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INTERVIEW/029: Undine Weyers, Stephan Schrage - Verteidiger im mg-Prozeß (SB)


Interview mit Undine Weyers und Stephan Schrage am 14. Oktober 2009 in Berlin-Moabit


Wie zu erwarten war, hat sich der Staatschutzsenat am Berliner Kammergericht den Forderungen der Bundesanwaltschaft angeschlossen und Florian L., Axel H. und Oliver R. wegen Mitgliedschaft in der vom Gericht als kriminelle Vereinigung eingestuften "militanten gruppe" zu Haftstrafen in Höhe von zweimal dreieinhalb und einmal drei Jahren verurteilt.

Der Schattenblick hatte zwei Tage vor der Urteilsverkündigung die Gelegenheit, zwei der sechs Verteidiger im mg-Prozeß, Rechtsanwältin Undine Weyers und Rechtsanwalt Stephan Schrage, zu ihrer Sicht auf die Umstände und den Verlauf des mg-Verfahrens zu befragen.

Undine Weyers, Stephan Schrage
© 2009 by Schattenblick

Schattenblick: Frau Weyers, ist die Entscheidung, das Schlußplädoyer nicht zu halten, das Ergebnis einer gemeinsamen Strategie aller Verteidiger?

Undine Weyers: Ja, der Angeklagten und der Verteidiger.

SB: Herr Schrage, wenn ich das richtig verstanden habe, gehen Sie davon aus, daß Sie das Gericht mit Ihren Plädoyers nicht weiter beeinflußen können. Wie sind Sie zu der Auffassung gelangt?

Stephan Schrage: Wir haben das in der Erklärung, die heute beim Gericht verlesen worden ist, dargelegt. Das Verfahren war von Anfang an von einer Atmosphäre der Vorverurteilung und der Hochstilisierung unserer Mandanten zu gemeingefährlichen Verbrechern geprägt. Man muß sich vor Augen halten, daß es rigide Einlaßkontrollen gab, die Zuschauer mußten alles abgeben. Wir haben uns anfangs über die Frage gestritten, ob man ein Tempo-Taschentuch mitnehmen darf oder zehn? Darf man ein Blatt Papier mitnehmen oder sieben? Darf man einen Bleistift mitnehmen, denn Kugelschreiber waren sowieso verboten.

Dann kommt man als Zuhörer in den Gerichtssaal, in dem schon ein Dutzend bewaffneter Bereitschaftspolizisten mit schußsicheren Westen sitzt, so daß man sich - nach diesen Einlaßkontrollen - fragt, vor wem die eigentlich noch Angst haben? Es war insgesamt die Atmosphäre eines Prozesses unter Polizeibegleitung. Dazu befanden sich noch Personenschützer für die Bundesanwälte im Saal, es waren Prozeßbeobachterinnen des BKA anwesend, die erklärtermaßen gesagt haben: "Wir beobachten diesen Prozeß, um zu sehen, wie die Reaktionen der Szene darauf sind".

UW: Um die Zuschauer auszuspitzeln.

StS: Ja, sie auszuspitzeln. Gibt es Anhaltspunkte dafür, mögliche Sympathisanten auszumachen? Wissen Sie, wenn man in so einer Atmosphäre verhandelt, dann fühlt man sich nicht mehr an einen bundesdeutschen, rechtsstaatlichen Prozeß erinnert, sondern da denkt man an andere Prozesse. Vor diesem Hintergrund stand das Urteil von Anfang an fest. Es war völlig klar, hier wird es eine Verurteilung geben. Wir haben natürlich mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln versucht, juristisch dagegen zu argumentieren, aber jetzt im Schlußplädoyer noch einmal haarklein jedes einzelne Indiz zu widerlegen, darin haben wir keinen Sinn gesehen. Wir haben nicht mehr geglaubt, daß man das Gericht mit einem Schlußplädoyer noch erreicht, weil das Urteil feststeht.

SB: Ist dieser spezielle Teil des Gerichtsgebäudes
Staatsschutzprozessen vorbehalten?

UW, StS: Ja.

SB: Die Anklage im mg-Prozeß wurde doch auf "kriminelle Vereinigung" zurückgestuft.

StS: Genau.

SB: Er gilt aber immer noch als Staatsschutzverfahren?

