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INTERVIEW/019: Pierre Villard, Le Mouvement de la Paix (SB)


Le Mouvement de la Paix wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich mit dem Ziel einer Welt ohne militärische Gewalt gegründet. Statt auf Krieg und die Aufstellung enorm teurer, zum Teil mit Atomwaffen ausgerüsteter Streitkräfte setzt die Organisation auf eine Zusammenarbeit der Nationen und Völkern, die auf Gerechtigkeit und Demokratie basiert. Auf der Kundgebung am 4. April in Strasbourg zum Auftakt der großen Anti-NATO-Demonstration stellte sich Pierre Villard, Kopräsident vom Mouvement de la Paix, dem Schattenblick für ein Gespräch zur Verfügung.

© 2009 by Schattenblick

Pierre Villard
© 2009 by Schattenblick

Schattenblick: Wie läuft die Zusammenarbeit mit der deutschen Seite. Sind Sie damit zufrieden?

Pierre Villard: Ja. Wir haben zwei internationale Koordinatoren: Reiner Braun von der IALANA [International Association of Lawyers Against Nuclear Arms] aus Deutschland und Arielle Denis aus Frankreich. Frau Denis und ich sind die Kopräsidenten des Mouvement de la Paix.

SB: Stößt Ihre Organisation in der Bevölkerung Frankreichs auf viel Zustimmung?

PV: Ja, durchaus.

SB: Hat die Rückkehr Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO den Mobilisierungsbemühungen Ihrer Organisation Auftrieb verliehen?

PV: Ja, aber nicht in dem Ausmaß, das wir uns erhofft hatten. Doch wir sind dabei, diese Mobilisierung zu forcieren, denn unsere Regierung versucht den Leuten weiszumachen, daß die NATO für den Frieden ist; aber es kann doch jeder selbst sehen, daß die Nordatlantische Allianz Krieg auf der ganzen Welt führt. Also ist es an der Zeit, eine Alternative zur NATO zu entwickeln.

SB: Wie empfinden die Strasbourger diese Art von Ausnahmezustand, den die Behörden zum NATO-Gipfel über die Stadt und ihre Umgebung verhängt haben?

PV: Die Lage in Strasbourg ist seit Wochen sehr schwierig. In der elsässischen Hauptstadt kann man gut beobachten, was für eine Welt die NATO errichten will. Die Polizei ist allgegenwärtig und stürmt sogar Wohnungen, um die Bewohner dazu zu zwingen, ihre Friedensfahne vom Fenster oder vom Balkon herunterzunehmen. Das sind ganz eindeutige Provokationen.

SB: Wie schätzen Sie die Bedeutung der Rückkehr Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO zu diesem Zeitpunkt ein? Die NATO befindet sich seit einiger Zeit in der Krise, und gerade jetzt kehrt Frankreich in den Schoß der Familie zurück, woraufhin plötzlich Politiker wie der britische Premierminister Gordon Brown von einer "neuen Weltordnung" reden. Findet bei der NATO eine Art Konsolidierung statt?

PV: Ich finde es nicht gut, daß Frankreich gerade jetzt in die Kommandostruktur der NATO zurückkehrt. Überall auf der Welt stoßen militärische Lösungen bei Politikern und einfachen Menschen auf immer weniger Zustimmung. Für Mouvement de la Paix ist das Verhältnis unserer Nation zur NATO nicht so wichtig, denn Frankreich ist niemals aus der Nordatlantischen Allianz ausgetreten, es war lediglich nicht an der Kommandostruktur beteiligt. Wir streben die Abschaffung der NATO an, denn sie ist ein Symbol des Kalten Krieges. Sie gehört der Vergangenheit an. Eigentlich ist die Entscheidung, Frankreich in die Kommandostruktur der NATO wiedereinzugliedern, schwer zu verstehen. Für uns sieht es aus, als wolle Präsident Nicolas Sarkozy damit unterstreichen, daß Frankreich zur "westlichen Familie" gehört.

Man muß diesen Schritt mit dem wenig solidarischen, selbstherrlichen Verhalten, das Sarkozy letztes Jahr beim Staatsbesuch in der senegalesischen Hauptstadt Dakar an den Tag legte, konterkarieren. Das Bekenntnis Sarkozys zur NATO schreit förmlich nach Neokolonialismus und bedeutet eine Absage an die französischen Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit unter den Menschen der ganzen Welt. Deswegen sind wir heute hier in Strasbourg, um vom französischen Boden aus eine Botschaft des Friedens in die Welt zu senden. Wir wollen zeigen, daß nicht alle Franzosen hinter der NATO und ihrer militaristischen Ideologie stehen. Mouvement de la Paix tritt für Frieden und Gerechtigkeit ein. Eine neue Welt ist möglich, und wir müssen sie zusammen verwirklichen.

