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BERICHT/143: Eine KP für alle - Aufbauarbeit in UK (SB)


Organisations- und Klassenfragen aus Sicht der CPGB

Veranstaltung am 31. Januar 2013 in Hamburg-Eimsbüttel



Auf Einladung der Assoziation Dämmerung waren am 31. Januar Genossinnen und Genossen der Communist Party of Great Britain (CPGB) in Hamburg zu Gast. Unter dem Motto "It's Class War! Für eine revolutionäre Perspektive" [1] gaben sie im Magda-Thürey-Zentrum Einblicke in Geschichte, aktuelle Verfaßtheit und Zielsetzung ihrer Partei wie auch der sozialistischen Linken in Britannien insgesamt. Wenngleich in Vortragsform konzipiert, zielte die Veranstaltung doch ausdrücklich darauf ab, Fragen aufzuwerfen und Diskussionsprozesse anzustoßen, wovon an diesem Abend von einem interessierten Publikum reger Gebrauch gemacht wurde. Gelebter Internationalismus bedeutete in diesem Zusammenhang nicht zuletzt, immer wieder Brücken zur Lage der Linken in Deutschland zu schlagen, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, aber auch spezifische Unterschiede kenntlich zu machen.

Flyer zur Veranstaltung mit der CPGB - Grafik: © Assoziation Dämmerung

Grafik: © Assoziation Dämmerung

Was alle Anwesenden verband, war das drängende Interesse, die notorisch zu nennende Schwäche der Linken in ihrer Genese zu entschlüsseln, fundierte Einschätzungen zu geben und Handhabe für eine künftige Positionierung zu schaffen. Wenngleich die politischen Herkünfte der Anwesenden durchaus unterschiedlich waren und traditionelle Unvereinbarkeiten zwangsläufig ihr Haupt erhoben, überwog doch bei weitem die Bereitschaft, Abgrenzungen aus dem Feld zu schlagen und in der inhaltlichen Diskussion eine tragfähige Basis gemeinsamer Einschätzungen und daraus abzuleitender Handlungskonsequenzen zu schaffen.

In ihrer Zersplitterung in zahlreiche kleine Fraktionen, Parteien und Organisationen erinnert die britische Linke von heute fatal an eine durchaus vergleichbare Aufspaltung des linken Lagers in der Bundesrepublik der 70er und frühen 80er Jahre. Wenngleich die Unterschiede in den jeweiligen Positionen mitunter kaum auszumachen sind, herrscht doch weithin eine gegenseitige Abgrenzung vor, die einer geschlossenen Handlungsfähigkeit allzu oft den Boden entzieht. Zwei wesentliche Unterschiede zur hiesigen Entwicklung stechen ins Auge. Zum einen ist in der Linken Britanniens der Trotzkismus die stärkste Strömung, der allerdings in zahlreiche kleine Gruppierungen aufgefächert ist. Dies ist historisch darauf zurückzuführen, daß Britannien nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichsweise liberal verfuhr und Kommunisten nicht verfolgte, weshalb sich dort viele trotzkistische Gruppen ansiedelten. Zum anderen haben in der Bundesrepublik die Grünen erhebliche Teile der sogenannten Bewegungslinken vereinnahmt und ins bürgerliche Lager rückgeführt, worauf später die Partei Die Linke den überwiegenden Teil des verbliebenen sozialistisch ausgerichteten Spektrums integrierte. Da vergleichbare Sammlungsprozesse in Britannien ausblieben, herrscht dort noch immer eine ausgeprägte Fraktionierung in eine Vielzahl zumeist sehr kleiner Gruppierungen vor.

