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BERICHT/051: Wahlparteitag Die Linke Hamburg im Zeichen antikommunistischer Anfeindungen (SB)



Gesine Lötzsch und Gregor Gysi nehmen Stellung zum Kommunismusvorwurf

Gesine Lötzsch - © 2011 by Schattenblick

Gesine Lötzsch
© 2011 by Schattenblick

Am 8./9. Januar stellte Die Linke in Hamburg auf Parteitag und VertreterInnenversammlung die Weichen für den Wahlkampf in der Hansestadt. Die nach dem Scheitern der schwarz-grünen Koalition erforderlich gewordenen vorgezogenen Neuwahlen zur Bürgerschaft konfrontieren den Landesverband früher als erwartet und unter durch die aktuelle Kommunismus-Kontroverse zugespitzten Bedingungen mit der Herausforderung, am 20. Februar dem Urteil der Wähler gerecht zu werden. Statt wie in der Vergangenheit von ihren Gegnern ignoriert und totgeschwiegen zu werden, sah sich Die Linke in Hamburg fast über Nacht ins Scheinwerferlicht gezerrt. Wenngleich sich die flüchtige Aufmerksamkeit mediengenerierter Öffentlichkeit an die Fersen der Parteiprominenz heftete und deren Schritte tags darauf in Berlin auf der ewigen Jagd nach Eklat, Skandal und Bezichtigung verfolgte, trägt die Hamburger Linke nun eine mehrfache Last. Da sie mit dem Auftakt ins Superwahljahr das erste Signal setzt, wie es um die derzeitige Zustimmung in der Wählerschaft bestellt ist, mißt man ihrem Abschneiden große Bedeutung auch für die Gesamtpartei bei. Insbesondere aber trägt sie nun die Bürde des allseitigen Angriffs, der in der Erklärung aller übrigen Parteien gipfelt, die Linkspartei sei weder bündnis- noch regierungsfähig. Diese Ausgrenzung ist zwar nicht neu, doch bricht sie nun mit geballter Wucht über Die Linke herein, die nach dem mit Häme kommentierten Führungsstreit vor Jahresfrist nun um so heftiger vom Regen in die Traufe zu kommen droht.

So mißlich diese Kontroverse auch anmuten mag, ist sie doch Ausdruck der unvermeidlichen Auseinandersetzung zwischen den herrschaftssichernden und systemstabilisierenden Kräften auf der einen und einer Partei, die diesen gesellschaftlichen Verhältnissen die Stirn zu bieten beansprucht, auf der anderen Seite. Nimmt Die Linke ihren Anspruch ernst, nicht nur als reformistische Alternative das unzufriedene Klientel der nach rechts abdriftenden Sozialdemokratie zu übernehmen, sondern den Ursachen von Ausbeutung und Unterdrückung zu Leibe zu rücken, begibt sie sich zwangsläufig auf Kollisionskurs mit den Sachwaltern und Profiteuren einer raubgestützten Ordnung, die zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung im eigenen Land wie der Menschheit weltweit geht.

Rosa Luxemburg, die man in linken Kreisen gern zitiert, doch leider oftmals nur in jenen Passagen wiedergibt, die man für kompatibel mit den eigenen Positionen hält, schrieb im Dezember 1918:

Die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung ist die gewaltigste Aufgabe, die je einer Klasse und einer Revolution der Weltgeschichte zugefallen ist. Diese Aufgabe erfordert einen vollständigen Umbau des Staates und eine vollständige Umwälzung in den wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen der Gesellschaft. Dieser Umbau und diese Umwälzung können nicht durch irgendeine Behörde, Kommission oder ein Parlament dekretiert, sie können nur von der Volksmasse selbst in Angriff genommen und durchgeführt werden
(...)

