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INTERVIEW/052: Antirep2010 - Will Potter, US-Journalist und Autor "The New Green Scare" (SB)


Interview mit Will Potter am 9. Oktober 2010 in Hamburg


Der Journalist Will Potter hat sich in den letzten Jahren als Experte auf dem Gebiet der staatlichen Kriminalisierung von Teilen der Umwelt- und Tierrechtsbewegung in den USA einen Namen gemacht. Die Entwicklung geht inzwischen soweit, daß Amerikas "radikale" Ökoaktivisten und Tierbefreier nach Angaben etwa des Federal Bureau of Investigation (FBI) offiziell als eine der größten "terroristischen" Bedrohungen der nationalen Sicherheit der USA gelten. Für Potter inszenieren in den USA Staat und Großkonzerne seit einiger Zeit eine "Panik vor den Grünen" (Tierrechtler inbegriffen), wie sie es bereits vor rund 60 Jahren mit dem Kommunismus, der damaligen "Red Scare", taten. Über das beunruhigende Phänomen, das er als "The New Green Scare" bezeichnet, referierte Potter am 9. Oktober auf dem Antirepressionskongreß "New Roads of Solidarity" an der Hamburger Universität. Gleich im Anschluß an den Vortrag konnte der Schattenblick ein Interview mit ihm führen.

Will Potter in der Nahaufnahme - © 2010 by Schattenblick

Will Potter
© 2010 by Schattenblick
Schattenblick: Wie ist es zu Ihrem Interesse an der staatlichen Repression von Umwelt- und Tierrechtsaktivisten gekommen?

Will Potter: Ich bin freier Journalist und lebe in Washington. Ich komme von den Mainstream-Zeitungen. Früher habe ich für solche Publikationen wie die Chicago Tribune, die Dallas Morning News und ähnliches gearbeitet. 2000, 2001 habe ich begonnen, mich für das Thema zu interessieren. Damals schrieb ich für den Texas Observer und stieß auf den Fall einer jungen Frau, der ein Gericht untersagt hatte zu demonstrieren, nachdem sie vor einem Pelzgeschäft gewaltfrei zivilen Ungehorsam begangen hatte. Ich fragte mich, wie ein solches Urteil - das im Grunde genommen die Beschneidung des im ersten Verfassungszusatz garantierten Rechts auf freie Meinungsäußerung bedeutet - juristisch Bestand haben konnte. Bei eingehenderen Recherchen über ähnliche Fälle stellte ich fest, daß in den Statutbüchern verschiedener US-Bundesstaaten neue Gesetze stehen, in denen die Tierrechtsaktivisten wegen ihres Verhaltens als Terroristen bezeichnet werden. So bin ich auf die Sache aufmerksam geworden. Mit den Jahren sind die Angriffe auf diese Bewegungen im Namen des Kampfs gegen den Terrorismus zunehmend eskaliert. 2006 trat ich schließlich bei einer Anhörung vor dem Kongreß auf, um zu einem neuen, sogenannten Ökoterrorgesetz Stellung zu nehmen. Seitdem bin ich sehr aktiv, halte öffentliche Vorträge über diese Fragen und schreibe darüber für juristische Zeitschriften etc.

SB: Und im nächsten Jahr kommt ein Buch von Ihnen heraus, nicht wahr?

WP: Ja, es wird im April 2011 von City Lights unter dem Titel "Green is the New Red" veröffentlicht.

SB: Worauf bezieht sich das?

WP: Auf die "Red Scare" [die Panik vor den Roten] in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten. In dem Buch vergleiche ich das, was jetzt gerade passiert, nämlich den Gebrauch des Begriffs Terrorist, um Menschen zu dämonisieren und Widerspruch zum Schweigen zu bringen, mit den Geschehnissen jener Zeit, in der Menschen gnadenlos als Kommunisten gebrandmarkt wurden.

