Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REPORT

INTERVIEW/002: Irischer Antikriegsaktivist Richard Boyd Barrett (SB)


Interview mit Richard Boyd Barrett am 7. Januar 2009 im Irish Film Institute, Dublin


Zur Jahreswende 2008/2009 herrschte in Irland eine zum Teil ausgelassene, aber auch teilweise angespannte Atmosphäre. Angesichts der sich zuspitzenden internationalen Wirtschaftskrise wollten alle die Feiertage um Weihnachten und Silvester mit Familie und Freunden genießen, schließlich mußte man im neuen Jahr mit dem Schlimmsten rechnen. In den Monaten zuvor hatten die Finanzturbulenzen Irland vollends erwischt. Für die Irische Republik kamen auch einige hausgemachte Probleme hinzu. Parallel mit der Entwicklung in den USA und Großbritannien war im Spätsommer 2008 der überhitzte Immobilienmarkt in Irland zusammengebrochen. Dies hatte schwere Folgen. Es entstanden plötzlich riesige Löcher im Staatshaushalt, dessen Einnahmen zuletzt zu rund einem Viertel auf die auf Häuser- und Wohnungsverkauf erhobene Stamp Duty zurückzuführen waren. Der rapide Wertverlust der irischen Immobilien sorgte für dramatische Wertberichtigungen in den Büchern der Banken auf der grünen Insel, und zwar nach unten. Es drohten der Bank of Ireland, der Allied Irish Bank, der Anglo-Irish Bank, der Irish Life and Permanent, der Irish Nationwide Building Society und der Educational Building Society der Konkurs, weshalb Ende September nach einer nächtlichen Krisensitzung Finanzminister Brian Lenihan für die Guthaben alle Kontoinhaber eine Staatsgarantie abgab.

Die Immobilienbranche war in den zurückliegenden Jahren auch eine tragende Säule des Wirtschaftwachstums gewesen. Das Platzen der Immobilienblase sorgt dafür, daß Irland 2009 die schwerste Rezession seit 60 Jahren ins Haus steht. Die im letzten Oktober gemachte Einschätzung des für dieses Jahr zu erwartenden Rückgangs des Bruttoinlandsprodukts von 0,75 Prozent mußte bereits im Dezember auf über 4 Prozent nach oben hin korrigiert werden. Man erwartet, daß Irland im laufenden Jahr die Maastricht-Kriterien des Euro-Stabilitätspakts nicht wird einhalten können und eine Neuverschuldung zwischen 8 und 10 Prozent wird eingehen müssen. Da nicht nur der private Häuser- und Bürobau zum Erliegen gekommen sind, sondern auch der Staat wegen fehlender Mittel vorerst keine neuen Infrastrukturprojekte genehmigt und die bereits laufenden über größere Zeiträume abwickeln will, könnten bis zu 200.000 Bauarbeiter auf die Straße gesetzt werden. Bei einer Gesamtbevölkerung von nur rund 4,5 Millionen ist das viel. Im Herbst hatte die regierende Koalition aus der konservativen Fianna Fáil und den Grünen einen drastischen Haushaltssanierungsplan vorgelegt, der wegen der beabsichtigten, sehr ungerecht verteilten Kürzungen massive Straßenproteste im ganzen Land ausgelöst hatte. Es waren vor allem die geplanten Kürzungen im Bildungsbereich und die Streichung der kostenlosen Gesundheitsversorgung für Menschen über 70, die Empörung ausgelöst hatten.

Hatten sich Taoiseach (Premierminister) Brian Cowen und Finanzminister Lenihan dem Protest der Rentner gebeugt, so ließ die wirtschaftliche Entwicklung im Januar eine Verschärfung der sozialen Kämpfe in diesem Jahr erwarten. Innerhalb von wenigen Tagen meldete das Traditionsunternehmen Waterford Glass Konkurs an (und könnte demnächst zerschlagen werden), während der US-Computerriese Dell die Verlegung seiner Manufaktur aus Kostengründen von Limerick nach Polen bekanntgab. Dell, der größte Arbeitgeber im Westen Irlands, wird 1900 Arbeiter bis Ende des Jahres entlassen. Man erwartet, daß bei den Lieferfirmen und anderen Unternehmen, die von den Ausgaben der Dell-Beschäftigten bisher lebten, weitere 4000 Arbeitsplätze rund um die Stadt Limerick verlorengehen werden. Inzwischen hat die Regierung in Dublin einen Krisenstab gegründet, der einen Aktionsplan für die Gründung und Ansiedlung neuer Unternehmen in der Region um Limerick erarbeiten soll. Nichtsdestotrotz steigt derzeit die Arbeitslosigkeit in Irland in einem noch niemals dagewesenen Tempo an. Man rechnet damit, daß sie bis Ende 2009 auf über 10 Prozent ansteigen wird.

Neben den trüben wirtschaftlichen Aussichten war ein weiteres wichtiges Thema in Irland zur Jahreswende der EU-Reformvertrag, den die Wähler der Republik im Juni 2008 mit deutlicher Mehrheit abgelehnt hatten. Wegen des enormen Drucks seitens der Euro-Elite in Berlin, Paris und anderswo hatte Cowen Mitte Dezember den anderen EU-Regierungschefs versprochen, in der zweiten Hälfte 2009 die Volksbefragung erneut durchführen zu lassen. Um die irischen Wähler diesmal doch noch zu einem Ja zu bewegen, wurden Zugeständnisse in Form von Sondergarantien in Aussicht gestellt, unter anderem, daß Irlands Neutralität, sein Steuersystem und sein Abtreibungsverbot nicht beeinträchtigt werden. Ob diese Garantien, deren juristischer Wert im Vergleich zum eigentlichen Reformvertrag fraglich ist, die Ängste der Iren vor einem europäischen Superstaat und Sozialabbau auf Geheiß der Großkonzernlobbyisten in Brüssel zerstreuen werden, dürfte zu bezweifeln sein. Deshalb malen die Regierung und die Oppositionsparteien Fine Gael und Labour Untergangszenarien für den Fall, daß sich Irland "von Europa abkoppelt", an die Wand.

