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INTERVIEW/028: Bundeswehr aus Afghanistan abziehen - Gespräch mit Norman Paech (SB)


Interview mit Norman Paech in Hamburg am 15. September 2009


Dr. Norman Paech ist emeritierter Hochschullehrer und außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke. Am Rande einer Veranstaltung der Linken zum Afghanistankrieg am 15. September in Hamburg-St. Georg hatte der Schattenblick Gelegenheit, Herrn Paech einige Fragen zu stellen.

Dr. Norman Paech
© 2009 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Paech, die völkerrechtlichen Grundlagen des Afghanistankriegs, die UN-Resolutionen 1368 und 1373, scheinen von vielen Völkerrechtlern als nicht tragfähig für diese Militäreinsätze erachtet zu werden.

Norman Paech: Ja, das stimmt, das sehe ich auch so.

SB: Wie ist es um die ISAF-Resolution 1386 bestellt, inwiefern legitimiert sie das, was heute in Afghanistan stattfindet?

NP: Meines Erachtens tut sie dies nicht mehr. Sie legitimiert eine Stabilisierungsmission, die natürlich auch mit militärischen Eingriffen verbunden ist. Nur das, was wir jetzt gerade in Kunduz erleben, aber auch was sonstige Zwischenfälle betrifft, zu denen es im Westen, Süden und Osten immer wieder unter Inkaufnahme zahlreicher ziviler Opfer kommt, ist ein Exzeß, der darüber hinausgeht. Da muß die ISAF ihre Initiativen und auch ihre Aktivitäten zurückfahren. Sie geht dort auf unverhältnismäßige Weise ohne Rücksicht auf Verluste vor und ist von einer solchen Resolution nicht mehr gedeckt.

SB: Der Begriff der Verteidigung ist über den des Terrorismus heute sehr stark in das Vorfeld gewalttätiger Handlungen verlegt worden, die Präventivdoktrin bestimmt das Vorgehen der NATO immer weitreichender. Wie verhält es sich mit den Terrorismusdefinitionen, die eigentlich eine axiomatische Funktion für die Doktrin der NATO besitzen?

NP: Der Terrorismusbegriff ist die Grundlage für die OEF-Maßnahmen, d.h. dort wird Verteidigung gegen den Terrorismus begründet, eine immer zweifelhafter werdende Kategorie, weil es ursprünglich um die Eliminierung der Al Qaida ging. Petraeus [Kommandeur des US Central Command - Anm. d. Red.] vertritt jetzt selber, daß Al Qaida keine Rolle mehr spielt, weil sie sich nicht mehr in Afghanistan aufhält. Bin Laden befindet sich irgendwo im pakistanischen Bereich und die OEF ist allmählich ununterscheidbar geworden von den Aktivitäten der ISAF. Es gibt keine direkte Trennung beider Aktivitäten mehr, und der Begriff des Terrorismus wird einfach auf den Widerstand angewendet, der von den Taliban ausgeht. Er ist vollkommen verschwommen. Er ist eine juristisch nicht mehr faßbare Kategorie und hat dafür gesorgt, daß dieser Krieg vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist.

SB: Ein wesentliches Problem bei der Terrorismus-Definition besteht darin, daß staatliche Gewaltanwendung von der nichtstaatlicher Akteure differenziert wird. Was für die einen Befreiungskampf ist, ist für die anderen Terrorismus. Wie kann eine umfassende Militärdoktrin überhaupt auf einem solch schwammigen Begriffskonstrukt basieren? Die NATO hat sich ja der Bekämpfung des Terrorismus verpflichtet.

NP: Wenn wir uns das historisch ansehen, so haben wir die Problematik schon einmal in den 70er Jahren mit den Befreiungsbewegungen gehabt. Die Kategorie z.B. des asymmetrischen Krieges, die ja auch mit dem Terrorismusbegriff operiert, bedeutet, daß eine hochgerüstete moderne Armee gegen Gruppierungen zu Felde zieht, die mit ganz anderen Ausrüstungen und ganz anderen Grundsätzen kämpfen und auch über eine ganz andere ideologische Rückendeckung verfügen. Dies ist bei Befreiungsbewegungen in Afrika der Fall gewesen wie auch jetzt bezüglich des Widerstandes in Afghanistan. Da tut sich das Völkerrecht gar nicht so schwer. In den beiden Zusatzprotokollen zu den Genfer Konventionen von 1977 ist auch dieser asymmetrische Krieg in das humanitäre Völkerrecht eingeführt worden. Von daher gelten die gleichen Prinzipien des Schutzes der Zivilbevölkerung und der ausschließlichen Bekämpfung derjenigen, die gegen die anderen militärisch kämpfen. Insofern ist das völkerrechtlich kein Problem. Das Problem der Definition des Feindes, der jetzt als Terrorist bezeichnet wird und der vollkommen beliebig ist und bei dem man sich aussucht, wen man auch immer meint, der von Al Qaida hin zu den Taliban und damit auch zu einem Widerstand reicht, der sich nur gegen eine Besatzung wendet, besteht darin, daß der Begriff des Feindes vollkommen schwammig und willkürlich geworden ist.

