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INTERVIEW/036: Walter van Rossum, Medienkritiker und Autor "Ein Käfig voller Enten" (SB)


Interview mit Walter van Rossum am 29. November 2009 in Berlin-Mitte


Der Journalist Walter van Rossum hat sich mit Buchtiteln wie "Meine Sonntage mit 'Sabine Christiansen'. Wie das Palaver uns regiert" und "Die Tagesshow. Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht" einen Namen als Medienkritiker gemacht. In seinem 2009 produzierten Radiofeature "Ein Käfig voller Enten" läßt er die spektakuläre Berichterstattung über die sogenannte Sauerlandgruppe auf eine Weise Revue passieren, die es nicht bei der dabei inszenierten Drohkulisse beläßt, sondern zum Stellen der Aufklärung tatsächlich dienlicher Fragen ermutigt. Der Schattenblick hatte Gelegenheit, mit Walter van Rossum am Rande einer Veranstaltung im Rahmen des Filmfestivals "One World Berlin" am 29. November in Berlin [siehe POLITIK/REPORT-BERICHT/024] ein Gespräch zu führen.

Walter van Rossum - © 2009 by Schattenblick

Walter van Rossum
© 2009 by Schattenblick

Schattenblick: Herr van Rossum, was halten Sie von der in der Veranstaltung "Die Innere Sicherheit?" vertretenen These, daß die Radikalisierungstendenzen unter Muslimen im wesentlichen Folge eines medialen Konstrukts sind, auf das Muslime reagieren?

Walter van Rossum: Ich glaube, nichts ist plausibler, als daß man in dieser neuen Frontlinie alle möglichen Sorgen unterbringen kann und daß irgendein frustrierter Türke in Neukölln den Islamismus, der ihn dauernd umstellt, entdeckt, um seinen Kummer mit der Welt daran abzuarbeiten. Es scheint mir klar zu sein, daß die Medien den Islamismus als Formation überhaupt erst bekannt gemacht haben. Natürlich gibt es Islamismus, natürlich gibt es islamistische Gewalt. Die ist nicht zu verwechseln mit der übergroßen Mehrheit der Muslime. Daß es Gründe für den Islamismus gibt, ist unzweifelhaft, das hängt aber weniger mit den Verhältnissen im Westen zusammen als mit den Verhältnissen in den eigenen Ländern. Der Islamismus ist eine Revolte gegen die eigenen, vom Westen gestützten und hofierten oder eingerichteten und finanzierten Regierungen. Die Wahrnehmung dieser Entwicklung im Westen ist, wie differenziert auch immer, keine besonders gute, und dafür gibt es Gründe.

SB: Würden Sie mit der These Mahmood Mamdanis konform gehen, daß der Islamismus, der politische Islam selbst ein Modernisierungsphänomen ist?

WvR: Damit hätte ich Probleme. Ich kann verstehen, daß man das denkt, aber ich halte es nicht für eine Modernisierung in einem ganz neutralen Sinne. Es ist der Versuch, ein bestehendes Netzwerk, einen Zusammenhang in ein Konstrukt gegen den Westen zu verwandeln, um den Anbrandungen der Moderne, die auf die Leute eindrischt und sie vernichtet, etwas entgegenzusetzen. Daß der Islam belastbar ist als politisches Programm würde ich bezweifeln. Das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich.

SB: Der Islamismus wird häufig als aggressive Variante des Islam dargestellt. Inwiefern trifft es aus Ihrer Sicht zu, daß der Islamismus den Islam repräsentiert?

WvR: Der Islamismus kann bestimmt nicht beanspruchen, die Generalrepräsentation zu übernehmen, aber es gibt einen islamischen Hintergrund, das ist völlig klar. So können sich christliche Fundamentalisten natürlich auf die Bibel berufen. Wenn Sie dort auf 150 Seiten Träume von Genoziden und Morden und Brandschatzen finden, dann können Sie natürlich sagen, daß der christliche Fundamentalist dort seinen Stoff findet. Und so verhält es sich auch mit dem Islamisten, der findet auch seinen Stoff. Der Islam, so wie er heute gelebt wird, ist keine Einheit, sondern stellt sich, im Gegensatz zum Christentum, als unendliche Vielzahl von sehr lokalen Traditionen, Bezügen, Geschichten dar. Sie werden nicht einen Türken und einen Usbeken finden, die denselben Islam vertreten. Die verbreitete Darstellung, daß der Islam eine Einheit wäre, trifft nicht zu. Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann könnte es vielleicht dazu kommen, aber auch das glaube ich nicht ernsthaft.