Ab dem 27. Dezember war jedoch ein internationales Ereignis das alles beherrschende Thema der irischen Öffentlichkeit, nämlich die großangelegte israelische Militäroffensive im Gazastreifen. Die Bilder und Berichte vom Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung und der Unverhältnismäßigkeit der israelischen Militärmaßnahmen sorgten für blankes Entsetzen. Dies drückte sich in Diskussionen im Alltag, Leserbriefen in den Tageszeitungen, Anrufen bei Radiosendern und mehreren Großdemonstrationen aus. Der eine Protestmarsch, der, von der Ireland Palestine Solidarity Campaign organisiert, am 3. Januar im Herzen Dublins stattfand, wurde unter anderem von den irischen Friedensaktivisten Richard Boyd Barrett, Mary Lou McDonald, der Europaabgeordneten der Sinn Féin aus Dublin, und Joe Higgins, dem Vorsitzenden der Socialist Party of Ireland, angeführt. Alle drei hielten Reden zur Gaza-Krise vor den Toren des irischen Parlaments Leinster House. Im Anschluß gelang es dem Schattenblick, Kontakt mit ihnen aufzunehmen und mit ihnen ein Interview in den darauffolgenden Tagen zu verabreden. Es folgt das Gespräch mit Boyd Barrett, das am 7. Januar im Café des Irischen Filminstituts stattfand (In weiteren Beiträgen werden die Interviews mit McDonald und Higgins veröffentlicht).

Richard Boyd Barrett auf der Gaza-Demonstration vor dem irischen Parlament Leinster House in Dublins Kildare Street - © 2009 by Schattenblick

Richard Boyd Barrett auf der Gaza-Demonstration vor dem irischen Parlament
Leinster House in Dublins Kildare Street
© 2009 by Schattenblick


Schattenblick: Herr Boyd Barrett, Sie sind seit einigen Jahren in der Antikriegsbewegung in Irland aktiv. Können Sie uns etwas über Ihre politische Entwicklung erzählen, über ihren Hintergrund, ihre anfängliche Motivation und darüber, wie sich die Dinge entwickelt haben - von der Socialist Workers Party zur People Before Profit Alliance und die Peace and Neutrality Alliance und von der Antikriegsbewegung hin zu größerem Engagement in sozialen Fragen wie bei den Kampagnen gegen Shells Bau einer Gaspipeline in der westirischen Grafschaft Mayo sowie gegen die Einführung von Müll- und Wassergebühren, usw.?

Boyd Barrett: Nun, ich glaube, meine eigene politische Entwicklung spiegelt die einer bestimmten Generation der irischen Gesellschaft. Mein politisches Bewußtsein wurde durch Musik, durch die Punk- und Reggae-Szene der späten siebziger, frühen achtziger Jahre, die eine politische Dimension, eine anarchistisch-sozialistische Dimension hatte, sowie durch das Engagement in der Bewegung gegen Rassismus geprägt. Ein Ereignis, das auf mich stark gewirkt hat, war der Bergarbeiterstreik 1985 in Großbritannien. Damals gab es in Irland eine große Solidaritätsbewegung zugunsten der Bergarbeiter, und ich habe Konzerte und andere Spendenaktionen für sie besucht. Damals war mein politisches Engagement jedoch eher randläufig, wiewohl meine Neigungen aufgrund solcher Sachen linksgerichtet waren.

Doch das wichtigste Ereignis, das mich in Richtung eines größeren politischen Engagements bewegte, war eine Reise nach Palästina im Jahre 1987. Ich fuhr nicht aus politischen Gründen dorthin, sondern machte mit Freunden eine Reise. Wir wollten in einem Kibbuz arbeiten. Doch als wir ankamen, stellten wir fest, daß sie uns, weil wir wenig Geld hatten, in dem Kibbuzim nicht haben wollten. Dies überraschte uns, denn wir hingen einer romantischen Vorstellung, was es mit einem Kibbuz auf sich hat, nach. Statt dessen haben sie uns gesagt, daß wir Arbeit auf kommerziellen Bauernhöfen am Toten Meer bekommen könnten. Das stellte sich eigentlich als Glücksfall heraus, denn, wie wir später erfuhren, durften keine Araber oder Palästinenser einen Kibbuz betreten. Doch auf den Bauernhöfen, auf denen wir schließlich Arbeit bekamen, gab es palästinensische Tagelöhner, die aus den Flüchtlingslagern in Hebron kamen. Also haben wir recht schnell vom Schicksal der Palästinenser erfahren und selbst miterlebt, welche rassistische Behandlung ihnen seitens der israelischen Bauern zuteil wurde, was recht schockierend war.

Gerade einmal drei Wochen nachdem wir angekommen waren, brach die erste palästinensische Intifada aus. Anfangs war mir die politische Lage unübersichtlich, doch nach kurzer Zeit hatte ich mir einen Überblick verschafft. In den folgenden Wochen habe ich palästinensische Flüchtlingslager am Rande Hebrons besucht, wo ich mit eigenen Augen die unglaubliche Diskrepanz der Kräfteverhältnisse in dem Konflikt zwischen einem enorm hochgerüsteten israelischen Militär und palästinensischen Jugendlichen mit ihren Steinen und Steinschleudern bezeugen konnte. Eine wichtige Sache, die ich mitbekommen habe und die heute vielleicht Relevanz hat, ist, daß es damals keine politische Organisation gab: weder die Hamas noch Fatah spielte beim Ausbruch der ersten Intifada eine wirklich wichtige Rolle. Ich glaube, die Hamas hat zu dem Zeitpunkt sogar kaum existiert. Es kam einfach zu einem spontanen Aufstand junger Leute gegen Unterdrückung, Armut und mangelnde Zukunftsaussichten. Der Mut und die Tapferkeit der jungen Palästinenser haben mich inspiriert. Mich hat es zudem erschrocken festzustellen, daß sämtliches Militärgerät, welches die Israelis benutzten, aus den Vereinigten Staaten kam. Das hat mich politisiert und mir zu der Erkenntnis verholfen, daß dieser Konflikt und die schreckliche Ungerechtigkeit, die ich dort sah, Teile eines größeren politischen Zusammenhangs waren. Als ich nach Irland zurückkehrte, war ich entschlossen, mich politisch zu betätigen. Also habe ich mich der Antikriegsbewegung angeschlossen, und mehr oder weniger gleichzeitig bin ich in die Socialist Workers Party eingetreten.