StS: Er ist de facto so weitergeführt worden. Wir haben uns ja zu Beginn des Verfahrens, als noch der Vorwurf § 129 a "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" erhoben wurde, mit diesem ganzen, ich sage einmal, Blödsinn aus den 70er Jahren auseinandersetzen müssen. Unsere Mandanten waren Sonderhaftbedingungen unterworfen, bei jedem Besuch von Angehörigen saßen BKA-Beamte daneben und haben mitgeschrieben. Die Verteidigerbesuche konnten nur mit Trennscheibe stattfinden. Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, was das bedeutet? Das ist nicht so, wie wir hier sitzen, sondern Sie sitzen in einem Raum, der Mandant sitzt in einem anderen Raum, dazwischen gibt es ein Fenster, eine Panzerglasscheibe. Man guckt quasi in ein Aquarium und redet mit dem Mandanten über eine Mikrofonanlage.

Man kann ihm nicht die Hand geben, das war ausdrücklich verboten. Das war alles stigmatisierend hoch drei. Die Verteidigerpost wurde kontrolliert, die mußte extra von einem Richter gelesen werden, woraus natürlich ein Mißtrauen gegenüber der Verteidigung resultiert, weil die Anwälte die einzigen waren, die noch einen unüberwachten Zugang zu den Angeklagten hatten. Unüberwacht in der Form, daß inhaltlich keine Kontrolle dessen stattgefunden hat, was geredet wurde. Aber das drückt ein Mißtrauen aus gegenüber den Verteidigern, etwa nach dem Motto: "Das ist eine Soße!" Das sind die einzigen, die überhaupt noch einen ungehinderten Kontakt zu den Mandanten haben, deswegen wird das peinlichst genau kontrolliert.

Das hat der Bundesgerichtshof im November 2007 zurückgestuft und geurteilt, daß die Voraussetzungen für eine terroristische Vereinigung hier nicht vorliegen. Nach diesem EU-Rahmenbeschluß, der im Zuge der rot-grünen Regierung angeglichen worden ist, galt, daß terroristische Aktivitäten nur dann vorliegen, wenn sie dazu geeignet sind, einen Staat erheblich zu beeinträchtigen oder zu schädigen. Das liegt hier nicht vor. Ich sage es einmal plastisch: wenn drei alte Bundeswehr-LKWs abgefackelt werden, bricht der Staat nicht zusammen, und die Bundeswehr ist in ihrer Funktionsfähigkeit auch nicht beeinträchtigt. Damit hat der Bundesgerichtshof erklärt, daß hier, wenn überhaupt, eine kriminelle Vereinigung vorliegt, also eine klare Zurückstufung. Wenn man jedoch in Gegenwart bewaffneter Beamten verhandeln muß, dann hat sich das eben nur partiell verändert.

SB: Haben Sie versucht, dagegen Rechtsmittel einzulegen?

StS: Selbstverständlich, wir haben von Anfang an versucht, darauf einzuwirken, das wurde mit Sicherheitsaspekten und ähnlichem abgetan. Welchen Eindruck das bei der Öffentlichkeit hinterläßt, wenn man Prozesse in der Art und Weise führt, ist klar. Man muß sich einmal in die Angeklagten hineinversetzen, kein Mordprozeß findet unter solchen Bedingungen statt.

UW: Ich möchte noch etwas dazu sagen, daß wir nicht plädiert haben. Das betrifft nicht nur diese Sondergerichtsbarkeit oder die Sonderbedingungen, sondern das hat sich auch an der Verfahrensführung gezeigt. Die Verteidigung hat zu einem relativ frühen Zeitpunkt versucht nachzuweisen, wie der Gang des Verfahrens überhaupt war, wie sie überhaupt dazu gekommen sind, unsere Mandanten zu beschuldigen. So haben wir zum Beispiel versucht einzubringen, daß das erste mg-Verfahren schon seit 2001 läuft. Man muß sich einmal vorstellen, daß seit 2001 ermittelt wird, weil der Verfassungsschutz sagt, die und die Leute sind die mg. Ermitteln, ermitteln, ermitteln - mit jedem Anschlag, der passiert, stellen sie immer wieder fest, daß die Leute zu Hause sind, daß sie es nicht gewesen sein können. Der Verfassungsschutz wird jedes Mal gefragt: "Das kann ja wohl nicht sein", doch er sagt immer: "Doch, doch, doch - wir wissen es, wir wissen es, wir wissen es". Dann wird mehrere Jahre ermittelt, und das Bundeskriminalamt kommt intern zu dem Schluß, daß das alles nicht stimmen kann, aber sie müssen weiter ermitteln.

Ich sage mal auf gut Deutsch: Die haben den Kaffee auf, ja. Die haben das Gefühl, sie werden an der Nase herumgeführt und denken sich, "was machen wir, was machen wir". Sie stehen unter dem brutalen politischen Druck, endlich einmal Ergebnisse zu liefern, daß mg-Leute festgenommen werden - es passieren immer wieder Brandanschläge. Sie stehen unter einem totalen Druck.

