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BERICHT/082: Petersberg II - Widerstand gegen Militarismus und Krieg braucht langen Atem (SB)


Internationale Konferenz für ein selbstbestimmtes Afghanistan am 4. Dezember 2011 in Bonn


Kernstück der Afghanistankonferenz waren drei Podiumsveranstaltungen mit internationalen Teilnehmern, die einerseits die Breite der Bewegung gegen den Krieg repräsentierten, andererseits jedoch auch Kontroversen hervortreten ließen. Im Zentrum einander widersprechender Auffassungen stand zwangsläufig die Frage, welcher Mittel sich eine Friedensbewegung zur Durchsetzung ihrer Forderungen bedienen sollte. Während ein Teil der Bewegung darauf besteht, daß Gewaltfreiheit die alles entscheidende Maßgabe sei, wollen es sich andere nicht nehmen lassen, ihre Kampfformen entsprechend den jeweiligen Verhältnissen und Erfordernissen zu modifizieren.

Großer Veranstaltungssaal im LVR-Museum Bonn  - Foto: © 2011 by Schattenblick

Großer Veranstaltungssaal im LVR-Museum Bonn
Foto: © 2011 by Schattenblick

Reiner Braun eröffnete die Gegenkonferenz als einer der Sprecher des Protestbündnisses gegen Petersberg II. Er wünschte der Antikriegsbewegung einen langen Atem und unterstrich, daß Frieden für Afghanistan auf der Straße erkämpft werden müsse, während Vertrauen in die Regierungspolitik verfehlt sei. Er begrüßte die Stadt Bonn, die dadurch hoffentlich auch zu einer Stadt des Friedens und nicht nur der Inthronisierung illegaler Kriegsfürsten werde. Dann hieß er alle Referenten und Teilnehmer willkommen und wünschte der Konferenz einen erfolgreichen Verlauf.

Podiumsteilnehmer - Foto: © 2011 by Schattenblick

Mamdouh Habashi, Mairéad Maguire, iez Thiry, Said Mahmoud Pahiz, Amir Mortasawi
Foto: © 2011 by Schattenblick

"Sie reden vom Frieden. Sie führen Krieg."

Mit: Mamdouh Habashi (EG) Mairéad Maguire (Friedensnobelpreisträgerin, NIR), Said Mahmoud Pahiz (Solidaritätspartei, AF), Amir Mortasawi (IPPNW, IR)
Moderation: iez Thiry (vredesactie, BE)

Friedensnobelpreisträgerin Mairéad Maguire zeigte sich überzeugt, daß Gewaltfreiheit, Frieden und Liebe nicht aufzuhalten seien. Wenngleich sie nie in Afghanistan gewesen wäre, inspirierten sie doch die Geschichte und die Protagonisten gewaltfreien Widerstands in diesem Land. Es gehe um Solidarität mit den einfachen Leuten, mit dem afghanischen Volk, das unter der Besatzung zu leben und das Bestmögliche für seine Kinder zu leisten versucht. Sie sei inspiriert von dem gewaltfreien Protest der Jugend in Kabul, die auf der Straße für ein Ende der Gewalt demonstriert. Kein anderes Volk habe das Recht ihnen vorzuschreiben, welche Form von Entwicklung und Demokratie sie zu wählen haben. Keine fremde Macht habe das Recht, die Ressourcen des Landes auszuplündern und die Ungerechtigkeit aufrechtzuerhalten. Die fremden Truppen müßten abziehen, damit in Afghanistan Frieden geschaffen werden kann.

Gewaltfrei zu sein, dürfe man nicht mit Passivität verwechseln. Die NATO müsse aufgelöst werden: "Wir können nicht in einer Welt leben, in der die NATO anderen Ländern ihre Aggression aufzwingt." Die Agenda des westlichen Militärbündnisses sei Krieg. Schon im Jugoslawienkrieg sprach das Pentagon offen davon, daß man sieben Staaten auslöschen werde. Es gebe jedoch eine friedliche Alternative. Man könne das für die Rüstung aufgewendete Geld besser verwenden für Gesundheit, Ausbildung und Umweltschutz: "Was könnten wir alles für die Wahrung der Menschenrechte tun mit diesen Unsummen, die für Militarisierung und Krieg aufgewendet werden. Militarismus ist das Kernproblem." Solange man junge Menschen ausbildet zu töten, solange man nicht Nein zu Militarismus und Ja zu Gewaltfreiheit sagt und keine gewaltfreie Gesellschaft schafft, werde sich nichts an den herrschenden Verhältnissen ändern. Es gebe Hoffnung überall auf der Welt wie die Entwicklung im Nahen Osten, in Palästina, zeige. "Wir sind nicht naiv, wir kennen den Verlauf des Krieges, doch wir sagen: Genug ist genug. Wir nehmen es nicht hin!"

