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BERICHT/044: Antirep2010 - Staatliche Repression gegen die antikapitalistische Linke (SB)


Internationale Solidarität mit politischen Gefangenen

Vier Referate auf einer Veranstaltung in Hamburg am 9. Oktober 2010

Transparent mit einem Zitat von Arundhati Roy - siehe Text - © 2010 by Schattenblick

Doppelte Stigmatisierung - ungeteilter Widerstand
© 2010 by Schattenblick

Repression. Wer heute den Duden aufschlägt, um der Wortbedeutung dieses Begriffs nachzuspüren, wird zur Klärung des Sinngehalts auf "Unterdrückung" stoßen und bestenfalls den erläuternden Zusatz vorfinden, daß es sich hierbei um die Unterdrückung von Kritik, politischen Bewegungen und ähnlichem handelt. Offenkundig hält es die Duden-Redaktion nicht für erforderlich, auch nur den Versuch einer rechtfertigenden Begründung zu unternehmen, so selbstverständlich scheint die staatlicherseits ausgeübte Bekämpfung mißliebiger politischer Positionen, Personen und Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland bereits verankert zu sein. Dies war nicht immer so, ist doch einem 1966 erschienenen Fremdwörterbuch beim Begriff "repressiv" neben der direkten Erläuterung (hemmend, unterdrückend) der Zusatz zu entnehmen, daß damit vor allem Gesetze gemeint seien, die im Interesse des Staates gegen allgemeingefährliche Umtriebe erlassen werden.

Ein Kongreß gegen Repression, wie er vom 8. bis 10. Oktober 2010 an der Universität Hamburg unter dem Titel "New Roads of Solidarity" (Neue Wege der Solidarität) vom Wissenschaftlichen Hochschulzusammenschluß zur Erforschung des Mensch-Natur-Verhältnisses unter Beteiligung internationaler Referenten veranstaltet wurde, stellt diese historisch erwachsene vermeintliche Selbstverständlichkeit nicht nur in Frage, sondern ist seinerseits bereits ein Akt der Parteilichkeit zugunsten der von staatlicher wie auch überstaatlicher Repression betroffenen Menschen. Organisatoren wie Vortragende, aber auch die zahlreichen Besucher, Unterstützer und Interessierte können sich in dem Wissen geeint sehen, einer randständig anmutenden Position die Treue zu halten, die ungeachtet ihrer fehlenden Massenverankerung das Potential in sich trägt, im Zuge der rasant zugespitzten gesellschaftlichen Widersprüche - Stichwort: Sozialabbau, Verarmung und Militarisierung - an politischer Stärke zu gewinnen.

Der Anti-Repressionsbegriff der Kongreßveranstalter und -beteiligten beinhaltete von daher keine bloße Reduzierung auf eine etwaige Anti-Anti-Haltung, als welche linke Gegenwehr gegen staatliche Repression hätte aufgefaßt werden können, sondern basierte, wie bereits der Kongreßankündigung des Organisationsteams zu entnehmen war, auf dem "Zusammenhang zwischen Totalitarisierungstendenzen des globalisierten Kapitalismus, der sich zunehmend im autoritären Staat offenbarenden Klassenherrschaft, der wachsenden Herausbildung bellizistischer, xenophober u.a. Ideologeme und der rücksichtslosen Ausbeutung von Natur und Tieren".

Eine der thematisch zentralsten, weil unmittelbar am Begriff der politischen Repression anknüpfenden Veranstaltungen stand unter dem Titel "Staatliche Repression gegen die antikapitalistische Linke: Vier Fallbeispiele". Dieser bis auf den letzten Sitz- und darüberhinaus etliche Stehplätze gutbesuchten Veranstaltung war, gut sichtbar auf einem großen Transparent plaziert, folgendes Zitat der indischen Schriftstellerin und Globalisierungskritikerin Arundhati Roy zur thematischen Einstimmung vorangestellt worden: "In der Ära von korporativer Globalisierung ist Armut ein Verbrechen. Protest gegen weitere Verarmung ist Terrorismus." Daß die darin zum Ausdruck gebrachte Bewertung des Terrorismus-Begriffs als repressives Instrument zur Diskreditierung politischer Gegner und Gegenspieler weder von den vier Referenten noch der moderierenden Repräsentantin der Roten Hilfe aufgegriffen und thematisiert wurde, kann getrost damit erklärt werden, daß dieses Faktum unter den Anwesenden der weiteren Erläuterung nicht bedurfte.

