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BERICHT/329: Dem Karl Liebknecht haben wir's geschworen - vorbildlich inszeniert ... (SB)


Es ist die historische Aufgabe des Proletariats, wenn es zur Macht gelangt, an Stelle der bürgerlichen Demokratie sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie abzuschaffen. [...] Sozialistische Demokratie beginnt zugleich mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des Sozialismus. Sie beginnt mit dem Moment der Machteroberung durch die sozialistische Partei. Sie ist nichts anderes als die Diktatur des Proletariats. Jawohl: Diktatur! Aber diese Diktatur besteht in der Art der Verwendung der Demokratie, nicht in ihrer Abschaffung, in energischen, entschlossenen Eingriffen in die wohlerworbenen Rechte und wirtschaftlichen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft, ohne welche sich die sozialistische Umwälzung nicht verwirklichen läßt.
Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution. [1]


Rosa Luxemburgs Kampf für einen Sozialismus, der nicht hinter die Errungenschaften der Demokratie zurückfallen dürfe, erlaubt es einem breiten Spektrum der politischen Linken, ihr Erbe für sich zu reklamieren. Daß dabei jene Aussagen bevorzugt werden, welche die eigene Position zu bekräftigen scheinen, und andere ausgeblendet bleiben, mit denen man sich nicht anfreunden kann, liegt auf der Strecke eines eher theoretischen Diskurses als revolutionären Prozesses. Eine traditionelle Bühne des Bekenntnisses zu der Geschichte und den Kämpfen der Arbeiterklasse, wie man sie selbst versteht und von der Auffassung anderer abgrenzt, ist die alljährliche Kranzniederlegung an der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde. 100 Jahre nach dem Tod von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die am 15. Januar 1919 von einem Offizierskommando ermordet worden waren, wurde dem diesjährigen Gedächtnis eine besondere Beachtung zuteil. Auch die bürgerlichen Medien konnten angesichts des Jahrestages nicht umhin, der Historie und ihrer Bedeutung für die Gegenwart manche Zeile zu widmen - und sei es nur zum Zweck der Diskreditierung eines für gescheitert erklärten Ringens um eine andere Gesellschaft.


Aufmarsch der Partei Die Linke auf dem Sozialistenfriedhof - Foto: © 2019 by Schattenblick

Der sozialistischen Tradition gemäß ...
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Bartsch und Wagenknecht an Mahnmal der Sozialisten, Bartsch und Gysi am antikommunistischen Gedenkstein - Fotos: © 2019 by Schattenblick Bartsch und Wagenknecht an Mahnmal der Sozialisten, Bartsch und Gysi am antikommunistischen Gedenkstein - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Pluralistisches Gedenken ...
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Unter den zahlreichen Menschen, die im Laufe des Sonntagmorgens die Gedenkstätte aufsuchen und eine rote Nelke auf einem der Gräber niederlegen, ziehen prominente Politikerinnen und Politiker der Linkspartei zwangsläufig die Kameras und Mikrophone der versammelten bürgerlichen Medien auf sich. Sie sollen die Bilder liefern, die es der Presse geboten erscheinen lassen, das Ereignis nicht völlig zu ignorieren. Ihnen will man zwischen Häme und Bezichtigung Aussagen entlocken, die es abermals erlauben, sie als Ewiggestrige oder abseitige politische Irrläufer zu diskreditieren. Insbesondere aber wird mit Argusaugen verfolgt, wer dem Gedenkstein für die "Opfer des Stalinismus" seine Reverenz erweist und wer nicht, gilt dies doch gewissermaßen als eine Grenzscheide der sogenannten Vergangenheitsbewältigung: Hält man die DDR für einen anderen Gesellschaftsentwurf, den es kritisch zu würdigen gilt, oder stößt man sie als "Unrechtsstaat" in den Abgrund restloser Verworfenheit.


Katja Kipping und Bernd Riexinger - Fotos: © 2019 by Schattenblick Katja Kipping und Bernd Riexinger - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Ein Erbe, das verpflichtet ...
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In einem der Interviews mit Journalisten wurde die Parteivorsitzende Katja Kipping mit der Frage konfrontiert: Würden Sie denn sagen, daß Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg Demokraten waren? Was sie diesem kaum verhohlenen Anwurf, daß Revolutionäre keine Demokraten sein könnten, entgegnet, legte sie später am Tag gegenüber dem Schattenblick auf folgende Weise dar:

Ich würde mir wünschen, daß es anläßlich des 100. Jahrestages der Ermordung von Karl und Rosa auch in der Breite ein solches Gedenken gibt, wie es gestern die Rosa-Luxemburg-Stiftung geliefert hat. Dort hat man sich noch einmal mit den Texten von Rosa Luxemburg beschäftigt und diese Anmutung, diese Unterstellung, daß Revolutionäre keine Demokraten seien, wie sie in der Interpretation häufig mitschwingt, als falsch zurückgewiesen. Wer das sagt, dem empfehle ich immer, noch einmal die Erwiderung Rosa Luxemburgs auf Trotzki zu lesen, in der sie sagt: Selbstverständlich werden wir alle Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie verteidigen. Wir geben uns nur nicht damit zufrieden, wir wollen mehr. Auf heute übersetzt heißt das zum Beispiel, daß Demokratie nicht am Werkstor Halt machen darf. Und ein weiterer Punkt aus der Geschichte: Zur ganzen Wahrheit gehört auch, daß die Ablösung der Monarchie, das Erringen der bürgerlichen Demokratie, ohne die damalige Antikriegsbewegung und den kommunistischen Aufbruch nicht möglich gewesen wäre. Insofern haben Menschen wie Karl und Rosa einen großen Verdienst an der Demokratie.


Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Pressegespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

100 Jahre später ...
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Was genau dieses "Mehr", für das Die Linke eintritt, nach ihrem heutigen Verständnis bedeutet und auf welche Weise es durchzusetzen sei, war im Laufe ihrer Parteigeschichte durchweg ein Konfliktfeld heftiger Angriffe von außen wie auch innerer Richtungskämpfe. Der demokratische Sozialismus, wie er phasenweise als Klammer zwischen der Bewahrung marxistischer Ansätze, gewerkschaftlicher Orientierung und dem Anspruch, von der SPD preisgegebene ursozialdemokratische Prinzipien zu verkörpern, konzeptionell in Stellung gebracht wurde, darf im Sinne einer Positionierung der Parteimehrheit wohl als entsorgt gelten, auch wenn er gelegentlich im Munde geführt wird. Noch existierende dezidiert marxistische Strömungen führen eher ein Schattendasein, zumal die tendentielle Drift in Richtung einer bürgerlichen Mitte der Gesellschaft, die ihrerseits nach rechts auswandert, als maßgebliche innerparteiliche Konfliktlinie die Auseinandersetzung mit populistischen Positionen hervorbringt. Wofür Die Linke gegenwärtig einsteht, läßt sich, ohne ihre durchaus noch vorhandene innere Vielfalt widerstreitender Positionen in Abrede zu stellen, noch am ehesten an ihren Alleinstellungsmerkmalen im Parteienspektrum festmachen und differenziert würdigen.


Publikum mit Bartsch am Podium - Foto: © 2019 by Schattenblick

Vollbesetzter Saal im Kosmos an der Karl-Marx-Allee
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Jahresauftakt der Linkspartei in Berlin

Der Jahresauftakt der Linkspartei am Nachmittag des 13. Januar in Berlin, wie stets im bis auf den letzten Platz gefüllten Kosmos an der Karl-Marx-Allee, stand im Zeichen der Besinnung auf die eigenen Stärken. Noch schwungvoller und pointierter als in den Vorjahren über die Bühne gebracht, spielte die versammelte Parteiprominenz einander die Bälle zu, wechselten Wortbeiträge mit Gesprächsrunden, aufgelockert durch Darbietungen der musikalischen Ostgewächse "Steinlandpiraten" und "Stern-Combo Meißen". Als Bilanz errungener Erfolge, Ausblick auf kommende Herausforderungen und gegenseitige Ermutigung fehlte es der Selbstvergewisserung doch nicht an selbstkritischen Anmerkungen, wobei immer wieder die dringende Mahnung zur Geschlossenheit anklang. Ungeachtet aller internen Kontroversen gerade in der jüngeren Vergangenheit präsentierte sich Die Linke in diesen Stunden fast wie aus einem Guß, zumal Nadelstiche auf Untertöne heruntergefahren waren.

"Im Sinne Karl Liebknechts will ich sagen: Der Feind steht im eigenen Land, aber nicht in der eigenen Partei", gab der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, die Marschrichtung vor. Zugleich empfahl er als guten Vorsatz für das neue Jahr, häufiger über die eigenen Erfolge zu sprechen. "Wir müssen uns zusammenreißen und gemeinsam agieren. In diesem Sinne war das letzte Jahr kein gutes. Es muß doch möglich sein, daß wir respektvoll und konstruktiv miteinander agieren, das ist doch ein wesentliches Element linker Politik", so der Co-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch. Oder wie es Diether Dehm, einmal mehr Impresario des politischen Gesamtkunstwerks, formulierte: "Ein großartiger Nachmittag einer großartigen Partei, die vor allem deswegen großartig ist, weil es so viele gibt, die Dinge machen, die nicht unbedingt vorgeschrieben sind, sondern ihrer eigenen Initiative und Kreativität entspringen. (...) Ich begrüße als Abschluß und Höhepunkt unsere großartige Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht!" Doch davon später mehr.