SB: Wird Ihre Organisation von den Einwanderern aus den Maghrebstaaten und anderen islamischen Ländern unterstützt? Schließlich haben die Menschen in Staaten wie Afghanistan und dem Irak unter der NATO zu leiden.

PV: Wir stehen mit den Interessensvertretern der arabischen Einwanderer in Verbindung. Das versteht sich von selbst. Ohnehin beteiligen sich viele Franzosen arabischer Herkunft aktiv an der Friedensbewegung. Schauen Sie sich die Lage in Afghanistan an. Dort soll man zwischen der NATO und den Taliban wählen. Das lehnen wir ab. Wir unterstützen weder die NATO noch die Taliban. Wir fordern für Afghanistan eine internationale Friedenslösung im Rahmen der Vereinten Nationen. Das ist die Zukunft. Um eine solche Regelung zu verwirklichen, müssen wir uns für den Frieden stark machen. Die NATO hat nicht Frieden nach Afghanistan gebracht, sondern lediglich Krieg - und der dauert nun mehr als sieben Jahren. Deshalb brauchen wir in Afghanistan eine neue Friedensinitiative anstatt immer mehr GIs. Die Lösung für Afghanistan muß darin bestehen, den Menschen dort in Sachen Zivilgesellschaft und wirtschaftlicher Entwicklung zu helfen.

SB: Kommt es in Frankreich angesichts der derzeitigen internationalen Wirtschaftskrise zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen den Gruppen, die für soziale Gerechtigkeit eintreten, und der Antikriegsbewegung? Begreifen die Menschen, daß beides zusammenhängt?

PV: Wir befinden uns in einer Phase, in der die Menschen sehr viele Fragen haben. Deshalb versuchen wir vom Mouvement de la Paix, die Frage nach Krieg und Frieden mit der sozialen Frage zu koppeln. Die beiden Bewegungen sollten sich noch mehr gegenseitig unterstützen. Man kann nicht gleichzeitig die Bedürfnisse der Menschen im eigenen Land befriedigen und riesige Summen für Kriege im Ausland ausgeben. Das eine schließt das andere aus. Deshalb kommt es zu immer mehr Kürzungen im sozialen Bereich. Aus dem Grund werden Sie heute beim Protestmarsch in Strasbourg sehr viele Gewerkschaftsvertreter sehen. Einige von ihnen gehören dem Internationalen Organisationskomitee des Gegengipfels an.

SB: Heute halten die Damen und Herren Politiker an der Europabrücke über den Rhein eine symbolträchtige Feier ab. In gewisser Weise soll die alte Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich endlich zu Grabe getragen werden. Wie bewerten sie die Rolle der beiden führenden EU-Mächte Deutschland und Frankreich innerhalb der NATO sowie im Rahmen des westlichen Interventionsstrebens in anderen Teilen der Welt? Können Paris und Berlin ein Gegengewicht zu Washington und London bilden? Ist so etwa überhaupt wünschenswert, wenn sie ohnehin die gleiche Form von Imperialismus betreiben?

PV: Ich glaube nicht, daß die Regierungen in Deutschland und Frankreich in der Lage sein werden, den Kurs der NATO wesentlich zu ändern. Ich mache mir Sorgen, denn wir befinden uns an einem wichtigen historischen Punkt. In den USA hat ein neuer Präsident gerade das Amt übernommen. Barack Obama unterscheidet sich ganz klar von George W. Bush, aber wir müssen erst sehen, welche Maßnahmen er ergreift. Er hat erklärt, er wolle die Atomwaffen abschaffen und sei bereit, Gespräche mit dem Iran aufzunehmen. Praktisch zur gleichen Zeit haben Sarkozy und Angela Merkel Widerspruch angemeldet und erklärt, daß die NATO an der nuklearen Abschreckung festhalten müsse und daß man sich vor dem Iran in Acht nehmen müsse. Angesichts einer solchen Haltung glaube ich nicht, daß von der Führung Deutschlands und Frankreichs eine positive Veränderung des NATO-Kurses zu erwarten ist.

SB: Herr Villard, herzlichen Dank für das Gespräch.

Übertragen aus dem Englischen von der Schattenblick-Redaktion

17. April 2009