Mamdouh Habashi sprach die analytische Seite des Konflikts an. Afghanistan sei ein Glied in einer langen Kette der US-Militärstrategie mit dem Ziel der absoluten militärischen Kontrolle weltweit. Dafür seien geostrategische Positionen wesentlich, an denen die USA ihre militärische Stärke konzentrieren, um ihren Einfluß in der jeweiligen Region geltend zu machen. Dazu gehörten Israel, Südkorea, Ägypten und jetzt auch Afghanistan. In den 30 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg folgten die USA der Strategie des Kalten Kriegs, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion radikal verändere, weil die bis dahin geltenden Maßgaben der Demokratie nicht mehr ausreichten, um die Kontrolle über die Welt auszuüben. Seitdem kämpften die imperialistischen Staaten nicht mehr gegeneinander, sondern die USA, die EU und Japan verbündeten sich als Norden gegen den Süden.

Ägypten sei in diesem Gebäude der Militärstrategie als führende Nation in der Region ein sehr wichtiges Land. Präsident Roosevelt schloß 1945 ein strategisches Abkommen mit dem damaligen König von Ägypten, das Schutz gegen politische Bündnistreue aushandelte. Beim Camp-David-Abkommen im Jahr 1979 ging es den USA darum, Ägypten unter Kontrolle zu halten. So wurden 1,3 Mrd. Dollar jährlich nicht an die Regierung, sondern den Oberbefehlshaber der Armee, also Präsident Sadat und in der Folge Mubarak gezahlt. Nach dem Sturz Mubaraks feierten die Menschen zunächst die Armee als Retter der Revolution. Als man versucht habe, Bewußtsein dafür zu schaffen, daß die Armeeführung Teil des alten Regimes ist, wollte das zunächst niemand hören. Das Militär besaß großes Ansehen bei den Massen. Das habe sich binnen neun Monaten grundlegend geändert, da die Menschen heute gegen die Militärs auf die Straße gehen. Sie geben dem Militärrat die Schuld für den Mißerfolg des Aufstands.

Zum anderen sei die Bevölkerung zu neuen Erkenntnissen über die Rolle des islamistischen Blocks gelangt, meint Habashi. Die Amerikaner sprachen stets mit gespaltener Zunge, als sie sagten, sie seien gegen den politischen Islam, während sie ihn jahrzehntelang politisch und finanziell unterstützten. Er war der Garant dafür, daß Ägypten keinen Schritt auf dem Weg zur Demokratie machen kann, da dazu Säkularisierung erforderlich ist. Inzwischen machen auch die Salafisten im Land von sich reden, die sich seit dem Sturz Mubaraks zu einem Giganten entwickelt haben. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und damit von den USA gesteuert, um dem Druck der Basis etwas entgegenzusetzen. Afghanistan dürfe also nicht isoliert betrachtet werden, sondern als Teil der Gesamtstrategie Washingtons, globale Kontrolle zu erlangen.

Said Mahmoud Pahiz erklärte, die USA hätten einige ihrer Verbündeten, bestehemd aus Handlangern, Drogenhändlern, Mördern, Ausbeutern, rückwärtsgerichteten Fundamentalisten und antidemokratischen Kräften, zur zweiten Bonner Konferenz zusammengerufen, um über eine verstärkte Kolonisierung seines Landes zu entscheiden. Vor zehn Jahren haben die USA und ihre Verbündeten Afghanistan überfallen und nach dem Sturz des Taliban-Regimes auf der Bonner Konferenz über die Zukunft Afghanistans entschieden. Um Besatzung und Ausplünderung zu erleichtern, wurde der Bevölkerung eine Regierung aus Verrätern, Söldnern und Fundamentalisten vorgesetzt. Nun sollen der Marionettenregierung zwei weitere Kräfte hinzugefügt werden, nämlich die Taliban und die Islamische Partei von Gulbuddin Hekmatyar. Seit zehn Jahren hätten die USA und ihre Verbündeten dafür gesorgt, daß diese finsteren und menschenverachtenden Kräfte wichtige Positionen besetzt haben. Die USA und die NATO hätten bei ihren Planungen die Afghanen und insbesondere die liberalen Kräfte ignoriert, um das Land als ihr Protektorat beherrschen zu können. Sie bedienten sich jener Kräfte, die bereit sind, für Geld und Macht jedermann zu verkaufen. Die Karsai-Regierung setze sich größtenteils aus solchen Leuten zusammen.

