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BERICHT/107: Kulturimperialismus der Touristik auf dem Prüfstand (SB)


Kulturimperialismus der Touristik auf dem Prüfstand

Workshop zum Thema "Politischer Umbruch" auf der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) Berlin, 08.03.2012


Von den politischen Umbrüchen, die seit Anfang 2011 den Mittleren Osten und Nordafrika erschüttern und in der Presse unter dem Titel "Arabischer Frühling" subsumiert werden, hat hierzulande als erste und unmittelbarste die Touristikbranche etwas zu spüren bekommen. Nach dem dramatischen Sturz der langjährigen Machthaber Ben Ali in Tunesien und Hosni Mubarak in Ägypten gingen in beiden Ländern die Hotelbuchungen europäischer Touristen drastisch zurück. Da seitdem nicht nur in Ägypten und Tunesien die lange unterdrückte Moslembruderschaft auf dem Vormarsch ist, stellt sich die Frage, wie es im arabisch-islamischen Raum mit dem Tourismus überhaupt weitergeht. Auf diese Einnahmequelle können die Staaten der Region schwerlich verzichten, gleichwohl stehen die strenggläubigen Muslime dem Tourismus westlicher Prägung, in dem sie einen Träger sozialer Dekadenz sehen, kritisch gegenüber.

Innenansicht der Eingangshalle der Berliner Messe - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die größte Touristikmesse der Welt - wo geht‹s lang?
Foto: © 2012 by Schattenblick

Auf der diesjährigen ITB Berlin, der größten Tourismusmesse der Welt mit einem geschätzten Ausstellerumsatz von sage und schreibe fünf Milliarden Euro, war dieses Jahr ausgerechnet Ägypten das Partnerland. Also kam man um eine Auseinandersetzung mit den vom "Arabischen Frühling" aufgeworfenen Fragen nicht herum. Entsprechend fanden am 7. März in einem der größeren Säle auf dem Messegelände die Diskussionsrunde "'Arabellion': Arabischer Frühling oder touristische Eiszeit?" und am 8. März in einem Hinterzimmer der Workshop "Politischer Umbruch: Welche Rolle spielt der Tourismus?" statt. An der Diskussionsrunde nahmen neben dem vielgefragten Nahost-Experten Volker Perthes von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik auch die Tourismusminister aus Ägypten, Jordanien, Marokko und Oman - Mounir Fakry Abdel Nour, Nayef Al Fayez, Heba Aziz und Laheen Haddad - teil.

Sehr erhellend dürften deren Ausführungen nicht gewesen sein. Auf dem Workshop am darauffolgenden Tag kritisierte Moderator Burghard Rauschelbach die Praxis der ITB, ihre Konferenzen mit Prominenten, allen voran ausländischen Regierungsvertretern, zu besetzen, die Schönmalerei betreiben und ohnehin immer das Gleiche sagen. Ihm zufolge sei hierfür die Diskussionsrunde vom Vorabend ein bezeichnendes Paradebeispiel gewesen. Von ihren Exzellenzen aus Ägypten, Jordanien, Marokko und Oman habe man kein differenziertes Bild der jüngsten epochalen Ereignisse im arabischen Raum erhalten, sondern lediglich die alte Leier, "Bereisen Sie uns, dann helfen Sie unserer Wirtschaft", zu hören bekommen.

Workshop-Moderator begrüßt die Teilnehmer - Foto: © 2012 by Schattenblick

Burghard Rauschelbach von der GIZ
Foto: © 2012 by Schattenblick

Rauschelbach hatte den Workshop im Auftrag der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die bis zur Verschmelzung mit dem Deutschen Entwicklungsdienst (DED) vor eineinhalb Jahren Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit hieß und auf der ITB mit einem eigenen Stand vertreten war, organisiert. Bei der GIZ arbeitet er mit drei Kollegen seit 2004 am relativ kleinen "Sektorvorhaben" namens "Touristik und nachhaltige Entwicklung", das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert wird und sich bereits in der dritten Phase befindet.

GIZ-Messestand mit Bekenntnis zur 'nachhaltigen' Entwicklung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Stand der GIZ auf der ITB Berlin
Foto: © 2012 by Schattenblick

Interessanterweise hatten am 28. Februar, und damit wenige Tage vor Beginn der ITB, Rauschelbachs Vorgesetzter, Entwicklungsminister Dirk Niebel, und sein Kollege von der Freien Demokratischen Partei (FDP), Bundeswirtschaftsminister und Vizebundeskanzler Philipp Rösler, die Entsendung sogenannter "Transformationsteams" nach Kairo und Tunis bekanntgegeben. Laut Rösler sollen die "Transformationsteams", die sich aus pensionierten deutschen Staatsbeamten rekrutieren, unter der Leitung des ehemaligen Wirtschaftsministers von Niedersachsen und Brandenburg, Walter Hirche, der ebenfalls der FDP angehört, die Ägypter und Tunesier bei der Gewährleistung des "freien Wettbewerbs" sowie beim Abbau von Subventionen und Bürokratie unterstützen. Die Website German-foreign-policy.com, die am 13. März über die (neo)liberale Transformationsinitiative von Rösler und Konsorten berichtete, erkannte darin den Wunsch, einerseits die Profite deutscher Unternehmen zu sichern wie andererseits den "ökonomischen Einfluss [Berlins - Anm. d. SB-Red.) in Nordafrika auszubauen".

