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BERICHT/145: Vorwärts und nicht vergessen ... (SB)


"Kultur und Widerstand von 1967 bis heute"

Ausstellung im Centro Sociale in Hamburg


Plakate an Leinen aufgehängt - Foto: © 2013 by Schattenblick

Zeitgeschichtliche Plakatkunst im Centro Sociale
Foto: © 2013 by Schattenblick

Geschichte schreibt die Deutungshoheit der Sieger gleichsam unumstößlich fest. Diese in den Rang objektiver Faktizität erhobene Interpretation erklärt reale Widerspruchslagen für nicht existent, indem sie die Position der Unterlegenen als unwert und delinquent stigmatisiert. Was heute die Gemüter erhitzt und unvergeßlich erscheint, rückt eine Generation später in so weite Ferne, als habe es nie existiert. Selbst wenn die Historie später reaktiviert wird, dient dies ausschließlich dem Zweck, Vergangenes je nach Interessenlage umzuschreiben und die Legendenbildung damit zu versiegeln. Daß die Geschichte selbst bewiesen habe, was richtig und falsch, vernünftig und irrational sei, ist das ultimative Dogma jener Gesellschaftsklasse, die ihre Vorherrschaft für selbstevident erklärt.

Plakat 'Peter Weiss Vietnam Diskurs' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Künstlerische Ästhetik und politischer Protest 1968
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Niederlagen der Vergangenheit zu beklagen, sich nostalgisch an der verlöschenden Glut damaliger Kämpfe zu wärmen oder die Wiederauferstehung früherer Auseinandersetzungen in einer besseren Zukunft zu erhoffen, hieße daher, sich der Übermacht der herrschenden Verhältnisse zu fügen und vergeblich auf eine Wiederkehr einstiger Widerstandspotentiale zu harren. Auch kann die Wahrheitsfindung nicht das Anliegen der Verlierer sein, hieße das doch, die jedem Konflikt zugrunde liegende Unvereinbarkeit mit den Positionen der Sieger zugunsten von Konzessionen preiszugeben, die nur in Richtung der Anpassung vollzogen werden können. Die nicht existierende Geschichte von unten muß ihrer Natur nach eine ganz andere sein, und sie zu schaffen, wirft Fragen auf, die keine Schnittfläche mit dominierenden Standpunkten haben. Wer der kodifizierten Historie nicht über den Weg traut, weil sie verschweigt, verleugnet und verdrängt, ist sicher gut beraten, nicht zuletzt die eigene Erinnerung in Zweifel zu ziehen und sie sorgsam nach Kontaminationen einer der Wahrheit verpflichteten Versöhnungsbereitschaft abzusuchen, die nicht nur vor den Schranken des Gerichts den Charakter unterwerfenden Zwangs aufweist.

Daß Geschichte von unten, so sie denn in den aktuellen Kämpfen erstritten wird, im vermeintlich Vergangenen ein Universum entschiedener Positionen und weitreichender theoretischer wie praktischer Diskussionen zu entdecken vermag, wenn die darin enthaltene streitbare Fragestellung weiterentwickelt wird, dürfte außer Frage stehen. Der Einwand, nichts sei so tot wie Geschichte, läßt sich freilich nicht allein auf dem Wege intellektueller Vermittlung ins Gegenteil verkehren. Nur im Zuge ungebrochener Auseinandersetzungen ist ein wirksamer Übertrag nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidbar.

Collage mit RAF-Mitgliedern - Foto: 2013 by Schattenblick

Mosaik der Erinnerungen
Foto: 2013 by Schattenblick

"Kultur und Widerstand seit 1967 bis heute" miteinander in Verbindung zu bringen und dem Vergessen nivellierender Geschichtsbetrachtung zu entreißen, ist das Anliegen der gleichnamigen Wanderausstellung, deren Auftaktveranstaltung am 16. März im Hamburger Centro Sociale stattfand. Organisiert vom "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" und "Gefangenen Info" steht sie im Zusammenhang mit dem "Tag des politischen Gefangenen" am 18. März. Eingebettet in die praktische Solidarität mit den Gefangenen und den Widerstand gegen Repression ist die Ausstellung keine Präsentation von Kunst im üblichen Sinn, welche die Ästhetik kommodifiziert und einem mehr oder minder betuchten Publikum zum Konsum und Erwerb anempfiehlt. Hier geht es vielmehr um die Geschichte widerständiger Menschen und Bewegungen, mithin um eine politisch engagierte Kultur, die wiedergewonnen und der heute vorherrschenden Eventkultur entgegengesetzt werden soll.