Obgleich die Entwicklung der Linken in Britannien und Deutschland nicht identisch verlief, werden doch wesentliche Parallelen deutlich, die grundlegende Fragen und Konflikte der Arbeiterbewegung betreffen. So gleicht die Geschichte der 1920 gegründeten CPGB über weite Strecken jener Achterbahnfahrt, wie sie auch andere kommunistische Parteien vollzogen haben. Hoffte die Führung der jungen Sowjetunion anfangs auf ein Übergreifen der Revolution auf die Länder Europas, so erklärte die KPdSU nach deren Ausbleiben die Verteidigung und Absicherung der neuen Gesellschaftsordnung im eigenen Land zur obersten Priorität. Daraus erwuchs der klassische Streit im kommunistischen Lager zwischen dem "Sozialismus in einem Land" auf der einen und der sogenannten "permanenten Revolution" auf der anderen Seite. Während die Protagonisten eines real existierenden Sozialismus geltend machten, daß ohne die Existenz der Sowjetunion die Errungenschaften der Revolution verlorengingen und dem expandierenden Kapitalismus keine Grenzen gesetzt seien, wandten die zumeist trotzkistischen Kritiker ein, daß es Sozialismus in einem Land auf Dauer nicht geben könne. Zu politischen, ökonomischen und militärischen Angriffen von außen gesellten sich in der Sowjetunion Bürokratisierung, Repression und Ausbeutung der Arbeiter im Innern.

Die enge Ausrichtung auf die Führung in Moskau brachte es auch für die CPGB mit sich, daß zwischen 1929 und 1932 auf Geheiß Stalins die Sozialdemokraten als Sozialfaschisten gebrandmarkt wurden, mit denen man unter keinen Umständen zusammenarbeitete. Nach Beginn des NS-Regimes in Deutschland kam es zu einer regelrechten Kehrtwende, da nun im Rahmen der Volksfront gegen den Faschismus Bündnisse mit der Labour Party und selbst konservativen Fraktionen favorisiert wurden. Dies ging nach dem Einfall deutscher Truppen in die Sowjetunion 1941 so weit, daß die CPGB patriotisch und unkritisch die Kriegsanstrengungen der britischen Churchill-Regierung guthieß. Man verbot Parteimitgliedern, zum Streikmittel zu greifen; streikende Linke wurden als trotzkistische Agenten diskreditiert, und bei den Wahlen unterstützte man selbst konservative Kandidaten gegen die kriegskritische Independent Labour Party. In dieser Zeit erreichte CPGB mit ungefähr 60.000 Mitgliedern ihre zahlenmäßig größte Stärke, die dennoch gering im Vergleich zu den kommunistischen Parteien Frankreichs oder Italiens ausfiel.

Mit Hilfe Stalins wurde 1951 das neue Parteiprogramm "British Road to Socialism" verabschiedet, das einen parlamentarischen Weg zum Sozialismus vorzeichnete. Die Labour Party sollte dieser Vorstellung zufolge immer weiter nach links rücken, um schließlich im Parlament den Sozialismus in Britannien auszurufen. Diese Abkehr von einer gesellschaftlichen Umwälzung und Hinwendung zum Reformismus dürfte maßgeblich zum langsamen, aber sicheren Niedergang der CPGB beigetragen haben, die sich im Grunde dadurch selbst überflüssig machte. In den 70er und 80er Jahren begann der Mitgliederschwund, immer wieder spalteten sich kleine Gruppen ab. Man ging Bündnisse mit Gewerkschaftsführungen und anderen allenfalls reformistischen Gruppierungen ein, wobei man häufig den eigenen revolutionären Anspruch hintenanstellte und manchmal sogar versteckte. Im Jahr 1988 spaltete sich eine Fraktion ab, die das alte Parteiprogramm übernahm, sich seither Communist Party of Britain (CPB) nannte und den "Morning Star" herausgab. 1991 kam es schließlich zur offiziellen Auflösung der traditionellen CPGB, deren verbliebener Rest sich in Democratic Left umbenannte und zu einer Art Think Tank mutierte. Diese Demokratische Linke repräsentierte eine Variante des Eurokommunismus und schien froh zu sein, nach dem Ende der Sowjetunion den für überflüssig erachteten Kommunismus endgültig loszuwerden.

Die CPGB, deren Vertreter nach Hamburg gekommen waren und sich alle Mühe gaben, ihren Zuhörern einen gangbaren Weg durch den Dschungel der Namensgleichheiten und rivalisierenden Fraktionen zu bahnen, entstammt einer oppositionellen Strömung in der alten Partei. 1981 schlossen sich einige Genossen zusammen, die den Kampf innerhalb der Partei für sehr wichtig hielten und die Zeitung "The Leninist" ins Leben riefen, die sich gegen den aus ihrer Sicht prostalinistischen und reformistischen Kurs der Parteiführung stark machte. Die Zeitung sollte die innerparteilichen Kämpfe an die Öffentlichkeit bringen und zeigen, daß es wert sei, der Partei beizutreten und mitzukämpfen. Auf diese Weise gewann "The Leninist" auch außerhalb der Partei eine beträchtliche Leserschaft. Als die alte Partei 1991 aufgelöst wurde, beschlossen diese Genossen weiterzumachen. Sie nannten sich ihrerseits CPGB und gründeten die Zeitung "The Weekly Worker".