Es ist ein toller Wahn zu glauben, die Kapitalisten würden sich gutwillig dem sozialistischen Verdikt eines Parlaments, einer Nationalversammlung fügen, sie würden ruhig auf den Besitz, den Profit, das Vorrecht der Ausbeutung verzichten. Alle herrschenden Klassen haben um ihre Vorrechte bis zuletzt mit zähester Energie gerungen. (...) Die imperialistische Kapitalistenklasse überbietet als letzter Sproß der Ausbeuterklasse die Brutalität, den unverhüllten Zynismus, die Niedertracht aller ihrer Vorgänger. Sie wird ihr Allerheiligstes, ihren Profit und ihr Vorrecht der Ausbeutung, mit Zähnen und mit Nägeln, mit jenen Methoden der kalten Bosheit verteidigen, die sie in der ganzen Geschichte der Kolonialpolitik und in dem letzten Weltkriege an den Tag gelegt hat. (...)

All dieser Widerstand muß Schritt um Schritt mit eiserner Faust und rücksichtsloser Energie gebrochen werden. Der Gewalt der bürgerlichen Gegenrevolution muß die revolutionäre Gewalt des Proletariats entgegengestellt werden. (...) Nicht wo der Lohnsklave neben dem Kapitalisten, der Landproletarier neben dem Junker in verlogener Gleichheit sitzen, um über ihre Lebensfragen parlamentarisch zu debattieren, dort, wo die millionenköpfige Proletariermasse die ganze Staatsgewalt mit ihrer schwieligen Faust ergreift, um sie, wie der Gott Thor seinen Hammer, den herrschenden Klassen aufs Haupt zu schmettern: dort allein ist die Demokratie, die kein Volksbetrug ist. [1]

Als Rosa Luxemburg das Programm der Kommunistischen Partei Deutschlands entwarf, malte sie in aller gebotenen Deutlichkeit den erbitterten Widerstand der herrschenden Klassen gegen jedes konsequente Aufbegehren und insbesondere jeden radikalen Entwurf zur Abschaffung dieser Verhältnisse aus. Vor diesem Hintergrund kann die von Haß und Häme geprägte Kampagne gegen die Linkspartei und ihre Vorsitzende Gesine Lötzsch nicht überraschen, geht es den Protagonisten der bestehenden Gesellschaftsordnung doch um nichts weniger, als das Beharren auf der Vision einer Welt, die den Namen "menschlich" tatsächlich verdient, nicht nur in den aktuellen Auseinandersetzungen zu diskreditieren, sondern unter das Verdikt der Illegitimität zu stellen.

Gesine Lötzsch am Rednerpult - © 2011 by Schattenblick

... dem Gegenwind standhalten
© 2011 by Schattenblick
Gesine Lötzsch hat es sich nicht nehmen lassen, von "Wegen zum Kommunismus" zu sprechen und damit die Gesellschaftsveränderung als persönliches Anliegen wie auch Zielvorgabe ihrer Partei auf die Tagesordnung zu setzen. Der dadurch ausgelöste Sturm bürgerlicher Entrüstung ist eine Eruption des unausgesetzten Strebens, die für besiegt erklärte Möglichkeit eines anderen Gesellschaftssystems endgültig zu begraben. Im Streit um die Verwendung des dabei unhinterfragten und auf einen bloßen Kampfbegriff reduzierten "Kommunismus" bricht sich der repressive Impetus Bahn, die unbeirrbare Negation einer Ordnung, die Leid und Not nicht nur perpetuiert, sondern unablässig steigert, für undenkbar zu erklären.

Der immense Druck, dem sich die Linkspartei ausgesetzt sieht, zielt insbesondere auf eine innere Spaltung ab, die sie in ihrer Außenwirkung schwächt oder gar in Fraktionen zerbrechen läßt, welche unter das Niveau parlamentarischer Repräsentanz zurückfallen. So verwundert es nicht, daß auch und gerade Sozialdemokraten und Grüne über sie herfallen, um die Sammlungsbewegung am linken parteipolitischen Flügel zu zerschlagen und Wählerstimmen für sich zu vereinnahmen. Demgegenüber Geschlossenheit anzumahnen bedarf jedoch einer konsequenten inhaltlichen Diskussion und Klärung, da das Beharren auf einem zukunftsfähigen Entwurf dem Wahlerfolg um jeden Preis diametral gegenübersteht. Der Ruf nach Stärke in Gestalt ansehnlicher Prozentwerte muß sich als trügerisch erweisen, sofern diese durch die sukzessive Kehrtwende in Richtung herrschaftsopportuner sozialdemokratischer Politik erkauft werden.