Was dann geschieht, kann man aus den Akten sehr gut nachvollziehen. Sie fangen an, unter der Flagge der mg gegen Leute zu ermitteln, von denen sie - das ist unsere Behauptung, die unserer Ansicht nach aus den Akten hervorgeht - von denen sie wissen, daß sie eigentlich Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Zeitschrift radikal sind. Es war schon immer so, daß das Bundeskriminalamt auch untersucht hat, was die radikal macht. Das BKA hat aber niemals gesagt, radikal-Leute sind auch mg-Leute, sondern das waren zwei verschiedene Paar Schuhe. Sie ermitteln unter der Flagge mg, um alle Möglichkeiten zu haben gegen Leute, von denen sie annehmen - und sei es auch nur aufgrund vager Anhaltspunkte -, daß sie von der radikal sind.

Daraus ergibt sich dann, daß eine dieser Personen, die umfassend beschattet und observiert werden, sich mit meinem Mandanten trifft - unter konspirativen Umständen, das muß man schon sagen -, und dann wird gegen ihn ein Verfahren wegen mg eingeleitet. Das heißt, da gibt es eine gewisse Kontaktschuld, der eine soll jetzt mg sein, dann ist der andere mg, und so setzt sich das fort. Es gibt bei unseren Mandanten, und zwar bei allen, mindestens genauso viele Funde, also Asservate, Indizien, die darauf hinweisen, daß sie genauso zur radikal gehört haben könnten. Es stellt sich also die Frage, geht beides zusammen oder geht es nicht.

Alle Anträge, die wir in diese Richtung gestellt haben, sind vom Senat immer in der Weise abgelehnt worden, daß sie gesagt haben "Naja, das sind mögliche Schlüsse, die man ziehen kann, die sind nicht zwingend und wir ziehen sie sowieso nicht". Wenn mir jemand ein halbes Jahr lang - das letzte halbe Jahr drehte sich viel um dieses Thema - sagt, "den Schluß, den du ziehst, den ziehe ich sowieso nicht", was soll ich denn dem noch drei Stunden lang erzählen, warum ihn den doch ziehen soll?

SB: Es entspricht doch im wesentlichen der Funktion des § 129/a/b, des politischen Strafrechts, daß Ausforschungen ganz oben auf der Liste der Interessen steht, unter denen es angewendet wird.

UW: So ist es.

StS: Es eröffnet einfach weitreichende Möglichkeiten, und in der Praxis sieht es so aus, wenn über einem Verfahren § 129 a steht, dann knallt jeder Staatsanwalt die Hacken zusammen.

Um noch einmal auf den Ursprung dieses Verfahrens zu kommen: Von 2001 bis 2007 wurde gegen drei Leute ermittelt. Es passieren drei bis vier Anschläge pro Jahr, mit jedem Anschlag wird klar, die können es nicht gewesen sein. Aber der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof hat die entsprechenden Telefonüberwachungsbeschlüsse immer wieder unterschrieben und immer wieder verlängert. Man muß sich einmal die Absurdität vorstellen, wenn man das über einen Zeitraum von sechs Jahren verfolgt. Der objektive Verdachtsgrad gegen diese Person wird immer kleiner, aber gleichwohl werden die Überwachungsmaßnahmen ständig verlängert, weil die Ermittlungsbehörden sagen "das stimmt zwar, daß die immer zu Hause sind und damit eigentlich gar nichts zu tun haben können. Das liegt aber nur daran, daß die noch schlauer sind, als wir gedacht haben".

UW: Ja, genau.

StS: Wissen Sie, das ist irgendwie gegen jede Logik.

SB: Sind diese Verfahren inzwischen eingestellt worden?

StS: 2007, nach sechs Jahren. Und es gibt andere, bei denen es genauso gewesen ist, bei denen auch über Jahre hinweg Überwachungsmaßnahmen gelaufen sind. Bei einem Mandanten, den ich vertrete, verhielt es sich zum Beispiel so, daß er zusammen mit einem der drei ersten Angeklagten in einer Bäckerei gearbeitet hat. Das nahm man zum Anlaß zu sagen "Die haben miteinander zu tun, die kennen sich ganz gut, also muß der auch mg sein". Ich meine, das ist uferlos.

SB: Wenn die von Ihnen erwähnte Kontaktschuld festgestellt und weiterhin ermittelt wird, geschieht dies unter Bezug auf eine bestimmte Gesinnung, daß die Betroffenen links orientiert sind oder sich in linken Zusammenhängen aufhalten?