Ohnehin stand die gesamte, auf zwei Stunden terminierte Veranstaltung unter einem gewissen Zeitdruck, der sich in der den vier Referenten auferlegten Bitte niederschlug, sich in ihren Vorträgen auf jeweils 20 Minuten zu beschränken, um einer anschließenden Diskussion und Debatte noch Raum zu lassen. Da jeder einzelne Referent genug "Stoff" gehabt hätte, um die Gesamtzeit mit interessanten Ausführungen, Fragestellungen und Diskussionsanregungen zu füllen, "krankte" die Veranstaltung, wenn man denn so will, bestenfalls an einem aus dieser Not geborenen inhaltlichen Überangebot mit dem Ergebnis einer gewissen Überfrachtung der durchweg interessierten Anwesenden, zwischen denen im Anschluß an die Kurzreferate eine lebhafte Diskussion der eigentlich im Kern stehenden Frage, wie denn die Situation der politischen Gefangenen in die (internationale) Solidarität eingebunden werden könne, nicht mehr zur Entfaltung kam.

Zunächst jedoch begrüßte eine Vertreterin der Ortsgruppe Hamburg sowie des Bundesvorstandes der Roten Hilfe die Teilnehmenden und skizzierte den groben Rahmen der Veranstaltung, auf der zunächst zwei Aktivisten der Heidelberger bzw. Berliner Gruppe "Freiheit für Mumia Abu-Jamal und gegen die Todesstrafe" das Wort ergreifen, bevor ein Vertreter des Netzwerks "Freiheit für alle politischen Gefangenen" über die gegen türkische Linke vor deutschen Gerichten laufenden Verfahren nach § 129b referieren und ein Genosse des "Revolutionären Aufbaus" in der Schweiz über die dortige Antirepressionsarbeit berichten würden. Die Moderatorin beendete ihre Einleitung mit einem kurzen Porträt der "Roten Hilfe", die sich als strömungsübergreifende Schutz- und Solidaritätsorganisation für von staatlicher Repression Betroffene versteht und zu diesem Zweck Informationsarbeit, aber auch konkrete finanzielle Unterstützung leistet.

Banner der Roten Hilfe e.V.

Der enggefaßte zeitliche Rahmen wie auch die thematische Eingrenzug auf die heutige Repression "gegen antikapitalistische Linke" ließen es nicht zu, den historischen Entstehungskontext der deutschen wie auch der internationalen Roten Hilfe auch nur zu skizzieren, wiewohl dies in Hinsicht auf die in Anspruch genommene Absicht, nämlich eine Verbindung herzustellen bzw. zu vertiefen zwischen der Solidarität mit politischen Gefangenen und den originär geführten politischen Auseinandersetzungen, womöglich zweckdienlich gewesen wäre. Die "Internationale Rote Hilfe" war 1922 am 5. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution auf der Kommunistischen Internationalen gegründet worden, hatte sich als weltweit und parteiübergreifend agierende Organisation proletarischer Klassensolidarität verstanden und sich zum Ziel gesetzt, den in den Knästen des Kapitals schmachtenden Gefangenen materielle wie moralische Hilfe zu leisten. 1924 war in Deutschland, der KPD nahestehend, die "Rote Hilfe Deutschlands" gegründet worden, der 1932 über eine Million Mitglieder, die Hälfte von ihnen parteilich ungebunden, angehörten.

Allein diese Zahl macht deutlich, wie wenig die politischen Auseinandersetzungen und historischen Bezüge, in denen die damalige Rote Hilfe nur zu verstehen ist, mit der gegenwärtigen Situation in Beziehung gesetzt werden kann. Der heutige, von seinen Protagonisten in diese Tradition gestellte Ansatz einer (klassen-)kämpferischen Gefangenensolidarität steht in einem gesamtpolitischen Kontext, in dem die Linke eben nicht wie noch in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts über das Potential der Massenmobilisierung auf der Straße verfügt. Die Folgen der Repression gegen links, die in der damaligen Zeit bekanntlich unter sozialdemokratischer Führung ihren unheilvollen Anfang nahm und im NS-Terrorstaat ihren mörderischen Höhepunkt, aber keineswegs ihr Ende fand, machen sich bis heute bemerkbar, wie sich nicht zuletzt auch am Antirepressionskongreß selbst ablesen läßt. Würden die hier bezogenen Standpunkte und politischen Ansätze wie vor knapp hundert Jahren einen annähernd vergleichbaren Stellenwert und Verbreitungsgrad in der Bevölkerung, und sei es in ihrem "untersten" und gleichwohl massenhaftesten Teil, einnehmen, hätten sie wohl jeden Kongreßrahmen gesprengt.