Seit zehn Jahren ist Afghanistan eines der ärmsten, unsichersten und verlorensten Länder der Welt. Nur auf dem Gebiet der Drogenproduktion und des Drogenhandels hat es dank der Unterstützung der USA den ersten Platz erreicht. Die USA verteilten Waffen in einigen Landesteilen mit dem Ziel, Spannungen zu erzeugen und vorhandene ethnische und sprachliche Differenzen zu schüren, damit sie teilen und herrschen können. Die Solidaritätspartei kämpfe für eine Bewegung gegen Fundamentalismus und für Demokratie und versuche trotz der verschiedenen Intrigen des Westens, diese Bewegung in der Bevölkerung zu verbreiten. Immer wieder hätten Menschen gegen die Tötung von Zivilisten durch die Amerikaner demonstriert. Die Solidaritätspartei sehe es als Aufgabe fortschrittlicher Kräfte an, diese Unzufriedenheit der Bevölkerung zu kanalisieren und eine landesweite Kampagne gegen Besatzer und Fundamentalisten herbeizuführen. Das sei der einzige Weg, um an der bestehenden Situation etwas zu ändern. Ohne Widerstand, ohne Kampf habe es noch kein Volk geschafft, Freiheit und Unabhängigkeit zu erreichen. "Unsere Partei schätzt die Solidarität demokratischer und fortschrittlicher Kräfte und bittet um weitere Unterstützung."

Said Mahmoud Pahiz und Amir Mortasawi - Foto: © 2011 by Schattenblick

Said Mahmoud Pahiz und Amir Mortasawi
Foto: © 2011 by Schattenblick
Die dieses Podium abschließende Diskussion befaßte sich mit einer Frage aus dem Publikum: Ist der Begriff "Kampf" nicht unangemessen, da doch Mahatma Gandhi gewaltfrei gesiegt hat? Darauf erwiderte Said Mahmoud Pahiz, daß die Unterstützung entscheidend sei. Was die Bewegung in Afghanistan konkret unternehme, hänge von der Situation ab. Vielleicht entfalte sich eine Massenbewegung wie in Ägypten, vielleicht bediene man sich der Waffen. Amir Mortasawi ergänzte dies mit einer Aussage Norman Finkelsteins, der mit Blick auf Israel empfiehlt, jeweils die eigene Regierung in die Pflicht zu nehmen und deren Unterstützung der israelischen Regierungspolitik zu kritisieren. Was die Palästinenser daraus machten, sei allein deren Sache. Es gelte also im Falle Afghanistans, insbesondere die Bundesregierung ins Visier zu nehmen.

Mamdouh Habashi gab grundsätzlich zu bedenken, daß Menschen, die Widerstand leisteten, stets friedlich seien. Die Gewalt komme immer von den Unterdrückern. Es gehe nicht darum, ob man die Gewalt vorziehe oder nicht. Die Frage sei vielmehr, ob man im Falle übermächtiger Gewaltanwendung bereit sei, Widerstand zu leisten, oder im Gegenteil kneife. Die Ägypter hätten in dieser Hinsicht ein beispielloses Bild abgegeben, als sie ihre Stellung trotz ungeheurer Gewalt der Sicherheitskräfte behaupteten. Hingegen plädierte Mairéad Maguire noch einmal entschieden für Gewaltfreiheit und deren Wirksamkeit. Sie verwies auf die Occupy-Bewegung und deren weltweite Unterstützung, die sie dort verloren habe, wo sie ihrerseits zu gewaltsamen Mitteln gegriffen habe. Deshalb rate sie eindringlich, den gewaltfreien Widerstand zu studieren und zu praktizieren. Palästina und Israel seien inspirierend, und man müsse dort diejenigen Kräfte unterstützen, die den Mut zu gewaltfreiem Widerstand besäßen.

Podiumsteilnehmer - Foto: © 2011 by Schattenblick

Matin Baraki, Joseph Gerson, Malalai Joya, Lene Junker, Mustafa Yalziner,
Hannelore Tölke, Tomas Magnusson, Alyn Ware
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"Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker": Kriege abschaffen, die Zukunft gestalten

Mit: Matin Baraki (AF/DE), Joseph Gerson (American Friends Service Committee, US), Malalai Joya (AF), Tomas Magnusson (International Peace Bureau, SE), Alyn Ware (Alternativer Nobelpreisträger, NZ), Mustafa Yalziner (TK)
Moderation: Hannelore Tölke (Mitglied des Stadtrates Bonn, DE), Lene Junker (Nej Til Krig, DK)

Matin Baraki stammt aus Afghanistan und lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Sichtlich vom Thema berührt, sagte er einführend, es gebe derzeit wohl nur wenige Völker auf der Welt. die so dringend der Solidarität bedürften wie das Afghanistans. Solidarität sei auch Humanismus, so Baraki. Er zitierte aus einem Gedicht, das dem Werk "Gulistan" (Rosengarten) des persischsprachigen Dichters Saali (1192-1292) entnommen ist:

Die Menschenkinder sind ja alle Geschwister
aus einer Perle wie eines Leibes Glieder.
Hat Krankheit nur ein einzig Glied erfaßt,
so bleibt den anderen weder Ruh' noch Rast.
Wenn anderer Schmerz dich nicht im Herzen brennt,
verdienst du nicht, daß man dich Mensch noch nennt.

