Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REPORT

BERICHT/165: Herrschaft in der Krise - Wo steht der Feind? (SB)


Drängende Widerspruchslagen verlangen nach streitbarer Positionierung

Auftaktveranstaltung am 4. Oktober in Hamburg-St.Georg



Die Wiederentdeckung des Antifaschismus durch wachsende Teile der westdeutschen Linken seit den 1970er Jahren war nur dem Schein nach ein Brückenschlag zu der weithin verlorengegangenen Geschichte des kommunistischen Widerstands im Nationalsozialismus wie auch in der frühen Bundesrepublik. Nicht von ungefähr fiel das Aufblühen des neuen Antifaschismus zeitlich mit einer wachsenden Militanz radikaler Fraktionen der Linken zusammen, die den wechselwirkenden Komplex kapitalistischer Verwertung und repressiver Staatlichkeit in seiner Gesamtheit von Befriedung im Innern und imperialistischer Expansion in Südostasien, Lateinamerika und Afrika erfaßten. Der Vietnamkrieg, die Interventionen gegen Befreiungsbewegungen und die Etablierung von Diktaturen durch die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten standen in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem auf überlegener Waffengewalt und hochindustrieller Produktionsweise gegründeten Wohlstand der Metropolengesellschaften, der seinerseits immer deutlicher krisenbedingte Risse erkennen ließ. Wenngleich die theoretische wie praktische Zuspitzung des Kampfes gegen die herrschenden Verhältnisse nur von einer Minderheit vorangetrieben wurde, erfreute sich diese doch beträchtlicher Unterstützung und weit darüber hinaus solidarischer Sympathie in weiten Kreisen der Linken.

Der rasante Ausbau des Polizeistaats im Deutschen Herbst war die äußerlich sichtbare Demonstration und Exekution wirkmächtiger Herrschaftssicherung. Mit ihr ging eine Zersetzung der Linken von innen heraus einher, die ihrer Natur nach weitaus schwerer zu identifizieren und konfrontieren war, weil sie in der Camouflage bewegungseigener Diskussionsprozesse, Kontroversen und Entwicklungsschübe wirksam wurde. Wie eine entsprechende Quellenforschung belegen konnte, stand die subversive Aussteuerung kommunistischer Parteien und linker Bewegungen in Westeuropa schon vor Beginn der unmittelbaren Konfrontation der Gesellschaftssysteme auf der Agenda westlicher Strategen. Daß auch die bundesdeutsche Linke namentlich in ihren radikaleren Fraktionen von Akteuren gegenläufiger Provenienz durchsetzt war oder zumindest infiltriert werden sollte, steht außer Frage.

Es wäre dennoch zu kurz gegriffen, die Spaltung, Zersplitterung und dramatische Schwächung der Linken allein auf derartige Konterstrategien zurückzuführen. Wenngleich Herrschaft auf der Verfügung über Macht- und Zwangsmittel aller Art gründet, bedarf sie als Entwurf dauerhafter Vorteilsnahme weniger Personen zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung zwangsläufig der Beteiligung der Unterworfenen an ihrer Beherrschbarkeit. Opportunismus und Anpassungsbereitschaft sind weder Ausnahmeerscheinungen noch aufgezwungene Wesensmerkmale, sondern die Ultima ratio menschlicher Natur, wenn es gilt, die eigene Haut zu retten. Das traf auch für die westdeutsche Linke zu, als sie im Zuge ihrer Radikalisierung Grenzen zu überschreiten begann, jenseits derer man sich die Finger verbrennt und Schlimmeres zu erleiden droht. Man könnte daher das Zurückweichen und die Auflösung der Linken als eine Immunreaktion bezeichnen, die vordem gesetzte Ziele und geführte Kämpfe nicht nur preisgab, sondern im Zuge einer ideologischen Umdeutung für falsch erklärte.

Der daraus in seiner antagonistischen Positionierung geschwächt hervorgehende Antifaschismus erwies sich als ein zentraler Wirkmechanismus zur Spaltung, Entsolidarisierung und Verbürgerlichung der Linken, indem er die Konfrontation mit den herrschenden Verhältnissen zu relativieren und aufzuweichen begann. In einer Phase der Auseinandersetzungen, in der der Staat mit Unterstützung aller im Bundestag vertretenen Parteien, der Konzernpresse und zahlreicher Verbände, Institutionen und Organisationen einer radikalen Linken unverhohlen die Zähne zeigte, mit der Eröffnung eines neuen Kampffeldes das Bündnis mit zuvor als reformistisch kritisierten Kräften zu suchen, kam mehr als nur einer Kapitulation gleich. Dieser strategische Winkelzug öffnete gleichsam ein gewaltiges Schleusentor, wodurch die vor den Konsequenzen ihrer eigenen Radikalisierung zurückschreckende Bewegung in ruhigere, da konsensfähigere Gewässer segeln konnte. Schärfste Repression gegen kleine Fraktionen und ihre Isolierung von der übrigen Linken paarte sich mit alternativen Lösungswegen, die den Druck aus dem Kessel eskalierender gesellschaftlicher Auseinandersetzungen nahmen.