Die Linkspartei ist aus einem Schulterschluß verschiedener Parteien und Bewegungen hervorgegangen. Die Konsolidierung des Versuchs, inhaltlich zum Teil weit auseinanderliegende Positionen unter einem Dach zu vereinen, ist längst nicht abgeschlossen. Wenngleich das verwundbar für Spaltungsversuche macht, wäre es fatal, die Verbindung zur Basis und den fortgesetzten Diskussionsprozeß preiszugeben, ohne die eine dem Anspruch nach linke Partei den Weg aller Sozialdemokraten in die Teilhaberschaft an der Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse gehen muß. Rosa Luxemburg hat die Grenzen parlamentarischer Arbeit in aller Entschiedenheit hervorgehoben und eindringlich vor der Illusion gewarnt, dort ließen sich die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend ändern. Dauerhafte Stärke und Widerstandsfähigkeit gegen die Verführung, am Tisch der Herrschenden die eigenen Anteile zu sichern, kann die angefeindete Linkspartei nur in einem Zukunftsentwurf erlangen, den alle anderen Parteien den Menschen versagen.

Die Formel vom demokratischen Sozialismus ist zwar für weite Teile der Linken bis an den Rand der Sozialdemokratie konsensfähig, doch unterstreicht die jüngste Kontroverse um die Verwendung des Kommunismus-Begriffs, daß die Klammer der Bündnisfähigkeit keinesfalls zu einer nicht länger hinterfragten Schablone gerinnen darf. Gesine Lötzsch, die in "Wege zum Kommunismus" Rosa Luxemburgs "revolutionäre Realpolitik" in "radikale Realpolitik" abschwächt, sorgt in diesem Beitrag für die junge Welt auch an anderer Stelle für Irritationen, wenn sie schreibt: "Wenn Kommunismus das Gemeinschaftliche betont und der Liberalismus den einzelnen, dann wollte Rosa Luxemburg beides zugleich (...)" [2]. Im Zusammenhang mit der Freiheit des einzelnen einen Begriff wie Liberalismus zu verwenden, der mit der Freiheit des Bürgertums und insbesondere der ungezügelten kapitalistischen Verwertung assoziiert ist, muß verwundern, legt man Luxemburgs oben zitierte Auffassung über Demokratie und Volksbetrug zugrunde.

Gesine Lötzsch, Jan van Aken - © 2011 by Schattenblick

Gesine Lötzsch, Jan van Aken
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Auf dem Hamburger Wahlparteitag sprach Gesine Lötzsch von einer "hysterischen Reaktion" auf ihren Beitrag in der jungen Welt, der ein Stich ins Wespennest gewesen sei. Die Vision einer "demokratischen, sozialen, ökologischen, feministischen Welt" werde von den Herrschenden als Bedrohung empfunden. Der demokratische Sozialismus sei den Bürgern bislang nur in homöopathischen Dosen verabreicht worden und das müsse künftig schneller vonstatten gehen. Sie unterstrich in aller Deutlichkeit, daß die Linkspartei mit dem Stalinismus gebrochen und sich bei den Opfern entschuldigt habe, woran nicht zu rütteln sei. Man arbeite die eigene Geschichte auf und werde damit nie aufhören. Gerade wegen der Opfer dürfe niemals der Mantel des Schweigens über den Kommunismus gebreitet werden: "Die Idee des Kommunismus wurde mißbraucht, aber das ändert nichts daran, daß wir über Ideen nachdenken müssen, die wir demokratischen Sozialismus nennen."

Die Parteivorsitzende kam Gregor Gysi trotz dessen am Vortag geäußerter harscher Kritik an ihrem Bezug auf den Kommunismus entgegen und räumte ein, daß die Verwendung dieses Begriffs heftige Reaktionen wachrufe. Wer als Kommunist gebrandmarkt werde, entschieden die Medien. Zugleich kündigte sie ihren Verzicht auf einen Platz an dem sattsam skandalisierten Podium der Berliner Rosa-Luxemburg-Konferenz, das am Abend desselben Tages stattfand, an. Anstelle dessen werde sie sich mit einem eigenen Redebeitrag an der Konferenz beteiligen. Dies empfinde sie, wie sie dem Schattenblick gegenüber versicherte, nicht als einen ihr aufgenötigten Rückzug. Sie stelle ihre Position sinnvollerweise einzeln dar, da sich die ganze Öffentlichkeit auf sie konzentriere.