Plakat 1972 'Kunst ist Waffe' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Überkommenes Kunstverständnis?
Foto: © 2013 by Schattenblick

In der Ausstellung werden 140 politische Plakate, eine Sammlung von Aquarellen über ein Massaker an Palästinensern, das christliche Milizen 1976 im libanesischen Flüchtlingslager Tel al-Zaatar verübten, Acrylarbeiten zum Thema Gentrifizierung, Reproduktionen der Mosaike Paolo Neris zu den acht politischen Gefangenen aus der BRD, die das Gefängnis nicht überlebten, sowie Karikaturen und Pop Art ausgestellt und versteigert. Während der Ausstellung gibt es eine Veranstaltungsreihe zu den Themen Widerstand von Frauengruppen, Geschichte der RAF, Gentrifizierung und Widerstand, Anti-AKW-Bewegung, Häuserkampfbewegungen sowie Internationalismus gestern und heute. Die Ausstellung endet in Hamburg am 24. März und reist dann als Wanderausstellung nach Berlin, Stuttgart und Magdeburg. [1]

Plakat zur Zeitschrift 'radikal' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Autonome Presse im Fadenkreuz des Staates
Foto: © 2013 by Schattenblick

Daß die Solidarität mit politischen Gefangenen integraler Bestandteil aller revolutionären und sozialen Kämpfe auch über nationale Grenzen hinweg sein sollte, gebietet die weltweit verschärfte Ausbeutung und Repression. Nach Maßgabe etatistischer Doktrin, die demokratische Verfaßtheit und Rechtsstaatlichkeit für sich in Anspruch nimmt, kann es in ihrem Dunstkreis keine politischen Gefangenen, sondern nur in einem Gerichtsverfahren rechtmäßig verurteilte Straftäter geben. Was immer an Hochsicherheit und Isolation an den Gefangenen exerziert wird, firmiert nicht unter Verfolgung widerständiger Gesinnung und Praxis, sondern wird als strafrechtlich relevanter Angriff auf die geltende Ordnung diskreditiert und sanktioniert. So werden die Gefangenen physisch und ideologisch ausgegrenzt, um sie aus der Gesellschaft zu entfernen und ihren Kampf aus dem Bewußtsein der Menschen zu löschen. Um so mehr benötigen die politischen Gefangenen Unterstützung, welche die staatlich verordnete Isolation durchbricht, ihnen den Rücken stärkt und eine Kommunikation mit den Bewegungen außerhalb der Gefängnismauern ermöglicht wie auch Aufklärungsarbeit über ihre Situation leistet.

Plakat 'Get out of Control' - Foto: 2013 by Schattenblick

Antirepressionsarbeit tut not
Foto: 2013 by Schattenblick

Im Kontext der Repression gegen Linke spielen Organisierungsdelikte eine zentrale Rolle, bei denen weder eine sogenannte konkrete Tat noch eine sogenannte illegale Handlung nachgewiesen werden muß. Vielmehr reicht die Zugehörigkeit zu einer Gruppierung aus, die entweder als kriminell oder als terroristisch eingestuft wird, wobei diese Zuweisung von geheimen Gremien der EU oder vom Bundesjustizministerium administriert wird. In diesem Zusammenhang kommt unter anderem der §129b zur Anwendung, der sich auf Mitgliedschaft, Unterstützung oder Werbung hinsichtlich einer terroristischen Vereinigung im Ausland bezieht.