Banner des Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal

Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal

Dies steht der Relevanz der Einzelreferate selbstverständlich nicht entgegen. Da der Kongreß keineswegs auf den hiesigen Raum begrenzt und auch aus inhaltlichen Gründen als ein internationaler ausgerichtet worden war, bot sich ein Referat über die politischen Gefangenen in den USA zum Einstieg an. Der Referent, ein Aktivist der Heidelberger Gruppe "Freiheit für Mumia Abu-Jamal", machte mit der Frage, welche politischen Gefangenen - von Mumia Abu-Jamal einmal abgesehen - den Anwesenden namentlich bekannt seien, gleich die Probe aufs Exempel. Mit zwei Nennungen fiel die Ausbeute erwartungsgemäß dürftig aus, womit eindrucksvoll demonstriert war, wie gering der Kenntnisstand selbst unter Interessierten tatsächlich ist. Zur Klärung des Begriffs "politscher Gefangener" erläuterte der Referent, daß er von sehr engen Kriterien ausgehe und darunter verstehe, daß einem Gefangenen aus politischen Gründen etwas untergeschoben wird, was er nicht getan hat, daß er keinen fairen Prozeß bekommen hat oder zu einer exorbitant hohen Strafe verurteilt wurde. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien könne die Zahl der politischen Gefangenen in den USA auf 100 bis 150 festgelegt werden.

Der Heidelberger Mumia-Unterstützer stellte klar, daß Mumia Abu-Jamal, der eine gewisse Sonderrolle auch in der Solidaritätsbewegung einnimmt, weil sein Leben sehr akut bedroht ist, der allererste wäre, der es begrüßen und unterstützen würde, den Kampf um die Befreiung politischer Gefangener auf die kaum bis gar nicht bekannten auszuweiten. Um dem allgemeinen Informationsdefizit entgegenzuwirken, stellte der Referent zunächst die radikalökologische Gruppe Move vor, die 1978 in Philadelphia ins Fadenkreuz der Polizei geraten war und deren Mitglieder im Zusammenhang mit einer bewaffneten Auseinandersetzung, in deren Verlauf unter bis heute ungeklärten Umständen ein Polizist ums Leben gekommen war, zu Haftstrafen zwischen 30 und 100 Jahren verurteilt worden waren. Da der Tatort von der Polizei sofort zerstört wurde, wird sich kaum nachweisen lassen, ob der Polizist nicht durch die Kugel eines Kollegen getötet wurde. Neun Move-Mitglieder wurden wegen Mordes 1. Grades verurteilt. Bei bereits drei Anhörungen in den Jahren 2008, 2009 und 2010 wurde ihre Freilassung auf Bewährung abgelehnt. Sie werden aller Voraussicht nach bis an ihr Lebensende inhaftiert bleiben, weil sie nicht geständig sind, Reue jedoch die Voraussetzung für eine solche Freilassung wäre.

Mumia Abu-Jamal war seinerzeit einer der wenigen, die kritisch über den Fall der Move-Leute, die 1978 zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt worden waren, berichtet und damit sich selbst ins Fadenkreuz von Polizei und Justiz manövriert hatte. Auf seinen "Fall" ging der Referent in juristischer Hinsicht nicht näher ein, er verwies auf die zahlreichen Publikationen zu diesem Thema wie auch den Report von amnesty international vom Oktober 2000, dessen Autoren eine Wiederaufnahme des Verfahrens gefordert und erklärt haben, daß in dem Prozeß gegen Mumia in vielfältiger Hinsicht gegen die internationalen Anforderungen an einen fairen Prozeß verstoßen worden sei. Der Referent berichtete ausführlicher über den Fall des in den USA am längsten inhaftierten politischen Gefangenen, Ruchell Magee, der 1969 verhaftet wurde und seitdem in dem wohl schlimmsten Gefängnis der Welt, dem Corcoran State Prison, inhaftiert ist.