SB: Die Antiterrorgesetzgebung in den USA hat zahlreiche Implikationen, die dem rechtsstaatlichen Verständnis in Deutschland entgegenstehen. Welche politischen Konsequenzen müßte die Bundesregierung oder auch das Parlament im Verhältnis zu den USA daraus ziehen?

NP: Wir haben ja das Problem im BND-Untersuchungsausschuß gehabt, daß die Bundesregierung mit ihren Geheimdiensten im Kampf gegen den Terror mit der CIA zusammengearbeitet hat. Wir haben aufgrund der Ergebnisse dieser Zusammenarbeit, die immer wieder völkerrechtliche Grenzen überschritten hat - sowohl bei der Zusammenarbeit im Bereich der Rendition-Flights wie aber auch der Folter - gefordert, daß das unterbunden wird. Das heißt nicht etwa, daß die Beziehungen zu den USA abgebrochen werden, aber daß die Organisationen, die im Kampf gegen den Terror zusammengearbeitet haben, insbesondere bei uns der BND, aber auch das BKA, ihre Zusammenarbeit mit der CIA beenden, da diese offensichtlich nicht in der Lage oder bereit ist, ihre Aktivitäten auf eine rechtsstaatlich und völkerrechtlich einwandfreie Basis zu stellen.

SB: Sie haben in der Nachbesprechung zum BND-Untersuchungsausschuß angeführt, daß die Regierungsparteien im Grunde genommen verhindert haben, daß wichtige Akten, die diese Zusammenarbeit offengelegt hätten, einzusehen waren. Wenn nicht einmal auf parlamentarischem Wege über einen Untersuchungsausschuß zu erreichen ist, daß diese Art von Geheimexekutive transparent gemacht wird, wie sollte man dann überhaupt mit parlamentarischen Mitteln eine überbordende Willkürjustiz im Zaum halten?

NP: Deswegen sind wir ja vor Gericht gegangen und haben durch das Bundesverfassungsgericht Recht bekommen, daß diese geheimgehaltenen Unterlagen offengelegt werden müssen. Es ist uns leider nicht gelungen, das noch in dieser Legislaturperiode durchzusetzen, aber ich finde, in der nächsten Legislaturperiode muß auf der Basis dieses Urteils des Bundesverfassungsgerichts neu versucht werden, vollständig Aufschluß über diese illegale Zusammenarbeit und das Ausmaß der Illegalität zu erhalten.

SB: Hat die Fraktion der Linken vor, das EU-Begleitgesetz noch einmal anzufechten, weil die Beteiligung des Bundestages an militärischen Fragen, an Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik im Sinne des Bundesverfassungsgerichts nicht zustande gekommen ist?

NP: Wir haben uns entschlossen, dort nicht mehr vor das Bundesverfassungsgericht zu gehen. Man kann nicht alle Fragen, in denen man politisch nicht durchdringt, einfach durch acht Richter des Bundesverfassungsgerichts juristisch lösen lassen. Das ist nicht möglich, man muß sich da schon ganz spezifische Probleme aussuchen. In diesem Falle des EU-Vertrages werden wir nicht mehr vor das Bundesverfassungsgericht gehen, obwohl uns die Entscheidung nicht gefällt.

SB: Der NATO-Oberbefehlshaber in Afghanistan, Stanley McChrystal, beansprucht immer mehr Kompetenzen im zivilen Bereich. Wie beurteilen Sie das?

NP: Die oberste Befehlsgewalt ist bei OEF wie auch bei ISAF immer bei den Amerikanern gewesen. Die haben das größte Potential, sie haben auch das größte Interesse an einem Protektorat Afghanistan, und sie maßen sich in allen Bereichen, so auch im Norden, die Führerschaft in diesem Krieg an. Wenn sich die Bundesregierung dagegen nicht wehrt und nicht ihre Autonomie bewahrt, dann ist das ein weiteres Problem, das uns in der Forderung bestärkt, daß sie sich aus dieser ganzen Sache herausziehen soll.

SB: Haben Sie zur Beauftragung des UN-Sicherheitsrates mit der Frage der Urananreicherung im Iran eine klare Position? Heißen Sie das gut, obwohl der Iran beansprucht, daß die Angelegenheit bei der Internationalen Atomagentur bleibt?

NP: Ich habe da eine klare Position. Es ist notwendig, die Proliferation nuklearer Fähigkeiten zu beschränken. Das ist der Sinn des Non-Proliferation-Vertrages, daß auch der Iran keine Möglichkeit der militärischen Nutzung von Nuklear-Kapazitäten bekommt. Allerdings muß das auf diplomatischem und vertraglichem Weg vereinbart werden. Insofern finde ich die Wiederaufnahme der Gespräche, die für den 1. Oktober geplant sind, eine gute politische und diplomatische Initiative. Daß das wiederum begleitet wird mit Sanktionsdrohungen, halte ich für falsch. Vor allen Dingen mit Drohungen, die jetzt laut geworden sind, wiederum von Israel und auch aus den USA, militärisch gegen den Iran vorzugehen. Das zerstört meines Erachtens die durchaus richtige, diplomatische Initiative.