Was kann Die Linke insbesondere für sich verbuchen? Sie lehnt als einzige im Bundestag vertretene Partei Krieg und Aufrüstung konsequent ab. So war die Aussetzung der Waffenexporte nach Saudi-Arabien nicht zuletzt ihrem Druck geschuldet. Sie setzt sich entschieden für die Wiederherstellung des Sozialstaates ein. In der Gesundheits- und Rentenpolitik wurden Forderungen, für die sie vor Jahren verlacht wurde, inzwischen Gesetz. Ohne sie hätte es kaum einen Mindestlohn gegeben, die Abschaffung der Praxisgebühr ist vor allem eine Folge ihrer Kampagne. Sie tritt für die Abschaffung von Hartz IV ein und kämpft für bessere Arbeitsbedingungen in deutschen Betrieben, ohne im internationalistischen Sinne die menschenunwürdigen Bedingungen in anderen Ländern zu vergessen. Daß es in der antikommunistisch geprägten Bundesrepublik überhaupt eine relevante Partei links von der SPD gibt, ist in diesem Sinne von nicht zu unterschätzender Bedeutung.


Bernd Riexinger mit Caren Lay und Katja Kipping auf der Bühne - Fotos: © 2019 by Schattenblick Bernd Riexinger mit Caren Lay und Katja Kipping auf der Bühne - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Neue Klassenpolitik, revolutionäre Realpolitik ... Klassenkampf
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Der Co-Parteivorsitzende Bernd Riexinger plädierte für eine verbindende Klassenpolitik, worunter er einen Klassenkampf von unten versteht, der insbesondere auf eine Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung der Arbeit abzielt wie auch einer neuen Zusammensetzung der Klasse Rechnung trägt: Diese sei weiblicher, migrantischer, aber auch prekärer geworden, immer mehr Menschen werden ausgegrenzt oder in Niedriglohn abgedrängt. Es sei die Aufgabe der Linken, eine Verbindung zwischen Kernarbeiter und Leiharbeiterin, Befristeten und Unbefristeten, Erwerbslosen und zuviel Arbeitenden zu schaffen, um gemeinsam für eine Umverteilung der Arbeitszeit und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, statt sich gegen Sündenböcke zu wenden. Die Co-Vorsitzende Katja Kipping rief zum Kampf für eine sozialistische Demokratie auf, wobei sie nicht zuletzt Rosa Luxemburgs Schriften inspiriert hätten. Ihr zufolge muß eine sozialistische Partei stets die Alltagskämpfe führen und jede Verbesserung anstreben, dies aber immer in Verbindung mit dem Fernziel setzen: Das sozialistische Fernziel umsetzen in die Scheidemünze der Alltagspolitik. Luxemburg löse den ewigen Streit zwischen Reform und Revolution dialektisch im Sinne einer revolutionären Realpolitik auf.


Kristina Hänel, Harald Hahne, Ariane Raad, Caren Lay, Sevim Dagdelen auf der Bühne - Foto: © 2019 by Schattenblick

Sozialpolitische Gesprächsrunde ...
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Drei zentrale Kampagnen sozialer Kämpfe

Caren Lay und Sevim Dagdelen stellten drei zentrale Kampagnen der Linkspartei vor: Die Kämpfe gegen Wohnungsnot, Pflegenotstand sowie die Paragraphen 218 ff und 219a. Die Gewerkschafterin und Mietenaktivistin Ariane Raad aus Stuttgart berichtete über ihr Engagement bei ver.di und dem Aktionsbündnis "Recht auf Wohnen". Es wurden vielfältige Aktivitäten unterstützt, darunter auch eine Hausbesetzung, bei der zwei Familien leerstehende Wohnungen besetzten. Diese Aktion habe Betroffenen wie auch Nachbarn, die eine Gentrifizierung des Stadtteil verhindern wollen, Mut gemacht und zu einer Politisierung beigetragen. Viele Menschen hätten sich solidarisiert, da die von Anfang an offene Aktion an ihrer Alltagsrealität angesetzt und sie mitgenommen habe. Das Aktionsbündnis unterstütze Betroffene, die vor der Räumung stehen, begleite Prozesse und baue Widerstand gegen die städtische Wohnungsbaugesellschaft auf. Diese Aktionen hätten auch Druck in den Gewerkschaften entfaltet, die sich endlich bewegten.

Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats des Pflegeheimbetreibers Vitanas berichtete von der Kampagne "Menschen vor Profite - Pflegenotstand stoppen!" In vielen Einrichtungen fehle angesichts schlechter Bezahlung Fachpersonal. Die Betreiber versuchten, über die Personalkosten ihre Renditen zu steigern, und beschäftigten zunehmend Leiharbeiter. Das sei früher lukrativ gewesen, habe aber eine Trendwende verhindert, so daß die Leiharbeitnehmer inzwischen unverzichtbar seien. Eine Pflegehilfskraft verdiene heute jedoch 26 oder 27 Euro die Stunde, während die Pflegehilfskräfte im Stammpersonal mit dem Mindestlohn nach Hause gehen. Auch bekämen Pflegehelfer zumeist nur Teilzeitverträge und rutschten bei Mindestlohn garantiert in die Altersarmut. Erforderlich sei die Rekommunalisierung der Pflegeeinrichtungen, eine bedarfsgerechte Ermittlung des Personalschlüssels und ein flächendeckender Tarifvertrag. Es müßten Fachkräfte ausgebildet und junge Menschen für diesen Beruf begeistert werden, was unter den gegenwärtigen Bedingungen unmöglich sei.