SB: In den letzten Jahren waren Sie zudem in der Kampagne gegen Shells Bau einer Gaspipeline in Mayo sowie in verschiedenen Kampagnen in Ihrem Heimatort Dún Laoghaire [ein Außenbezirk von Dublin] aktiv und haben dadurch die Bandbreite der Fragen, mit denen Sie sich befassen, erweitert.

RBB: Das stimmt. Nun, als ich zurückkam und mich bei der Antikriegsbewegung engagierte, fing ich auch an, Treffen der Socialist Workers Party zu besuchen. Im Kontext der Analyse dessen, was im Nahen Osten und im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern geschah, haben SWP-Mitglieder argumentiert und mich auch überzeugt, daß der Drang zum Krieg Teil eines Systems war, das auf Wettbewerb und massiver sozialer Ungleichheit basiert, und daß die Kehrseite von Krieg und Militarismus Armut, gesellschaftliche Ungerechtigkeit, die Ausbeutung der Arbeiterschaft usw. bedeutete. Deshalb habe ich angefangen, mich auch für solche Themen zu interessieren.

SB: Sind Sie immer noch Mitglied der Socialist Workers Party?

RBB: Das bin ich.

SB: Wie auch Mitglied der People Before Profit Alliance?

RBB: Ja. Zusammen mit nicht wenigen Mitgliedern der Socialist Workers Party habe ich mich an einer ganzen Reihe von Kampagnen wie der Antikriegsbewegung, der Shell-to-Sea-Solidaritätskampagne beteiligt sowie zu Themen wie der Umwelt, der Privatisierung und des preiswerten Wohnens zu Wort gemeldet. Es gab auch lokale Themen, bei denen ich mich hier in Dún Laoghaire, wie die geplante private Bebauung der Seepromenade, engagiert habe. Nach einer Weile haben wir festgestellt, daß man auf den verschiedenen Kampagnen auf viele derselben Aktivisten traf. Es waren meistens keine Mitglieder irgendeiner politischen Partei, und sie wollten nicht unbedingt mit etwas so Radikalem wie der Socialist Workers Party in Verbindung gebracht werden, doch auf der anderen Seite wollten sie sich sowie ihre Kampagnen und die Themen, für die sie sich interessierten, bei den Wahlen irgendwie politisch vertreten sehen. Daraus folgte organisch und logisch, daß wir versuchen sollten, etwas Neues ins Leben zu rufen. Dadurch ist die People Before Profit Alliance entstanden.

SB: Was, meinen Sie, waren die Hauptgründe dafür, daß die irische Wählerschaft im letzten Sommer gegen den Vertrag von Lissabon votiert hat?

Die irische Linke solidarisiert sich mit Palästina - © 2009 by Schattenblick

Die irische Linke solidarisiert sich mit Palästina
© 2009 by Schattenblick


RBB: Nun, ich glaube, es gab viele Gründe. Zu allererst gibt es in diesem Land aufgrund unserer eigenen Kolonialgeschichte und des langen Kampfes gegen ein fremdländisches Reich, um Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu erlangen, eine Tradition, welche die Leute instinktmäßig mißtrauisch gegenüber Imperien und Imperialismus macht und es ihnen erlaubt, sie als das zu erkennen, was sie sind. So haben wir zum Beispiel in Irland eine massive Mobilisierung gegen den Irakkrieg erlebt, die für ein Land unserer Größe sehr umfangreich und proportional mindestens so groß bzw. noch größer als sonstwo auf der Welt war. Dies ist ein Indiz dafür, daß jene Tradition noch lebt. Ich glaube, daß viele Iren in der Erweiterung der Europäischen Union und der Entwicklung einer gemeinsamen Außenpolitik zahlreiche Aspekte erkennen, die an die außenpolitische Einstellung der Vereinigten Staaten erinnern. Die Menschen hier spüren eine solche Imperialagenda.

SB: Also waren die Ängste vor einem europäischen Superstaat der Hauptgrund für das Nein zum Reformvertrag?

RBB: Ich denke im Grunde genommen ja - die Angst, unter ihm subsumiert zu werden. Doch ich meine, ein weiterer wichtiger Faktor, den auch wir hervorzuheben versucht haben, war die Sorge um diese bis aufs Blut verfochtene, neoliberale Wirtschaftsagenda, die auf der ganzen Welt - in Europa hauptsächlich durch die Europäische Union und ihre Direktiven, welche die Mitgliedsstaaten zur aggressiven Privatisierung öffentlicher Dienste verpflichtet - durchgesetzt wird. Einer der größten Kämpfe der letzten Jahre in diesem Land und einer, an dem wir uns aktiv beteiligt haben, war der gegen die Einführung von Müllgebühren und die Privatisierung der Müllabfuhr. Im Verlauf dieser Kampagne haben zehntausende Menschen der Arbeiterklasse begriffen, daß der Grund, weshalb der Müllabfuhr privatisiert wurde und die Leute dazu gezwungen wurden, dafür zu bezahlen, im wesentlichen der Druck seitens der Europäischen Union war - auf der Grundlage von Regeln, die den Wettbewerb forcieren sollen. Es gab zudem tiefe Sorgen um die Demokratie bzw. um den Mangel an Demokratie auf der nationalen wie auch auf der europäischen Ebene. Entscheidungen werden getroffen und Direktiven implementiert sowie zur Geltung gebracht, bei denen die einfachen Menschen wenig mitzureden haben und welche sie, könnten sie mitreden, mit ziemlicher Sicherheit ablehnen würden. Ich glaube, daß alle diese Dinge zur Ablehnung des Reformvertrages beitrugen.