SB: Was Sie als "Green Scare" bezeichnen, nahm angeblich seinen Anfang nach dem Ende des Kalten Krieges. Man sollte meinen, daß es nach dem 11. September 2001 keinen Bedarf mehr an "grünem Terrorismus" gibt, da man jetzt die Bedrohung durch den "islamischen Extremismus" hat. Trotzdem fanden 2005 im Verlauf der FBI-"Operation Backfire" die umfangreichsten Razzien, die es jemals gegen Umwelt- und Tierrechtsaktivisten gab, statt. Warum, meinen Sie, ist das zu einem solchen Thema geworden, wenngleich der offizielle "globale Antiterrorkrieg" weitergeht?

WP: Nun, seit dem 11. September 2001 hat es einen kontinuierlichen und unablässigen Druck auf die Regierungsbehörden gegeben, im Kampf gegen den Terrorismus Ergebnisse zu erzielen. Infolge dessen befanden sich verschiedene Regierungsstellen institutionell in der Not, nachzuweisen, daß sie den Kampf gegen den Terrorismus aktiv betreiben. Wie wir gesehen haben, ist es nicht einfach, Al Kaida zu infiltrieren, zu zerschlagen oder ihre Anführer im Ausland aufzuspüren. Statt dessen sind einige Behörden dazu übergegangen, im Inneren aktiv zu werden und zwanzigjährige Umweltaktivisten zu verhaften und als Terroristen zu diffamieren. Das erlaubt es der Regierung, Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus zu verkünden, den enormen Anteil an Antiterrormitteln zu rechtfertigen, der für die Polizeiarbeit im Inneren ausgegeben wird, und auch die Bedeutung der Sicherheitsberufe hervorzuheben. Darüber hinaus nutzen einige Staatsanwälte ihre Beteiligung an diesen "Ökoterrorismus"-Fällen als Sprungbrett in andere Ermittlungstätigkeiten und Führungspositionen im Heimatschutzapparat.

SB: In Ihren Schriften ziehen Sie eine Verbindung zwischen der Repression von Umwelt- und Tierbefreiungsaktivisten und der Bedrohung, welche sie für den Profit bestimmter Bereiche wie der Viehwirtschaft und der Pelzindustrie darstellen. Aber könnte die erhöhte Aufmerksamkeit, welche die Behörden diesen Gruppen widmen, nicht vielleicht auch etwas mit den schwindenden Umwelt- und Nahrungsmittelressourcen zu tun haben, oder ist das zu weit gegriffen?

WP: Zum jetzigen Zeitpunkt, meine ich, geht das vielleicht ein bißchen zu weit. Stellen Sie mir die gleiche Frage in zehn Jahren, und ich glaube, wir werden uns dann möglicherweise mit einer ganz anderen Situation konfrontiert sehen. Hinter Ihrer Frage steckt das Wissen um einen sich rapide verändernden politischen Kontext angesichts der von den meisten Menschen als solche anerkannten, globalen Umwelt- und Klimakrise, die ihren Anfang genommen hat und sich mit Sicherheit weiterentwickeln wird. Diese Krise weckt bestimmte Befürchtungen bezüglich der Verteilung von Lebensmitteln und anderer Ressourcen. Der Kern dieser sozialen Auseinandersetzung besteht darin, daß Umwelt- und Tierrechtsaktivisten die Art und Weise in Frage stellen, wie grundlegende Versorgungsgüter produziert werden, wie Menschen diese verbrauchen und wer Geld damit macht. Da sich die Dinge im Zusammenhang mit den Umweltproblemen und dem Nahrungsmittelmangel zuspitzen werden - wovon wir alle überzeugt sind -, steigt meines Erachtens der Druck, jene zu bekämpfen, die eine weitere Bedrohung der Unternehmensprofite darstellen.

Will Potter und ein Mitglied der Schattenblick-Redaktion - © 2010 by Schattenblick

Will Potter und ein Mitglied der Schattenblick-Redaktion
© 2010 by Schattenblick

SB: Könnten Sie den Unterschied erklären zwischen dem "Animal Enterprise Protection Act" [Gesetz zum Schutz der tierverarbeitenden Industrie] von 1992 und dem "Animal Enterprise Terrorism Act" [Antiterrorgesetz für die tierverarbeitende Industrie] von 2006? Welchen qualitativen Wandel hat das neue Gesetz gebracht?