SB: Sie waren vor kurzem auf einer Tagung in Berlin zum Thema der Kurden als Redner geladen. Wie beurteilen Sie die Rolle der Kurden in diesem Geflecht der Transformation des Nahen und Mittleren Ostens als ein Volk, das keine direkte Vertretung hat. Müßte man nicht eine viel stärkere Unterstützung der Kurden selber und nicht nur über die jeweiligen Länder, in denen sie leben, politisch auf die Bahn bringen?

NP: Das Kurdenproblem ist ein noch immer schlummerndes, aber sehr konfliktgeladenes Problem. Es wird auch sehr heikel werden, wenn z.B. die Einheit des Irak nicht aufrechterhalten werden kann und sich aus der Autonomie im Norden eventuell so etwas wie ein selbständiger Staat entwickelt. Dann wird der Südosten der Türkei noch weiter revolutioniert und es wird versucht werden, auch im Südosten der Türkei einen eigenen kurdischen Staat zu etablieren. Das ist die Drohung, die auch die Türken verspüren und deswegen versuchen, jetzt mit der eigenen kurdischen Bevölkerung zu einer Übereinkunft zu gelangen. Ich bin noch skeptisch, ob das wirklich reicht und ob sie wirklich so konsequent sind, daß sie das auch realisieren können. Notwendig ist, daß das, was die Kurden im Augenblick verlangen, nämlich weitgehende Autonomie, Selbstverwaltung, Anerkennung der kulturellen Identität usw. in allen Staaten gewährt wird, in denen es Kurden gibt, und zwar nicht nur in der Türkei, sondern auch im Irak, aber auch im Iran und in Syrien. Das wird sehr schwierig zu erreichen sein. Sollte das nicht gewährt werden, dann sehe ich in dieser Konstellation einen weiteren sehr brisanten und auch kriegsträchtigen Krisenherd.

SB: Herr Baraki hat vorhin schön auf den Punkt gebracht, daß sehr viele Leute gegen den Afghanistan-Krieg sind, aber leider nicht die Parteien wählen, die dies einlösen. Wie beurteilen Sie die Lage in der Bundesrepublik? Josef Joffe hat vor kurzem in bestem neokonservativen Jargon in der Zeitschrift für Internationale Politik die Dominanz der USA als Weltführungsmacht eingefordert. Kann so etwas in Deutschland hegemonial werden oder gibt es tatsächlich eine Bewegung in der Bevölkerung, die sich dagegen zusehends durchsetzt?

NP: Ich glaube, daß die gegenwärtige Bewegung gegen den Afghanistankrieg und die Forderung nach dem Abzug nicht nur durch unsere Argumente verstärkt wird, sondern vor allem durch die Eskalation des Krieges in Afghanistan selbst. Das ist ähnlich wie im Fall des Vietnamkriegs. Auch dort ist der Rückzug der Amerikaner nicht durch die Heimatfront erwirkt worden, sondern durch den wachsenden Widerstand. Das ist sozusagen eine Zangenbewegung. Nur die Realität der sich verschärfenden Situation und auch des nicht nachlassenden Widerstands dagegen an der Heimatfront bietet die Möglichkeit, daß Positionen wie Joffes oder auch Lothar Rühls in diesem Land nicht dominant werden, sondern daß die Einsicht wächst, daß solche Konflikte und solche Krisensituationen mit Krieg nicht zu regulieren sind. Da bin ich ganz optimistisch.

SB: Gibt es in der Linken Anstalten, die soziale Problematik in Deutschland, die ja eigentlich Hauptthema des Wahlkampfs ist, mit der Frage des Krieges in Zusammenhang zu bringen? Es stellt sich ja die Frage, was den normalen Wähler an Afghanistan überhaupt interessieren könnte, wenn er z.B. auf seinen Kontostand blickt?

NP: Man muß erkennen, daß die Rüstungsindustrie erheblichen Anteil an den Kriegen hat, allerdings auch Arbeitsplätze bringt, weswegen man es so schwer hat, einen konsequenten Anti-Kriegs- und Anti-Rüstungskurs in unserer Gesellschaft durchzusetzen. Man muß wieder die Diskussion um die Konversion, die wir schon einmal in den 80er Jahren führten, voranbringen. Weg von der Rüstungsindustrie, daß man die sicheren Industrieproduktionen nicht im Bereich der Rüstung, sondern im zivilen Sektor ansiedelt. Krieg hat noch nie irgendwelche sozialen Sicherungen hervorgebracht und Waffenproduktion wie auch Waffenexport bedeuten permanent Krieg und Zerstörung des sozialen Netzes. Das müßte der Bevölkerung eigentlich sehr deutlich sein. Krieg und Rüstung haben eine soziale und auch eine ideologische Grundlage. Die Militarisierung beginnt ja nicht erst in der Produktion, sondern davor in den Köpfen - und das muß raus.

SB: Das war ein schönes Schlußwort. Herr Paech, vielen Dank für das Gespräch.

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23. September 2009