Bald strebten Antifaschisten und Antiimperialisten, so nahe sie einander als Linke zu stehen schienen, diametral auseinander. Erstere fanden tausend Gründe, warum es verfehlt und kontraproduktiv sei, radikalen Formen des Widerstands den Zuschlag zu geben oder sich auch nur mit ihnen zu solidarisieren. Weder sei die Zeit reif, die Massenbasis geschaffen, noch das Bewußtsein der Bundesbürger entwickelt. Zudem lieferten militante Aktionen dem Staat nur Vorwände, die Repression zu verschärfen. Vordringlich sei, eine weitere Rechtsentwicklung der Gesellschaft zu verhindern, wofür man ein breites Bündnis mit bürgerlichen Parteien und Organisationen schließen müsse. Was in Gestalt einer Strategiedebatte vorgetragen wurde, lief auf die fatale Einschätzung hinaus, daß die Verhältnisse so schlimm denn doch nicht seien. Viel schlimmer sei der Faschismus, gegen dessen Wiederkehr man sich zuerst und vor allem wappnen müsse. Dieser ideologische Schwenk erlaubte es zahllosen Linken, in den Schoß der Gesellschaft zurückzukehren und fortan Reformismus in zahllosen Varianten zu predigen und zu praktizieren, die der eigenen Gesundheit, Gemütsverfassung und Karriere weit zuträglicher erschienen, als jene Ängste, Zweifel und Gefahrenlagen, die nunmehr als Jugendsünden bilanziert wurden.

Für die antiimperialistischen Fraktionen hingegen sah es düster aus. Ihre Zahl nahm dramatisch ab, und von ihren Positionen, die vordem als Gemeingut der in den 60er Jahren neuformierten Linken gegolten hatten, wollte bald kaum noch jemand etwas wissen. Sie hatten die Deutungshoheit in Kreisen all jener verloren, die sich von revolutionärem Streben verabschiedeten und Emanzipation mit Spielarten gesellschaftlichen Auskommens in legitimen Bahnen assoziierten. Wer aus der Niederlage nicht den Schluß zog, entschiedener Streitbarkeit abzuschwören und sich dem Machbaren zu überantworten, wurde als unbelehrbar, rückwärtsgewandt und anachronistisch diskreditiert. Den Fortschritt reklamierten die Protagonisten eines Antifaschismus für sich, die diesen ganz im Sinne der herrschenden Doktrin gleichermaßen gegen linke und rechte "Extremisten" wie Gesellschaftssysteme in Stellung brachten.

Dieser neue Antifaschismus ist mithin vom historischen Antifaschismus der Arbeiterbewegung grundsätzlich zu unterscheiden, okkupiert er doch dessen Begrifflichkeit zum Zweck einer Einhegung der Linken, der mit diesem Manöver die radikalen Zähne gezogen werden sollen. Daraus folgt zum einen, daß der Faschismusbegriff als solcher hinterfragt werden muß, um den in diesem Kontext produzierten Nebel zu lichten. Zum andern gilt es, die drängende Frage zu präzisieren, ob der aus der historischen Rückschau gewonnene Faschismusbegriff die längst greifenden Strategien und Mechanismen künftiger Herrschaftssicherung zu erfassen vermag. Die Krise des Kapitalismus läutet nicht das Ende der Herrschaft ein, deren Protagonisten den drohenden Zusammenbruch des aktuellen Verwertungsregimes mit allen ihnen gebotenen Mitteln hinauszögern, um die nächsthöhere Stufe innovativer Verfügung in Stellung zu bringen.

Die Veranstaltungsreihe "Bürgerliche Herrschaft in der Krise" [1], die am 4. Oktober mit einer Podiumsdiskussion eröffnet wurde, verspricht daher, einer ebenso spannenden wie fruchtbaren Auseinandersetzung Raum zu geben. Nicht nur gilt es dabei zu erörtern und zu analysieren, in welchem Bezug die verschiedenen Phänomene repressiver Zugriffsgewalt zueinander stehen und welche Stoßrichtung der Herrschaftssicherung daraus abzuleiten ist. Auch was die Krise der Linken betrifft, dürften dabei Fragen zu präzisieren sein, die sich um das Konzept des neuen Antifaschismus ranken und geeignet sein könnten, dessen Fessel zu sprengen.