Dr. Kristina Hänel, die für ihren Kampf gegen das sogenannte Werbeverbot bei Abtreibungen mit dem Clara-Zetkin-Frauenpreis 2018 ausgezeichnet wurde, legte ihre Motive und Kämpfe dar. Sie führe seit 2001 Abtreibungen in eigener Praxis durch, wobei Anzeigen von Abtreibungsgegnern früher stets eingestellt wurden. Nach einer 2015 erfolgten Anzeige wurde auf Betreiben der Generalstaatsanwaltschaft aber doch Anklage erhoben, worauf sie beschlossen habe, das Problem öffentlich zu machen. Sie habe alle Parteien angeschrieben und wolle nicht für eine bestimmte werben, da sie niemandem gehöre und ein breites Bündnis brauche. Bei der Linkspartei sei sie jedoch auf Resonanz gestoßen und arbeite seither sehr gut mit ihr zusammen. Frauen, die ein Auto haben, die im Internet gut klarkommen, landeten nicht auf der "widerlichen Abtreibungsgegnerseite". Aber die anderen, die nicht gut klarkommen, würden hin und her geschickt, fänden die Adressen nicht, würden von Frauenärzten abgewiesen, kämen zu spät und würden noch mehr diskriminiert. Es handle sich also nach wie vor um einen Armenparagraphen.


Mit Caren Lay auf der Bühne - Foto: © 2019 by Schattenblick

Kristina Hänel kämpft gegen den antifeministischen Rollback ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Geschichtspolitik oder Klassenauftrag?

Natürlich war die Bezugnahme auf Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ein zentrales Moment dieses Jahresauftakts. Gesine Lötzsch stellte Auszüge aus einer szenischen Lesung mit deren Texten vor, die ins Kino Babylon ausweichen mußte, weil CDU und AfD die ursprünglich geplante Einladung ins Paul-Löbe-Haus des Bundestages verhindert hatten. Dietmar Bartsch zitierte aus einem Aufsatz Karl Liebknechts vom 14. Januar 1918, wenige Tage vor seiner Ermordung: "Himmelhoch schlagen die Wogen der Ereignisse. Wir sind es gewohnt, vom Gipfel in die Tiefe geschleudert zu werden. Aber unser Schiff zieht seinen geraden Kurs fest und stolz dahin bis zum Ziel. Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird, leben wird unser Programm. Es wird die Welt der erlösten Menschheit bescheren, trotz alledem." In dieser Tradition stehe Die Linke, dessen müsse sie sich in ihren Kämpfen stets bewußt sein. Seine Lehre aus dem zurückliegenden Jahrhundert heiße demokratischer Sozialismus: "Die Unterschiede nicht ausmerzen wollen, Dissenz nicht gewaltsam beenden, sondern konstruktiv nach vorne auflösen. Wir kommen aus der Arbeiterbewegung, das ist unsere Traditionslinie, und wir dürfen nie arrogant gegenüber den abhängig Beschäftigten und Arbeitslosen sein. Packen wir es an wie Rosa Luxemburg: tapfer, unverzagt und lächelnd."

Auch Sahra Wagenknecht stellte die Veranstaltung in das Gedenken an "die Kämpfer gegen Aufrüstung, Krieg und Ausbeutung Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht", die vor 100 Jahren ermordet wurden. Hundert Jahre, in denen viel passiert sei und doch wieder viel zu wenig. Lasse man Revue passieren, wie sich die Welt zwar technologisch verändert hat, sei es doch erschreckend, wie viele der Fragen, Probleme und Dinge, gegen die sie damals gekämpft haben, in der heutigen Welt unverändert aktuell sind und die Aufgaben einer Linken beschreiben: "All das, wofür sie gekämpft haben, ist noch nicht eingelöst, und das ist für uns Verpflichtung, das ist für uns Auftrag."


Gregor Gysi und Oskar Lafontaine - Foto: © 2019 by Schattenblick

Herrengespräch ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Gründerväter der noch immer jungen Partei

Nicht fehlen durften natürlich auch die ehemaligem Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, die von Sevim Dagdelen nach ihren Ratschlägen und weiteren Plänen befragt wurden. Die beiden stimmten darin überein, daß der aufrechte Gang ein lebenslanger Kampf sei. Wer behaupte, er habe nie Fehler gemacht, sei keine Kompromisse eingegangen und habe sich niemals opportunistisch verhalten, lüge sich in die Tasche. An historischen Persönlichkeiten wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg könne man sich aufrichten, zumal in Zeiten großer Schwierigkeiten. Eine Zukunft habe Die Linke nur dann, wenn sie ihre Themen wie Frieden, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit besetze, so Gysi. Die soziale Frage werde heute als internationale wahrgenommen und sei inzwischen zur Menschheitsfrage geworden. Die Linke müsse eine Antwort suchen und finden, wie man die Menschheitsfrage als soziale Frage lösen kann. Die Grünen wollten ökologisches Verhalten so teuer machen, daß es sich nur die Reichen leisten können. Das könne niemals der Weg der Linken sein.