SB: Wie ist Ihre Meinung über die sogenannten Zugeständnisse, die Irland mit dem Ziel gemacht werden sollen, den Vertrag von Lissabon beim zweiten Mal abgesegnet zu bekommen?

RBB: Ich glaube, das Problem besteht darin, daß mit dem Reformvertrag zweifellos die Militarisierung Europas, eine gemeinsame Außenpolitik und die Errichtung der rechtlichen Strukturen für eine europäische Armee verfolgt werden. Das geht insbesondere aus den Artikeln 28 und 128 eindeutig hervor. Und deshalb will es mir nicht einleuchten, wie wir uns dem aufgrund irgendwelcher Erklärungen entziehen könnten, während wir immer noch der Europäischen Union angehören. Ich glaube, daß der Druck auf Irland, sich über kurz oder lang in diese Strukturen einzufügen, sobald die Europäische Union sich in diese Richtung auf dem Weg macht, zunehmen wird, selbst wenn uns für eine vorübergehende Frist Zugeständnisse gemacht werden.

SB: Können Sie sich eine Veränderung dieser Richtung vorstellen, sollte Irland zum zweiten Mal Nein sagen?

RBB: Das kann ich in der Tat. Das Nein der Iren hat Freudenfeste über weite Teile Europas ausgelöst, denn die meisten Menschen in der EU waren verärgert, daß sie keine Chance erhielten, ihre Meinung zum Reformvertrag kundzutun. Ich glaube nicht, daß der Vertrag von Lissabon die Hoffnungen der Mehrheit der Menschen in Europa widerspiegelt. Nicolas Sarkozy, den ich als Teil einer Gruppe von Aktivisten für und gegen den Vertrag im letzten Juli in Dublin getroffen habe, hat explizit eingeräumt, daß die Menschen in ganz Europa, würde man sie darüber abstimmen lassen, mit ziemlicher Sicherheit dagegen votieren würden. Aus meiner Sicht gibt es ein fundamentales Problem, wenn die Herrscher Europas einen Vertrag durchzudrücken versuchen, von dem sie selbst wissen und über den sie öffentlich einzugestehen bereit sind, daß er keinen demokratischen Test durchstehen würde. Deshalb glaube ich, daß die Iren der Demokratie einen Dienst erweisen, wenn wir diesen Vertrag ablehnen und versuchen, die Europäische Union dazu zu zwingen, sich selbst zu demokratisieren. Vor diesem Hintergrund würde ich einen erneuten Sieg des Nein-Lagers und den Beginn einer echten Debatte darüber, welche Art von Europa wir haben wollen, sehr begrüßen. Für mich müßte es ein sozial gerechtes Europa sein.

SB: Was glauben Sie, wie das Ergebnis der zweiten Volksbefragung aussehen wird?

RBB: Ich würde sagen, daß das Nein-Lager wahrscheinlich erneut siegen wird, wiewohl es keinen Zweifel gibt, daß das Ergebnis knapp ausfallen wird. Das Ja-Lager setzt hauptsächlich auf die Angst. Die Angst, daß die aktuelle Wirtschaftskrise sich verstärken wird und daß wir einen hohen wirtschaftlichen Preis dafür bezahlen müssen, sollten wir wieder mit Nein votieren, wird die Haupttaktik, der sie sich bedienen, sein, zusammen mit der Dämonisierung bestimmter Elemente der Nein-Kampagne. Das könnte sehr wohl einige Leute dazu veranlassen, mit Ja abzustimmen. Auf der anderen Seite ist klar, daß selbst viele derjenigen, die mit Ja gestimmt haben, darüber verärgert sind, daß das Land erneut zur Abstimmung gebeten wird. Ich habe selbst viele Menschen getroffen, die sagen, 'ich habe beim ersten mal mit Ja votiert, und sollten sie uns zwingen, erneut darüber abzustimmen, werde ich mit Sicherheit diesmal mit Nein votieren'. Also nehme ich an, daß auch dieser Faktor eine Rolle spielen wird. So oder so wird es einen knappen Ausgang geben.

SB: In welchem Ausmaß haben Ihrer Meinung nach Declan Ganleys Libertas und die im britischen Besitz befindlichen, redaktionell euroskeptischen Boulevardblätter zum Erfolg der Nein-Kampagne beigetragen?

RBB: Es ist offensichtlich, daß sie über viele Ressourcen verfügten und mit Sicherheit ihren Teil dazu beigetragen haben. Es wäre töricht, das Gegenteil zu behaupten. Dennoch glaube ich, daß die Medien den Einfluß von Libertas überbewertet haben. Die nach der Abstimmung durchgeführten Meinungsumfragen, die Eurobarometer-Umfrage der EU-Kommission und die MRBI-Befragungen der Irish Times haben eindeutig ergeben, daß den Themen, auf die sich Ganley konzentrierte und für die er sich als Multimillionär besonders interessierte, wie die Beibehaltung niedriger Unternehmenssteuern, von der Wählerschaft im allgemeinen und denjenigen, die mit Nein stimmten, im besonderen keine große Bedeutung beigemessen wurden. Die Menschen votierten mit Nein aufgrund von Themen wie Arbeiterrechte, Sorgen um Demokratiemangel und der Subsumierung unter einem europäischen Superstaat. Der Militarismus hat sich als sehr wichtiges Thema herausgestellt. Ich glaube, zwischen 23 und 25 Prozent der Menschen haben ihn als Hauptgrund angegeben, warum sie mit Nein votierten. Also glaube ich, daß es zum größten Teil progressive Motive waren, weshalb die Leute dagegen stimmten, wiewohl es eindeutig Elemente in der Bevölkerung gab, die aus reaktionären Gründe mit Nein votierten.