Podium mit Veranstaltungsbanner - Foto: © 2013 by Schattenblick

Vor dem Beginn einer produktiven Veranstaltungsreihe
Foto: © 2013 by Schattenblick


"Eine Herausforderung für die antifaschistische Bewegung?"

Die erste Hamburger Veranstaltungsreihe "Kapitalismus in der Krise" im vergangenen Jahr befaßte sich insbesondere mit der marxistischen Krisentheorie und der Kritik systemkonformer Erklärungsansätze wie auch weiteren Schwerpunkten im Kontext der krisenhaften Entwicklung in verschiedenen Sphären. Daran anknüpfend soll es in den dreizehn Veranstaltungen der diesjährigen Reihe von Anfang Oktober bis Mitte Dezember, die von elf Organisationen getragen ist, darum gehen, sich mit den staats-, kriegs- und machtpolitischen Folgen der Krise nach innen und außen zu befassen. Da die Analyse der wirtschaftlichen Erscheinungsformen nicht ausreicht, um den Charakter der Krise zu entschlüsseln, soll die Perspektive auf die Herrschaftsverhältnisse erweitert werden. Vieles deute darauf hin, daß sich die Krise des Kapitalismus in autoritären Formen bürgerlicher Herrschaft verdichtet. Da die Thematik an der Grundsatzfrage aufgezäumt ist, ob die bürgerliche Herrschaft in Zeiten der Krise wiederum einen Ausweg im Faschismus sucht, ist sie enger als jene im Vorjahr gefaßt. Das dürfte eine angeregte und kritische Diskussion unter breiter Beteiligung aller Anwesenden begünstigen, wie sie nun einmal das Salz in der Suppe jeder noch so gehaltvollen Vortragsreihe ist.

Daß dem so ist, unterstrich bereits die Auftaktveranstaltung zum Thema "Eine Herausforderung für die antifaschistische Bewegung?" am 4. Oktober im Georg-Asmussen-Haus im Hamburger Stadtteil St. Georg. Unter der Moderation von Andreas Grünwald diskutierten auf dem Podium Hans-Peter Brenner, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), Markus Bernhardt, Journalist und Autor von "Das braune Netz: Naziterror - Hintergründe, Verharmloser, Förderer" und Susann Witt-Stahl, Journalistin und Autorin einer Kritik am bürgerlichen Antifaschismus. Die Veranstaltung zeichnete sich erfreulicherweise durch eine frühzeitig aufgenommene kontroverse Diskussion aus, die auf dem Podium begann und im weiteren Verlauf unter Einbeziehung des Publikums fortgesetzt wurde.

Besetztes Podium - Foto: © 2013 by Schattenblick

Markus Bernhardt, Susann Witt-Stahl, Andreas Grünwald, Hans-Peter Brenner
Foto: © 2013 by Schattenblick

Einigkeit herrschte auf dem Podium wie wohl auch im gesamten Saal, daß Antifaschismus und Antikapitalismus eine untrennbare Einheit darstellen und nur gemeinsam theoretisch wie praktisch angemessen vertreten werden können. Davon abgesehen läßt sich der Diskussionsverlauf in den beiden folgenden kontrovers vorgetragenen Positionen zusammenfassen. Hans-Peter Brenner argumentierte mit den Antifaschisten der kommunistischen Arbeiterbewegung, die sowohl im Nationalsozialismus als auch in der Bundesrepublik und namentlich in Hamburg verfolgt wurden. So seien es ausgerechnet die Nachkommen verfolgter und hingerichteter Antifaschisten gewesen, die im westdeutschen Nachfolgestaat als erste drangsaliert und mit Berufsverboten belegt wurden. Der Kampf gegen den Faschismus als repressivste Form monopolkapitalistisch gestützter Staatlichkeit erfordere ein breites Bündnis auch mit bürgerlichen Antifaschisten, was nicht gleichbedeutend mit einer Anpassung an deren sonstige politischen Positionen sei.

Demgegenüber gaben Susann Witt-Stahl und Markus Bernhardt zu bedenken, daß sich im Namen des Antifaschismus seit langem Strömungen und Gruppierungen in Szene setzen, deren Ideologien und Bestrebungen mit denen der Linken unvereinbar seien. Man habe es mit einer gezielten Unterwanderung und Übernahme zu tun, die antifaschistische Organisationen in ein antikommunistisches und staatstragendes Fahrwasser steuern. Deshalb sei es unvertretbar, sich mit solchen Fraktionen zu verbünden oder sie auch nur zu tolerieren, da man sich andernfalls zum Handlanger reaktionärer Interessen mache und einem linken Antifaschismus das Wasser abgrabe.