Ihrem Selbstverständnis zufolge muß eine kommunistische Partei im marxistischen Sinn einen wichtigen Teil der Arbeiterschaft repräsentieren, und dem entspreche momentan in Britannien keine Partei. Selbst die Socialist Workers Party (SWP) als derzeit größte Partei dieses Spektrums habe nicht mehr als rund 2000 eingetragene Mitglieder. Es gehe daher darum, Vorbereitungsarbeit zu leisten, indem man eine kritische Tradition weiterführt und all jenen widerspricht, die das Ende des Kommunismus gefeiert haben. Die Niederlage der UdSSR eröffne die Möglichkeit, die Vergangenheit aufzuarbeiten, einen Kommunismus ohne stalinistischen Hintergrund zu definieren und der internen wie externen Demokratie einen zentralen Stellenwert einzuräumen. Dem ZK immer Recht zu geben, Diskussionen nicht nach außen dringen zu lassen und Zerwürfnisse um jeden Preis zu verschleiern, münde unvermeidlich in ein rigides und verknöchertes Regime, das sich nicht weiterentwickeln und schon gar nicht die Arbeiterklasse befreien könne. Deshalb sei die CPGB demokratisch organisiert und fördere mit dem "Weekly Worker" interne wie externe Debatten und Kritik.

Die CPGB ist der Auffassung, daß der Sozialismus nicht in einem Putsch, sondern nur als Akt der Mehrheit herbeigeführt werden kann. Leider hätten sich die meisten Linken in Britannien auf die Vorstellung eines schrittweisen und automatischen Übergangs zum Sozialismus verlegt. Die CPGB glaube hingegen nicht an einen parlamentarischen Weg zum Sozialismus, doch könne eine erfolgreiche Revolution nur von der Mehrheit vollzogen werden, da sie andernfalls umgehend zermalmt würde. Man halte es mit den Chartisten, der weltweit ersten Arbeiterbewegung zwischen 1838 und 1848 in Britannien, die zum Thema Revolution gesagt haben, "peacefully if we can, forcefully if we must" - nicht weil man pazifistisch sei, sondern eine Mehrheit für unabdingbar halte. Zugleich müsse die Revolution von entsprechend ähnlichen Veränderungen in anderen Ländern begleitet werden. Wenngleich der Sozialismus natürlich nicht vielerorts gleichzeitig erreicht werden könne, sei doch eine internationale Koordination von großem Vorteil, um die Umwälzung zügig in mehreren Ländern herbeizuführen und sich gemeinsam gegen Angriffe von außen zur Wehr zu setzen.

Der historisch zu nennende Niedergang der Linken war nicht nur eine Folge der politischen, ökonomischen und militärischen Auseinandersetzungen im Zuge der Blockkonfrontation, sondern zugleich Resultat einer ideologischen Offensive, die die ehemals kommunistischen Parteien und Bewegungen von innen her zersetzte. Die Dämonisierung des Kommunismus und der Arbeiterklasse erfolgte unter beständigem Druck der Kapitalisten und ihrer Massenmedien, aber auch unter Beteiligung von erheblichen Teilen der Linken. Aus Sicht der CPGB, die sich als Teil der Arbeiterbewegung versteht, sind Arbeiter keineswegs besonders tugendhafte, ehrliche und gute Menschen, die zu nichts Schlimmem in der Lage wären. Gerade ein sehr eng gefaßtes Bild der Arbeiterklasse habe wesentlich dazu beigetragen, daß sich Teile der Linken von ihr distanzierten.