Oskar Lafontaine berief sich auf die Tradition der Arbeiterbewegung, wie er sie einst in der SPD kennengelernt habe. Der Kampf gegen den Faschismus, gegen den Krieg und gegen die Ausbeutung sei nach wie vor hoch aktuell. Dies solle man im Blick behalten und nicht auf Nebenthemen ausweichen. Man dürfe sich nicht von modischen Strömungen, die aus Amerika kommen, in die Irre führen lassen, nämlich die sogenannte Identitätspolitik. Eine Demokratie müsse immer für Minderheiten eintreten, sonst sei sie keine Demokratie. Aber man müsse die wesentlichen Themen in den Vordergrund stellen. Wer für den Mindestlohn sei, der sei auch für die Frauen, weil diese die Hauptbetroffenen schlechter Löhne sind. Wer für den Mindestlohn sei, der sei auch für die Flüchtlinge, weil diese ausgebeutet werden sollen, indem sie unter Mindestlohn beschäftigt werden. Und wer für Mindestlohn sei, trete auch für die Lohnabhängigen bei Amazon oder am Bau oder in den Werkhallen ein.

Die Linke befinde sich seit Jahren in einem immer schwierigeren Umfeld, da sich die politische Landschaft gravierend verändert habe. Man dürfe nicht nur von Rot-Rot-Grün reden, sondern müsse die Ziele ausweisen, weil man sonst die Leute auf eine falsche Fährte locke. Auf wen könne man tatsächlich zählen, wenn es um höhere Renten, einen Mindestlohn von 12 Euro oder Frieden und Ausgleich mit Rußland gehe? Deshalb müsse man versuchen, mit der Gesellschaft zusammen neue Mehrheiten zu bilden, spielte Lafontaine auf die innerparteiliche Kontroverse an. Man brauche neue gesellschaftliche Mehrheiten, um wieder handlungsfähig zu werden und die angestrebten Ziele auch durchzusetzen.

Gregor Gysi plädierte dafür, den Zeitgeist zu verändern, da man die anderen Parteien sonst nicht unter Druck setzen und die Gesellschaft nicht verändern könne. Wie Lafontaine sei auch er für allgemeine Forderungen, doch es gehörten natürlich auch die konkreten Umstände wie die Gleichstellung der Geschlechter oder die Gleichstellung von Ost und West dazu. Im 29. Jahr der deutschen Einheit seien die Löhne und Renten im Osten immer noch geringer als im Westen. Im Kern gehe es wie erörtert um Frieden, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Chancengleichheit beim Zugang zu Kunst, Kultur und Bildung. Wenn man dafür kämpfe und den Zeitgeist verändere, werde die Wirkung der Linkspartei wieder wachsen. Dann könne man die anderen zwingen, die Gesellschaft endlich in diesem Sinne zu verändern.


Auf der Bühne im Gespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Bodo Ramelow, Matthias Höhn und Kristina Vogt
Foto: © 2019 by Schattenblick


Wahlkampf an vielen Fronten

In diesem Jahr stehen Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg, Thüringen und Bremen sowie die Wahl zum Europäischen Parlament an, so daß Die Linke an diversen Fronten gefordert ist. Katja Kipping unterstrich mit Blick auf ihre politische Heimat Sachsen, daß die CDU seit der Wende als führende Staatspartei für all die dort herrschenden Probleme verantwortlich sei. Die Linke müsse die CDU in einen Dreikampf treiben: Die Rechten hätten nur Hetze zu bieten, die CDU sei für die Probleme verantwortlich, die Linke stehe für ein soziales und solidarisches Sachsen. Der Ostbeauftragte der Bundestagsfraktion, Matthias Höhn, sprach mit der Bremer Spitzenkandidatin Kristina Vogt und Ministerpräsident Bodo Ramelow aus Thüringen.

Wie Kristina Vogt darlegte, könne man die Bundesgesetzgebung nicht ändern und die seit 2011 in Bremen geltende vorgezogene Schuldenbremse nicht wegzaubern. Dennoch könne man mit einer sozialen Politik die Weichen anders stellen. Ihre Fraktion habe viele überzeugende Vorschläge zu Bildung, Arbeitsmarkt, Kita und ÖPNV vorgelegt, die vom Senat aufgegriffen worden seien. Das konkrete und gegenfinanzierte Wahlprogramm werde von den Medien wahrgenommen, da eine gewisse Umverteilung auch auf Landesebene möglich sei. Bremen habe Ende der 70er Jahre mit der Werftenkrise, dem Einzug der Containerschiffahrt und der Abwanderung der Nahrungsmittelindustrie den ersten Strukturwandel erlebt, der von den nachfolgenden Regierungen nicht angemessen bewältigt worden sei. Bremen sei das Bundesland mit der höchsten Leiharbeitsquote und Anzahl an Minijobs wie auch der größten Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Die Entwertung der Menschen sei der Nährboden der AfD, Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaftspolitik seien urlinke Aufgaben, denen man sich stellen müsse.