UW: Ja, klar.

StS: Ja.

SB: Das wird dann sozusagen zu einem Verdachtsmoment verdichtet.

UW: So ist es.

SB: Sind die Ankläger überhaupt in der Lage, eine versuchte Brandstiftung beweiskräftig behaupten zu können?

StS: Es gibt ein paar Dinge, die lassen sich nicht wegdiskutieren. Es hat einen versuchten Brandanschlag gegeben auf drei Bundeswehr-LKWs auf einem Gelände der MAN in Brandenburg. Die Polizei ist Personen von Berlin aus hinterhergefahren. Zwischenzeitlich wurde das Auto verloren, dann wurde es wieder gesehen. Fakt ist jedenfalls, auf den Brandflaschen in Brandenburg, die dort gefunden worden sind, befand sich DNA-Material eines der hier Angeklagten. Das können wir nicht wegdiskutieren.

UW: Er saß zusammen mit den anderen beiden Beschuldigten in dem Auto, das gestoppt worden ist.

StS: Einer Verurteilung deswegen wird man rechtsstaatlich nichts entgegensetzen können. Das muß man so sagen.

UW: Ja.

StS: Aber man muß auch sehen, daß die entsprechenden Brandsätze von den observierenden Polizeibeamten, ohne irgendeinen Schaden anzurichten, entfernt wurden. Wir haben also einen Schaden von Null Euro. Es ist nichts passiert, wenn man so will. Wenn nicht der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen, hinterher kriminellen Vereinigung hinzugekommen wäre, und der steht eben auf sehr tönernen Füßen und ist wackelig, dann hätten wir hier unter normalen Bedingungen irgendwo vor dem Schöffengericht des Amtsgerichtes Brandenburg-Havel verhandelt. Bei den Strafen hätte man - alle drei sind nicht vorbestraft - dann über eine Bewährung geredet.

SB: Ließe sich ein Organisationsstraftatbestand überhaupt mit gemeinsam geplanter Brandstiftung rechtfertigen, wenn man politische Motive ausschließen würde?

StS: Der Vorwurf der Mitgliedschaft hat das Verfahren aufgepumpt und hat es zu einem Popanz gemacht.

UW: Es ist natürlich so, wenn wir vier, die wir jetzt am Tisch sitzen, sagen, jetzt machen wir mal ein Auto klar, wir gehen zu viert los und setzen es in Brand, wir klauen es oder wir machen irgendetwas, dann sind wir ja noch keine Bande oder keine Vereinigung oder kein gar nichts. Das trifft ja erst zu, wenn wir eine feste Struktur haben, wenn wir beschließen, es auf längere Zeit zu machen, es immer wieder zu tun. Und wir verbinden uns überhaupt nur mit dem Ziel, eben genau solche Straftaten zu begehen. Wenn man jemanden bei einer Straftat erwischt, kann man nicht davon ausgehen, daß es so ist. Hier heißt es jedoch - erwischt und dann zurückgeschaut. Zurückgeschaut und gesagt: Aha! Das und das und das gibt es hier, und deswegen war das als mg gemacht. Sie können ja noch nicht einmal sagen, seit wann unsere Mandanten dabei gewesen sein sollen. Sie können noch nicht einmal sagen, ob die mg überhaupt die Voraussetzung erfüllt, daß sich mindestens drei Leute zusammen organisieren, ob das überhaupt die ganze Zeit so war, ob das überhaupt eine feste Gruppe ist, ob das nicht eine militante Plattform ist, ob das wirklich eine Gruppe ist, die fest organisiert ist. So, wie sie eben im strafrechtlichen Sinne sein muß und immer aus drei Personen bestanden hat, das können sie nicht sagen. Darüber wissen sie nichts.

SB: Sie haben, ob es nun eine terroristische oder kriminelle Vereinigung sein soll, den Sachverhalt der Vereinigung selber gar nicht positiv beweisen können?

UW: Aus unserer Sicht nicht.

StS: Es sind Indizien, die dafür angeführt werden wie zum Beispiel die Verwendung eines einheitlichen Brandsatzes, der aber seit 1994 unter ziemlich allen Gruppen, die Brandanschläge begehen, Verwendung findet. Weil er sich eben als praktisch oder was weiß ich erwiesen hat. Es gibt ein paar Indizien, die aber auf eine Vielzahl von Fällen zutreffen. Wir haben in diesem Verfahren gesehen, daß es Personenüberschneidungen gegeben hat auch unter Verwendung dieses Brandsatzmodells mit Gruppen, die unter einem anderen Namen agiert haben.