SB: Wie würden Sie Ängsten entgegentreten, daß ein zweites Nein zum Reformvertrag Irland vom europäischen Festland entfremden und es zu einer noch größeren kulturellen und wirtschaftlichen Knechtschaft den USA und dem Vereinigten Königreich gegenüber verurteilen würde?

RBB: Das weise ich mit Entschiedenheit zurück. Wie ich vorhin sagte, haben die Menschen in Frankreich das Nein zum Lissabon gefeiert. Ich habe Kontakt zu Leuten in Deutschland, die extrem sauer waren, weil sie keine Gelegenheit darüber abzustimmen hatten. Natürlich dürften das Establishment, das die Europäische Union beherrscht, und die politischen Eliten überall in Europa verärgert sein, sollten die Iren erneut mit Nein stimmen. Doch ich glaube, daß die einfachen Menschen in Europa das, was in der EU passiert, und ihren eigenen Mangel an Mitbestimmung genauso empfinden wie die Iren. Von daher glaube ich nicht, daß uns ein zweites Nein überhaupt von ihnen entfremden wird. In der Tat glaube ich, daß ein solcher Ausgang Irland bei vielen Leute in Europa noch beliebter machen wird.

SB: In welchem Ausmaß, wenn überhaupt, haben der Erfolg der Nein-zu-Lissabon-Kampagne und die aktuelle Wirtschaftskrise zu einer Stärkung der Linken in Irland und einer zunehmenden Zusammenarbeit unter den verschiedenen Gruppen geführt?

RBB: Die Anti-Lissabon-Kampagne hat mit Sicherheit der Linken einen bedeutenden Schub gegeben, denn es kam zu einem hohen Grad an Kooperation, vom Ausmaß her der Mobilisierung im Rahmen der erfolgreichen Kollaboration zahlreicher Linker gegen den Irakkrieg vergleichbar. Sie hat den Linken selbst und vielen Menschen in Irland, die sich eine politische Alternative wünschen, gezeigt, daß das Potential zu einer solcher Alternative existiert. Traurigerweise gestaltet sich die Kristallisation hin zu einer klaren und unabhängigen linken Kraft langsam. Ein großes Problem liegt in der Tatsache, daß die wichtigsten linken Parteien in Irland traditionell schwach sind und in der Folge dazu tendiert haben, sich auf Koalitionsvereinbarungen mit den größeren konservativen Parteien Fianna Fáil und Fine Gael einzulassen. Zwar ist dieser Umstand bedauerlich, er hat uns und eine Anzahl anderer Organisationen jedoch angespornt, noch enger zusammenzuarbeiten.

Die People Before Profit Alliance ist der Ausdruck jenes Versuchs, Aktivisten im linken Spektrum zusammenzuführen - was bereits zum Teil auch gelungen ist. Innerhalb der Linken hat sich die Einsicht durchgesetzt, daß wir enger zusammenarbeiten müssen. Ich bin hoffnungsvoll, daß wir beginnen könnten, etwas ähnliches wie die neuen Linksformationen zu etablieren, die sich in anderen europäischen Ländern formieren. Ich denke hier an den Linken Block in Portugal, an einige Initiativen in Frankreich, die den Eindruck erzeugen, als könnten sie etwas bewirken, und an Die Linke in Deutschland. Ich weiß, daß es einigen Vorbehalt in bezug auf Die Linke und ihre Bereitschaft, Deals mit der SPD zu machen, und so weiter, gibt, nichtsdestotrotz gibt es in ganz Europa auch das Verlangen nach irgendeiner neuen linken Kraft, die bereit ist, dem neoliberalen Establishment ernsthaft und konsequent die Stirn zu bieten. Ich bin ganz zuversichtlich, daß sich so etwas in Irland herausbilden wird.

SB: Ist die Bedeutung, die Libertas in den Medien zugesprochen wird, gerechtfertigt oder ist sie durch den Wunsch bestimmter mächtiger Gruppen in Irland motiviert, das Erstarken der Linken herunterzuspielen und nach dem Kollaps der Partei der Progressive Democrats ein neues Vehikel für die Verbreitung neoliberaler Wirtschaftsideologie - Privatisierung usw. - zu finden?

RBB: Im wesentlichen trifft letzteres zu. Für mich ist Ganleys Operation den rechtspopulistischen Machenschaften Berlusconis in Italien nicht unähnlich. Darüber hinaus ist er gewieft, wie er die Dinge vermittelt. Dies zeigte sich, als er während der Anti-Lissabon-Kampagne nach links schwenkte. Anfangs konzentrierten sich seine Argumente um Unternehmenssteuer und ähnliches, doch dies zog bei den Wählern nur wenig. Daraufhin hat Ganley sich noch mehr zum Thema Demokratie hervorgetan, denn das beschäftigt schließlich alle. Dadurch hat er, meiner Meinung nach, mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Natürlich sind rechtspopulistische Politiker stets in der Lage, kleine Signale Richtung links zu machen. Meines Erachtens ist seine Agenda ziemlich suspekt. Er hat eine Art atlantische Perspektive, derzufolge es im Interesse irischer Großkonzerne ist, sich mit den amerikanischen Wirtschaftsinteressen zu verbünden. Es erinnert an das, was in Großbritannien seit Jahren wegen dessen Beziehungen zu Europa abläuft: Die eine Fraktion des politischen und wirtschaftlichen Establishments in Großbritannien sieht die Zukunft des Landes in Europa, während sich die andere eine engere Anbindung an die Vereinigten Staaten wünscht.