Dieses Gedicht von zeitloser Aktualität könnte auch heute entstanden sein: "Solidarität schließt Menschenrechte ein, und die haben wir nicht geschenkt bekommen. Menschenrechte sind erkämpft worden durch einen jahrhundertelangen Kampf der zivilisierten Menschen und Völker. Die Negation der Solidarität, Zärtlichkeit, Menschenrechte und der Zivilisation wäre der Weg zur Barbarei." Man sei zur Konferenz zusammengekommen, um Solidarität, Zärtlichkeit, Liebe zu üben. Und Zärtlichkeit sei auch ein wenig Verliebtheit. In Afghanistan sage man: Wenn man verliebt ist, dann ist man ein wenig voreingenommen, ein wenig blind.

Als die Afghanen versucht hätten, aus dem Elend herauszukommen und die Gesellschaft zu verändern, herrschte die Hochphase des Kalten Kriegs. Afghanistan galt damals als rohstoffarmes Land. Es besitzt jedoch eine bedeutsame geostrategische Lage. Angefangen von Alexander dem Großen über die Mongolen und die südliche Route der Seidenstraße nach Indien führten immer wieder wichtige Wege durch das Land. Als Anfang des 20. Jahrhunderts der verspätete deutsche Imperialismus auch ein Stück vom Kuchen haben wollte, strebte er die Zerschlagung des britischen Imperiums an, als dessen Herz er Indien sah. Indien sei auf dem Landweg nur über Afghanistan zu erreichen, welches daher das Tor zu Indien sei. So schickten die Deutschen eine diplomatische und militärische Expedition nach Kabul, um das Land für den Kriegseintritt gegen Britisch-Indien zu gewinnen.

Nach dem Zusammenbruch des europäischen Sozialismus entwickelte Zbignew Brzezinski die geopolitische Doktrin, daß die USA die einzig verbliebene Weltmacht seien und Weltpolitik künftig in der Region Naher und Mittlerer Osten, Kaukasus, Zentralasien bestimmt werde, zu der man ungehinderten Zugang haben müsse. Eine zweite Macht neben den USA dulde man nicht. In Afghanistan wurden zu dieser Zeit Reformen eingeleitet und nach den Worten Barakis Fehler gemacht, die die weitere Entwicklung negativ beeinflußten. Entscheidend waren jedoch äußere Einflüsse, da die Strategen in den Zentren des Imperialismus zu verhindern trachteten, daß das Modell Afghanistan Schule machte. Andernfalls liefen die USA Gefahr, in dieser Region an Einfluß zu verlieren. Also ließ man nichts unversucht, das afghanische Experiment zum Scheitern zu bringen. Die Folge war die sowjetische Intervention, wodurch der Konflikt internationalisiert wurde. Außenminister Genscher erklärte im deutschen Bundestag, man könne doch das afghanische Volk nicht alleinlassen. Die finanzielle, geheimdienstliche und schließlich militärische Beteiligung Deutschlands an der Intervention hat also eine lange Vorgeschichte.

Damals mit Afghanistan Solidarität zu üben habe sich als außerordentlich schwierig erwiesen, da die Atmosphäre buchstäblich vergiftet gewesen sei. In Afghanistan wurden Fehler bei der Einleitung von Reformen gemacht, da es keine Tradition der Arbeiterbewegung und der Demokratie gab. Die Demokratische Volkspartei Afghanistan (DVPA) war nicht einmal 18 Jahre alt und angesichts der gewaltigen Aufgabe überfordert: "Erforderlich wäre kritische Solidarität gewesen, und wir Afghanen sind aus Mangel an solcher Solidarität krank geworden. Das ganze afghanische Volk ist krank - aber wir haben unsere Hoffnung noch nicht aufgegeben, weil wir kämpfen - afghanische Frauen wie Malalai Joya als Repräsentantin der fortschrittlichen Frauenorganisationen, afghanische Männer und Jugendliche kämpfen für ihre Freiheit, für ihre Unabhängigkeit, für territoriale Integrität Afghanistans, für unser respektables Volk. Wir haben Sie auf unserer Seite. Wenn Sie sich mit unserem Kampf solidarisieren werden wir siegen. Wir werden die Zärtlichkeit weitergeben an Menschen, die in unserem Land Leben. Ich bedanke mich bei euch ganz herzlich!"

Matin Baraki - Foto: © 2011 by Schattenblick

Matin Baraki
Foto: © 2011 by Schattenblick
Tomas Magnusson entschuldigte sich zunächst, seinen Beitrag nicht in deutscher Sprache zu halten. Sein Vater, ein "Held der Arbeiterklasse", habe ihn Ende der 1960er Jahre stets ermahnt, Deutsch zu lernen, weil Deutschland eines Tages eine wichtige Rolle in Europa spielen werde. Heute sei das Fall, denn Deutschland habe inzwischen beschlossen, die Atomkraftwerke abzuschalten, und inzwischen sei sogar eine Mehrheit gegen den Afghanistankrieg. Er habe sich über die Aussage Malalai Joyas gefreut, daß sich die Völker nur selbst befreien können. Das sei wahr seit dem Vietnamkrieg und gelte gleichermaßen für Afghanistan. Leider habe die Friedensbewegung nach dem Ende des Vietnamkriegs 1975 eine Pause eingelegt. Die Gegner hätten keine Pause gemacht: Die Imperialisten, die Strategen der Neuen Weltordnung, die US-Regierung und ihre Verbündeten, die Ökonomen, die Ölkonzerne lernten ihre Lektion aus dem Vietnamkrieg.