UW: Sagt das BKA.

StS: Sagt das BKA, so daß man durchaus fragen kann "Was ist das eigentlich, diese mg? Ist das eigentlich eine Plattform, unter der mehrere Gruppen agiert haben?" Wir haben diese Bekennerschreiben, die teilweise arg voneinander abweichen, sowohl vom Inhalt her als auch der Form als auch in der Diktion als auch in der Länge.

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SB: In der Militanzdebatte in der Interim haben, so weit ich verstanden habe, BKA-Beamte, die sich als zur Szene gehörig ausgegeben haben, zwei Texte verfaßt. Inwiefern besteht Anlaß zu der Vermutung, daß das nicht die beiden einzigen Fälle gewesen sind?

UW: Das lief so: Wir insistieren immer auf weiteren Aktenbestandteil. Irgendwann kriegen wir die auch. Es handelte sich konkret um vier Sachstandsberichte von jeweils 160, 170 Blatt, also ein Ordner voll. In diesem Ordner findet sich an einer Stelle ein quergedruckter Hinweis, da steht etwa drauf "nur für die Handakte, der Text wurde vom BKA erstellt." Das war alles. Dann haben wir den dazu vernommenen Beamten damit konfrontiert, ob ihm denn im Rahmen dieser Militanzdebatte Beiträge bekannt geworden seien, bei denen klar wäre, wer die geschrieben hat? Darauf hat er geantwortet "Nein, das weiß ich nicht". Dann haben wir ihn damit konfrontiert, daß in diesem Sachstandsbericht doch steht, daß einer dieser Texte vom BKA verfaßt worden sei. Dann ist er rot geworden und hat gesagt "Na ja, stimmt, aber das war ja nicht für Sie bestimmt". Dann haben wir gesagt, "Moment, also offensichtlich gibt es hier mehrere Akten, nämlich eine, die wir kriegen sollen und eine, die das BKA für sich behält". Dann erwarte ich von einem Staatsschutzsenat, daß er sagt "Moment mal, jetzt will ich aber sehen, was das BKA hat, um zu überprüfen, was stimmt denn hier oder was ist jetzt eigentlich identisch mit der Akte, die wir haben? Oder was ergibt sich denn aus der anderen möglicherweise?" Dann stellt sich der Beamte hin und sagt "Moment, ich habe noch etwas zu sagen, wir haben auch noch einen zweiten Text geschrieben". Auch das hat den Senat nicht dazu veranlaßt zu sagen "Ich lasse mich doch hier nicht vorführen!" Jeder Amtsrichter hätte gesagt "Jetzt reicht es mir aber, jetzt will ich einmal alles haben". Nichts!

SB: In welchem Ausmaß ist eigentlich die Praxis verdeckter Zeugen in einem solchen Verfahren legitim?

StS: Darüber streiten wir seit einigen Jahren. Es hat irgendwann angefangen mit Landfriedensbruchsverfahren, in denen Polizeibeamte nur noch unter einer Codenummer aufgetreten sind, dann mit Maskierung. Wir haben seit vielleicht vier, fünf, sechs Jahren die Entwicklung, daß beamtete Zeugen ihr Gesicht nicht mehr zeigen. Vorher gab es das überhaupt nicht. Es war völlig klar, wenn jemand jemanden festnimmt, dann heißt das, das ist der von der zwölften Einsatzhundertschaft, und der heißt Pom Fritz oder irgendwie. Es findet eine Entwicklung hin zu dieser Maskerade statt, bei der alles unter dem Vorbehalt steht: "Ich bin wahnsinnig gefährdet und das, was wir machen, ist wahnsinnig geheim". So fragt man sich, ob wir eine offene, rechtsstaatliche Polizei haben wollen, bei der wir wissen, der Beamte gehört zu der und der Einheit und heißt Sowieso. So daß wir prüfen können, ob er in vorherigen Verfahren einmal eine Falschaussage gemacht hat oder nicht, was von seiner Glaubwürdigkeit zu halten ist. Das sind doch alles Dinge, die man als Verteidiger überprüfen können muß. Und wenn Sie nur noch eine Nummer haben, dann geht das nicht mehr. Das ist eine bedenkliche Entwicklung.

SB: Wie würden Sie das Gericht beurteilen? Fühlen Sie sich als Verteidiger fair behandelt, oder würden Sie sagen, daß es doch eine deutliche Gewichtung seitens des Gerichtes gibt?

StS: Also, ich sehe da schon eine Gewichtung. Ganz klar, es hat keine Gleichbehandlung gegeben.