Weitere politische Gefangene, wie Mumia Abu-Jamal ehemalige Mitglieder der Black Panther Party, befinden sich zum Teil in Haft, obwohl in juristischer Hinsicht Beweise für ihre Unschuld vorliegen. Der Heidelberger Mumia-Unterstützer schloß seinen Vortrag mit dem dringenden Appell, all diese Gefangenen in die Solidaritätsarbeit miteinzubeziehen und machte mit den Worten "free them all" sein Anliegen deutlich. Wenn das Leben dieser Gefangenen auch nicht wie das Mumia Abu-Jamals durch die Todesstrafe akut bedroht sei, drohe ihnen doch eine leise Hinrichtung auf Raten, da ihnen aus politischen Gründen die Freilassung verwehrt werde.

Der nächste Referent von der Berliner Mumia-Initiative widmete sich in seinem Vortrag dem Thema "mass incarceration" (Masseneinkerkerung), das in den USA mit dem sogenannten Gefängnis-industriellen Komplex in einem engen Zusammenhang steht. Der Aktivist führte dazu aus, daß die Zahl der Inhaftierten in den USA von 400.000 im Jahre 1975 auf heute 2,5 Millionen angestiegen sei und daß die Gründe dafür keineswegs in einem tatsächlichen Kriminalitätsanstieg, sondern in der in den Privatgefängnissen der USA in Kooperation mit großen und namhaften Konzernen nahezu aller Branchen durchexerzierten Zwangsarbeit der Gefangenen zu suchen sind. Der Referent bezeichnete dies als die "moderne Form der 1865 offiziell abgeschafften Sklaverei" und ließ nicht unerwähnt, daß diese Gefängnisse inzwischen der "drittgrößte Arbeitgeber" in den USA seien. In keinem anderen Staat der Welt werden so viele Menschen inhaftiert wie in den USA, wobei, was niemanden verwundern kann, afroamerikanische, hispanische wie US-Bürger indianischer Herkunft deutlich überrepräsentiert sind.

Die Entwicklung zu der in Privatgefängnissen gewaltsam durchgesetzten Zwangsarbeit kann allerdings nicht auf die USA beschränkt werden, gibt es doch entsprechende Tendenzen und Projekte bereits in Australien, Großbritannien, Polen und nicht zuletzt auch in der Bundesrepublik Deutschland. Hierzulande steht zu befürchten, daß in den einzelnen Regionen mehr Privatisierungsprojekte laufen, als allgemein bekannt ist. Hier zog der Referent eine Verbindung zur bundesdeutschen politischen Strafjustiz und wies auf das Problem hin, daß es durch eine Ausweitung der politischen Repression, wie sie beispielsweise mit der praktischen Implementierung des § 129 inklusive all seiner Buchstaben in die deutsche Strafjustiz zu gewärtigen steht, auch zu einem massiven Anwachsen der Gefangenenzahlen kommen könnte.

In den USA, wo der Gefängnis-industrielle Komplex schon am weitesten vorangeschritten ist, rege sich längst Widerstand gegen diese moderne Form der Sklaverei, während hierzulande allein die Analyse dieser Entwicklung noch in den Anfängen stecke. Der Berliner Aktivist beschloß diesen Teil seiner Ausführungen mit den als Appell gemeinten Parolen "Wir sind nicht frei, solange es nicht alle sind" und "Sklaverei und Zwangsarbeit endgültig abschaffen". Es gab sicherlich niemanden unter den Anwesenden, der dem hätte widersprechen wollen.

Den zweiten Teil seines Vortrags widmete der Referent der Todesstrafe in den USA, die er als eine "Bedrohung der eigenen Bevölkerung und der Minderheiten und Einkommensschwachen" bewertete. Die Todesstrafe war in den USA 1865 offiziell abgeschafft, 1976 jedoch wieder eingeführt worden. Seitdem sind rund 1.200 Menschen vergiftet, in der Gaskammer umgebracht oder auf sonstige Weise getötet worden. Zur Frage der Grausamkeit der Hinrichtung stellte der Vortragende klar, daß diese nicht durch die Frage nach der vermeintlich humansten Tötungsart verdeckt werden könne.

Von der Todesstrafe sind in den USA fast nur Arme betroffen, weil sie sich eine angemessene Verteidigung nicht leisten können. Hinzu kommt eine rassistische Beeinflussung der Jury durch die Staatsanwaltschaften. Daß dies keine Ausnahmen sind, sondern dem Regelfall entsprechen, an dem in den USA kein noch so hohes Gericht etwas ändern wolle, belegte der Referent mit einer Entscheidung des höchsten US-Gerichts, des Supreme Courts, derzufolge eine Hinrichtung auch bei erwiesener Unschuld vollstreckt werden könne, wenn es zuvor ein "faires Verfahren" gegeben habe. Wie ein Verfahren, das mit einem mörderischen Fehlurteil endet, allerdings "fair" sein kann, vermag wohl kaum ein Mensch plausibel zu erklären.