WP: Auf den Punkt gebracht, wurde ein bereits überaus vages, weit auslegbares Gesetz, das "Animal Enterprise Protection Act", durch die Verabschiedung des "Animal Enterprise Terrorism Act" noch viel vager und erhielt einen noch weitaus größeren Interpretationsrahmen, während die Strafen für die unterschiedlichen Vergehen weiter erhöht wurden. Wenn man beide Gesetze nebeneinanderlegt und sie vergleicht, gibt es keine auffälligen Unterschiede, die einem sofort ins Auge springen. Einiges ist anders formuliert; beide zielen auf das Verbrechen des Terrorismus gegen die tierverarbeitende Industrie ab. Ich denke, der entscheidende Unterschied besteht darin, daß das neue Gesetz ein Verhalten mit einschließt, dem angeblich die Absicht unterliegt, eine "berechtigte Furcht" zu wecken, indem es die Unternehmensprofite gefährdet. Problematisch ist dabei, wie man in diesem politischen Klima des Kriegs gegen den Terrorismus "berechtigte Furcht" definieren will. Was früher unsinnig im Sinne von völlig übertrieben war, ist heute berechtigt; Bedrohungen lauern überall und müssen ernst genommen werden, gleich wie befremdlich das vielleicht erscheint. Das ist eine der damit verbundenen Gefahren. Eine weitere Gefahr haben wir bereits in Verbindung mit der Anwendung des Vorläufergesetzes erlebt, nämlich, daß Menschen strafrechtlich verfolgt wurden, weil sie eine politische Website betrieben, und nicht etwa, weil sie Fensterscheiben eingeworfen, Tiere freigelassen oder dergleichen getan haben. Aktivisten, die nichts als eine umstrittene Website betrieben, fanden sich vor Gericht wieder und wurden später zu Gefängnisstrafen verurteilt.

SB: Sie beziehen sich auf den Fall der SHAC 7, nehme ich an?

WP: Das ist richtig. Das neue Gesetz baute also auf einem bereits vorhandenen, destruktiven Gesetz auf, das an sich schon zu weit ging, und war noch weitaus vager formuliert.

SB: Und somit noch leichter zu mißbrauchen.

WP: Genau. Die Folgen davon haben wir bereits zu sehen bekommen. Das neue Gesetz wurde zur Verfolgung einer Gruppe benutzt, die bei ihren Protesten Slogans mit Kreide auf den Bürgersteig geschrieben und Handzettel verteilt hatte. Das waren ihre einzigen Aktionen. Nach einer langen Auseinandersetzung vor Gericht wurde der Fall in erster Instanz abgewiesen. Aber es ist immer noch nicht ganz vorbei. Sie könnten von neuem angeklagt werden. Als ich vor dem Kongreß gegen das neue Gesetz aussagte, versicherten mir die Politiker immer wieder, daß es nie zur Anwendung kommen werde, um ein Verhalten zu verfolgen, das durch den ersten Verfassungszusatz geschützt sei. Aber kaum war das Gesetz durch, wurde es in erster Linie genau darauf angewendet. Die Politiker haben also im Zusammenhang mit dem Gesetz einfach gelogen, und die Art, wie es angewendet wird, zeigt seine wirklichen Gefahren.

SB: Sie haben durch Ihre Artikel die Existenz von zwei Geheimgefängnissen in den USA aufgedeckt, in denen Umweltaktivisten neben muslimischen "Extremisten" festgehalten werden. Wie würden Sie die Behandlung von Öko- und Tierbefreiungs-"Terrorverdächtigen" mit der islamischer "Terrorverdächtiger" vergleichen, beispielsweise die Art, wie sie zu Aktionen verleitet wurden, und die Beschränkungen, welcher sie während ihres Gefängnisaufenthalts unterliegen?