UW: Die Frage ist ja immer, was man damit meint. Das Gericht ist ein ganz vornehmes Gericht, das hat das Verfahren auch sehr vornehm geführt. Also zu allen Seiten vornehm, nett und freundlich und so. Als Prozeßbeobachter hat man nicht das Gefühl, daß die Verteidigung ganz schlecht behandelt wird und kein Wort sagen darf. Aber in der Art, wie die Verhandlung geführt wurde, in der Art, wie bestimmte Anträge behandelt worden sind, wie auf die Rechte der Angeklagten eingegangen wird, da wird es deutlich.

StS: Ja.

UW: Um festzustellen, daß Unterschiede gemacht werden, muß man schon ein bißchen genauer hinschauen. Ein Beispiel haben wir in unserer Erklärung, warum wir nicht plädieren, gebracht. Wir haben angefangen in dem Saal 700, das ist der Hochsicherheitssaal hier im Altbau, ein alter Kaisersaal, riesig groß, mit Tribünen für den Kaiser usw. Dort steht ein festgeschraubter Zeugentisch. Das Gericht erhöht, davor steht dieser Zeugentisch -

StS: Festgeschraubt!

UW: festgeschraubt. Dann haben wir natürlich alle bis nach hinten hinein im Saal gesessen. Ich habe ganz hinten gesessen und konnte nur noch irgendwie drei Haare von einem Zeugen oder einer Zeugin sehen. Am Anfang haben wir uns gar nichts dabei gedacht und einfach gefragt "Können wir den Tisch nicht ein Stück nach hinten stellen?" Wenn man einen Zeugen oder eine Zeugin befragen will, dann spricht man mit ihr und möchte sie auch angucken. Da wurde ein Riesentheater drum gemacht, da gab es auf jeden Fall einen Befangenheitsantrag zu, weil das Gericht sich geweigert hat: "Nein, dieser Tisch, der steht hier seit hundert Jahren, das haben wir in diesem Saal schon immer gemacht, das hat sich immer bewährt. Und außerdem ist es eben so, wenn große Verfahren mit vielen Prozeßbeteiligte stattfinden, da haben eben nicht alle das gleiche Recht, da ist dem Gericht der Vorzug zu geben". Das heißt aber umgekehrt, daß die Angeklagten das Nachsehen haben. Das ist einfach so. Das war eine ganz kleine Sache, aber da wurde es ganz, ganz deutlich: "Wir haben den Vorzug vor den Angeklagten". Gibt es einen wichtigeren Menschen in einem Gerichtssaal als den Angeklagten? Um dessen Leben geht es, und das weiß auch jedes Gericht. Damit müssen sie morgens aufstehen und abends ins Bett gehen. Sowohl mit einer Überlegung zur Haftentscheidung als auch mit der Überlegung, mache ich dem ein anständiges, faires Verfahren. Damit ist zum Ausdruck gekommen, daß sie das nicht wollen. An solchen Dingen merkt man das dann sehr deutlich.

StS: Wir haben dann einen Befangenheitsantrag gestellt, über den ein anderer Senat des Kammergerichtes entschieden hat. Er hat diesem Senat in den Beschluß hineingeschrieben, daß es so nicht geht. Es ist völlig klar, auch die anderen Verfahrensbeteiligten, Verteidiger, Angeklagte, müssen dem Zeugen, wenn Sie ihn befragen, ins Gesicht gucken können. Es ist zwar noch nicht willkürlich, weil man das mit baulichen Gegebenheiten in diesem Saal begründen kann, aber das ist nicht in Ordnung. Am nächsten Tag ging das so weiter! Am übernächsten Tag, als wir überlegt haben, jetzt machen wir den nächsten Befangenheitsantrag, stand dieser Tisch kommentarlos fünf Meter weiter hinten ...

UW: Nein, wir haben es erst noch einmal beantragt .

StS: Wir haben es erst noch einmal beantragt, genau.

UW: Wir haben einen riesenlangen Antrag gestellt.

StS: Und dann hat das ein Jahr lang ganz prima funktioniert. Wo anfangs noch die Rede davon war "Ja, wenn der Zeuge so weit weg sitzt, können wir den nicht verstehen" und so weiter. Alles Unsinn, das hat ganz wunderbar geklappt, aber dieser Hahnenkampf, der mußte offensichtlich geführt werden, um klarzustellen, wer das Sagen hat. Ein Hahnenkampf, das kann man nicht anders sagen.