Der Referent sprach im weiteren Verlauf auch die vermeintliche Akzeptanz an, die die Todesstrafe in der US-Bevölkerung auch der hiesigen Medienberichterstattung zufolge angeblich genieße, und stellte klar, daß dieser Eindruck auf einer verzerrten Darstellung beruhe. Tatsächlich gewinne der Widerstand und die Protestbewegung gegen die Todesstrafe in den USA immer mehr an Bedeutung, was in etlichen Fällen, neben Mumia ist hier auch Troy Davis zu nennen, bereits dazu geführt habe, daß Todesurteile nicht vollstreckt werden konnten. Beim Thema Todesstrafe zog der Aktivist eine interessante Verbindung zu Deutschland bzw. Europa, indem er anmerkte, daß die Bundeswehr in ihrem Afghanistaneinsatz letztlich auch die Hinrichtungen schützt, die, nachdem dort wie auch im Irak die Todesstrafe auf Wunsch der USA wiedereingeführt wurde, vollstreckt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der es wert gewesen wäre, ausführlicher erörtert zu werden, bestand in der kaum bekannten, indirekten Wiedereinführung der Todesstrafe im Kriegsrecht der EU durch die seit dem 1.12.2009 geltenden Lissaboner Verträge.

Anschließend ging das Wort noch einmal an den Heidelberger Mumia-Aktivisten, der auf den aktuellen Stand der Bewegung gegen die Todesstrafe in den USA wie auch den im "Fall" Mumia Abu-Jamal einging. Als positives Zeichen wertete er nicht nur die Weigerung der US-Ärzte, sich an der Tötung gefangener Menschen zu beteiligen, sondern auch die einer Pharmafirma, die nicht bereit sei, die von ihr produzierten Substanzen für solche Zwecke auszuliefern. Den relativen Rückgang der Hinrichtungen - derzeit würden zwischen 50 und 60 Exekutionen pro Jahr durchgeführt - führte der Aktivist auf den wachsenden internationalen Protest, aber auch die schwindende Akzeptanz der Todesstrafe in der US-Bevölkerung zurück.

In Hinsicht auf Mumia Abu-Jamal faßte der Referent den aktuell bedrohlichen Stand noch einmal zusammen. Nachdem amnesty international im Jahr 2000 zu Mumia Abu-Jamal einen eigenen Report herausgebracht hatte, sei im Dezember 2001 das Todesurteil gegen ihn von einem Bundesrichter aufgehoben worden. Die damalige Aussicht, daß es unter Umständen zu einem neuen Verfahren kommen könne, wurde durch zwei katastrophale Entscheidungen des US Supreme Court zunichte gemacht. Im April 2009 wurde auf diesem Wege die Chance zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens juristisch endgültig zerschlagen. Im Januar 2010 hat der Supreme Court dann auf Antrag der Staatsanwaltschaft die bundesgerichtliche Entscheidung, das Todesurteil aufzuheben, seinerseits aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia zurückverwiesen. Dort wird es am 9. November zu einer Anhörung kommen, bei der beide Seiten ihre Argumente vortragen können. Nach Einschätzung von Robert R. Bryan, Mumias Hauptanwalt, könne danach in wenigen Monaten vom Gericht eine Entscheidung auf Leben und Tod gefällt werden.

Zu diesem Zeitpunkt sei jedoch auch, so der Referent, mit dem Gutachten der prominentesten kriminologischen Firmen Kaliforniens wie auch der gesamten USA zu rechnen, die beauftragt wurden, den gesamten Fall forensisch neu zu untersuchen. Sollte sich seitens dieser Experten herausstellen, daß Mumia Abu-Jamal die ihm zur Last gelegte Tötung gar nicht begangen haben kann, werden die Karten, wie der Aktivist es formulierte, "neu gemischt werden, ganz egal, was der Supreme Court für endgültig hält oder nicht". Wohlwissend, daß das Leben Mumias nur durch politischen Druck gerettet wurde und gerettet werden kann, beschloß der Referent den Mumia direkt gewidmeten Teil seiner Ausführungen mit den Worten: "Das hängt von uns allen ab, ohne Druck wird sich hier nichts durchsetzen lassen." Anläßlich des 29. Jahrestages der Inhaftierung Mumias am 9. Dezember wird es am darauffolgenden Samstag, den 11. Dezember 2010, in Berlin und möglicherweise auch in anderen Städten eine Demonstration geben, die weniger dem juristischen Stand des Verfahrens, als vielmehr dem grundsätzlichen Kampf um die Freiheit Mumia Abu-Jamals sowie der übrigen politischen Gefangenen gewidmet sein und unter dem Motto stehen wird: "Nur nicht die Wut verlieren."
( Aufruftext zur Demo siehe http://mumia-hoerbuch.de/demonstration.htm#demo111210 )