Im Jahr 2008 begann der erste §129b-Prozeß in Stuttgart-Stammheim gegen fünf migrantische Linke, denen die Mitgliedschaft in der DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) vorgeworfen wurde. Mitte 2010 wurden dann die letzten dieser fünf Angeklagten zu Haftstrafen bis zu mehr als fünf Jahren verurteilt. Dieser Pilotprozeß bildete die Grundlage für nachfolgende Verfahren. Das zweite §129b-Verfahren in Düsseldorf richtete sich gegen Nurhan Erdem, Ahmet Istanbullu und Cengiz Oban. Alle drei wurden verurteilt, Nurhan Erdem zu sechs Jahren und neun Monaten. Geahndet wurden unter anderem Vereinstätigkeiten wie Veranstaltungen zur Lage der Gefangenen und die Organisation von Konzerten. Schon der Umstand, derartige politische Aktivitäten mit einer Organisation wie der DHKP-C in Verbindung zu bringen, offenbart die eigentliche Stoßrichtung dieses Gesinnungsparagraphen.

Plakat zum Todestag Ulrike Meinhofs - Foto: 2013 by Schattenblick

Unabgeschlossenes ...
Foto: 2013 by Schattenblick

Das dritte Verfahren richtete sich gegen Faruk Ereren. Zwar wurde im Laufe des Prozesses der §129b fallengelassen, doch verurteilten die Richter Ereren aufgrund von Aussagen, die höchstwahrscheinlich unter Folter in der Türkei zustande gekommen waren, zu lebenslanger Haft. Angeblich soll er die Verantwortung für den Tod zweier Polizisten in Istanbul im Jahre 1993 tragen. In einem weiteren Düsseldorfer Prozeß wurde unter anderem Sadi Özpolat Anfang 2012 zu sechs Jahren Haft verurteilt, der in der Türkei insgesamt 17 Jahre im Gefängnis verbracht hatte. Er nahm 1996 am Todesfasten teil und war Sprecher der hungerstreikenden Gefangenen.

Häufig basieren die Anklagen auf Foltergeständnissen aus der Türkei, wobei die Staatsschutzsenate unter dem Strich keine Probleme damit zu haben scheinen, "Früchte vom vergifteten Baum", wie es der Stellvertretende Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum einmal ausdrückte, prozessual zu verwerten. Inzwischen sind rund 20 Migrantinnen und Migranten auf Grundlage dieses Paragraphen angeklagt und zu Haftstrafen verurteilt worden. In Berlin läuft gegenwärtig ein Verfahren nach §129b gegen Gülaferit Ünsal, der man vorwirft, Mitglied in der DHKP-C gewesen zu sein. Mit Hilfe dieses Vorwurfs erreichte die Bundesrepublik ihre Auslieferung aus Griechenland und macht ihr seit Juli 2012 den Prozeß.

Gedenkplakat für Sehit Ronahi - Andrea Wolf - Foto: 2013 by Schattenblick

Kurdischer Internationalismus
Foto: 2013 by Schattenblick

Ins Fadenkreuz des §129b werden in jüngerer Zeit vor allem Kurdinnen und Kurden genommen. So befinden sich derzeit vier kurdische Aktivistinnen und Aktivisten in Haft. Seit Oktober 2010 gilt die PKK nicht mehr als kriminelle, sondern als terroristische Vereinigung. Am 13. August begann vor dem OLG Hamburg das Verfahren gegen den kurdischen Politiker und Aktivisten Ali Ihsan Kitay. Ferner sind Ridvan Ö. und Mehmet A. in der JVA Stammheim inhaftiert, wo ihnen seit September 2012 der Prozeß gemacht wird. Anfang November wurde Metin Aydin unter demselben Vorwurf, obgleich er sich in einem Hunger- und Durststreik befand, aus der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert. Er soll von Mai 2007 bis September 2008 als Mitglied der PKK aktiv gewesen sein.

Insbesondere türkische und kurdische Aktivistinnen und Aktivisten werden in der Bundesrepublik wegen ihrer politischen Arbeit verhaftet und in Isolationshaft gesteckt. Dabei dient die länderübergreifende Verfolgung politischer Oppositioneller aus der Türkei nicht nur den Interessen des türkischen Staates, sondern ist zugleich der Zusammenarbeit zwischen der Türkei und den EU-Staaten sowie den USA geschuldet. Aufgrund ihrer strategischen Lage ist die Türkei ein wichtiger Partner der NATO. Daß die Bundesrepublik in diesem Zusammenhang eine exponierte Rolle einnimmt und sich zu einem Vorreiter der internationalen Aufstandsbekämpfung aufgeschwungen hat, dokumentieren nicht zuletzt die erzwungenen Auslieferungen von Gülaferit Ünsal und Metin Aydin wie auch die fortgesetzte Verfolgung und Verurteilung linker Aktivistinnen und Aktivisten aus der Türkei und Kurdistan.