SB: Ihre politischen Beweisanträge wurden vom Gericht abgelehnt. Wie sind Sie darauf gekommen, diese Richtung im Verfahren einzuschlagen? Hängt das mit dem zusammen, daß Sie das Gericht mit Ihren Argumenten nicht erreichen?

StS: Nein, aber es hat natürlich für die Strafzumessung schon eine Rolle gespielt, und zwar vor dem Hintergrund, daß es eben in anderen Ländern wie zum Beispiel in Irland und Großbritannien wegen vergleichbarer Aktionen Freisprüche gegeben hat. Da haben Leute Kampfflugzeuge im Wert von 2, 5 Millionen Dollar zerstört und die entsprechenden Gerichte haben gesagt, das ist zwar eine Sachbeschädigung, aber wer Kriegsgerät zerstört, der verhindert Schlimmeres, der verhindert damit, daß diese Sachen in anderen Ländern eingesetzt werden können. Unsere Beweisanträge wurden vor diesem Hintergrund gestellt und sollten natürlich auch dafür sorgen, das Handeln in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Es ist eben ein Unterschied, ob man ein Haus anzündet oder ob man drei alleinstehende LKWs auf einem Hof ohne jede Gefährdung von Menschenleben ansteckt und damit ein Signal setzen will für eine Abrüstungsinitiative. Ob man das politisch billigt oder politisch anders sieht, ist eine andere Frage. Aber es gibt irgendwo Leute, die sehen das eben so und sagen, wenn die das nicht machen, müssen wir eben selber Hand anlegen, sage ich einmal.

Was Anfang September in Afghanistan passiert ist, hat das genau bestätigt. Da stellt sich ein Oberst hin, sieht eigentlich gar nichts, weiß nicht Bescheid, fordert Luftunterstützung an, es sind 130 Leute tot - es wird weder ein Verfahren eingeleitet noch sonst irgendetwas. Ich habe jetzt noch einmal in der Zeitung gelesen, daß die Familien der Opfer jeweils 2000 Dollar Entschädigung bekommen haben. Wenn ich vorgestern in der Zeitung lese, mittlerweile sind 5500 Pistolen aus deutscher Produktion im Rahmen der Polizeihilfe auf dem Schwarzmarkt in Afghanistan aufgetaucht, dann fragt man sich doch, bringt dieses militärische Engagement eigentlich dort mehr Sicherheit oder weniger? Und darauf haben diese Beweisanträge abgezielt. Sie bezogen sich ja nicht nur auf Afghanistan, sondern auch auf den Kosovo, auf den Irak. Es verschlimmert die Situation für die dort lebenden Menschen und bessert sie nicht. Und darum ging es uns.

Wir haben nicht erwartet, daß General McChrystal oder sonst jemand wirklich geladen werden. Das ist vollkommen klar, damit haben wir nicht ernsthaft gerechnet. Aber ich finde, man muß in einem Verfahren, wo es eben auch um die Frage des antimilitaristischen Widerstandes geht, so etwas auch thematisieren. Man muß für die Öffentlichkeit noch einmal ganz klar machen, worin der politische Standpunkt der Angeklagten, so wie von Anfang an in der Prozeßerklärung gesagt worden ist, besteht. Damit sich die Bevölkerung auch damit auseinandersetzen kann. Man kann ja durchaus sagen: So nicht. Aber es geht darum, dies zumindest einmal in ein Verhältnis zu setzen.

SB: Die Angeklagten haben sich praktisch zu ihrer antimilitaristischen Position bekannt unabhängig von dem, was sie tatsächlich gemacht haben oder nicht gemacht haben?

UW, StS: Ja.

SB: Zum Beispiel der Rechtsprechung in Irland fällt mir ein, daß in den USA Kriegsgegner, die mit Hämmern auf die Deckel von Silos für atomar bewaffnete Langstreckenraketen eingeschlagen haben, für 23 Jahre in den Knast gewandert sind. Können Sie sich tatsächlich vorstellen, daß man hier in der Bundesrepublik mit einer politischen Initiative auf dem Rechtsweg obsiegt? Oder ist das für Sie mehr eine Art klarzustellen, in welchem Rahmen dieser Prozeß stattfindet?

StS: Laut den Umfragen, die seit Beginn des Afghanistankrieges veröffentlicht worden sind, ist es eigentlich durchgehend so, daß ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung diesen Krieg ablehnen. Unseren Mandanten ist in dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft vorgeworfen worden, sie würden Mehrheitsentscheidungen, die das Parlament hier treffen würde, nicht akzeptieren. Dem kann man nur entgegenhalten, wenn jemand acht Jahre lang den erklärten Willen der Bevölkerung, was diesen Krieg angeht, ignoriert und ständig neue Soldaten hinschickt, wer akzeptiert da Mehrheitsentscheidungen nicht? Das ist eben eine Frage der Diskussion.