Hans-Peter Brenner berief sich in seinem Vortrag auf eine lange Geschichte des Kampfs gegen den bürgerlichen Staat. Schon 1972 war von einer Faschisierung von Staat und Gesellschaft die Rede, was unter dem Eindruck wachsender Repression zwar verständlich, aber von der Analyse her falsch gewesen sei. Nach Lenin gebe es zwei Grundformen kapitalistischer Herrschaft: Die Methode der Zugeständnisse und jene der Gewalt, wobei letztere heute auf dem Vormarsch ist. Im Sinne einer sozialreaktionären Herrschaftsvariante war der Kampf um soziale Reformen einst gewünscht. So wandte sich Konrad Adenauer im März 1961 gegen seine eigene Fraktion, als er erklärte, daß man angesichts der drohenden Gefahr des Kommunismus gar nicht genug Sozialpolitik machen könne. 1993/94 beklagte der damalige Sozialminister Norbert Blüm, daß es Sozialpolitiker zur Zeit der Systemkonkurrenz leichter gehabt hätten. Heute marschierten sie am Abgrund, weil es die DDR nicht mehr gibt.

Doch diese Zeiten sind lange vorbei, so der Referent. Heute gehe es um die Verteidigung von Errungenschaften. Wie Brenner hervorhob, habe man es nicht mit Faschismus zu tun, der brutalen und offenen Diktatur der Monopolbourgeoisie. Es handle sich vielmehr um einen Prozeß autoritärer Staats- und Sozialpolitik, während das System als solches noch funktioniere. Der Parlamentarismus sei ungebrochen, und die Zahl der Nichtwähler in der Krise nicht größer geworden. Man habe es nicht mit einer tiefgreifenden parlamentarischen Krise, sondern einer der Wirtschaft, der Ökologie und der Moral zu tun.

Markus Bernhardt teilte viele Positionen seines Vorredners, setzte jedoch einen anderen Schwerpunkt. Bürgerliche Herrschaft bedeute stets Krise und autoritäre Staatspolitik. Demgegenüber müsse man auch eine Krise linken Widerstands konstatieren. Autonome Antifaschisten argumentierten moralisch und hätten keine nennenswerten Konsequenzen aus der Mordserie des NSU oder den rassistischen Ausfällen eines Horst Seehofer gezogen, als dieser die Einwanderung ins deutsche Sozialsystem "bis zur letzten Patrone" verhindern wollte. Die antifaschistische Bewegung zeichne sich durch Unterwürfigkeit aus. Linke Kernpolitik sei ein offensiver Antikapitalismus und Antifaschismus wie auch der Kampf gegen den Krieg, sonst handle es sich nicht um linke Positionen. Er bekomme inzwischen Bauchschmerzen, wenn er der politischen Linken zugerechnet werde, weil ihn kaum mehr etwas mit ihr verbinde, so Bernhardt.

Westdeutschland sei von Nazis aufgebaut worden, die sich in höchsten Ämtern von Gerichten und Polizeien wiederfinden. Dreizehn Jahre mörderischen Treibens des NSU seien nur mit Deckelung der Geheimdienste und Polizeibehörden möglich gewesen. Devot zu fordern, der Staat möge die NPD verbieten, sei an Absurdität nicht zu überbieten. Warum können wir die Errungenschaften der Arbeiterbewegung nicht offensiv verteidigen? Man distanziere sich allenthalben von Lenin, Thälmann und der DDR, funktioniere Begriffe wie Emanzipation in ihr Gegenteil um und entsorge linke Geschichte. Er müsse sich von der etablierten Politik nicht am Nasenring durch die Manege führen lassen. Man habe es mit Nazis zu tun, ohne die es den NSU nicht gegeben hätte. Die 19 Inlandsgeheimdienste überwachten die linke Opposition und förderten Mörderbanden. Gelänge es, die Dienste zu zerschlagen, hätte die Bundesrepublik kein Nazi-Problem mehr.