Chris Cutrone, Cheftheoretiker der US-amerikanischen Platypus Affiliated Society, zeichnete in seinem Text "Class Consciousness in the 21. Century" ein überaus düsteres Bild: "Anstelle von Arbeitern, die nichts außer ihren Ketten zu verlieren haben, so wie Marx es vorhergesehen hatte, schwingen die arbeitslosen Massen ihre Ketten als Waffen gegeneinander. Kultur-, Ethnizitäts- und Religionskonflikte haben den Kampf gegen den Kapitalismus ersetzt. Die Menschen halten sich an ihren Ketten fest, denn etwas anderes kennen sie nicht." So zutreffend diese Einschätzung auch sein mag, klingt in ihr doch eine Klage an, die die Ära des Klassenkampfs für unwiderruflich beendet erklärt. Dem hielten die Referenten entgegen, daß die Geschichte des Klassenkampfs niemals linear verlaufe, sondern eine des wechselweisen Vorstoßes und Rückzugs sei. Die Gruppe Platypus habe in den englischsprachigen Ländern einen zweifelhaften Ruf erlangt, weil sie mit zehnjähriger Verzögerung Texte der Antideutschen übersetzt und veröffentlicht hat. In den Augen der sogenannten Ideologiekritiker könne die Arbeiterklasse ihre Existenz nur noch durch Antisemitismus und Neonazismus affirmieren.

Die Antideutschen seien Experten in der Umschreibung der Geschichte und erklärten die NSDAP zu einer Arbeiterpartei und ihre Diktatur zu einer Ära des entfesselten Mobs. Die Volksgemeinschaft werde zu einer Masse ungebildeter, roher Proleten, die ihren Klassenneid und ihre nationale Demütigung an Sündenböcken ausleben. Diese Deutung ignoriere verschiedene fundierte Untersuchungen zur Wählerschaft der NSDAP, denen zufolge das Votum für die Nazis vor allem eine politische Antwort des Mittelstands auf die Gefahr war, die aus ihrer Sicht einerseits von den großen Konzernen und andererseits den Sozialdemokraten und Gewerkschaften sowie der hohen steuerlichen Belastung in der Weimarer Republik ausging. In der deutschen Linken schwingt zudem nicht selten die Dimitrow-These mit, wonach der Faschismus eine Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten und imperialistischsten Elemente des Finanzkapitals, also eine Militärdiktatur ohne Massenbasis gewesen sei. Die Antideutschen stellen die Dimitrow-These auf den Kopf und behaupten, daß die Arbeiter verantwortlich für den Nationalsozialismus gewesen seien. Auch Freerk Huisken kam in einem Interview mit dem "Weekly Worker" zu dem Schluß, daß es keinen Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Faschismus gegeben habe. Dabei blendet auch er aus, daß die Arbeiterschaft vor allem in den Großstädten in SPD und KPD organisiert war und bis zu den letzten freien Wahlen für diese beiden Parteien gestimmt hat. Nur dort, wo Massenorganisationen der Arbeiterbewegung fehlten, machte sich ein Klima der Hoffnungslosigkeit breit, das isolierte Teile der Arbeiterschaft anfällig für faschistische Politik machte.

In England und Deutschland kam Owen Jones' Buch "Chavs - The Demonisation of the Working Class" ("Prolls - Die Dämonisierung der Arbeiterklasse") gut an. So war es in der britischen linksliberalen Mittelschicht lange akzeptabel, die sozial ausgegrenzten Teile der Arbeiterklasse zu diskreditieren. Dabei bedient sich Jones einer soziologischen Terminologie, die eine Wertigkeit verschiedener Arbeitstätigkeiten als Trennung gesellschaftlicher Schichten zementiert. Hingegen faßt der Marxismus all jene als Arbeiter zusammen, die nicht über Produktionsmittel verfügen, also ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um zu überleben. Dazu gehören industrielle Proletarier wie auch Angestellte, und darüber hinaus auch Menschen, die über Sozialtransfers und Familieneinkommen von Lohnarbeit abhängig sind: Arbeitslose, Rentner, Hausfrauen, Arbeitsunfähige und Kinder.