Veteranen der Friedensbewegung gegen den Vietnamkrieg pflegten die Dinge entweder schwarz oder weiß zu sehen. Heute sei die Weltpolitik komplizierter geworden, was für die Friedensbewegung große Verantwortung mit sich bringe. Den Mainstreammedien könne man nicht vertrauen, vielmehr müsse man sich intensiv mit alternativen Informationsquelle befassen, um die Hintergründe zu entschlüsseln, und nicht zuletzt von Menschen aus den betroffenen Ländern wie Afghanistan lernen. Noch immer glaubten viele Menschen den Lügen, die über die Gründe des Afghanistankriegs in die Welt gesetzt werden. Das Land habe sich in den zurückliegenden zehn Jahren zurückentwickelt.

Der Libyenkrieg zeige, wie sich die Vorgehensweise der westlichen Mächte fortgesetzt ändert. Noch vermag niemand zu sagen, wie Libyen nach Gaddafi beschaffen sein wird. Es stehe jedoch zu befürchten, daß die NATO-Staaten damit das Ende des arabischen Frühlings herbeigeführt haben. Der aufgeblähte Militärhaushalt lenke die finanziellen Ressourcen weg von Sozialleistungen und rüste einen Apparat auf, der zur Anwendung seiner Mittel drängt. Der jüngste Luftangriff auf die pakistanischen Soldaten wecke Befürchtungen in Pakistan, genau wie andere ehemalige Verbündete Washingtons heute zu Feinden erklärt werden. Die Pakistaner verlagern ihre Atomwaffen an Orte, die den Amerikanern unbekannt sind. Derzeit fahren Lastwagen mit Atomwaffen durch eine der gefährlichsten Regionen der Welt. "Die NATO war ursprünglich ein kleines Problem, doch heute ist sie ein riesengroßes Problem für den Frieden auf der Welt."

Alan Wyre sprach von einer Botschaft der Hoffnung, daß man eine Gesellschaft voll Krieg und Gewalt in eine des Friedens und der Gerechtigkeit verändern könne durch Gewaltfreiheit, Erziehung, Aktionen und Solidarität. Neuseeland sei im 19. und 20. Jahrhundert bis hin zu Vietnam an jedem Krieg beteiligt gewesen und es habe die Auffassung vorgeherrscht, daß dies ein Zeichen der Stärke sei. Es sei jedoch Schritt für Schritt gelungen, diese in der Gesellschaft verankerte Überzeugung zu verändern. Dazu habe die Auseinandersetzung um Atomwaffen maßgeblich beigetragen. Nach den Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki hätten die Neuseeländer vor Freude auf den Straßen getanzt. Später führten die Atomtests im Pazifik jedoch zu hohen Raten von Krebs und Mißbildungen auch in Neuseeland.

Es galt, eine Wende im Denken herbeizuführen, nämlich daß die Anwendung von ultimativer Gewalt keine Lösung sein kann. Man habe erkannt, daß man ganz unten in der Erziehung anfangen müsse, um den Kindern beizubringen, wie man Konflikte, die unvermeidlich auftreten, ohne Anwendung von Gewalt lösen kann. Dominiere eine Seite, habe dies Gewalt und Gegengewalt zur Folge, bis eine Seite verliert. Wende man hingegen das Prinzip gewaltfreier Lösungen erfolgreich an, lasse es sich auf andere Konflikte im eigenen Leben wie auch weltweit übertragen. Diese Friedenserziehung wurde in die Lehrpläne aufgenommen. Mediatoren aus dem unmittelbaren Umfeld der Streitenden hätten die besten Lösungen erzielt, was dazu führte, daß in solchen Fällen die Rate gewalttätiger Vorfälle deutlich zurückging. Frühere Unruhestifter, die Erfahrung im Umgang mit Gewalt haben, erweisen sich häufig als die besten Mediatoren.

Als Beispiel für die Übertragung des Prinzips gewaltfreier Konfliktlösung zwischen Staaten nannte der Referent die Vermittlung nach der Versenkung eines Schiffs von Greenpeace durch französische Geheimagenten. Man hätte dies als kriegerischen Akt einstufen und mit Gewaltmitteln beantworten können. Statt dessen wurde der Konflikt vor die UNO gebracht und unter deren Mediation dahingehend gelöst, daß sich Frankreich entschuldigen und eine Entschädigung zahlen mußte, während die Verantwortlichen vor Gericht gestellt und dann an Frankreich ausgeliefert wurden. Hinsichtlich des 11. September 2001, meint Wyre, hätte man die Anschläge nicht, wie es die US-Regierung tat, als Terroranschlag, sondern als kriminelle Tat behandeln und damit die Katastrophe abwenden können, die seither ihren Lauf genommen hat. Die Agenda des Krieges müsse nicht zwangsläufig mit Gegengewalt beantwortet werden. Es existierten internationale Mechanismen wie die UNO oder überstaatliche Gerichtshöfe, um Konflikte zu lösen, die man auch in Anspruch nehmen sollte, um Kriege zu verhindern. Man müsse darüber hinaus die Agenda des Krieges des militärisch-industriellen Komplexes schwächen. Ein Beispiel wäre der norwegische Pensionsfonds, dessen Gelder unter Ausschluß von Rüstungsfirmen neu investiert wurden. Desinvestment sei ein wirksames Mittel, wobei es alle Arten von Fonds auch auf regionaler oder kommunaler Ebene sein könnten, die man daraufhin überprüft und neu ausrichtet.