SB: Welche Bedeutung messen Sie dem Verdacht bei, der durch Ganleys geschäftliche Verbindungen zum Pentagon entstanden ist, wonach Libertas eine Art trojanisches Pferd der US-Neokonservativen ist, die es vorzögen, wenn der Reformvertrag nicht in Kraft träte, um die Entstehung eines europäischen Superstates, d.h. eines ebenbürtigen politischen und militärischen Konkurrenten, zu verhindern?

RBB: Es ist möglich. Man kann solche Dinge als eine Art Verschwörung betrachten, und es hat auch einen gewissen Versuch gegeben, sie auf diese Weise zu präsentieren. Doch ich meine, wir haben es hier lediglich mit den innewohnenden Widersprüchen der Funktionsweise des Kapitalismus zu tun. Der Kapitalismus ist ein brutales Konkurrenzsystem, in dem verschiedene Konzerninteressen versuchen, sich mit Nationalstaaten zu verbünden, um Gewinnmaximierung, Expansion und Marktkontrolle zu erzielen. Wie ich schon sagte, gibt es im irischen Geschäftsleben Kreise, deren Handels- und Wirtschaftsbeziehungen eher bei Amerika liegen, während sie für andere mehr bei Europa sind. Es ist nicht zwingend eine Frage von Prinzipien oder Ideologie, sondern reduziert sich in der Tat auf Handel sowie wirtschaftliche und finanzielle Interessen. Von daher es ist sinnvoller, das, was Ganley repräsentiert, so zu begreifen, denn ich halte Europa nicht für weniger aggressiv als die USA. Es sind beide rücksichtslose, konkurrierende Polit- und Wirtschaftblöcke, die im wesentlichen die gleiche Agenda verfolgen und sich gegenseitig verstärken, was das Rennen nach unten in bezug auf Arbeitsbedingungen, Sozialstandards, Angriffe auf den öffentlichen Dienst, Privatisierung usw. betrifft. Aus meiner Sicht stellt sich deshalb die Wahl zwischen Europa und den USA nicht, sondern es geht vielmehr darum, sich der neoliberalen Agenda zu widersetzen und eine andere Agenda zu propagieren - nämlich eine soziale Agenda, bei der es um die Verteilung von Wohlstand geht. Deswegen möchte ich mich genauso mit progressiven Kräften in Amerika, die für diese Agenda kämpfen, wie mit welchen in Südamerika, Asien oder wo auch immer verbünden.

SB: Wie sehen Ihre eigenen politischen Pläne für die Zukunft hinsichtlich der bevorstehenden Kommunalwahlen und der Möglichkeit einer Parlamentswahl, die aktuellen Spekulationen zufolge innerhalb der nächsten zwölf Monaten ausgerufen werden könnte, aus?

RBB: Wir werden mit Sicherheit an den Kommunalwahlen aktiv teilnehmen. Die People Before Profit Alliance wird Kandidaten in einer Reihe von Bezirken im ganzen Land aufstellen, und wir glauben, Sitze gewinnen zu können. Ich werde in Dún Laoghaire kandidieren. Wir diskutieren bereits darüber, ob wir auch Kandidaten zu den Europawahlen aufstellen sollten. Das müssen wir uns gut überlegen und haben deshalb noch nicht endgültig entschieden. Angesichts des Ausgangs der letzten Parlamentswahlen, bei denen ich fast einen Sitz gewonnen habe und andere respektable Ergebnisse einfuhren, sind wird zuversichtlich, daß wir in einigen Bezirken den einen oder anderen Kommunalsitz erobern können. Ein gutes Abschneiden bei den Kommunalwahlen, die Eroberung einiger Sitze, könnte der Sprungbrett zur Erringung von drei oder vier Mandaten bei den nächsten Parlamentswahlen sein. Wir führen gerade Gespräche mit anderen linken Gruppen, die eine ähnliche Perspektive wie wir haben und die sich entweder der People Before Profit Alliance anschließen könnten oder mit denen zusammen wir irgendeine größere Sammelbewegung gründen könnten.

Die irische Linke hat gute Basen in verschiedenen Teilen des Landes, hat es jedoch nicht geschafft, sich im öffentlichen Diskurs zu plazieren. Gelänge uns dies, verliehe uns das den zusätzlichen Schub, der erforderlich wäre, um uns ins Ziel zu bringen, was die Eroberung von Sitzen betrifft. Gute, unabhängige Linkskandidaten, sowohl aus unserer Organisation als auch aus anderen, haben es bei der letzten Parlamentswahl in fünf Wahlbezirken verpaßt, einen Sitz zu erringen, was jeweils sehr, sehr knapp war. Hätten wir eine landesweite politische Organisation gehabt, glaube ich, daß wir es geschafft hätten. Und hätten wir fünf Parlamentssitze gewonnen, wären wir eventuell das Zünglein an der Waage und wären eine sehr ernsthafte Alternative für Leute, die von den Mainstream-Parteien desillusioniert sind. Vor diesem Hintergrund glaube ich, daß es Leute wie uns zugute kommen wird, sollte es bald eine Parlamentswahl geben. Einen Wahlkampf zu führen ist eine große Aufgabe, was Finanzierung, Ressourcen und Organisation betrifft. In diesem Land werden große Summen für Plakate und Handzettel ausgegeben. Um mithalten zu können, muß man ebenfalls viel Geld auftreiben. Zwar kann sich jeder aufstellen, doch wenn man ernsthaft bestrebt ist, einen Sitz zu gewinnen, muß man ziemlich große Summen an Geld auftreiben. Da wir keine Konzernspenden annehmen, sind wir um kleine Spenden von vielen Menschen, von Aktivisten und Leuten vor Ort, die irgendeine Art von Alternative sehen möchten, bemüht.