Susann Witt-Stahl ging explizit über die Einschätzung Brenners hinaus und erklärte, daß sie der aktuellen Entwicklung überhaupt nicht mehr traue, da es in der westlichen Welt eindeutige Zeichen einer Entwicklung hin zu autoritären Staaten gebe. Sie zitierte Adorno mit den Worten: "Das nächste Mal kommt der Faschismus mit Sicherheit nicht gegen die Demokratie an die Macht, sondern mit ihr." Man könne Parallelen zur Weltwirtschaftskrise 1929 ziehen, wobei sich die damaligen Faschisierungsprozesse unter dem Vorzeichen des Keynesianismus vollzogen hätten. Der autoritäre Staat habe sich damals mit einer autoritär kontrollierten Wirtschaft verschränkt. Hingegen vollzögen sich unter dem Neoliberalismus von heute Faschisierungsprozesse als Verbindung von autoritärem Staat und freiem Markt. Der Putsch in Chile sei die Blaupause für spätere Entwicklungen gewesen.

Bertram Gross sprach schon 1980 bei Amtsantritt Ronald Reagans von "Friendly Fascism", womit er die enge Verbindung von Big Business und Big Government meinte. Hinzuweisen sei heute auch auf die Einebnung der Grenzen zwischen Zivilem und Militärischem wie auch die Etablierung des Feindstrafrechts, um den imperialistischen Krieg voranzutreiben. Faschismus und Neoliberalismus seien nicht identisch, doch könne sich letzterer in der Krise zu ersterem zuspitzen. Die Referentin verwies auf die Kooperation von Inlandsgeheimdiensten und Wirtschaft in den USA mit dem Ziel, die Occupy-Bewegung zu infiltrieren und zu zerschlagen. Es seien sogar Todeslisten erstellt worden, doch schütze die Polizei die potentiellen Täter.

Die Nazis hätten mit dieser Entwicklung relativ wenig zu tun, da sie sich auf dem Abstellgleis befänden, weshalb der notwendige Kampf gegen sie ein anderer sei. Das Treiben der Nazis entlade sich gewalttätig gegen Migrantinnen und Migranten und organisiere sich mörderisch, operiere als Traditionsfaschismus jedoch aus der Ohnmacht. Wenngleich der Staat die Nazis schütze, könnten sie nicht an die Macht gelangen, solange der Neoliberalismus herrscht. Daher richte der organisierte Antifaschismus seinen Fokus fälschlich auf die Nazis und verfalle dabei in Staatsfrömmigkeit, während er zugleich die Möglichkeit eines neoliberalen Faschismus völlig ausblende.

Andreas Grünwald griff die Kontroverse auf, indem er an alle drei Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer die Frage richtete, ob man es mit einer aus der Geschichte bekannten Verschärfung oder vielmehr mit einer neuen Entwicklung zu tun habe. Er zitierte aus dem Programm der DKP die Passage, daß der Staat die Fähigkeit zur Vermittlung verliere und sich der Übergang vom Sozialstaat zum autoritären Sicherheitsstaat vollziehe.

Andreas Grünwald, Hans-Peter Brenner - Foto: © 2013 by Schattenblick

Erinnerung an antifaschistischen Widerstand in Hamburg
Foto: © 2013 by Schattenblick

Hans-Peter Brenner erwiderte darauf, daß die heute existierenden neofaschistischen Strukturen in Parteiform wirklich nicht neu seien. Die NPD war einst bedeutend stärker, saß in mehreren Landtagen und konnte auf einen beträchtlichen Bodensatz des faschistischen Weltbildes in der Bevölkerung zurückgreifen. Der heutige Autoritarismus sei ein ständiges Begleitmerkmal des Kapitalismus, doch müsse man den Faschismus vom autoritären Sicherheitsstaat unterscheiden. Faschismus ist nach Dimitrow "die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals" [2]. Er komme nicht über Nacht und nicht auf Beschluß irgendeines Kreises der Monopolherren, sondern bedürfe der Übergänge, so der Referent.

Die Berufsverbote ab 1971 seien ein Vorgriff auf die Krise von 1974 gewesen, die den Beginn des normalen Krisenzyklus in der BRD einleitete. Wenngleich die heutige Krise tiefer sei, handle es sich nicht um die große Krise vor dem Faschismus. Zu einer Systemkrise gehöre auch eine rebellierende und sich organisierende Bevölkerung mit dem Kern einer Klassenbewegung. Davon könne gegenwärtig keine Rede sein, das System sei durch keine Revolte bedroht. Die Lehre aus dem historischen Faschismus laute, daß man gegen einen drohenden Faschismus über die Parteigrenzen hinaus die Kräfte zusammenführen muß, um ein breites Bündnis gegen die alle Parteien bedrohende Diktatur zu schmieden.