Mustafa Yalciner, Journalist aus Istanbul, der für zwei Zeitungen arbeitet, darunter auch eine kurdische, erinnerte daran, daß in den Kurdengebieten der Türkei seit über 30 Jahren Krieg herrscht. Journalisten, die über diesen Krieg berichten, unterliegen staatlicher Repression. Er selbst sei nicht nur ein Journalist, sondern auch ein Revolutionär seit 1968. Unter der AKP-Regierung Premier Erdogans habe sich die Türkei als Speerspitze westlicher imperialistischer Interessen in der Region weiter profiliert und dies mit eigenen Großmachtplänen verbunden, die vom Kaukasus über Zentralasien bis in die arabischen Länder reichen. Mit einer Außenpolitik, die in hohem Maße mit den Interessen der USA und der NATO konform geht, indem insbesondere als moderat eingeschätzte islamische Kräfte eingebunden werden, hält sich Ankara den Rücken frei für die Repression gegen die Kurden.

Die Außenpolitik gründet auf drei Doktrinen: Türkische Interessen zuerst, keine Konflikte mit den Nachbarn, gute Beziehungen zu den USA. Diese Doktrinen haben die Außenpolitik sehr viel effektiver gemacht, als dies in der Vergangenheit der Fall war, zumal sie insbesondere der Kritik Rechnung trugen, es handle sich um neo-osmanische Ambitionen Ankaras. Ein gutes Beispiel sei der Libyenkrieg: Zunächst sprach sich die Türkei dagegen aus, später beteiligte sie sich jedoch mit sechs Kriegschiffen und unterstützte den Übergangsrat finanziell. Ähnlich verhält es sich hinsichtlich Syriens, das noch vor kurzem als Bruderland hochgehalten wurde, während Erdogan heute Assad auffordert, sein Volk nicht zu unterdrücken. Inzwischen schleuse die Türkei bewaffnete Gruppen nach Syrien ein, die den Sturz der Regierung betreiben. So stelle sich die AKP international als Hüterin von Frieden und Demokratie dar, was mit der Propaganda der USA korrespondiert, den Irak und Afghanistan nach denselben Maßgaben zu befreien.

Es gebe in Syrien eine Volkserhebung wie in Tunesien und Ägypten, doch im Unterschied zu diesen ist Syrien kein pro-westliches Regime. Den westlichen Mächten gehe es nicht darum, den Syrern Freiheit zu bringen, sondern den imperialistischen Zugriff zu befördern. Die Türkei übernehme dabei die Rolle eines Subcontractors und Cheerleaders der Aggression. Unter diesen Umständen gelte es dafür zu kämpfen, daß die Regierung in der Türkei wie auch in allen anderen Ländern durch eine des Volkes gebildet wird.

Joseph Gerson, ein profilierter Repräsentant des "anderen Amerika", sagte einleitend, daß der "kleine Krieg" gegen Afghanistan, mit dem Präsident Bush der Al Kaida und den Taliban "in den Hintern treten" wollte, inzwischen über zehn Jahre währt und zahllose Opfer gefordert hat. Die Ziele seien auch unter Obama dieselben geblieben. Wer Eurasien kontrollieren will, wie dies die USA beabsichtigen, muß Afghanistan kontrollieren. Die Abwesenheit Pakistans bei der offiziellen Afghanistankonferenz in Bonn unterstreiche, daß der Widerstand gegen die Pläne Washingtons in der Region wächst. Der komplette Abzug 2014 sei für die USA nicht länger auf dem Tisch. Der Kriegszug solle nach der Doktrin Obamas in eine "Antiterrorkampagne" umgewandelt werden, also zu mehr Drohenangriffen und nächtlichen Überfällen durch Spezialkommandos führen. Sowohl die unmittelbare Nähe zu den ölreichen Regionen Rußlands wie die Einkreisung Chinas sollen keinesfalls preisgegeben werden. Dafür wäre die Obama-Administration sogar bereit, eine Regierungsbeteiligung der Taliban hinzunehmen. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2012 in den USA wächst jedoch der Druck der Neocons, die befürchten, Obama könnte zuviele Soldaten abziehen. Sie argumentieren, er sei dabei, Afghanistan zu verlieren. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise haben die USA einen weiteren, noch raffinierteren Kriegspräsidenten als es Bush war.