SB: Könnten Sie sich vorstellen, daß der Antiislamismus eigentlich sozialrassistisch motiviert ist? Dafür spricht zum Beispiel die nur scheinbar allein gegen Türken und Araber, tatsächlich aber gegen alle "Unproduktiven" gerichtete Brandrede Thilo Sarrazins. Oder handelt es sich bei dieser ideologischen Waffe eher um ein Produkt kulturalistischer Motive?

WvR: Ich sehe das als Ergebnis einer durchdrehenden Moderne. Die Moderne kommt mit sich selbst so wenig klar, daß sie immer wieder derartige Konstrukte braucht, um sich zu feiern. Sie will sich selbst als Moderne feiern, aber sie fällt gerade in dem Moment ins prämoderne zurück. Herr Sarrazin ist, so glaube ich, ein ganz nettes Beispiel für jemanden, der noch nicht so richtig in der Moderne angekommen ist, was heißt, daß er mit seinen Einschätzungen noch einmal zweihundert Jahre Aufklärung bei sich nacharbeiten muß. Das klingt nur witzig, denn ich glaube, daß die Moderne, in der wir leben, von uns selbst so unbewältigt ist, daß wir permanent aus ihr ausbrechen. Wir brauchen Bilder wie die der Barbaren, die uns angreifen, und das sind jetzt gerade die Islamisten. Das wird man immer wieder brauchen, um durch äußere Bedrohung so etwas wie Heimat herzustellen.

Nie fühlt man sich heimischer, als wenn die Barbaren lauern und schon auf unsere Teller schielen und sich alles aneignen wollen. Ich glaube, das hat viel mit dieser unvollendeten Moderne zu tun. Tatsächlich hat sie nie wirklich funktioniert. Daran knabbern wir mit der Aggressivität, mit der wir die Moderne nach Außen vertreten. Die anderen sollen so sein wie wir. Damit meinen wir unsere Ideale, die wir selbst nicht mehr verstehen und auf deren Höhe wir schon lange nicht mehr leben und wahrscheinlich nie leben werden.

Ich glaube, daß solche Feindbilder von unseren religiösen Altlasten ablenken. Wir diskutieren sie ja nicht mehr an uns selbst, sondern nur noch an Islamisten. Leute, die sich über Märtyrer, über Selbstmordattentäter schier totlachen, begreifen nicht, daß der Märtyrergedanke in der christlichen Kultur höchst lebendig ist. Immer wieder stellen Leute das, was bei uns nicht funktioniert oder was zu unserer Erblast gehört, bei anderen fest, diskutieren es an ihrem Beispiel und wollen es mit einer Wut abschaffen, die selbst wieder prämodern ist.

SB: Wie beurteilen Sie als Medienkritiker die Berichterstattung über den Afghanistankrieg auch in Hinsicht auf den Bombenangriff vom 4. September? Bislang scheint sich die öffentlich verhandelte Fragestellung ausschließlich um Informationspolitik zu drehen. Ich hatte aber den Eindruck, daß man aufgrund der Faktenlage, die schon kurz nach dem Luftangriff bekannt war, wissen konnte, daß dieser Angriff nach Maßgabe der geltenden Regeln nicht erforderlich war.

WvR: Dieser Krieg, das wissen wir langsam, ist nicht haltbar. Wie kommen wir aus ihm heraus, ohne je sagen zu müssen, daß es grundsätzlich falsch war, ihn zu führen? Wie lassen wir das bröckeln? Diesen Job übernehmen jetzt Medien, und denen wird von der Politik auch dabei geholfen. Der Westen hat dort irrsinniges Unrecht verbreitet, Tausende von Leuten sind dabei gestorben, niemand ist gerettet, die Demokratie ist die größte Farce aller Zeiten, nur kann man das nicht in grundsätzlichen Geschichten erörtern. Wir müssen statt dessen eine Strategie entwickeln, wie wir dort durch kleine Skandale, kleine Geschichten, die nicht stimmen, nur leicht zermürbt herauskommen. Ich glaube, daß es solche Geschichten längst vorher gegeben hat und später noch viel zutage treten wird. Jetzt können die Medien darüber sprechen, weil es auch in der Politik eine Stimmung gibt, daß dieser Krieg nicht haltbar ist.