Markus Bernhardt sah das völlig anders und sprach sich gegen eine breite Bündnispolitik aus. Beispielsweise hätten bei einem NPD-Aufmarsch in Bremen vor einigen Jahren die Republikaner zum Gegenprotest aufgerufen, mit denen er keinesfalls gegen die NPD aufmarschieren wolle. Er könne diesen Konflikt auch weiter herunterbrechen und sagen, daß er nicht mit Kriegsbefürwortern gegen Nazis auf die Straße gehen möchte. Daß alle gegen die Nazis seien, halte er für kein akzeptables und erfolgversprechendes Konzept der Linken. Die Politik der DKP verwässere Grenzen, die gezogen werden müßten. Die wirkliche Gefahr gehe nicht von einzelnen Faschisten aus, sondern vom Abbau der Grund- und Freiheitsrechte. In Reaktion auf die NSU-Affäre werden die Behörden mit noch mehr Geld und Kompetenzen ausgestattet. Aus dem gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus wurde alsbald eines gegen Rechts- und Linksextremismus. Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst ist damit de facto aufgehoben. Deutsche Ausbilder und Kampfstoffe dienen der Niederschlagung von Protesten in anderen europäischen Ländern. Das sei viel wichtiger als NPD-Fraktionen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, deren Aufbau mit staatlichen Geldern beschleunigt wurde. Erforderlich sei eine starke Linke, die die sozialen Verhältnisse benennt, dann liefen die Leute diesen Rattenfängern nicht mehr nach.

Susann Witt-Stahl unterstrich noch einmal, daß viele Antifaschistinnen und Antifaschisten heute der Auffassung seien, daß man auf den Antikapitalismus verzichten kann und sich auf ein moralisch motiviertes Nazi-Gegnertum beschränken sollte. Das werde weithin akzeptiert und scheine alle gegen die Rechten zu einen. Auch die VVN [3] verabschiede sich vom Kampf gegen Kapitalismus und bürgerliche Herrschaft. Diese Verbürgerlichung gipfle in einer Komplizenschaft von Nazigegnern mit einem Klassenkampf von oben und haßerfülltem Sozialchauvinismus. Faschismustheorien des Neoliberalismus, wie man sie von Walter Lippmann und Friedrich August von Hayek kennt, hätten dazu geführt, den Antifaschismus tief zu kontaminieren. "Wir haben Arbeit und ihr nicht" als Parole gegen Nazis identifiziere den Feind in allen Randständigen, Gentrifizierungsgegnern und Armen. Man habe es offensichtlich mit Degenerationsprozessen in der antifaschistischen Theorie und Praxis zu tun.

Hans-Peter Brenner stimmte dem in vielen Dingen zu und räumte ein, daß er sich gern über aktuelle Entwicklungen in der Bewegung aufklären lasse. Nehme man allerdings die von ihm genannte Faschismusdefinition ernst, dürfe man sich die demokratischen Rechte nicht nehmen lassen, auch wenn man diese bürgerliche Gesellschaft überwinden wolle. Daher sei darauf zu achten, daß auch jene, die als Nichtlinke vom Faschismus bedroht werden, in der Grundlinie und den Aktionen Bündnispartner sind. Die AfD bringe die Angst auf den Punkt, sie schreie die Angst vor Ausländern, "faulen Griechen", um die Rente und das Sparbuch hinaus. Angst als mobilisierendes Element des Neofaschismus und der Vorstufen dahin verkleistere neben der Geschichtslosigkeit die Gehirne.

Abschließend kam Andreas Grünwald auf die Nominierung Beate Klarsfelds als Kandidatin der Partei Die Linke für das Amt des Bundespräsidenten zu sprechen und fragte, ob das ein kluges Signal des Antifaschismus gewesen sei.

Hans-Peter Brenner verwarf diese Entscheidung der Linkspartei und hielt dem entgegen, man hätte besser Esther Béjarano aus Hamburg vorschlagen sollen, die dem Mädchenorchester von Auschwitz angehörte und noch heute an vielen Antifa-Demonstrationen teilnehme. Das wäre eine Alternative gewesen, die Antifaschismus nicht mit einer Unterstützung der imperialistischen Großmachtpolitik Israels gleichsetzt.

Markus Bernhardt, Susann Witt-Stahl, Andreas Grünwald - Foto: © 2013 by Schattenblick

Überfällige Auseinandersetzung mit staatstragenden Bewegungen
Foto: © 2013 by Schattenblick

Susann Witt-Stahl konnte diese Aussage voll und ganz unterschreiben, wobei sie jedoch daran erinnerte, daß die Nominierung Beate Klarsfelds auch in Teilen der DKP gelobt worden sei. Klarsfeld sei eine stramme Neokonservative, die alle Kriege des Westens bejubelt und erklärt, die Gedichte von Günter Grass unterschieden sich nicht wesentlich von den Aussagen Adolf Hitlers. Sie habe Sarkozy im Wahlkampf unterstützt, und ihr Sohn mache sich für die Abschiebung von Sinti und Roma stark.