Übersichtskarte des Berliner Messegeländes - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Karte - bei jeder Reise unerläßlich
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Vor diesem Hintergrund war vom kleinen Workshop, der nicht zufällig in einer abgelegenen Ecke des Berliner Messegeländes stattfand, keine allzu tiefe Auseinandersetzung mit dem modernen Tourismus zu erwarten, auch wenn sich Rauschelbach und die geladenen Gäste nicht davor scheuten, einige der negativsten Aspekte dieses Phänomens beim Namen zu nennen. Im Mittelpunkt ihrer Erörterungen stand die Frage, welche Auswirkungen der Tourismus in autoritären Staaten habe; ob er derlei Regime eher stabilisiere oder die betreffenden Länder doch zu einer Entwicklung in Richtung Demokratie und Rechtsstaat anstoße. Rauschelbach diskutierte diese Frage mit Dr. Wolfgang Aschauer von der Soziologischen Fakultät der Universität Salzburg, Tourismusberaterin und Myanmar-Expertin Nicole Häusler, Edith Kresta von der Redaktion Reisen und Interkulturelles bei der taz, Thomas Müller, Geschäftsführer von SKR Reisen und Mitglied vom forum anders reisen, dem Exiliraner und Wissenschaftler Dr. Peyman Javaher-Haghighi von der Universität Hildesheim sowie dem deutsch-ägyptischen Historiker und Autor Hamed Abdel-Samad.

Zu Beginn hielt Prof. Aschauer eine kurze Einführung unter dem Arbeitstitel "Chancen und Barrieren der künftigen Tourismusentwicklung in den Ländern des Mittleren Ostens und Nordafrikas". Der Soziologe, Psychologe und Kommunikationswissenschaftler, der sich auch der Europafoschung mit Schwerpunkt Einwanderung und Islamophobie widmet, hat vor einiger Zeit eine Dissertation über den "Tourismus im Schatten des Terrors - Eine vergleichende Analyse der Auswirkungen von Terroranschlägen" geschrieben. Im Mittelpunkt der Studie standen Bali, die Halbinsel Sinai und Spanien, die bekanntlich in den letzten Jahren von schweren Bombenanschlägen heimgesucht worden sind.

Dr. Auschauer hält einen Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Zu Beginn eine kleine wissenschaftliche Einführung
Foto: © 2012 by Schattenblick

Für den Zusammenhang zwischen politischer Unruhe und touristischer Nachfrage gibt es laut Aschauer vier Thesen. Tourismus kann auch in Staaten florieren, die autoritär regiert werden und wo die Opposition erfolgreich unterdrückt wird - Beispiel China. Erst wenn der Widerstand gegen diese Regierungsform in Gewalt umschlägt, macht sich das an der Anzahl der Touristen bemerkbar. Der einzelne Tourist hat weniger Angst vor der gewöhnlichen Kriminalität, denn dagegen glaubt er sich mittels entsprechender Vorsichtsmaßnahmen schützen zu können. Politische Gewalt und Unruhen erscheinen dagegen unberechenbar und schrecken deshalb viele potentielle Touristen ab. Die anhaltende politische Krise in Ägypten, die nur schleppende Demokratisierung und die Spannungen zwischen muslimischer Mehrheit und christlich-koptischer Minderheit dürften langfristig negative Folgen für den Tourismus dort haben. Der Konflikt um die besetzten Palästinenser-Gebiete sei ein gutes Beispiel für die negativen Auswirkungen auf den israelischen Tourismus.

Bleibt es bei einzelnen Aktionen der politischen Gewalt - wie bei den Anschlägen im tunesischen Djerba 2002, Bali 2002 und 2005 und Madrid 2004 - sind die Auswirkungen auf die touristische Nachfrage begrenzt. Nach etwa einem Jahr greift der "Vergessenseffekt". Kommt es jedoch zu wiederholten Gewaltausbrüchen, so läßt der Anstieg der Besucherzahlen auf sich warten. Beschränkt sich die politische Gewalt auf ein Land innerhalb einer bestimmten Region, so kann die sinkende touristische Nachfrage zum Aufschwung in den Nachbarländern führen. Ein verheerender Anschlag wie der vom 11. September 2001 in den USA kann zu einem Generalisierungseffekt führen, wo dann eine ganze Region von potentiellen Touristen erst einmal gemieden wird. Eine Rolle spielt dabei auch die kulturelle Distanz zwischen dem Abreiseland und dem touristischen Ziel.