Asien und der Pazifik sind zum zentralen Aufmarschgebiet der US-Kriegsplaner geworden. Asien gilt wegen seiner Bevölkerungszahl und Wirtschaftsmacht als entscheidender Konkurrent der USA, die ihre Dominanz in dieser Weltregion durchsetzen wollen. Abzug aus dem Irak und Afghanistan heißt daher Verlagerung der militärischen Kapazitäten. Die Einkreisung Chinas wird mit Hilfe Japans, Südkoreas, Taiwans und der Philippinen vorangetrieben, Allianzen wurden mit Vietnam und Indien geschlossen. Der US-Militärhaushalt für diese Region wurde nicht gekürzt, sondern aufgestockt.

Wo gibt es Hoffnung? Während sich die USA militärisch überstrecken, wächst im eigenen Land die Kluft zwischen einer unerhört reichen Elite und den verelenden Mittelschichten und Armen. Die Friedensbewegung erhebt insbesondere die Forderung, den Militärhaushalt zugunsten von Sozialleistungen zu kürzen. Die Occupy-Bewegung hat landesweit Hoffnung geweckt, daß immer mehr Menschen nicht mehr bereit sind, sich den Verhältnissen zu fügen. Ihr Wahlspruch "Wir sind die 99 Prozent" sei bereits ein großer Erfolg ungeachtet der Entwicklung, die diese Bewegung künftig nimmt. Das Bekenntnis zur Gewaltfreiheit habe den politischen Diskurs verändert. Insbesondere die Vorbereitung der Kampagne gegen den NATO-Gipfel im Mai in Chicago sei für die Friedensbewegung nun von außerordentlicher Bedeutung.

Malalai Joya hob die Bedeutung internationaler Solidarität für den Kampf zur Befreiung Afghanistans hervor. Die Afghanen hätten es mit drei mächtigen Gegnern zu tun: Taliban, Kriegsherrn und Besatzungsnächten. Den Bomben der westlichen Truppen fielen unschuldige Zivilisten zum Opfer, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Alle Feinde hätten ihre eigenen Vorstellungen, wie Frieden auszusehen habe. Nach zehn Jahren Krieg und Besatzung sollten die ausländischen Truppen so schnell wie möglich abziehen. Die USA und die NATO suchten jedoch unablässig neue Vorwände, um ihre Präsenz zu rechtfertigen. Ein herausragendes Beispiel sei die Rolle der Frauen in Afghanistan.

Die US-Regierung wende Unsummen für diesen Krieg auf wie sie auch die Terroristen aufgebaut und finanziert habe, die sie heute bekämpft. Neben der Besatzung sei der Fundamentalismus das zweite große Übel. Die Einheit aller demokratisch gesinnten Menschen in Afghanistan sei daher außerordentlich wichtig. In zwei Punkten sollte Einigkeit herrschen: Gegen Fundamentalismus und gegen Okkupation. Leider gebe es immer wieder Streit und Spaltung, was von westlichen Kriegstreibern gezielt gefördert werde. Wer die Fundamentalisten als Antiimperialisten oder Befreier feiere, müsse entweder ein Dummkopf oder ein Verräter sein. Das gelte ebenso für die Kriegsherrn, die als Wiedergänger der Taliban verhaßt seien.

Bildung sei eine Waffe gegen diese Kräfte, da 87 Prozent der Bevölkerung Analphabeten sind. Bildung und Aufklärung könnten ein Netzwerk gegen Unterdrückung schaffen, wofür die internationale Unterstützung unabdingbar sei. Die eigentlichen Helden des demokratischen Widerstands in Afghanistan würden von den westlichen Medien vollkommen ausgeblendet. Ein Beispiel sei die Solidaritätspartei, die öffentlich gegen Besatzung, Fundamentalisten und die Marionettenregierung Karsais demonstriert. Karsai sei schlimmer und noch verhaßter als seine Vorgänger, weil er das Land offen an die Amerikaner verkauft. Die Amerikaner wollten Afghanistan gespalten und rückständig halten, um ihre weitere Präsenz zu rechtfertigen. "Frieden, Freiheit und Rechte werden weder von der amerikanischen, noch von der deutschen Regierung geschaffen, sie müssen von der demokratischen Opposition selbst unter Einsatz ihres Lebens erkämpft werden." "Diejenigen, die kämpfen, können scheitern, doch wer gar nicht erst kämpft, hat schon verloren."