Die Labour Party ist auch in der Opposition nicht nach links gerückt, sondern appelliert in einer Art Arbeiterklassenrhetorik an ihre Stammwählerschaft. Maurice Glasman konstruiert in seinem Projekt Blue Labour die Arbeiterklasse als ehrliche, grundsolide, stolze, aber auch wertkonservative, also für den Kapitalismus völlig ungefährliche Klasse, die darauf stolz ist, sich den herrschenden Verhältnissen zu fügen. Die Referenten legten dar, daß die Sozialdemokratie diese Verherrlichung des Arbeiters mit dem Stalinismus und Realsozialismus, aus anderen Gründen auch mit trotzkistischen und anarcho-syndikalistischen Strömungen teile, die sich fast exklusiv auf das Industrieproletariat beziehen. Dahinter stecke die Tragödie, daß sich die Revolution nicht auf dem europäischen Kontinent ausbreitete und die isolierte Sowjetunion ein rückständiges Land blieb. Sie wurde regiert von einer zunehmend bürokratischen Partei, die Arbeiterklasse war durch den Ersten Weltkrieg und den Bürgerkrieg stark dezimiert, und die Bauernschaft lehnte sich gegen das neue Regime auf. Der Arbeiter wurde als industrieller Motor der Produktivität verherrlicht, der Intellektuelle und Kosmopolit hingegen als prinzipiell unzuverlässiges Element verdächtigt.

Im Lager der Trotzkisten sehe es kaum besser aus. Dort erhebe man die Taktik des Generalstreiks zur revolutionären Strategie. Agitation aus dem Hintergrund für den Generalstreik, der angeblich zum Sozialismus führen kann, bleibe die Antwort schuldig, wie das funktionieren soll. Der Generalstreik mache als Taktik vor allem dann Sinn, wenn er von einer Partei der Arbeiterklasse unterstützt wird. Bei den großen Bergarbeiterstreiks der 80er Jahre waren die Streikenden fest in ihren Gemeinden verankert, die ihnen zur Seite standen und sie versorgten. Eine Verbindung zum gesamten britischen Proletariat konnte indessen nicht hergestellt werden, da die traditionelle CPGB längst eurokommunistisch geführt wurde und sich diversen sozialen Bewegungen zugewandt hatte.

Die Referenten der CPGB erklärten das Proletariat zur revolutionären Klasse, weil es von den Produktionsmitteln getrennt ist. Erforderlich seien Kämpfe einer bewußten Mehrheit, da sektorale Auseinandersetzungen nicht zwangsläufig positiv einzuschätzen seien. Man denke an die wilden Streiks von 2009 unter der Parole "British jobs for british workers!" Fehle es Arbeitern an sozialistischem Denken, würden sie allzu leicht zu Aristokraten, die jedes Interesse für den unorganisierten Arbeiter verlieren und oft in Gegensatz zu ihm treten, um ihren Vorteil zu monopolisieren. Daher könne die Gewerkschaftsbewegung trotz einer Stärkung einzelner Schichten eine Schwächung des gesamten Proletariats herbeiführen.

Arbeiterklasse sei insofern eine negative Kategorie, die es aufzuheben gelte, solange Arbeit als das Auszubeutende verabsolutiert wird. Dennoch erhält diese Klasse im Marxismus einen affirmativen Beiklang, sofern sie nicht als passive Klasse an sich, sondern als bewußte Klasse Macht für sich erlange, indem sie sich organisiert. Die Auffassung, sie existiere selbst als passive Klasse nicht mehr, tauchte in der Geschichte immer wieder auf. Angefangen von der Revisionismusdebatte um Bernstein bis hin zur Neuen Linken, die auf soziale Bewegungen, Identitätspolitik und diverse andere Formen "revolutionärer Ungeduld" setzte, ging die ausschließliche Ausrichtung auf aktuelle Entwicklungsverläufe und Kämpfe fast nahtlos in die vollständige Abkehr von der Klassenfrage über.