Markus Bernhardt ergriff die Gelegenheit zu einer Art Schlußwort und hob hervor, daß man es nicht nur mit vereinzelten problematischen Strömungen im Bereich der Nazi-Gegner zu tun habe. In Dortmund, einer der Nazi-Hochburgen im Westen, gingen die Neonazis gegen Imperialismus und Krieg auf die Straße, während die örtlichen Antifa-Gruppen für den Krieg demonstrierten und das Problem bei Ostermarsch und Gewerkschaftsbewegung verorteten. Europaweit hätten rechte Strömungen in der Jerusalemer Erklärung ihre Solidarität mit Israel bekundet. Kriegsbefürwortung, Unterstützung israelischer Regierungspolitik, Sozialrassismus und Antiislamismus finde man längst in zahlreichen Gruppierungen der Antifaschisten, die nicht mehr von Parteien wie Pro Deutschland zu unterscheiden seien.

An das kontrovers geführte Podiumsgespräch schloß sich eine lebhafte Diskussion mit Beiträgen aus dem Plenum an, die um die zuvor aufgeworfenen Kernfragen kreiste, aber auch andere bedenkenswerte Themen zur Sprache brachte. So vermißte ein Teilnehmer den Rekurs auf bürgerliche Herrschaft im Betrieb, während eine Teilnehmerin zu Recht monierte, daß zur gesamten Veranstaltungsreihe nur zwei Frauen als Referentinnen eingeladen worden sind. Ein türkischer Genosse, der eine Analyse der Situation in seinem Land unter dem Gesichtspunkt der Bündnisfrage vornehmen wollte, kam leider kaum noch zum Zuge. Insbesondere aber wurde aus verschiedenen Blickwinkeln erörtert, wie die Stärke der bürgerlichen Herrschaft einzuschätzen sei, welche ideologischen Verschiebungen stattgefunden haben und welche Konsequenzen für die Bündnispolitik zu ziehen sind. Vor allem die letzte dieser drei Fragen erhitzte zwangsläufig die Gemüter, da die partielle Zusammenarbeit mit Fraktionen des bürgerlichen Lagers, dessen Positionen man ansonsten als unvereinbar mit den eigenen verwirft, unvermeidlich zu Widerspruchslagen führt. Daß man bei der Auftaktveranstaltung trotz aller Übereinkunft in Grundsatzfragen solche Widersprüche nicht aus der Welt schaffen konnte, ist ein gutes Zeichen: Dem kritischen und solidarischen Diskussionsprozeß in den folgenden Veranstaltungen dieser Reihe ist damit das Feld eröffnet.

Podium mit Publikum - Foto: © 2013 by Schattenblick

Trotz Bühnensituation kein Abstand
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fragend durch unwegsames Gelände

So bietet sich im Rahmen der bereits angekündigten Vorträge an, die Akteure und Methoden bürgerlicher Herrschaft genauer zu untersuchen und dabei die Ausgangsbedingungen der eigenen Analyse einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Das Attribut "bürgerlich" etwa wirft in der kulturell liberalisierten und sozial atomisierten Arbeits- und Konsumgesellschaft die Frage auf, wessen Subjektivität noch unter einen Begriff zu subsumieren ist, der gemeinhin mit dem reaktionären Habitus des ordnungsheischenden und autoritätshörigen Bourgeois assoziiert wird. Wenn dieser nun ganz anders daherkommt, als lustbetonter Lebenskünstler, der für alle Abweichungen von der bürgerlichen Norm nicht nur Verständnis hat, sondern diese selbst zu inszenieren weiß, dann paßt schon einmal die äußere Erscheinungsform nicht mehr in jenes Bild, das im Bürger eher einen von moralischen Ansprüchen und Verhaltensnormen aller Art belagerten Zwangscharakter verortet.

Auch wenn dies nicht den materialistischen Kern des Verhältnisses von Bürger und Arbeiter trifft, so propagiert die sozial und kulturell ausdifferenzierte Ideologieproduktion heute Menschenbilder, in denen der selbstoptimierte und konkurrenzgestählte Erfolgsmensch bei allen Entbehrungen, die die eigenständige Aufwertung der Ware Arbeitskraft mit sich bringt, Befriedigung in der Unterwerfung finden kann. So scheint auch dem Arbeiterproletariat zumindest in der Bundesrepublik viel von seiner klassenbewußten Kampfkraft abhandengekommen zu sein. Im Streß der Konkurrenz um verbliebene Erwerbsmöglichkeiten und in Angst vor dem Absturz ins Hartz-IV-Elend regelrecht aufgerieben, die Angebote zur nationalen Identifikation per Fußball, Fernsehen und Fremdenfeindlichkeit um so bereitwilliger aufgreifend orientieren sich auch Niedriglohnempfängerinnen und -empfänger eher daran, daß es ihnen noch nicht so schlecht geht wie den Kolleginnen und Kollegen in anderen EU-Staaten. Internationale Solidarität über nationalen Standortwettbewerb zu stellen hingegen erforderte die Besinnung auf Werte und Ziele, die den Menschen mit hochwirksamen Kommunikations- und Legitimationsstrategien ausgetrieben werden.