SB: Sie meinen also, daß da eine Art Abnutzungsstrategie gefahren wird?

WvR: Ja. So interpretiere ich das. Wir haben da nichts zu suchen. Die Grundlagen für diesen Krieg haben sich nicht geändert, man kann nicht sagen, wir haben das und das erreicht und die Taliban sind geschwächt, deshalb können wir jetzt gehen. Man muß andere Gründe finden, um einen Ausstieg zu finden.

SB: In Ihrem Buch "Meine Sonntage mit Sabine Christiansen" haben Sie diese Talkshow einer kritischen Analyse unterzogen. Hat sich mit ihrer Nachfolgerin Anne Will irgend etwas am politischen Stil dieser Sendung geändert?

WvR: Ich habe ihre Sendung nur ein einziges Mal gesehen und ich würde es sehr gern dabei belassen. Ich halte diese Sachen nicht mehr aus (lacht), nur gegen hohe Bestechungshonorare würde ich mir das noch einmal antun. Das eine Mal, als ich sie gesehen habe, war ich dann doch gewarnt.

SB: Ich denke nur daran, daß es schon zweimal bei Frau Will dazu gekommen ist, daß geladene Gäste kurzfristig ausgeladen wurden, weil sie offensichtlich gegen den Proporz der Konformität verstoßen hatten.

WvR: Diese Frau ist eine eiskalte, grausame Person. Frau Christiansen ist ein bißchen dumm, und Will ist in dem Sinne professioneller, aber sie ist ein eiskalter Fisch. Ich habe danach ein Buch über die Tagesschau geschrieben, da hatte ich das Vergnügen, sie kennenzulernen. Mon Dieu.

SB: Es wird seit einiger Zeit eine Debatte über Qualitätsjournalismus geführt. Mit diesem Begriff wird unterstellt, daß guter Journalismus nach rein handwerklichen Kriterien zu beurteilen wäre. Wie ist dieser Begriff Ihrer Meinung nach vor dem Hintergrund des Problems, daß Journalisten wesentlich durch ökonomische Faktoren genötigt werden, ganz bestimmte Positionen einzunehmen respektive zu verleugnen, zu bewerten?

WvR: Der Begriff des Qualitätsjournalismus ist schreiend komisch, denn das ist wirklich ein letzter Versuch, noch irgendwie zu verhindern, daß alle Leute alles sagen dürfen. Die Öffentlichkeit, die die Presse oder diesen Qualitätsjournalismus produziert, funktioniert in meinen Augen seit langem nicht mehr. Qualitätsjournalismus hat sich auch angesichts der großen Koalition offenbart als etwas, das nicht in der Lage ist, die Welt selbständig zu betrachten, sondern dies immer nur nach Maßgabe dessen, was politisch erlaubt und gestattet ist, tut. Wir erleben in den letzten zehn Jahren einen unerträglichen Einheitsbrei, ein quasi totalitäres Einheitsdenken von allem und jedem, wo die übelsten Behauptungen des Neoliberalismus überall nachgequatscht wurden und es aber auch nirgendwo eine bescheidene Gegendarstellung gab. Ich kann jeden verstehen, der keine Zeitung mehr liest. Das Kaufen einer Zeitungen ist eine Ritualhandlung, die ich zum Beispiel aus eben diesem Grund vollziehe, aber nicht, um mich zu informieren.

SB: Wie beurteilen Sie den Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der, wie man etwa an der Absetzung des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender sieht, stark unter Quotendruck steht, obwohl er sich diesem Einfluß laut Rundfunksstaatvertrag gar nicht aussetzen müßte? Wie sind die Arbeitsbedingungen für freie Autoren wie Sie? Genießt man noch große Freiheiten oder haben Sie den Eindruck, daß die Schraube der ideologischen Lenkung angezogen wird?