Für Strafverfolgungsbehörden nach wie vor ein rotes Tuch
Foto: 2013 by Schattenblick

Das enge Beziehungsgeflecht zwischen Justiz und Politik verdeutlicht auch der Fall Sonja Suder und Christian Gauger, der seit dem 21. September 2012 vor der 22. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main verhandelt wird. Trotz ihres hohen Alters - Suder ist 80, Gauger 72 Jahre alt -, müssen sich die beiden vor Gericht verantworten. Die Anklage lautet auf Brand- und Sprengstoffanschläge aus den Jahren 1977 und 1978 auf zwei Firmengebäude sowie das Heidelberger Schloß. Die Anklagevertretung wirft Suder ferner Mittäterschaft am OPEC-Attentat in Wien 1975 sowie Beihilfe zum Mord in drei Fällen vor. Dabei stützt sich die Staatsanwaltschaft auf die maroden Pfeiler unter folterähnlichen Verhörmethoden erpreßter Aussagen sowie auf die widersprüchlichen Einlassungen eines Kronzeugen. Im Hintergrund der Anklage steht, daß Suder und Gauger die ihnen vorgeworfenen Straftaten als mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen begangen haben sollen.

Plakat zu Vietnam-Veranstaltung 1973 - Foto: 2013 by Schattenblick

Mobilisierungsfokus Vietnamkrieg
Foto: 2013 by Schattenblick

In den USA werden emanzipatorische politische Bewegungen schon seit Jahrzehnten kriminalisiert. So hat jede größere soziale Bewegung seit den sechziger Jahren massive Repressionen erfahren. Mumia Abu-Jamal ist der wohl bekannteste, zugleich jedoch nur einer von etlichen politischen Langzeitgefangenen in US-Gefängnissen. Viele dieser Gefangenen sitzen bis heute stellvertretend für ihre Generation, die es wagte, sich gegen die herrschenden Verhältnisse aufzulehnen. In den sechziger Jahren wurde der Imperialismus und die von der Ausbeutung Lateinamerikas, Afrikas und Asiens profitierende US-amerikanische Gesellschaft weithin in Frage gestellt. In den USA bildeten sich parallel dazu zahlreiche Bewegungen, die den staatstragenden Rassismus bekämpften. Die einflußreichste dieser Bewegungen war die Black Panther Party (BPP). Im Gefolge der damaligen Kämpfe sitzen noch heute zahlreiche Menschen im Gefängnis. Die meisten von ihnen wurden ohne jeden Schuldbeweis verurteilt und werden bis heute allein wegen ihrer politischen Überzeugungen festgehalten. Die hohe Zahl inhaftierter ehemaliger Mitglieder der Black Panther Party und Black Liberation Army beruht darauf, daß viele von ihnen vergleichsweise geringe Strafen erhielten, später jedoch weiter kriminalisiert wurden, so daß die meisten derzeit keine realistische Aussicht auf Freilassung haben. In fast allen Verfahren gegen politische Gefangene jener Zeit ging es um den Vorwurf des "Polizistenmords". Natürlich haben Gefangene auch geltende Gesetze gebrochen, da ihr Kampf um Befreiung nicht anders möglich war. Dabei fällt auf, daß diejenigen, die weiterhin an ihren politischen Überzeugungen festhielten, zumeist mehrfach lebenslänglich erhielten, während andere nach langer Haftzeit noch Chancen auf ein kurzes Leben in Freiheit haben.

Zu den international bekanntesten Langzeitgefangenen gehört der Aktivist des American Indian Movement (AIM), Leonard Peltier. Er befindet sich seit 1976 in Haft, obwohl die zahlreichen Widersprüche bei der Beweisführung der ihm zur Last gelegten Ermordung zweier Polizisten niemals ausgeräumt wurden. Peltier hätte 2009 begnadigt werden können, doch entschied der Begnadigungsausschuß dagegen. Die Bewegung zu seiner Freilassung umfaßt zahlreiche bekannte Künstler und Politiker in aller Welt, zudem war seine Verfolgung Gegenstand mehrerer Filme, ist sein Schicksal doch nicht von den bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen im Pine-Ridge-Reservat zu lösen, bei denen sich das FBI auf die Seite einer korrupten Stammesregierung schlug. Obgleich der inzwischen 69 Jahre alte Peltier schwer krank ist, wird er im Gefängnis immer wieder verschärften Strafmaßnahmen unterworfen.