Will Potter und SB-Redakteur - © 2010 by Schattenblick

Will Potter klärt über das Gefängnissystem in den USA auf
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WP: Es ist wichtig, im Zusammenhang mit solchen Communication Management Units (CMUs) [besondere Abteilungen innerhalb von Gefängnissen, in dem der Kontakt der Insassen zur Außenwelt extrem restriktiv gehandhabt wird] daran zu erinnern, daß die Wärter dieser Einrichtungen Gefangene wie Daniel McGowan, ein Mitglied der Earth Liberation Front (ELF), und Andy Stepanian, verurteiltes Mitglied der SHAC 7, als "Gegengewicht" bezeichnen. Damit geben sie zu, daß diese geheimen Anlagen ursprünglich fast ausschließlich mit muslimischen Gefangenen belegt waren. Es gab Klagen vor Gericht, und es wurde auch unter dem Vorwurf ermittelt, daß sie diskriminierend sind; beispielsweise wurden in ihnen Menschen tatsächlich aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder religiösen und politischen Überzeugung untergebracht. Die gefangenen Umwelt- und Tierrechtsaktivisten verschafften diesen Einrichtungen also eine ethnische Ausgewogenheit und trugen zum Abbau des Vorwurfs, diskriminierend zu sein, ein wenig bei.

SB: Befinden sich die beiden Aktivisten, die Sie erwähnten, derzeit in einer dieser Einheiten in Haft?

WP: Daniel ist noch dort, aber Andy wurde inzwischen freigelassen. Daß die Wärter mit Blick auf die Umwelt- und Tierrechtsaktivisten den Begriff "Gegengewicht" benutzen, weist darauf hin, wie diese Einrichtungen zustande gekommen sind. Ursprünglich waren Muslime und Araber das Ziel, aber das hat sich seitdem ausgeweitet und umfaßt jetzt auch Umwelt- und Tierrechtsaktivisten. Was die anderen Praktiken betrifft, die Sie erwähnten, wie die Verleitung zu Straftaten und die Unterwanderung, so mußte ich leider einige Male miterleben, wie man sie gegen Mitglieder der Umwelt- und Tierrechtsbewegung ins Spiel gebracht hat. Es gibt beispielsweise den Fall des jungen kalifornischen Aktivisten Eric McDavid. Es stellte sich heraus, daß das FBI eine junge Frau namens Anna angeheuert hatte, sich mit ihm und seiner Gruppe anzufreunden, gemeinsam mit ihnen durchs Land zu ziehen, Staatsgelder zu benutzen, um ihnen Material für den Bombenbau zu beschaffen sowie für ihre Reisen und die Unterbringung zu zahlen, während sie permanent versuchte, sie zur Aktion zu drängen.

SB: Ähnliches ist einer Gruppe armer Moslems in Miami passiert, die 2006 angeklagt und 2009 nach zweimaligem Prozeßabbruch schließlich dafür verurteilt wurden, einen Anschlag auf den Sears Tower in Chicago ins Auge gefaßt zu haben, oder in einem etwas jüngeren Fall einer Gruppe Kleinkrimineller im Bundesstaat New York, die man 2009 angeklagt hat, einen Überfall auf Synagogen geplant zu haben.

WP: Eine weitere Übereinstimmung sieht man in Fällen wie dem des Unterhosenbombers. Die Regierung macht einen Riesenspektakel um die Verhaftung des oder der Verdächtigen und behauptet, den jüngsten "Terrorakt" vereitelt zu haben. Einige Tage oder Wochen später begreift das Land oder wenigstens begreifen es einige Menschen, daß es von Anfang an keine besonders große Bedrohung gegeben hat. Die Behörden produzieren solche Spektakel und verkünden jedesmal den Sieg, aber die Anschlagspläne, die sie aufgedeckt haben wollen, sind zum einen nicht besonders ausgeklügelt und zeichnen sich zum anderen durch ein hohes Maß an Regierungsbeteiligung in Form von Verleitung zu strafbaren Handlungen, von Überwachung und Ermittlungen aus. Bedauerlicherweise stellen wir so etwas immer wieder bei Fällen im Zusammenhang mit der Green Scare fest. Einiges, was die Aktivisten vorhatten, war in der Tat ziemlich durchdacht. Die Regierung tat sich sehr schwer mit den Ermittlungen. In vielen weiteren Fällen hat die Regierung Informanten, Spione und Dauerüberwachung eingesetzt, während man in anderen aus reinem, dummem Glück eine Spur gefunden hat. Man kann es wirklich nicht anders sagen.

