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INTERVIEW/015: Alain Pojolat, Noveau Parti Anticapitaliste (NPA) (SB)



Unter den Teilnehmern an der Demonstration gegen den NATO-Gipfel in Strasbourg befanden sich auch viele Mitglieder der erst dieses Jahr gegründeten Noveau Parti Anticapitaliste (NPA). Sie ging aus der zeitgleich aufgelösten trotzkistischen Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) hervor und versteht sich als breiter aufgestellte Sammelbewegung der radikalen Linken Frankreichs. Ihr Vorsitzender Oliver Besancenot erhielt bei den Präsidentschaftswahlen 2007 4,08 Prozent der Stimmen und kann damit als stärkster Politiker der dezidiert antikapitalistischen Kräfte Frankreichs bezeichnet werden.

Einige Aktivisten der NPA verteilten in Strasbourg ein Flugblatt, in dem neben der expliziten Kritik an der Rückkehr Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO und der Bedeutung des Militärbündnisses für die Durchsetzung kapitalistischer Ziele gegen die davon betroffenen Bevölkerungen die Freilassung des politischen Gefangenen Georges Ibrahim Abdallah gefordert wurde. Der libanesische Kommunist, Mitglied der Fractions Armées Révolutionaires Libanaises (FARL), wurde 1984 in Lyon verhaftet und 1987 zu lebenslanger Haft wegen der angeblichen Beteiligung an der Tötung des israelischen Diplomaten Jakov Barsimentov und des US-Militärattachés Charles Ray 1982 in Frankreich verurteilt. Das ursprünglich wegen Waffen- und Sprengstoffbesitzes verhängte Strafmaß von vier Jahren wurde auf Drängen der US-Regierung von einem französischen Sondergericht in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt, obwohl der Verteidiger Jean-Paul Mazurier eingestand, während des Prozesses als Informant für den französischen Geheimdienst tätig gewesen zu sein, und obwohl Georges Abdallah die ihm zur Last gelegten Morde bestreitet, wiewohl er sie nicht verurteilt.

Die unerwartete Härte des Urteils wurde in der westlichen Presse allgemein als Folge der von Israel und den USA an die Justiz Frankreichs gestellten Erwartung bewertet, im Kampf gegen den Terrorismus aufzuschließen. Die US-Regierung, die als Nebenkläger in dem Prozeß auftrat, zeigte sich ausdrücklich zufrieden mit dem Strafmaß, und ihr Prozeßvertreter Georges Kiejman lobte es als Beweis dafür, daß Frankreich eine "starke Demokratie" sei.

Obwohl Georges Abdallah seit 1999 freigelassen werden könnte und dies vom zuständigen Bewährungsgericht im November 2003 befürwortet wurde, bleibt er auf Intervention der Regierung Frankreichs in Haft. Nachdem die politische Polizei PST 2007 zu bedenken gab, daß seine Freilassung den antizionistischen Kräften im Libanon Auftrieb geben könnte, wurde sein Freilassung in erster Instanz abgelehnt. Zur Zeit wird sein mittlerweile siebter Antrag auf Haftentlassung verhandelt. Gegenstand des Flugblatts war unter anderem die Stellungnahme einer Haftprüfungskommission, die die Freilassung Georges Abdallahs mit der Begründung ablehnt, er könne "durch die nach wie vor ungebrochene Kraft seiner Überzeugungen aufs Neue, wenn der politische Kontext gegeben ist, dazu veranlaßt werden, sich als entschiedener und unversöhnlicher Aktivist zu verhalten". Die Entscheidung über seine Freilassung nach 25 Jahren Haft wird am 5. Mai 2009 getroffen.

Der Schattenblick nutzte die Gelegenheit, das NPA-Mitglied Alain Pojolat, der sich für diesen und andere politische Gefangene einsetzt, nach der Haltung der neuen Partei zum Nahostkonflikt zu fragen.

Alain Pojolat - © 2009 by Schattenblick

Alain Pojolat mit SB-Redakteur
© 2009 by Schattenblick


Schattenblick: Wie positioniert sich die NPA im innerpalästinensischen Streit zwischen Fatah und Hamas?

Alain Pojolat: Die NPA tritt für die Einheit der Palästinenser ein, weil sie damit obsiegen werden. Am schlimmsten ist, daß die palästinensischen Behörden ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, indem sie Korruption zulassen und imperialistische Politik akzeptieren. Die Palästinenser sollten wieder miteinander sprechen, um zu alter Stärke zurückzufinden.