Plakat 'Free Mumia' - Foto: 2013 by Schattenblick

Freiheit für Langzeitgefangene in den USA
Foto: 2013 by Schattenblick

Ähnliche Schicksale erlitten seit den siebziger Jahren viele Gefangene der Puertoricanischen Befreiungsbewegung, der MOVE Organisation und seit den achtziger Jahren auch vereinzelt Aktivistinnen und Aktivisten aus anarchistischen Kreisen. Der Fall der Cuban 5, die in Miami exilkubanische Zellen infiltriert hatten, um Bombenanschläge auf kubanische Passagiermaschinen und andere Attentate zu verhindern, und im Gegenzug von der Justiz wegen angeblicher Spionagetätigkeit verurteilt wurden, ruft bis heute weit über die USA hinaus Empörung hervor. Lange Haftstrafen erhalten in jüngerer Zeit auch Aktivistinnen und Aktivisten der radikalen Umwelt-, Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung, die in den USA als "Terroristen" verfolgt und sanktioniert werden.

Grundlage solcher Verurteilungen sind geheimdienstliche Methoden, wie sie das FBI seit den fünfziger Jahren im Rahmen des sogenannten Counter Intelligence Programme anwendet, um radikale Oppositionsbewegungen zu spalten, zu isolieren und schließlich zu zerschlagen. Erst als sich das Programm, das sogar politische Morde einschloß, im Jahr 1975 nicht mehr verheimlichen ließ, wurde es offiziell beendet. Seine Methodik ging jedoch vom FBI in die gängige Polizeiarbeit über und führte schließlich unter Präsident George W. Bush zum Patriot Act, der ganze Politikfelder als "Terrorismus" brandmarkt. Aufgrund dessen müssen Verfolgungsbehörden nicht mehr konkrete Straftaten nachweisen, sondern können bereits die mutmaßliche Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder Organisationen unter Anklage stellen. Der Sondergerichtsbarkeit sogenannter Grand Juries sind die Vorgeladenen ohne die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, nahezu schutzlos ausgeliefert.

Plakat gegen Abschiebungen - Foto: 2013 by Schattenblick

Die endlose Geschichte deutscher Abschiebungspraxis
Foto: 2013 by Schattenblick

Ein weithin ausgeblendetes Feld staatlicher und supranational organisierter Repression ist die Abschottung der Europäischen Union gegen Flüchtlingsströme, um in Not geratene Menschen als unerwünschte Migranten an den Grenzen abzuweisen oder zu inhaftieren. Derzeit verhandelt die EU-Kommission mit der libyschen Regierung über eine polizeiliche und militärische Zusammenarbeit als präventive Maßnahme gegen zukünftige Konflikte und Katastrophen. Die Sprachregelung läßt darauf schließen, daß das nordafrikanische Land in die "Gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik" der EU eingebunden werden soll. Durch den Ausbau des Polizeiapparats soll die libyische Regierung befähigt werden, verstärkt gegen "organisierte Kriminalität, Schmuggel und Terrorismus" vorzugehen, wobei besonderer Wert auf erkennungsdienstliche Datensammlungen und den Austausch von Informationen gelegt wird. Erklärtes Ziel ist, Libyen in eine "internationale Polizeigemeinschaft" einzubinden, sowie der Anschluß des Landes an das Zentralbüro der Polizeiorganisation Interpol. Geplant ist überdies eine Mission zur "Krisenreaktion" an der libyschen Grenze zur Sahara.