Banner des network for the freedom of all political prisoners

network for the freedom of all political prisoners



Im Anschluß daran ergriff ein Repräsentant des Netzwerks "Freiheit für alle politischen Gefangenen", das bundesweit in vielen Städten vertreten ist und eine Antirepressions- bzw. Solidaritätsarbeit leistet, die als Teil des Klassenkampfes verstanden und geführt wird, das Wort. Konkret bedeute dies, Informationsarbeit zu leisten, um Interessierte darüber zu informieren, warum bestimmte Gefangene inhaftiert sind, um welche Inhalte es dabei geht und wie die Kriminalisierung sich entwickelt. Zu diesem Zweck, aber auch, um die Gefangenen selbst zu informieren, gibt das Netzwerk in Verbindung mit weiteren Einzelautoren das Gefangenen-Info heraus, das selbst bereits Angriffsflächen geboten hat und dessen presserechtlich Verantwortlicher sich gerade jetzt wieder vor Gericht verantworten muß.

Den Schwerpunkt seiner Ausführungen legte der Netzwerk-Aktivist jedoch auf die Prozesse gegen mutmaßliche Mitglieder der türkischen Linksorganisation DHKP-C (Volksbefreiungspartei-Front) hier in Deutschland, die in Hinsicht auf die Repressionsentwicklung einen ganz besonderen Stellenwert haben, weil in ihnen erstmals in der Bundesrepublik der nach 2001 neu geschaffene Zwillingsparagraph zur "terroristischen Vereinigung" (§ 129a) oder auch "kriminellen Vereinigung" (§ 129), der die darin geschaffene Strafbarkeit bestimmter Vereinigungs- und Organisationsdelikte auf ausländische Organisationen erweitert, in großem Umfang zum Einsatz kam. Damit wurde ein Einfallstor geschaffen für die systematische Kriminalisierung politisch aktiver Vereine oder Organisationen mit einem solchen Auslandsbezug, die nach vorheriger Rechtslage hier völlig legal arbeiten.

Der erste dieser Prozesse gegen Angehörige der türkischen DHKP-C begann im März 2008 in Stuttgart-Stammheim. Zwei der fünf in ihm Angeklagten befinden sich nach ihrer Verurteilung wieder auf freiem Fuß. Mit diesen Urteilen wurden Präzedenzfälle geschaffen, die die Basis für weitere Verfolgungsmaßnahmen lieferten und in andere Prozesse bereits eingeführt wurden. Da somit gerichtlich festgestellt wurde, daß die DHKP-C "Tarnvereine" unterhalte, sei über kurz oder lang mit dem Verbot bzw. der Kriminalisierung weiterer hier eingetragener Vereine zu rechnen unter dem Vorwand, es handele sich um Tarnvereine einer terroristischen Organisation.

Zwei weitere DHKP-C-Prozesse laufen noch vor dem OLG Düsseldorf. In einem ist Faruk Erkeren wegen "Rädelsführerschaft" in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129b angeklagt. Ihm droht bei einer Verurteilung die Abschiebung in die Türkei und damit lebenslange Folterhaft. Im März 2010 begann ein weiteres Verfahren wegen "Mitgliedschaft" nach § 129b gegen drei migrantische Linke aus der Türkei, denen vorgeworfen wird, durch Spendensammlungen die DHKP-C unterstützt zu haben. Diese drei kurz skizzierten Prozesse, so das Fazit des Referenten, "zeigen eigentlich auch die Bandbreite auf, mit der momentan versucht wird, diesen Paragraphen in der BRD zu etablieren". Dabei reiche die "gemutmaßte und dann eben in 'rechtstaatlichen Prozessen' nachgewiesene Zugehörigkeit zu so einer Organisation völlig aus, um diese Person zu verurteilen".

