Tage zuvor - am 2. und 3. Dezember - hatten 34 ausgewählte Vertreter der afghanischen "Zivilgesellschaft" und zahlreiche Exilafghanen auf Einladung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung und der Bündnis-90/Die-Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in der Bonner Beethovenhalle über den Weg Afghanistans in eine friedliche und prosperierende Zukunft diskutiert. Inwieweit sich die Vorstellungen derjenigen, die sich mit dem ISAF-Karsai-"Regime" arrangiert haben, mit den Wünschen der meisten Afghanen decken lassen, ist schwer sagen. Es soll auch keinesfalls in Abrede gestellt werden, daß diese Personen und ihre Organisationen in Afghanistan gute Arbeit leisten, vielen Menschen helfen und sich für deren Rechte - seien es Frauen, Behinderte, Angehörige religiöser oder ethnischer Minderheiten - einsetzen. Auffallend und auch etwas enttäuschend ist jedoch die Tatsache, daß die angeblich über die beiden Tage erarbeiteten "Forderungen" der afghanischen "Zivilgesellschaft" praktisch eins-zu-eins mit den Vorstellungen der sowohl auf dem Forum als auch auf der Konferenz gastgebenden deutschen Regierung übereinstimmten.

Auf der Pressekonferenz am letzten Tag des Forums gab "Superdelegierter" Barry Salaam, der als Radio- und Fernsehmoderator in Kabul arbeitet, die drei Hauptanliegen der afghanischen Zivilgesellschaft mit einem geordneten Übergang, einer politischen Versöhnung und einem langfristigen Engagement der "internationalen Gemeinschaft" in Afghanistan an. Auf der anschließenden Podiumdiskussion unter Teilnahme Salaams, der zweiten "Superdelegierten" Selay Ghaffar vom Humanitarian Assistance for the Women and Children of Afghanistan (HAWCA), des afghanischen Außenministers Salmai Rassoul und von Westerwelle bekannte sich der ehemalige Chef der deutschen Liberalen zu denselben Zielen. Für den Außenstehenden hatte es den Eindruck, als würde auf dem Forum hauptsächlich "networking" betrieben. Die Schlußfolgerungen der Beratungen blieben genauso wohlmeinend und nebulös wie die Verlautbarungen auf der Konferenz der Minister und Regierungsmitglieder. An beiden Orten war man für Frauenrechte, Bildung, Transparenz, Sicherheit, Versöhnung und "good governance" und natürlich gegen Gewalt, religiöse Engstirnigkeit, Korruption und Drogenhandel. Konkrete Empfehlungen wie erstere gefördert und letztere eingedämmt werden sollten, blieben Mangelware.

Podiumsdiskussion mit Salaam, Ghaffar, Moderatorin Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung, Westerwelle und Salaam - © 2011 by Schattenblick

Podiumsdiskussion mit Salaam, Ghaffar, Moderatorin Barbara Unmüßig
von der Heinrich-Böll-Stiftung, Westerwelle und Salaam
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Bei dem Forum hatte man es hauptsächlich mit einer kleinen Alibi-Veranstaltung am Rande einer viel größeren Alibi-Veranstaltung zu tun. Nichts verdeutlichte dies besser als die Erklärung Barry Salaams auf der Pressekonferenz, warum "ein stabiles und sicheres Afghanistan" wünschenswert wäre. Laut Salaam dürfe sich der Westen nicht von Afghanistan abwenden, damit das Land "nicht wieder von Terroristen und Extremisten übernommen werden" könne, die "die Gewalt in die ganze Welt tragen". Diese primitive Version der Geschichte Afghanistans vom Abzug der sowjetischen Truppen 1989 bis zu den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 deckt sich mit den Vorstellungen der CIA und des Pentagons, weshalb vermutlich die Traumfabrik Hollywood sie im Film "Charlie Wilson's War" ("Der Krieg des Charlie Wilson") mit Tom Hanks in der Hauptrolle verewigte und jedem Deppen leicht konsumierbar machte. Mitnichten jedoch wird man damit den komplizierten innerafghanischen Konflikten oder dem Dauerringen der Großmächte um Einfluß in Zentralasien gerecht. Erst wenn die militärischen und wirtschaftlichen Hauptakteure ihren Streit um Afghanistan ausgefochten haben, wird das Land wieder zur Ruhe kommen und ein normales Leben möglich sein. Bis dahin bleiben die zivilgesellschaftlichen Gruppen Afghanistans Spielball einheimischer Warlords und ausländischer Interessen.

7. Dezember 2011


Fußnote:

1. http://csis.org/files/publication/111115_Afghanistan_at_End_2011.pdf

Ghaffar, Westerwelle und Salaam von Delegiertinnen des Afghanistan-Forums umringt - © 2011 by Schattenblick

Ghaffar, Westerwelle und Salaam von Delegiertinnen des Afghanistan-Forums umringt
© 2011 by Schattenblick