Will Potter und SB-Redakteur - © 2010 by Schattenblick

Will Potter informiert über Special Administrative Measures (SAMs)
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SB: Eine weitere Übereinstimmung, die Sie vielleicht kommentieren könnten, betrifft die sogenannten administrativen Sondermaßnahmen, denen Gefangene solcher Haftanstalten unterworfen sind. Lynne Stewart, die Anwältin des blinden Sheichs Omar Abdel Rahman, der eine lebenslängliche Haftstrafe für die Rolle absitzt, die er in den 90er Jahren bei dem Komplott gespielt hat, eine Reihe New Yorker Wahrzeichen in die Luft zu sprengen, wurde kürzlich zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil sie ihrem Klienten geholfen hatte, mit einigen seiner Anhänger draußen zu kommunizieren. Es scheint so, als habe der Richter in Daniel McGowans Fall die Special Administrative Measures angeordnet, um den jungen Mann daran zu hindern, andere Menschen über seine Lage zu informieren und seine politischen Ziele aus dem Gefängnis heraus weiter zu verfolgen. So gesehen, scheint man es wohl mit einem Angriff auf politisch Andersdenkende und auf die Rechte, die der Erste Verfassungszusatz garantiert, nicht nur draußen, sondern auch im Gefängnis selbst zu tun zu haben. Würden Sie dem zustimmen?

WP: Absolut. Ein weiterer Faktor, den ich hinzufügen möchte, ist, daß diese Kontaktsperreeinheiten außergesetzlich eingerichtet wurden, mit anderen Worten: illegal. Und eines der Argumente gegen sie ist, daß die Regierung bereits die Ermächtigung hat, etwas Derartiges zu veranlassen. Sie hätten - ich sage damit nicht, sie hätten es tun sollen - die bereits existierenden, administrativen Sondermaßnahmen gegen Daniel McGowan verhängen, oder ihn in eine Isolationszelle oder "Das Loch", wie es genannt wird, stecken können. Es gibt bereits diese ganzen Maßnahmen. Ich bin nicht mit ihnen einverstanden, aber es sind Optionen, deren sich die Regierung frei bedienen kann. Statt dessen schaffen sie eine geheime Einrichtung, verdeckt, ohne Regierungskontrolle und am Gesetz vorbei, mit der klaren Absicht, gesetzliche Absicherungen zu umgehen. Wieder und wieder haben wir nicht nur unter der Bush-Administration, sondern auch unter der Obama-Regierung erleben müssen, daß uns die verbliebenen, sehr bescheidenen Möglichkeiten, die Exekutivgewalt zu kontrollieren und ein Gegengewicht zu bilden, ausgehöhlt werden. Das ist der aus meiner Sicht alarmierendste Aspekt, ganz abgesehen davon, was man über die Gründe, aus denen diese Menschen im Gefängnis sitzen, denkt. Diese gesetzlichen Absicherungen gibt es nicht ohne Grund, und trotzdem versucht die Regierung, sie auf eklatante Weise zu mißachten und zu tun, was auch immer ihr in den Kram paßt.

SB: In der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "The Nation" weist Jeremy Scahill darauf hin, daß Montsanto das Söldnerunternehmen Blackwater angeheuert hat, um Umweltaktivisten und Gegner genmanipulierter Nahrungmittel auszukundschaften und potentiell einzuschüchtern. Im jüngsten Skandal um die staatliche Ausspähung von Antikriegs-, Umwelt- und Tierbefreiungsgruppen in Pennsylvania war ein privates Sicherheitsunternehmen dafür verantwortlich, daß politische Aktivisten auf eine Liste potentieller "Terroristen" gesetzt wurden. Was meinen Sie, in welchem Maße diese zwei Fälle als Indikator für die wachsende Privatisierung des "Kampfs gegen den Terrorismus" im Inneren der Vereinigten Staaten gelten können?