Gruppenfoto der Podiumsteilnehmer von vorne - Foto: © 2012 by Schattenblick

Edith Kresta, Thomas Müller, Nicole Häusler, Peyman Javaher- Haghighi,
Hamed Abdel-Samad, Wolfgang Aschauer und Burghard Rauschelbach (v. l. n. r.)
Foto: © 2012 by Schattenblick

Für Aschauer wie auch für Abdel-Samad war es keine Überraschung, daß die Salafisten bei den jüngsten Parlamentswahlen in Ägypten in den Regionen am besten abgeschnitten haben, wo der Massentourismus blüht. Schließlich seien auf der Sinai-Halbinsel und am Nil touristische Oasen geschaffen worden, für deren Errichtung das Land der einheimischen Bevölkerung ohne Entschädigung zwangsenteignet wurde, deren Hotels in erster Linie Mittelschichtskindern aus Kairo und Alexandria Arbeitsplätze bieten und deren Einnahmen ausschließlich den Betreibern und dem ägyptischen Fiskus zugute kommen. Abdel-Samad erzählte eine Anekdote von einem strenggläubigen Theologiestudenten, der keinen Posten als Imam finden konnte und deshalb eine Stelle als Kellner in einem Hotel im Badeort Scharm-El-Scheich annahm, obwohl es ihm widerstrebte, dort jeden Abend Alkohol ausschenken zu müssen. Nach Ansicht von Abdel-Samad lehnen die Salafisten den Tourismus nicht prinzipiell ab, sondern möchten, daß auf die religiös-kulturellen Gepflogenheiten der Ägypter, die mit großer Mehrheit Muslime sind, Rücksicht genommen wird. Auch Aschauer vertrat die Meinung, daß schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht mit dem von der Boulevard-Presse aufgebauschten Bikini-Verbot in Ägypten und Tunesien zu rechnen ist.

Die taz-Journalistin Edith Kresta wußte Interessantes aus Tunesien zu berichten. Ihr zufolge blühe nach dem Sturz Ben Alis die Gesellschaft dort kulturell und politisch richtig auf und habe dadurch erst recht an touristischer Attraktivität gewonnen. Gleichwohl verwahrte sie sich gegen das Klischeebild der dekadenten Touristen aus dem Ausland und der sittsamen einheimischen Bevölkerung. Nach ihrer Erfahrung seien es gerade die wohlhabenden Tunesier, die an den Badeorten des Landes am ausschweifendsten feierten. Javaher-Haghighi meinte, dem Iran mit seinen zahlreichen Sehenswürdigkeiten stünde eine große Zukunft als touristisches Ziel bevor, auch wenn dazu eine Entspannung zwischen Teheran und dem Westen erforderlich sei.

Gruppenfoto der Podiumsteilnehmer von der Seite - Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Chance zu einer politischen Veränderung oder Liberalisierung infolge des Kontakts mit westlichen Touristen schätzen alle Podiumsteilnehmer als gering ein. Das Beispiel Ägypten zeige, daß der Massentourismus ein autoritäres Regime wie dasjenige Mubaraks eher stabilisiert als zur Öffnung zwingt. Nicole Häusler, die häufig in Myanmar unterwegs ist, meinte, die jüngste politische Öffnung dort hänge weniger mit der Einsicht in die Vorteile der Demokratie als mit dem Wunsch der Generäle zusammen, das Land aus seiner außenpolitischen Abhängigkeit von China zu lösen und sich dafür den USA zu nähern, um künftig eine Schaukelpolitik zwischen den beiden Supermächten betreiben zu können. Thomas Müller, der Myanmar wie auch die anderen Länder Südostasiens bestens kennt, stimmte dem zu. Die Tourismusbranche in Myanmar sei so wenig ausgebaut, daß ihre wirtschaftliche Bedeutung weit hinter der der Landwirtschaft sowie der Holz- und Bergbauindustrie liege, erklärte er.

Offizielles Plakate der ITB Berlin 2012 - Foto: © 2012 by Schattenblick

Steigt dem Westen seine technologische
Überlegenheit zum Kopf?
Foto: © 2012 by Schattenblick

Einig waren sich Rauschelbach und seine Gäste in ihrer Begeisterung für den sogenannten "sanften" Tourismus. Auf diese Weise könnten sich Touristen und Einheimische kennenlernen, mehr Geld würde in die Lokalökonomien fließen und kleinbetriebliche Strukturen und Kulturen am Leben erhalten. Gleichzeitig bestritten die Podiumsteilnehmer die Vorstellung, die Westler brächten den Menschen in Nordafrika und im Nahen Osten die Demokratie bei und traten statt dessen für einen kulturellen Austausch auf Augenhöhe ein, von dem beide Seiten profitieren könnten. Von Abdel-Samad zu erfahren, daß diese Art des Tourismus bereits vor dreißig, vierzig Jahren in Ägypten existierte, bevor sie während der Mubarak-Ära verdrängt urde, brachte eine gewisse Ernüchterung in die Runde. Des weiteren machte die von Aschauer erwähnte Aussicht, daß die Zahl der weltweiten Hotelübernachtungen 2013 erstmals die Rekordmarke von einer Milliarde überschreiten wird, die Alibi-Funktion des Workshops trotz der hehren Vorstellungen seiner Teilnehmer deutlich.

Innenansicht einer gut besuchten ITB-Messehalle - Foto: © 2012 by Schattenblic

Hektisches Treiben in einem von mehr als 20 Hallen der ITB Berlin
Foto: © 2012 by Schattenblick

20. März 2012