Das Beispiel der politischen Strafverfolgung gegen türkische Linke hier in der Bundesrepublik wie auch die am 1. April 2004 europaweit durchgeführte Razzia zeige, so die weiteren Ausführungen des Netzwerk-Aktivisten, die enge Zusammenarbeit auf internationaler Ebene, das starke Interesse der Bundesrepublik, den Willen der Türkei zu erfüllen, aber auch die Bestrebungen, durch die Etablierung des § 129b Präzedenzfälle zur Aufstandsbekämpfung zu schaffen. Mit dem rechtstaatlichen Postulat einer in Prozessen angestrebten Wahrheitsfindung oder Suche nach Gerechtigkeit habe das nichts zu tun. Es handele sich vielmehr um Terrorprozesse, die nur dazu dienten, "eine gewisse Rechtsstaatlichkeit vor den Augen der Öffentlichkeit zu wahren".

Die Bemühungen des Netzwerks "Freiheit für alle politischen Gefangenen", so resümierte der Referent, diese Prozesse solidarisch zu begleiten und eine Öffentlichkeit durch Veranstaltungsrundreisen und Veröffentlichungen herzustellen, seien über einen gewissen Ansatz nicht hinausgegangen. Die Gründe für das geringe Interesse an diesen Prozessen vermutete der Aktivist darin, daß die DHKP-C auch in der Linken "nicht beliebt" sei. Er verdeutlichte das internationalistische Verständnis dieser Arbeit mit dem Argument, daß es notwendig sei, sich solidarisch zu verhalten auch wenn man, wie in diesem Falle, mit der DHKP-C nicht 1:1 übereinstimme. "Betroffen sind einige, gemeint sind wir alle", lautete das Fazit des Aktivisten, der seinen Vortrag mit den Worten schloß, daß die Antwort auf die internationale Repression gerade in bezug auf die sogenannten Antiterrorgesetze nur die internationale Solidarität sein könne.

Banner des Revolutionären Aufbaus / AG Jugend

Revolutionärer Aufbau / AG Jugend
www.aufbau.org


Das letzte Referat der insgesamt gut zweistündigen Veranstaltung hielt ein Schweizer Aktivist vom "Revolutionären Aufbau", der im Unterschied zu den vorherigen Referenten einen etwas anders gelagerten inhaltlichen Schwerpunkt legte. In seinem Bericht standen nicht die politischen Prozesse bzw. die Situation der politischen Gefangenen in der Schweiz, von denen es eher wenige gibt, im Vordergrund, sondern die Frage, wie ganz allgemein mit der Repression umgegangen werden könne. Er schilderte dem interessierten Publikum die Schulungen, die seitens der Aktivisten in Zürich organisiert werden, um dafür Sorge zu tragen, daß es am besten gar nicht erst zu einer Festnahme komme und daß, wenn doch, niemand nicht mit der Situation umgehen könne und sich nicht zu verhalten wisse. Er schilderte auch die Entwicklung auf Demonstrationen und bei Straßenauseinandersetzungen mit der Polizei in Zürich und machte darauf aufmerksam, daß die Gegenseite ihr Verhalten in den zurückliegenden Jahren geändert habe.

So hatte das Bestreben der Polizei bei unangemeldeten Demonstrationen in den Jahren 2001 bis 2003 noch darin bestanden, die Teilnehmer einzukesseln und möglichst viele von ihnen zu verhaften. Später seien die Ordnungskräfte jedoch dazu übergegangen, gezielt auf einzelne loszugehen, von denen sie annahmen, ihnen auch eine Straftat, beispielsweise Sprühaktionen, nachweisen zu können. Eine weitere Zäsur habe es im Zuge der Fußball-Europameisterschaft 2008 gegeben, die zum Anlaß genommen worden war, wegen der angeblich anrückenden Hooligan-Horden den Repressionsapparat intensiv auszubauen. Im Bereich der Stadt Zürich gebe es seitdem das polizeiliche Instrument des Wegweisens, was bedeutet, daß bestimmten Menschen, ohne daß sie etwas getan haben müßten, der Aufenthalt in einem bestimmten Stadtteil für eine bestimmte Zeit verboten wird - da genüge es, jung und irgendwie alternativ auszusehen. Am vergangenen 1. Mai wurde dieses Mittel gleich 69mal zur Anwendung gebracht, was seitens der Züricher Aktivisten als Versuch bewertet wurde, ihnen die Präsenz auf den Straßen streitig zu machen.