Wie Bodo Ramelow warnte, dürfe man trotz guter Umfragewerte, was die Zufriedenheit der Bevölkerung in Thüringen betrifft, nicht vergessen, daß die Menschen nach der Wende Massenarbeitslosigkeit und Entwertung ihres Lebens erfahren haben. Der spätere Lebensweg eines Kindes dürfe nicht vom Vermögen seiner Eltern abhängen. Er setze auf eine beitragsfreie Betreuung und Bildung, eine Integration von Hort, Kindergarten und Schule, die eine Kindergrundsicherung schaffe. Daimler baue Motoren in Thüringen, zahle aber Steuern in Baden-Württemberg. Das wichtigste Steueraufkommen Thüringens leisteten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die noch dazu weniger verdienen als jene im Westen: "Wir sind keine Bettler, sondern erwarten Respekt für die neuen Länder. Dieses Land soll von den Menschen her ausgedacht werden." Als Ministerpräsident eines rot-rot-grünen Bundeslandes sage er: Wir kämpfen nicht für Rot-Rot-Grün um seiner selbst willen, sondern um Inhalte. Der einzig verfügbare Rohstoff seien die Menschen, die im Land leben, und da komme es nicht auf den Geburtsort an.

Ramelow war an zwei bedeutenden Schlichtungen im Tarifstreit der Bahn beteiligt. Er habe sich dem Thema als Gewerkschafter politisch genähert, weil es um das Tarifeinheitsgesetz ging, das zur Spaltung führe, die zu organisieren er nicht bereit gewesen sei. Auf Wunsch der GDL einbezogen, habe er erlebt, wie die Beschäftigten schikaniert wurden, denen keinerlei Lebensplanung möglich gewesen sei. In der zweiten Schlichtung wurde eine Arbeitszeitverkürzung durchgesetzt, die flexibel in Anspruch genommen werden kann. Grundsätzlich kämpfe er für die Revitalisierung des Bahnverkehrs. Wer CO2-Neutralität wolle, müsse endlich Alternativen zur Verfügung stellen. Steuerfreiheit für Kerosin sei ein Skandal, Flixbusse fahren ohne Umlage für die öffentliche Infrastruktur. Die Bahn müsse billiger und attraktiver gemacht werden, weshalb er für ihre Rückeroberung in die öffentliche Fürsorge sei, um eine Mobilitätsgarantie für alle Menschen zu schaffen.


Sahra Wagenknecht - Foto: © 2019 by Schattenblick

Gekonnt populär ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Bewegung im Saal

Als Höhepunkt angekündigt, setzte Sahra Wagenknecht zum Abschluß das rhetorische Glanzstück der Veranstaltung. Warne die sogenannte Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, man dürfe den kommunistischen Widerstand nicht romantisieren, halte sie dieser Anmaßung entgegen, niemand romantisiere hier, wie damals fortschrittliche Kräfte durch jene unterdrückt wurden, die von Krieg und Aufrüstung profitierten. Ebensowenig romantisiere man, wie reaktionäre Soldateska mit Wissen bestimmter Teile der SPD-Führung diesen Mord beauftragt und umgesetzt haben. Es sei trauriger Teil der deutschen Geschichte, wie damals die Revolution abgewürgt wurde, damit sich die alten Machthaber halten konnten. Ein Menetekel für die Weimarer Republik, weil da vieles schon vorprogrammiert war, was dann an ihrem Ende in den Hitler-Faschismus und den Zweiten Weltkrieg mündete. Man müsse die Systemfrage stellen, weil Kapitalismus und Krieg damals eine Einheit waren und es leider noch heute sind.

Die Herrschenden hätten ihre Lügen gestrickt, um ihr Handeln zu legitimieren. Der Erste Weltkrieg wurde offiziell nicht um Kolonien, Rohstoffe und Absatzmärkte geführt, sondern gegen den "reaktionären Zarismus", gegen den "russischen Bären". Dies bewog eine große Mehrheit der SPD dazu, für die Kriegskredite zu stimmen. Der Auftrag Liebknechts und Luxemburgs, daß die Arbeiterbewegung dabei nicht mitmachen und von Deutschland nie wieder Krieg ausgehen dürfe, wurde nicht eingelöst, so Wagenknecht. Bundeswehrsoldaten seien vielerorts stationiert, Rüstungsexporte munitionierten Kriege in aller Welt. Die Große Koalition habe in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, die am Jemen-Krieg beteiligten Mächte nicht mehr mit Rüstungsgütern zu beliefern. Längst werde Saudi-Arabien wieder beliefert, Ägypten erhalte ein Kriegsschiff. Viele Menschen sterben in diesen Kriegen, und die Täter, die solche Exporte genehmigen, seien unter uns.