Gregor Gysi - © 2011 by Schattenblick

Gregor Gysi
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Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi, der am frühen Nachmittag den mit Spannung erwarteten zweiten Akzent seitens der Parteiprominenz setzte, wich von seiner geübten Kritik nicht zurück und erklärte: "Wir haben entschieden, daß wir keine kommunistische Partei sein wollen und werden." Wenngleich er die gegen Lötzsch erhobenen Vorwürfe als "unfaire Unterstellungen" zurückwies, war dies ein klares Signal, daß seine Rückendeckung nur zu dem Preis zu haben war, fortan Bekenntnisse zur Gesellschaftsveränderung zu unterlassen, die Gegnern der Linkspartei Munition für erneute Angriffe liefern könnten.

"Wir brauchen mehr Einfluß! (...) Wir brauchen ein besseres Wahlergebnis!", schwor Gysi die Delegierten auf das Primat einer erfolgsorientierten Parteipolitik und Wahlkampfführung ein. Er schloß seine Rede mit dem Appell: "Jetzt müßt ihr Leben in die Bude bringen und ein Zeichen setzen für Hamburg und Berlin - mit einem Ergebnis, über das sich alle ärgern!"

Man braucht nicht einmal zwischen den Zeilen zu lesen, um dieser als zündend empfundenen und mit minutenlangem Beifall honorierten Rede vor laufenden Fernsehkameras die klare Botschaft an die Parteigenossen zu entnehmen, sich aller Äußerungen und Kontakte zu enthalten, die Außenstehende als Nähe zu radikal linken Positionen interpretieren könnten. Wer wie Gysi seine prinzipiellen Einwände mit der vorgeblichen Unterstützung verschleiert, die monierten Äußerungen seien unglücklich formuliert und sicher nicht so gemeint gewesen, leistet der Solidarität einen Bärendienst.

Gregor Gysi am Rednerpult und auf Videoschirm - © 2011 by Schattenblick

... läuft zu überlebensgroßer Hochform auf
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Der offene, die Ausgrenzung der Linkspartei bis hin zu Verbotsforderungen betreibende Antikommunismus läuft auf eine massive Einschränkung demokratischer Rechte hinaus. Ohne Umschweife stellen seine Protagonisten fundamentale Verfassungsgarantien in Frage, was keinen Zweifel daran läßt, aus welchen Motiven ihre Ermächtigungslogik im ersten Schritt schöpft. Vor dieser Auseinandersetzung mit der fadenscheinigen Begründung zurückzuweichen, man dürfe der systematisch geschürten Feindseligkeit, die in der Ausblendung der virulenten sozialen Frage ihren tieferen Zweck erfüllt, nicht Vorschub leisten, steht einer Partei, die sich Die Linke nennt, schlecht zu Gesicht. Sich selbst zu zügeln, um den Druck von außen zu mildern, ist der eigentliche Akt der Zähmung. Das widerständige Element, das in den Reihen der Partei Die Linke noch sein Unwesen treibt, bildet jedoch den Kern ihrer gesellschaftsverändernden Kraft. Ihn zu entwickeln ist in einer Zeit, in der die Diskrepanz zwischen der Sprengkraft sozialer Antagonismen und ihrer politischen wie massenmedialen Beschwichtigung zusehends autoritäre Praktiken der Herrschaftsicherung hervorbringt, eine weit bedeutsamere Aufgabe als das Erreichen bescheidener partikulärer Ziele.

Anmerkungen:

[1] Einziger Rettungsanker. Sozialismus oder Untergang in der Barbarei: Das Programm der Kommunistischen Partei Deutschlands wurde 1918 von Rosa Luxemburg entworfen (8./9.01.11)
junge Welt

[2] Wege zum Kommunismus (03.01.11)
junge Welt

Pressekonferenz Gregor Gysi - © 2011 by Schattenblick

Medienvertreter erwarten Abbitte
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11. Januar 2011