Eurokommunisten riefen den Postfordismus aus, dem zufolge die Arbeiterklasse zerstreut, zersplittert und in der Dienstleistungsgesellschaft aufgegangen sei. Heute ist anstelle der proletarischen Kollektivität vom Prekariat die Rede: Jobber, Teilzeitkräfte, Aushilfen, die angeblich nicht Teil des Proletariats sind. Wie die Referenten zu bedenken gaben, sei die Arbeiterklasse im Laufe ihrer Geschichte nur innerhalb kurzer Fristen nicht prekär gewesen. Vollbeschäftigung und Sozialstaat hätten nur in den 50er und 60er Jahren existiert. So heißt es im Kommunistischen Manifest: "Das Proletariat, die Klasse der Arbeiter, die nur solange leben, als sie Arbeit finden, und die nur solange Arbeit finden, als ihre Arbeit das Kapital vermehrt. Diese Arbeiter, die sich stückweise verkaufen müssen, sind eine Ware wie jeder andere Handelsartikel und daher allen Wechselfällen der Konkurrenz, allen Schwankungen des Marktes ausgesetzt." In Britannien ist der Begriff vom Prekariat vor allem von Guy Standing popularisiert worden, der von einer "neuen gefährlichen Klasse" spricht. Er will als Liberaler das Prekariat mit einer progressiven Agenda, die er "Politics of Paradise" nennt und die auch die Gewährleistung eines Grundeinkommens beinhaltet, in die bürgerliche Gesellschaft integrieren, damit es nicht extremistischer Politik verfällt.

Wie Lenin sagt, arbeite der Gegner stets mit einem Körnchen Wahrheit. Der Postfordismus hat eine atomisierte Arbeiterklasse hervorgebracht, die wieder prekär geworden ist. Das hat Folgen für das Klassenbewußtsein wie auch die Frage, wie sich die Linke organisieren könne. Notwendig sei eine Rückbesinnung auf die organisatorischen Stärken der Arbeiterparteien des späten 19. Jahrhunderts wie auch die Wiederherstellung der Einheit zwischen beschäftigten Arbeitern und Arbeitslosen, Jobbern, Hausfrauen und anderen Marginalisierten. Die Organisierung solle vorrangig in einer politischen Partei erfolgen, und zwar nicht nur am Ort der Produktion, sondern in den jeweiligen Gebieten und Stadtbezirken. Man arbeite heute überwiegend wie im späten 19. Jahrhundert an relativ kleinen Arbeitsplätzen und die Reservearmee der Arbeitslosen wachse. Trotz dieser niederdrückenden Ausgangslage hätten sich damals die Arbeiter organisiert, seien ihre Parteien stärker geworden, habe man die erste Internationale ins Leben gerufen. Die Fragmentierung führt also nicht zum Ende der Arbeiterklasse und schon gar nicht zum Ende der Geschichte, schlossen die Referenten den Vortrag.

Es konnte nicht ausbleiben, daß in der Diskussion eine Reihe von Widersprüchen zur Sprache kam. Manchen Zuhörern wollte nicht einleuchten, warum dem Kampf gegen die Monarchie und die anglikanische Kirche eine mehr als beiläufige Bedeutung beizumessen sei. Auch die von den britischen Gästen so positiv hervorgehobene Rolle der deutschen Linkspartei gefiel jenen am wenigsten, die mit der forcierten Sozialdemokratisierung dieser Partei am besten vertraut sind. Hoch ging es in der Debatte auch bei der Einschätzung der EU her, die entschiedene Kritiker für ein Projekt europäischer Eliten und führender Nationalstaaten erachteten, das für gegenteilige Zwecke in Anspruch zu nehmen folglich unmöglich sei. Und natürlich brach die traditionelle Kontroverse um den Sozialismus in einem Land wieder auf, wobei grundsätzlich die Frage nach der verbliebenen Relevanz dieses historischen Streits in den aktuellen Kämpfen und Bündnissen zu stellen ist.

Daß kontroverse Auffassungen der Debattierlust keinen Abbruch taten, war nicht zuletzt eine unmittelbare Folge der erfreulichen Offenheit und Diskussionsbereitschaft der britischen Genossinnen und Genossen. Die CPGB präsentierte sich klar in ihren Positionen und zugleich aufgeschlossen im Bemühen, ihre Überzeugungen zu vermitteln wie auch die Einschätzungen anderer zu verstehen. Als erklärte Vertreter einer internationalistischen revolutionären Linken standen die britischen Gäste für ihr programmatisches Vorhaben ein, übereinstimmende Interessen zusammenzuführen, ohne voneinander abweichende Standpunkte zu negieren.

Aufschrift auf dem Gedenkstein 'Workers of all lands, unite!' - Foto: ©mym [CC-BY-SA-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

Grabstätte des am 14. März 1883 in London verstorbenen Karl Marx auf dem Friedhof Highgate Foto: mym [CC-BY-SA-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons


Fußnote:

[1] http://www.assoziation-daemmerung.de/


18. Februar 2013