Eine EU, die Interventionsarmeen aufbaut, sei kein Friedensprojekt. Es sei eine billige Legende, Trump die Schuld zuzuschieben. Erforderlich sei hingegen eine eigenständige europäische Politik, die sich nicht im Schlepptau der USA in Kriege zerren läßt. Jetzt stehe sogar der INF-Vertrag zur Debatte, womit eine neue Spirale atomarer Hochrüstung mitten in Europa drohe. Damals habe die große Friedensbewegung die Stationierung der Mittelstreckenraketen verhindert, heute brauche man eine neue starke Friedensbewegung, die zu Hunderttausenden auf die Straße geht. Die Attitüde der USA, die halbe Welt für ihre Besatzungszone zu halten, sei nicht hinzunehmen. Wie sich Herr Grenell aufführe und sogar deutschen Firmen drohe, erwecke den Eindruck, Deutschland sei eine Kolonie der USA.

Verkünde Herr Seehofer, daß in Zukunft noch freudiger abgeschoben werden müsse, sei die Linke gefordert. Sie stehe in der Pflicht, sich für die Unterdrückten im Kapitalismus einzusetzen, für die Ausgebeuteten, die in diesem System keine Stimme haben. Es gehe nicht um Wahlarithmetik, sondern darum, diese Gesellschaft zu verändern. Dafür müsse man das Vertrauen derer gewinnen, die von der Politik der letzten Jahre immer stärker in ihrem Lebensstandard beeinträchtigt wurden. Wählten sie anders, als man es sich wünsche, müsse man mehr dafür tun, ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Sie freue sich unglaublich, wie viele Gelbwesten in Frankreich auf der Straße sind. Das seien die Menschen, die ihre Stimme erheben und sich gegen abgehobene Politik wehren. Es sei ein ermutigendes Signal, daß sie sich nicht demotivieren lassen und ihre Kämpfe fortsetzen. Der Parteivorstand habe sich mit dieser Bewegung solidarisch erklärt.

Gegenüber dem Schattenblick hatte Bernd Riexinger morgens an der Gedenkstätte der Sozialisten folgendes dazu erklärt:

Ich habe von Anfang an gesagt, daß der Protest der Gelbwesten völlig gerechtfertigt ist. Die Linke hat einstimmig ihre Solidarität mit den Protestierenden ausgesprochen. Ich habe Bedenken geäußert, ob es von rechts vereinnahmt werden kann, aber das ist, Gott sei Dank, nicht passiert, weil auch linke Parteien, Schüler und Studenten sich dieser Bewegung angeschlossen haben. Wir können für uns die Schlußfolgerung daraus ziehen, daß wir hier in Deutschland auch Protest brauchen gegen eine Regierung, die unsoziale Politik macht. Aber die Verlaufsformen von Protesten sind eben in verschiedenen Ländern unterschiedlich. Hier wird es dann Protest geben, wenn er von verschiedenen Gruppen, Organisationen, Gewerkschaften und auch von uns organisiert wird. Das werden wir tun, wir werden daran mitarbeiten, daß es eine große Mieterinnen- und Mieterbewegung gibt. Wir werden weitermachen mit dem Kampf gegen rechts, mit "Unteilbar", daß es große Proteste gegen rechts gibt, daß es mit der sozialen Frage verbunden wird gegen die Wohnungsnot, gegen den Lohnraub, gegen die Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Ich bin überzeugt, daß auch in Deutschland Hunderttausende auf die Straße gehen werden.

Wie Sahra Wagenknecht fortfuhr, erregten sich selbstgefällige Kommentare aus dem politischen Berlin oder der Presse von oben herab über die Gelbwestenbewegung, da diese teils auch gewaltsam vorgehe. Selbstverständlich verurteile man Gewalt, das sei doch überhaupt kein Thema. Aber Gewalt sei doch auch, wenn die Existenzgrundlage von Millionen Menschen zerstört wird. In dem Sinne werde tagtäglich zahllosen Menschen in unseren Gesellschaften Gewalt angetan. Falle jemand mit Mitte fünfzig in Hartz IV, verliere er alles, was er sich sein Leben lang aufgebaut hat. Einer alleinerziehenden Mutter werde ein Geldgeschenk von 20 Euro, das ihr jemand unvorsichtigerweise für das Kind aufs Konto überwiesen hat, gnadenlos vom Regelsatz abgezogen. Alte Menschen würden um ihre Lebensleistung betrogen und mit Hungerrenten abgespeist. All das sei doch auch Gewalt. Diese unsägliche Privatisierung, die alles, was existentiell ist, den Renditejägern ausliefert, sei gesellschaftliche Gewalt.