SB: Eine Frage etwas über den Prozeß hinaus zum politischen Strafrecht. Dieses Jahr sind neue Straftatbestände verabschiedet worden nach § 89 a/b und § 91. Dabei ging es unter anderem darum, daß man den § 129 a/b auf Einzelpersonen anwenden kann. Es wurde behauptet, daß man sogenannter islamistischer Terroristen anders nicht habhaft werden könnte. Haben Sie schon irgendwelche Erfahrungen mit diesem Strafrecht gemacht?

UW: Nein, überhaupt nicht. Aber man muß natürlich sagen, diese Diskussionen und diese Veränderungen machen deutlich, daß eine Strafbarkeit immer mehr vor eine wirkliche Straftat vorverlegt wird. Es geht immer mehr dahin "Was überlege ich mir, was denke ich mir?" Das ist natürlich sehr, sehr gefährlich. Auch wenn viele sagen "Islamisten - große Gefahr, große Gefahr". Das gilt ja immer für alle. Da kann man nicht zweierlei Maß anlegen. Und ich denke, daß es einem Rechtsstaat nicht gut tut, so etwas immer weiter vorzuverlegen und gleichzeitig dem BKA, wie im neuen BKA-Gesetz, geheimdienstliche Mittel an die Hand zu geben.

Das muß man alles im Zusammenhang sehen. Früher war es die RAF, heute sind es die Islamisten, die ja auch alle ganz furchtbar finden. Da denkt man nicht nur an islamistische Bombenanschläge, da denkt man an all die Frauen mit den Kopftüchern und so weiter. Das bedient natürlich wahnsinnig viel in der Bevölkerung und deswegen können sie es daran auch durchziehen. Aber im Grunde genommen dient es eigentlich nur dazu, wie man mehr Leute, die ihnen politisch nicht genehm sind - es bestimmen ja immer die Herrschenden, wer das ist, das bestimmen ja nicht wir -, ausspionieren kann als bisher schon, und zwar ohne konkreten Anhaltspunkt auf eine Straftat.

StS: Ich will noch einmal auf das Beispiel der immer weiter fortgeschriebenen Beschlüsse zur Telefonüberwachung eingehen. In diesen ersten mg-Verfahren, in denen man sich immer gefragt hat, ob der Ermittlungsrichter eigentlich gar nichts mehr prüft, da entpuppte sich diese häufig von der SPD eingeschlagene Strategie "Naja, wir machen das einmal mit, aber dafür stellen wir das ganze unter einen Richtervorbehalt" - das heißt ein Richter muß das noch einmal anschauen und sozusagen absegnen -, wenn man sich das in der Praxis genau anschaut, als Farce. Das ist eine Farce. Anstatt die Diskussion darüber zu führen, wollen wir so einen Staat haben, sagt man "Na ja, die Justiz wird das schon richten".

SB: Wie schätzen Sie die Lage unter Juristen ein, die mit diesen neuen Straftatbeständen konfrontiert werden. Gibt es so etwas wie einen organisierten Widerstand des Berufsstandes? Oder ist man eher geteilter Meinung, ob das gut oder schlecht ist?

StS: Ich habe jedenfalls noch keine Erfahrungen mit diesem neuen Strafrecht. Bevor so ein Gesetz verabschiedet wird, findet natürlich Lobbyarbeit statt. Ich gehe davon aus, daß auch in diesem Fall unsere Standesvertretungen im Rahmen von Anhörungen gehört worden sind und dazu entsprechend Stellung genommen haben. Ich weiß nicht konkret, ob es erfolgt ist, gehe aber davon aus, weil es in aller Regel so ist, daß Anwälte und Verteidiger aus ihrer Funktion heraus sagen "nun mach mal halblang".

SB: Was planen Sie für den Fall, daß es am Freitag zu einer Verurteilung kommt?

StS: Ich denke, wir werden auf jeden Fall Revision einlegen. Das mit Sicherheit, dann werden wir sehen, je nachdem wie das Urteil ausfällt, da spielen viele Faktoren eine Rolle, ob man diese Revision durchzieht oder nicht, aber das können wir jetzt nicht entscheiden. Das ist eine Frage, die muß mit den Mandanten besprochen werden.

SB: Frau Weyers, Herr Schrage, wir bedanken uns für das lange Gespräch.

© 2009 by Schattenblick

16. Oktober 2009