Die Schweizer Aktivisten sind jedoch nicht bereit, sich "wegweisen" zu lassen und verstehen die Auseinandersetzung um die öffentlichen Straßen als Bestandteil konkreter Gegenwehr auf der Basis eines Klassenkampf-Verständnisses, das die eigene Strategie nicht auf die "Verteidigung ökonomischer Interessen reduziert", sondern tagtäglich auf konkrete Gegenmachtsmöglichkeiten fokussiert, worunter auch die "kreative Rückeroberung des öffentlichen Raums" zu fassen sei. So kämen am 1. Mai die "verschiedenen Stränge des Klassenkampfes" - Antifa- und Antiimperialismus-Gruppen, Arbeitskampf, Frauen - an einem zentralen Ort zusammen.

Zur konkreten Antirepressionsarbeit in der Schweiz gehört, wie der Aktivist aus Zürich eindrücklich schilderte, neben der Schulungs- auch die konkrete Unterstützungsarbeit, falls es denn doch zu einer Verhaftung gekommen sein sollte. Der Kerngedanke der Roten Hilfe - auch der historischen Roten Hilfe -, nämlich daß die staatliche Repression in ihrer Wirkung auf die direkt von ihr Betroffenen wie auch die mittelbar Bedrohten mit dem Maß der konkreten Solidarität steht und fällt, die die jeweils gemeinte politische Organisation oder Bewegung "ihren" Gefangenen gegenüber leistet, wurde in dieser Schilderung mit großer Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht.

Der Referent beschrieb im Detail, wie die wenigen Möglichkeiten, die sich den Freunden und Unterstützern im Falle einer Festnahme noch bieten, konsequent genutzt werden, um den Betroffenen, aber auch ihren Angehörigen sowohl in der U-Haft als auch bei dem unter Umständen anschließenden Prozeß und einer womöglich drohenden Gefängnisstrafe praktisch beizustehen. Bei derartigen politischen Prozessen, die es in der Schweiz eher selten gibt, geht es dabei um die Frage, wie eine Verurteilung verhindert bzw. eine geringe Strafe erwirkt werden könne, allerdings ohne das Gericht anzuerkennen. Die konkrete Prozeßführung müsse jedoch von Fall zu Fall entschieden werden, wobei der Kerngedanke der Aktivisten in dem Verständnis beruhe, daß zwar Einzelne betroffen, jedoch die Linke insgesamt gemeint sei.

Zum Abschluß griff die Moderatorin der Roten Hilfe zusammenfassend die von den Referenten bereits vielfach angesprochene Solidarität noch einmal auf und unterstrich deren Wichtigkeit, die sich bei Mumia Abu-Jamal, aber auch in den 129b-Prozessen hier in Deutschland sowie den praktischen Antrepressionserfahrungen in der Schweiz gezeigt habe. Die Repräsentantin der Roten Hilfe unterstrich den Stellenwert gerade auch der internationalen Solidarität und stellte dies in Zusammenhang mit der internationalen Koordination der Repression der herrschenden Kräfte. Wie in zahlreichen Veröffentlichungen europäischer und US-amerikanischer Thinktanks nachzulesen sei, ziele die international koordinierte Repression der Zukunft auf einen Kampf gegen die "bottom billions", zu deutsch die "unteren Millionen" oder eine immer größer werdende "Mülleimer-Klasse" ab. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten bestünden darin, daß diese Repressionsstrategien "in einigen Staaten eben schon klarer zu Tage treten und in anderen sich noch etwas versteckt halten". Keiner der Anwesenden hätte dem widersprechen wollen.

Büchertische im Foyer des Antirepressionskongresses - © 2010 by Schattenblick

Aufklärung tut not ... im Foyer des Antirepressionskongresses
© 2010 by Schattenblick

Bisher erschienen:
BERICHT/039: Antirep2010 - Der "War On Terror" und moderner Faschismus (SB)
BERICHT/040: Antirep2010 - Heinz-Jürgen Schneider zum Terrorverdikt im politischen Strafrecht (SB)
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INTERVIEW/051: Antirep2010 - Moshe Zuckermann, israelischer Soziologe und Autor (SB)
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INTERVIEW/053: Antirep2010 - Thomas Wagner, Kultursoziologe und Autor (SB)

22. Oktober 2010