Wo kommen Wut und Haß her? Sie seien ein Spiegel der Kälte und Härte der ökonomischen Bedingungen unserer heutigen Gesellschaft. Verändert man das eine nicht, werde man das andere irgendwann nicht mehr stoppen können. Die AfD habe Mütter und Väter in den Parteien, die in den letzten Jahren dieses Land regiert haben. Sie hätten die Bedingungen dafür geschaffen, daß die AfD einen solchen Zuspruch erfährt. Es gebe Freiheitsrechte, die man ohne Wenn und Aber gegen rechts verteidigen müsse. Aber man dürfe auch nicht kritiklos Begriffe übernehmen, die nicht die eigenen seien. Heiße es beispielsweise, daß die offene Gesellschaft gegen rechts verteidigt werden müsse, stelle sich doch die Frage, ob überhaupt eine offene Gesellschaft existiert. Sei es nicht vielmehr eine Gesellschaft mit vielen sozialen Mauern, die Menschen ausschließen? Die Innenbezirke von Berlin glichen einer geschlossenen Stadt, die keine neuen Mieter mehr einlasse. Die alten Dieselfahrzeuge würden verdrängt, während die modernen mit viel PS unter der Haube hineindürfen, obgleich sie in der Summe viel mehr Dreck ausstoßen. Natürlich müsse der Autoverkehr in den Innenstädten reduziert werden, doch zeichne sich wie in Frankreich ab, daß die ärmeren Leute ausbaden müssen, was die Autokonzerne eingebrockt haben.

Unternehmensgewinne, Steuersenkungen, Geschenke an die Aktionäre und die Oberschicht. Das Programm der Linken sei hingegen nicht nur eines für soziale Gerechtigkeit, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll, um sich für die kommenden Krisen zu wappnen. Die Linke wolle dieses Land verändern, aber doch nicht mit Herrn Scholz und Herrn Habeck, sondern mit anderen Mehrheiten im Sinne eines linken sozialen Programms. Dafür kämpfe man und darin unterscheide man sich von allen anderen Parteien. Sie sei sehr zuversichtlich, daß ihre Partei gut bestehen werde und Vertrauen zurückgewinnen könne, das sie vielleicht in der Vergangenheit ein wenig verspielt habe. "Wir brauchen einen neuen linken Aufbruch in Deutschland, wenn wir nicht wollen, daß den Rechten dieses Land überlassen wird. Und ich glaube, das wollen wir alle nicht!", schloß Sahra Wagenknecht ihre Rede unter tosendem Beifall und stehenden Ovationen.

Kaum war er verklungen, als Diether Dehm auch schon die Mitstreiterinnen und Mitstreiter auf die Bühne rief, um gemeinsam mit ihnen zum Abschluß "Bella Ciao" in seiner deutschen Textversion anzustimmen.


Publikum steht auf und feiert die Rednerin - Foto: © 2019 by Schattenblick

Finale mit aufstehen ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Welcher Kurs setzt sich durch?

Wollte man die gelungene Inszenierung des Jahresauftakts zum Maßstab nehmen, könnte man Der Linken attestieren, sie sei ausgezeichnet aufgestellt und für die kommenden Herausforderungen gerüstet. Daß die choreographierte Präsentation von Kampfbereitschaft und Geschlossenheit nicht bruchlos auf den politischen Alltag zu übertragen ist, daß schwelende Kontroversen in neue Zerreißproben münden könnten, dürfte indessen nicht von der Hand zu weisen sein. Die rhetorische Inanspruchnahme des demokratischen Sozialismus und das Bekenntnis zu den revolutionären Bestrebungen Luxemburgs und Liebknechts entbindet nicht davon, in den heutigen Kämpfen gleichermaßen Farbe zu bekennen. Daß Wagenknechts "Aufstehen" auf der Suche nach einer realen Bewegung die Gelbwesten zu vereinnahmen trachtet, während Kipping mit der Formel einer "revolutionären Realpolitik" den Trend zum Reformismus aus der Welt schaffen möchte, zeugt von beträchtlichen parteiinternen Widersprüchen angesichts des Grundproblems der deutschen Linken, der schon vor langem die vielzitierte Massenbasis abhanden gekommen ist. Die Linke als Partei birgt das Potential, emanzipatorische Positionen zu besetzen, die von allen anderen größeren Parteien preisgegeben worden sind. Das umreißt ihre Stärke und schärft ihr Profil, wird aber unter den herrschenden Bedingungen nur mit einem begrenzten Stimmenanteil beim Urnengang honoriert. Dient sie sich populistisch dem nach rechts ausgewanderten Ungeist dieser Zeit an, macht sie sich auf Dauer ebenso überflüssig wie die Sozialdemokratie.


Abschluß mit Singen von Bella Ciao - Foto: © 2019 by Schattenblick

Partisanen des Parlamentarismus ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnote:


[1] Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution. In: Gesammelte Werke. Band 4, Berlin 1974, S. 363.


Berichte und Interviews zur Rosa-Luxemburg-Konferenz, Liebknecht-Luxemburg-Demo und zum Jahresauftakt Der Linken im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT

BERICHT/328: Dem Karl Liebknecht haben wir's geschworen - zögerliche Ernte ... (SB)


25. Januar 2019


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