Podiumsteilnehmer - Foto: © 2011 by Schattenblick

Tobias Pflüger, Jeremy Corbyn, Michael Youlton, Wiltrud Rösch-Metzler, Shams Arya, Pierre Villard
Foto: © 2011 by Schattenblick

Frieden für Afghanistan - Gespräch zwischen Parlamentariern und Friedensengagierten

Mit: Shams Arya (AF/NL), Reiner Braun (IALANA, DE), Jeremy Corbyn (MP Labour Party, GB), Pierre Villard (Le Mouvement de la Paix, F), Tobias Pflüger (Die Linke, DE)
Moderation: Michael Youlton (PANA/Irish AntiWar Movement, IE), Wiltrud Rösch-Metzler (pax christi, DE)

Michael Youlton richtete an alle Teilnehmer des Podiums die beiden Fragen, wie ihre Prognose für die nächsten zwei bis drei Jahre in Afghanistan sei und ob man nicht die Wirtschaftskrise in Bezug zu den Militärausgaben als die andere Seite der Münze zu sehen habe.

Tobias Pflüger nahm mit seiner Prognose vorweg, was die anderen Teilnehmer in ähnlicher Form zu Ausdruck brachten. Für ihn seien die pessimistische und die realistische Option dieselbe. Der Krieg werde verschärft, das Chaos nehme zu, der Widerstand militarisiere sich, der Bürgerkrieg werde heftiger, der Anteil getöteter Zivilisten nehme immer weiter zu. Diese Option hätten die westlichen Regierungen auf den Weg gebracht, zumal Präsident Obama immer mehr Truppen ins Land geschickt habe, die das eigentliche Problem seien.

Eine optimistische Variante wäre ein tatsächlicher Truppenabzug, der allerdings die Afghanisierung der Besatzung durch Ausbildung einheimischer Sicherheitskräfte nach sich zöge. Zielgröße seien 300.000 Soldaten und Polizisten, wobei ein erheblicher Teil der Entwicklungshilfe in die Förderung dieser Strukturen fließe. Es sei in Deutschland enormer Druck erforderlich, um einen Truppenabzug zu erreichen. Als Mosaikstein sei die Bundeswehr überwiegend für Logistik zuständig, weshalb ihr Rückzug durchaus bedeutsam wäre. Da jedoch das pessimistische Szenario wahrscheinlicher sei, gelte es für den Abzug zu kämpfen, da dieser wichtig für Afghanistan wie auch hinsichtlich der Militarisierung der deutschen Gesellschaft sei.

Die anderen Podiumsteilnehmer schlossen sich im wesentlichen dieser Einschätzung an, wobei Reiner Braun hervorhob, daß gesellschaftliche Veränderungen nicht vorauszusagen seien, da sie immer vom Handeln der Menschen bestimmt würden. Jeremy Corbyn wies darauf hin, daß der Krieg für alle europäischen Länder immens teuer sei. Es sei ein Argument der Antikriegsbewegung auch gegen die Krise, sich von Großmachtambitionen und Kriegen in aller Welt zu verabschieden. Man müsse jedoch davon ausgehen, daß bei einem möglichen Abzug der Kampftruppen aus Afghanistan binnen drei Jahren vermutlich Söldner den Krieg weiterführen, der damit nahezu privatisiert werde. Einig war man sich in der Auffassung, daß in einer Welt schwindender Ressourcen und wachsender Bevölkerung die Konfliktlösung mit Mitteln des Krieges in vielfacher Hinsicht eine nicht hinzunehmende Option seien, die es um der gesamten Menschheit willen aus dem Feld zu schlagen gelte.


In Anbetracht des umfassenden Materials, das auf der eintägigen Gegenkonferenz zu Petersberg II angeboten wurde, konnten die sozialen, politischen und geostrategischen Fragen zu Krieg und Frieden gerade einmal angeschnitten werden. Eine Vertiefung und Erweiterung der dort zur Diskussion gestellten Themenkomplexe wie eine kontroverse Auseinandersetzung um Grundpositionen wäre mehr als wünschenswert, um überhaupt eine gesellschaftlich relevante Basis für wirksamen Protest gegen Militarismus und Krieg zu schaffen. Eine der Schwächen der deutschen Linken, die das Gros der Aktivistinnen und Aktivisten der Demonstration gegen den Afghanistankrieg am Vortag gestellt hat, ist das eher geringe Gewicht, das der Analyse und Kritik des Gewaltverhältnisses im kapitalistischen Weltsystem zugebilligt wird. Anstatt sich an vermeintlich ideologiekritischen Dispositiven abzuarbeiten, um in einen Wettstreit apologetischer Selbstbehauptung einzutreten, führten profunde Herrschafts- und Kapitalismuskritik zum Kern einer globalen Herausforderung, gegen die Widerstand zu leisten auf Antimilitarismus nicht verzichten kann. Von daher wäre es wünschenswert, wenn die bürgerliche Friedensbewegung wie die Bevölkerungen der von imperialistischen Kriegen heimgesuchten Länder auch in der Linken mehr Aufmerksamkeit erhielten, als das seit Jahren rückläufige Interesse an diesen zentralen Fragen aufbietet.

29. Dezember 2011

Front des LandesMuseumBonn - Foto: © 2011 by Schattenblick

Veranstaltungsort LVR LandesMuseumBonn
Foto: © 2011 by Schattenblick