Libyen ist zudem der erste nordafrikanische Partner der Überwachungsplattform "Seahorse Mediterraneo", die polizeiliche und militärische Aufklärungsdaten über das Mittelmeer zusammenführt. An diesem Projekt sind vorrangig jene EU-Mitgliedstaaten mit einer Außengrenze zum Mittelmeer interessiert. "Seahorse Mediterraneo" soll in das künftige EU-Grenzüberwachungssystem EUROSUR integriert werden, als deren Zentrale die EU-Migrationspolizei FRONTEX mit Sitz in Warschau fungiert. Eigentlich will man auch Algerien, Ägypten und Tunesien in die Überwachungsplattform integrieren, doch haben sich diese Staaten bislang erfolgreich dagegen zur Wehr gesetzt. Nun wird der Druck insbesondere auf Tunesien erhöht, um neben Libyen weitere Länder des arabischen Frühlings zum Vorposten der Festung Europa gegen eine unkontrollierte Migration auszubauen.

Wenngleich in den Verhandlungen zur polizeilichen Zusammenarbeit gelegentlich die Formulierung auftaucht, daß sich die Maßnahmen am Katalog der Menschenrechte orientieren müßten, fehlt bislang jegliche Konkretisierung, so daß man nicht einmal von einem obligatorischen Feigenblatt sprechen kann. Menschenrechtsorganisationen berichten im Falle Libyens über regelrechte Hetzjagden auf Migranten aus zentralafrikanischen Ländern. Da Libyen über kein Asylsystem verfügt, werden Flüchtlinge in staatlichen Gefängnissen festgehalten, aus denen immer wieder von Folter und schweren Mißhandlungen berichtet wird.

Plakat für PLO-Veranstaltung - Foto: 2013 by Schattenblick

Zeitspuren eines lange währenden Konflikts
Foto: 2013 by Schattenblick

Es mangelt also nicht an Anlässen, die Instrumentalisierung der Justiz für politische Zwecke gestern wie heute zum Thema kritischer Debatten zu machen. Zu unterstellen, die Betroffenen wären selber für ihre desolate Situation verantwortlich und bedürften in ihrer bedrängten Lage nicht der Unterstützung und Solidarität, hieße, letzte Bastionen demokratischer und menschenrechtlicher Garantien zu räumen und einer sich herrschender Machtverhältnisse bedienenden Willkür ausgeliefert zu sein, die sich keineswegs nur auf politisch aktive Menschen beschränken muß. Wie der Niedergang rechtsstaatlicher Normen und Praktiken nicht erst, aber insbesondere seit den Anschlägen des 11. September 2001 bewiesen hat, unterliegen Rechtsprechung und Strafjustiz stets dem Einfluß mächtiger Interessen, die die Regeln in ihrem Sinne zu Lasten derjenigen verändern wollen, die ohnehin keine Stimme haben, um sich vernehmlich artikulieren zu können. Das gilt nicht nur für den Bereich des linken, libertären und sozialrevolutionären Aktivismus, sondern auch für die Vielzahl von Verfahren, in denen soziale Rechte für Erwerbslose und Rentner, für Wohnungslose und Mieter, für Lohnabhängige und Flüchtlinge eingeklagt werden.

Versteigerung eines Plakates zur Anti-Castor-Mobilisierung - Foto: © 2013 by Schattenblick

Castorenwiderstand in den richtigen Händen
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die schon am ersten Tag der Ausstellung einsetzende Versteigerung der präsentierten Exponate war denn auch alles andere als ein Anlaß, die Wertsteigerung auf dem Kunstmarkt zu befeuern. Die zum Teil über 40 Jahre alten Plakate, die aus dem Bestand des Hamburger Archivs der Sozialen Bewegungen stammen, wären zweifellos ein Vielfaches der kaum über zehn Euro hinausgehenden Gebote, die als kleiner Soli-Beitrag für die veranstaltenden Organisationen gedacht sind, wert gewesen, wenn man sie nach den Maßstäben ihrer historischen und dokumentarischen Bedeutung wie der gestalterischen und künstlerischen Ausdruckskraft ihrer Urheber taxiert hätte. So konnten sich die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung freuen, ein Stück lebendige Zeitgeschichte mit nach Hause zu nehmen, wo es gleichsam als optisches und ästhetisches Memento daran erinnert, niemals zu vergessen und niemals aufzugeben.

Flyer der Ausstellung - Grafik: Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen Hamburg

Grafik: Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen Hamburg


Fußnoten:

[1] http://www.centrosociale.de/node/17734

22. März 2013