SB: Wie lautet Ihre Meinung über die derzeitige Koalitionsregierung aus Fianna Fáil und den Grünen? Glauben Sie, daß sie Zugeständnisse machen muß, um zu überleben?

RBB: Ja, das wird bereits jetzt schon deutlich. Die Demonstrationen der Rentner im letzten Herbst gegen den Versuch von Finanzminister Brian Lenihan, den automatischen Anspruch auf kostenlose Gesundheitsversorgung für Menschen über siebzig Jahre abzuschaffen, waren hierfür eine Indiz. Der brutale Angriff auf einen sehr verwundbaren Teil der irischen Gesellschaft hat die massivsten Proteste seit vielen Jahren ausgelöst. An den Demonstrationen nahmen nicht nur die Rentner teil. Dennoch haben diese die Proteste angeführt und sich damit interessanterweise als der vielleicht militanteste Teil der irischen Gesellschaft erwiesen. Es war großartig und eine Inspiration und eine Lehre für viele andere. Sie haben die Regierung dazu gezwungen, die Maßnahme weitestgehend zurückzunehmen, und damit einen großen Sieg errungen. Ich glaube, die Regierung steht wegen der Kürzungen im Bildungsbereich, die sie zu implementieren versucht, unter großen Druck. Generell tendiert Fianna Fáil dazu, wo möglich große soziale Konfrontationen zu vermeiden. Das Problem ist jedoch, daß ihr Manövrierraum wegen der zunehmenden Löcher im Staatshaushalt stark eingeschränkt ist. Am Ende des Tages steht Fianna Fáil dem Großkapital in der Pflicht, also werden wir vermutlich sehr bedeutsame soziale Konfrontationen in den nächsten ein, zwei Jahren erleben. Die große Frage lautet, wie gut organisiert die Arbeiterbewegung und die Linke im allgemeinen sind, um der Wut, die existiert, und dem Widerstand, der sich herausbilden wird, Geltung zu verschaffen. Ich denke, es wird große soziale Kämpfe sowohl hier als auch auf dem europäischen Festland geben.

SB: Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Nutzung des internationalen Flughafens Shannon im Westen Irlands durch das US-Militär zu beenden?

RBB: Nun, ich denke, Fianna Fáil haben absolut klar gemacht, daß sie in dieser Frage keine Kursänderung beabsichtigen. Sie haben stets sehr enge politische und wirtschaftliche Verbindungen mit den Vereinigten Staaten angestrebt. Und trotz des massiven Drucks, der zur Zeit des Irakkrieges auf sie ausgeübt wurde, haben sie die Linie gehalten, was die Unterstützung für die Vereinigten Staaten betrifft, was ich als tragisch und schändlich erachte. Ich erwarte von ihnen also keine Wende.

SB: Wäre ein Regierungswechsel erforderlich?

RBB: Ja, ich denke schon. Es wäre jedoch nicht nur ein Regierungswechsel im Sinne des Austausches Fianna Fáil gegen Fine Gael, denn von letzterer wäre kein Bruch mit Washington zu erwarten. Dafür wäre irgendeine linksgerichtete Regierung nötig. Dennoch glaube ich, daß wir hier aufgrund der wirtschaftlichen Situation recht dramatische Veränderungen der politischen Landschaft in den nächsten vier bis fünf Jahren erleben werden. Mit Bestimmtheit ist eine anti-imperialistische Außenpolitik in diesem Land konsensfähig. Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu beobachten, daß sich die irische Regierung herausnimmt, in Bezug auf die Nahost-Krise eine recht eigenständige Position einzunehmen, und daß sie aufgrund des öffentlichen Drucks den israelischen Angriff auf Gaza verurteilt hat. Das Establishment hier ist sich der anti-imperialistischen Grundstimmung in der irischen Öffentlichkeit sehr wohl bewußt und trägt diesem Umstand gelegentlich auch Rechnung. In Bezug jedoch auf Amerika, das man für zu übermächtig hält, traut man sich nicht, so etwas zu machen. Nichtsdestotrotz ist die politische Führung in der Frage der militärischen Nutzung von Shannon verwundbar.

SB: Was halten Sie von der Beteiligung Irlands an Militäroperationen der EU?

RBB: Es steht außer Frage, daß die Regierung auf schleichende Weise Irland zunehmend an EU- und NATO-Operationen beteiligt. Wir haben eine kleine Anzahl von Militärangehörigen in Afghanistan stationiert, was eine absolute Schande und empörend ist. Dort bilden sie die Polizei aus. Obwohl es hierfür ein UN-Mandat gibt, handelt es sich nichtsdestotrotz um eine von der NATO geführt Operation, und sie unterstehen dem NATO-Befehl. Meines Erachtens ist der Krieg in Afghanistan genauso wenig zu rechtfertigen wie der Irakkrieg. Den Kriegsbefürwortern ist es jedoch gelungen, die Öffentlichkeit zu überzeugen, daß er irgendwie gerechtfertigter ist als der im Irak, doch in Wirklichkeit gibt es keine Rechtfertigung dafür, Afghanistan in Schutt und Asche zu bombardieren. Meiner Meinung nach handelt es sich hier um einen krassen Bruch unserer Neutralität.

Vor kurzem haben wir auch Soldaten in den Tschad entsandt. Man hat es als humanitäre Mission verkauft, und ein Großteil der Öffentlichkeit hat diese Begründung geschluckt, doch eine nähere Betrachtung der Operation deutet auf etwas ganz anderes hin. Der Tschad ist ein Ort, wo es signifikante amerikanische und französischen Interessen gibt, was Öl und Uran betrifft. Die Franzosen unterstützen dort ein recht häßliches Regime, das zudem in die Krise in Darfur verwickelt ist, und die irischen Soldaten verleihen etwas, bei dem es sich in Wirklichkeit um einen Stellvertreterkrieg zwischen den Franzosen und Amerikanern auf der einen Seite und den Chinesen auf der anderen handelt, einen humanitären Anstrich. Ich halte diese Entwicklung für sehr bedauerlich, aber das ist die Richtung, in die wir uns bewegen.