Dem rückstandslosen Aufgehen des Klassenantagonismus in soziologischer Empirik und postmodernen Identitätstänzen kann mit einer Begrifflichkeit, die die herrschenden Widerspruchslagen nicht über das Kriterium der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel hinausentwickelt, kaum erfolgreich entgegengetreten werden. Wenn es nicht einmal der medial gehypten Occupy-Bewegung gelang, die groteske Verteilungsungerechtigkeit anhand des quantitativen Verhältnisses von dem einen und den 99 Prozent in eine über saisonale Trends hinaustragende Bewegung zu verwandeln, wieso sollte nach der systematischen Gleichsetzung fehlerhafter Entwicklungen im Realsozialismus mit dem Sozialismus sui generis die ungleich komplexere Kritik der politischen Ökonomie nach Marx und die daraus resultierende Strategie der revolutionären Überwindung kapitalistischer Herrschaft mehr Menschen in ihren Bann schlagen? Wenn die Antwort auf diese Frage im Ratschluß reformistischer Mäßigung besteht, dann läuft die Hoffnung auf eine spätere Verwirklichung unter den herrschenden Bedingungen vermeintlich utopischer Ziele erst recht Gefahr, wie von selbst gegenstandslos zu werden.

Die Probleme der im bloßen Schein unendlicher Vielfalt zu arbeits- wie informationstechnisch auf optimale Vergleichbarkeit und Verfügbarkeit zugerichteten Marktsubjekte scheinen demnach weniger in der Krise der Kapitalinteressen zu liegen, als darin, daß sie diesen ausgeliefert sind. So können Ausplünderung und Repression im Bündnis mit dem Staat auf eine Weise qualifiziert werden, die den drohenden Zusammenbruch in einen Produktivfaktor eigener Bestandssicherung verwandelt. Ohnehin schlägt die Katastrophe des Hungers, der Armut und Unterversorgung stets dort am härtesten zu, wo die Fäden des Überlebens bis zum Zerreißen gespannt sind. Herrschaft, begriffen als zum Regelfall gewordenes Krisenmanagement, wird auf der klassischen Linie des Teilens und Herrschens auch heute noch am effizientesten durch die Korrumpierung möglicher Gegenkräfte organisiert. Ein Beispiel dafür ist die Umwertung kommunistischer Ziele in eine Form gesellschaftlicher Befriedung, bei der die Libertinage individueller Selbstverwirklichung gezielt mit der Befreiung jedes Menschen vom Joch der Ausbeutung und Unterdrückung verwechselt wird. Daß der dazu erforderliche Wohlstand im Rahmen des kapitalistischen Weltsystems zu Lasten vergleichsweise weniger produktiver Bevölkerungen erwirtschaftetet wird, soll das Geheimnis einer eurozentrischen Suprematie bleiben, die das sozialökonomische Elend in den Ländern des Südens auch noch mit kulturalistischer Überheblichkeit als deren eigenes Versagen brandmarkt.

Während die Würdigung der historischen Kämpfe der Linken unverzichtbar ist, um den Prinzipien kämpferischer und solidarischer Befreiung in sozialrevolutionärer Kontinuität Haltbarkeit und Dauer zu verschaffen, gilt es, die Herausforderungen künftiger Formen der Herrschaftsicherung auf der Höhe der Zeit zu antizipieren. Fehler und Irrtümer zu beheben heißt nicht revolutionäre Geschichte zu leugnen, sondern sie im Sinne des ursprünglichen Anliegens weiterzuschreiben und über die Grenze unüberwindlich erscheinender Verhältnisse hinauszutreiben.

Tresen der 'Kaffeewelt' in Hamburg-St. Georg - Foto: © 2013 by Schattenblick

Freundliche Atmosphäre im Veranstaltungsort "Kaffeewelt"
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/

[2] http://www.marxists.org/deutsch/referenz/dimitroff/1935/bericht/ch1.htm#s1

[3] Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

8. Oktober 2013