WvR: Die letzten zehn Jahre waren ungeheuer schwer, jetzt ändert sich gerade wieder etwas. Aber die Desorientierung, die Kopflosigkeit der Führung der öffentlich-rechtlichen Sender, die nicht wissen, wie sie sich positionieren sollen, die jedem Quatsch hinterherlaufen, ist tragisch. Die Causa Brender ist eine wirklich wunderbare Sache, denn damit hat Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen und Mitglied des ZDF-Verwaltungsrates, ohne große Not gezeigt, daß er Machtpolitik, die in diesem Fall nicht einmal besonders begründet ist, gegenüber eindeutig definierten Rechtsvorstellungen - Artikel 5 Grundgesetz - durchsetzt und daß ihn das Ansehen des ZDF einen Dreck interessiert. Ich würde ihm dafür dringend danken, daß er dadurch alles offen gelegt hat, worüber man ansonsten nur spekulieren kann, nämlich wie weitreichend die Politik in die öffentlich-rechtlichen Medien hineinregiert. In diesem Fall hat er das so wunderbar durchexerziert, daß man jetzt reagieren muß. All die Leute, die dagegen gewettert haben, angefangen bei vielen Politikern, die öffentlich dagegen protestiert haben, haben sich damit exponiert. Als Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrates könnte Kurt Beck Verfassungsbeschwerde einreichen, was er aber unterläßt, weil die SPD an genau diesem Spiel beteiligt ist. Beim ZDF war sie zwar unterlegen, aber ansonsten beherrscht sie dieses Spiel wunderbar.

Die ZDF-Journalisten müßten jetzt Konsequenzen ziehen, indem sie erklären, daß ein solcher Eingriff in ihre journalistische Freiheit inakzeptabel ist und sie die Gefolgschaft verweigern. Koch hat einen Weg bereitet, den man jetzt nur noch beschreiten muß. Und dafür muß man ihm noch einmal danken. Das ist wirklich großartig. Das hat noch nie jemand so offen auf den Tisch gelegt, und noch nie hat es in der Bevölkerung eine so breite Mobilisierung dagegen gegeben.

SB: Aber die gründet doch wohl eher darin, daß eine Intervention seitens der Politik stattgefunden hat, oder würden Sie sagen, daß Herr Brender sich, weil er irgendwann einmal dem Kanzler widersprochen hat, in besonderer Weise unbeliebt gemacht hat?

WvR: Es ist mir völlig rätselhaft, worüber man sich bei Herrn Brender streiten kann. Daß er einmal dem Herrn Schröder über den Mund gefahren ist, das war sehr gut, aber würde ihn eher in der Nähe einer CDU-Gefolgschaft ansiedeln. Brender ist nun mal kein Linker. Ich weiß nicht, ob er seinen Job gut gemacht hat, aber sicherlich hat er sich nicht als kritischer Kopf herausgestellt. Deshalb meine ich, daß Koch ihn ohne Not entfernt hat. Das ist schon ein Geschenk für alle Leute, die etwas gegen die Einmischung der Politik in öffentlich-rechtlichen Medien unternehmen möchten. Die müssen das jetzt allerdings auch tun, insofern hat er den schwarzen Peter weitergegeben.

SB: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Liz Mohn und Friede Springer beherrschen das Land medial. Wie beurteilen Sie die Chance, daß sich aus Alternativmedien wie Onlinezeitungen etc. eine Art Gegenkultur entwickelt?

WvR: Da hat sich schon unheimlich viel entwickelt und das ist nicht mehr umkehrbar. Ganze Generationen von Leuten sind kommentarlos weggetaucht und abgebogen. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Wie sich das weiterentwickelt, wie sich das organisiert, wie das auch als Geschäftsmodell funktionieren kann, das ist alles noch offen, aber ersteinmal sind unheimlich viele Leute abgesprungen, und die wird man nicht wiederkriegen. Ich gehe auch ins Internet, um in Ihrem Sinne vor Frau Merkel sicher zu sein. So geht das den jüngeren Leuten erst recht. Niemand kann das mehr hören. Die ganze Welt als ständige Pressekonferenz von irgendwelchen Opas und Omas, das ist unerträglich, doch bis die öffentlich-rechtlichen Medien das begriffen haben, da vergehen noch Jahre.

SB: Herr van Rossum, vielen Dank für dieses Gespräch.

Walter van Rossum - © 2009 by Schattenblick

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22. Dezember 2009