Gaza-Demonstration am 3. Januar vor dem Dáil, dem irischen Parlament - © 2009 by Schattenblick

Gaza-Demonstration am 3. Januar vor
dem Dáil, dem irischen Parlament
© 2009 by Schattenblick


SB: Vor dem Hintergrund Ihres eigenen Engagements bei der Kampagne gegen die israelische Aggression in Gaza, was meinen Sie, wie der Konflikt im Nahen Osten gelöst werden könnte?

RBB: Ich halte das Problem für vielschichtig und meine, es müssen noch eine ganze Reihe von Sachen passieren. Gleichzeitig glaube ich, daß die Grundlage einer Lösung der Situation im Reifen ist. Zunächst einmal hat sich international die öffentliche Meinung in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren grundlegend verändert, was die Betrachtung der Lage der Palästinenser betrifft. Kauften vor vielleicht zwanzig Jahren die Leute die These ab, daß es sich bei den Palästinensern irgendwie um Terroristen handelte, herrscht heute weitestgehend die Ansicht vor, daß sie die Opfer sind und daß die Geschichte der schrecklichen Verfolgung der Juden das nicht rechtfertigt, was Israel ihnen antut. Ich meine, daß diese Argumente gewonnen haben und daß deshalb nun das Potential eines ernsthaften politischen und wirtschaftlichen Boykotts ähnlich dem, was wir gegen das Apartheid-Regime in Südafrika sahen, existiert. Die derzeitigen Greueltaten in Gaza werden, meiner Meinung nach, dem Ruf nach einem derartigen Boykott Israels Nachdruck verleihen.

Ich glaube, daß die arabischen Regime in der Region ein weiterer Faktor sind. Ohne diese korrupten und verkommenen Regime - das Mubaraks in Ägypten, der Hashemiten in Jordanien und natürlich der Saudis -, die alle Handlanger Amerikas in der Region sind, hätte es Israel schwer, sich so zu benehmen, wie es es tut. Wir erleben bedeutsame Entwicklungen derzeit, und von daher glaube ich, daß Mubarak von einer Volksbewegung gestürzt wird, was zu weiteren Revolten in der Region führen könnte. Der andere Faktor ist natürlich Amerika. Ich meine, daß sich die öffentliche Meinung in den USA gegen den Irakkrieg gewandt hat - ein Umstand, der in der Wahl Barack Obamas zum Präsidenten seinen Ausdruck fand. Ich glaube nicht, daß Obamas Politik sehr viel anders als Bushs sein wird, doch seitens des amerikanischen Volkes gibt es Erwartungen auf Veränderung. Dadurch entsteht ein Druck, jene bedingungslose Unterstützung Israels, die seit Jahren die Politik Amerikas kennzeichnet, zu beenden. Also meiner Meinung nach können alle diese Faktoren - je nachdem, wie sehr in den nächsten Jahren entsprechende Stimmung in der Öffentlichkeit gemacht wird - zu einer Veränderung der Situation führen.

SB: Und was glauben Sie, welche Form ein Arrangement zwischen Israel und seinen Nachbarn annehmen könnte?

RBB: Ich glaube, daß die Zwei-Staaten-Lösung über Bord geworfen werden muß. Die Zwei-Staaten-Lösung läuft auf eine ethnische Teilung hinaus, und das halte ich immer für eine instabile Situation - siehe Indien und Pakistan, siehe den Balkan usw. Es war jene Sorte ethnischer Teilung, die den Bürgerkrieg auf dem Balkan ausgelöst hat, wo die Lage nach wie vor hochgradig instabil ist und jederzeit explodieren könnte. Die Zwei-Staaten-Lösung sorgt für einen permanenten Konflikt zwischen Juden und Arabern. Die Alternative, die in jedem anderen Kontext offensichtlich wäre, wäre zu sagen, 'laßt uns einen Staat gründen, in dem alle, Juden, Moslems, Christen, Säkulare, usw., die gleichen Rechte haben'. Mir will nicht einleuchten, warum das nicht möglich sein sollte. Und ich glaube, daß sich zumindest bei einer Minderheit der Israelis die Erkenntnis verbreitet, daß die derzeitige Situation unhaltbar ist. Israel ist eine auf Dauer bewaffnete Trutzburg, und der Staat, der den Palästinensern irgendwie angeboten wird, wäre als Entität überhaupt nicht lebensfähig. Also hoffe ich, daß eine Bewegung entstehen wird, die den Konflikt in dieser Region als vergleichbar mit dem früheren in Südafrika bezeichnet, nämlich, daß es um die Abschaffung von Apartheid-Gesetzen und -Strukturen geht, und die beginnt, die Leute nicht als Juden oder Araber, sondern als Menschen zu betrachten, die in diesem Gebiet leben - Bürger mit Rechten, ein Mann, eine Stimme -, und welche Regierung daraus entsteht und welchen Namen auch immer sie dem Staat geben wollen, sollte man dann akzeptieren. Schließlich waren die Bemühungen um eine Zwei-Staaten-Lösung groß und trotzdem ist daraus nichts als ein absolutes Desaster geworden.

SB: Herr Boyd Barrett, vielen Dank für das Gespräch.

Foyer des Irish Film Institute im Dubliner Temple Bar - © 2009 by Schattenblick

Foyer des Irish Film Institute im Dubliner Temple Bar
© 2009 by Schattenblick


Das Gespräch führte Riocard O'Tiarnaigh. Für die Übersetzung aus dem Englischen zeichnet der Schattenblick verantwortlich.

20. Januar 2009