SB: Sind Sie der Meinung, daß die Hamas den Willen der Palästinenser zum Widerstand in höherem Maße repräsentiert als die Fatah, oder halten sie beide Parteien für korrumpiert?

AP: Nein, ich denke, es ist nicht dasselbe. Die Hamas will heute keine Verhandlungen führen, sie will den Krieg fortführen, daher schließen die Palästinenser ihre Kräfte nicht gegen die Zionisten zusammen. Sie wollen einen eigenen Staat in Gaza, daher glaube ich, daß die Hamas irrt. Sie wurde von der Bevölkerung gewählt und hat die Regierungsmacht in Gaza inne, aber die palästinensische Gesellschaft ist sehr vielschichtig. Einige sind atheistisch, einige kommunistisch.

SB: Haben sie Partnerorganisationen wie etwa die PFLP in Palästina?

AP: Wir unterhalten gute Verbindungen zur PFLP, die jedoch in den letzten 10 bis 15 Jahren sehr viele Kämpfer verloren hat. Es ist nun eine kleine Partei. Aber es ist eine laizistische und kommunistische Partei, deshalb unterstützen wir sie. Wir glauben jedoch, daß wir hier in Frankreich und Europa kaum in der Lage sind, die Lage in Palästina angemessen zu beurteilen. Es liegt an den Palästinensern selbst, darüber zu befinden. Wir sind jedoch der Ansicht, daß die Einheit der Palästinenser sehr, sehr wichtig ist.

SB: Findet die Sache der Palästinenser viel Unterstützung in der französischen Öffentlichkeit?

AP: Unsere Partei NPA setzt sich sehr dafür ein, die Palästinenser zu unterstützen. Auf unserem Palästinakongreß vor zwei Monaten wurde das Direktorat der PFLP mit stehenden Ovationen gewürdigt, weil es sich dafür entschieden hat, sich an der Kampagne für Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) zu beteiligen.

SB: Die NPA unterstützt diese Kampagne?

AP: Ja, natürlich. Wir führen Aktionen in Supermärkten durch und setzen uns in den Gewerkschaften dafür ein, daß sich französische Firmen an der Kampagne beteiligen. Wir werden demnächst eine große Demonstration mit jungen französischen Arabern veranstalten. Wir haben eine eigene Kommission eingerichtet, um die Menschen aus arabischen Ländern an diesen Aktionen zu beteiligen.

SB: Unterhalten Sie gute Kontakte zu den in Frankreich lebenden Arabern?

AP: Zu unseren Anhängern gehören sogar Frauen, die Kopftuch tragen.

SB: Interessieren sich die französischen Araber auch für die sozialistische Agenda?

AP: Das gilt insbesondere für Jugendliche. Wir reden mit ihnen auch über das kapitalistische System und nicht nur über Religion. Sie werden jeden Tag mit den sozialen Auswirkungen des Kapitalismus konfrontiert. Sie betrachten sich als Teil der Arbeiterbewegung.

SB: Wie beurteilen sie die Position ihrer Regierung im Verhältnis zu Israel?

AP: Unsere Regierung ist sehr prozionistisch, insbesondere Sarkozy. Er möchte die französische Politik für die gesamte Region verändern und die gleiche Politik wie Tzipi Livni oder Barack Obama betreiben. Obama stellt keine Veränderung für die Palästinenser dar. Er ist nur das neue Gesicht.

SB: Könnten Sie sich vorstellen, daß die NATO eines Tages direkt in den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern involviert sein wird?

AP: Israel hat versucht, die NATO im Libanonkrieg 2006 einzubinden und im Süden des Landes einzusetzen. Das ist zwar nicht gelungen, aber die NATO unterstützt Israel bedingungslos.

SB: Welche Rolle spielt Frankreichs Mittelmeerpolitik in diesem Zusammenhang?

AP: Es ist Sarkozy sehr wichtig, das Mittelmeer in eine von der EU beherrschte kapitalistischen Zone zu verwandeln. Wir glauben, daß die Absicht der Imperialisten darin besteht, eine Freihandelszone von Israel bis Pakistan zu bilden. Sie möchten keinen Frieden und keinen palästinensischen Staat. Mehr als ein Bantustan für die Palästinenser soll nicht möglich sein.

SB: Vielen Dank.

Übertragen aus dem Englischen und Französischen von der
Schattenblick-Redaktion

15. April 2009