WP: Ich würde mich rückhaltlos dieser Interpretation anschließen. Es ist beängstigend, wieviel Geld mit diesem "Krieg gegen den Terrorismus" verdient wird. Mit der neu geschaffenen Bedrohung ist eine ganze Industrie entstanden, und die beteiligten Unternehmen machen ständig Lärm, um einen Teil der Arbeit zu übernehmen und einen Anteil des Geldes für die Ermittlungen gegen den "Öko-Terrorismus" zu kassieren. Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Firmen, die daran teilhaben. Eine von ihnen nennt sich IMA. Eine weitere ist jenes Unternehmen, das Geschäfte mit Montsanto gemacht hat. Sie sind nur in geringem Maße der staatlichen Kontrolle unterworfen. Niemand weiß etwas über sie. Wenn man ihre Websites besucht, erscheint einem alles sehr harmlos. Man hat keine wirkliche Vorstellung von dem, was sie tun. Gleichzeitig sind sie zunehmend damit befaßt, Regierungsstellen mit Informationen zu versorgen.

Um es mit einfachen Worten zu sagen: Die wirkliche Gefahr besteht darin, daß sie einen finanziellen Anreiz haben, Bedrohungen zu kreieren. Ihre Aufgabe besteht darin, "terroristische" Bedrohungen aufzudecken und zu untersuchen. Wenn es keine "terroristischen" Bedrohungen gibt, die man erkennen und ausspionieren kann, erhalten diese Unternehmen kein Geld. Wir Steuerzahler bezahlen also Leute, die einen finanziellen Anreiz haben, diese Bedrohungen heraufzubeschwören, und dann bekommen wir, wenig überraschend, diese lächerlichen Informationen von Unternehmen, die Aktivisten beschatten, die zu einer Filmvorführung gehen, wie es kürzlich in Pennsylvania geschehen ist. Dort informierte das berichterstattende Institut in seinem "Terrorismus"-Mitteilungsblatt über eine Gruppe von Aktivisten, die eine Vorführung des Films "Gasoline" besucht haben. Und das soll die Art "nachrichtendienstlicher Information", für die Hunderttausende Dollar an Steuergeldern ausgegeben werden, sein?

SB: Bezogen auf die kürzlichen Razzien des FBI bei Antikriegsaktivisten in Chicago und Minnesota, schrieb Cindy Sheehan vor wenigen Tagen für den arabischen Nachrichtensender Al Jazeera einen Beitrag, in dem sie behauptete, daß der Vorfall viel weniger öffentliches Interesse erregt hat, als es der Fall gewesen wäre, hätte er während der Präsidentschaft eines Republikaners wie George W. Bush stattgefunden, weil viele Demokraten und liberale Medienvertreter ihn einfach ignoriert hätten. In welchem Ausmaß, wenn überhaupt, hat die Wahl von Barack Obama dazu geführt, daß liberale Teile der Gesellschaft oder demokratische Wähler die Antikriegs-, die ökologische und die Tierbefreiungsbewegung weniger unterstützen?

WP: Da ich in Washington lebe und es mit Gesetzesinitiatoren und gemeinnützigen Organisationen zu tun habe, die dort ihr Büros haben, habe ich, denke ich, das von Cindy Sheehan angesprochene Phänomen auf einzigartige Weise miterlebt. Da war diese enorme Energie, die bis zu den Wahlen 2008 anhielt, aber was darauf folgte, waren Komplizentum und Schweigen. Das kann man zum Teil mit den hohen Erwartungen demokratischer Wähler erklären, die darauf warteten, daß die Obama-Regierung handelt, und die nicht zu schnell urteilen wollten, weil sie sahen, daß die neue Administration unter enormem Druck stand und nach acht Jahren Bush und Cheney vieles erst noch in den Griff bekommen mußte. Hinzu kommt seitens der Obama-Anhänger die Weigerung, zur Kenntnis zu nehmen, daß die neue Regierung, in die man so viel Hoffnung gesetzt hat, ihre Verantwortung nicht wahrnimmt. Wenn man sich das überlegt, dann ist es sehr schwer, diese Erkenntnis als solche zu akzeptieren. Ich glaube, das wirkliche Problem besteht darin, daß viele Obama-Wähler sich nicht mit dieser Wahrheit konfrontieren wollen, weil sie Fragen aufwirft wie: Wenn die demokratische Partei Kontrolle über das Weiße Haus sowie eine Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses hat und immer noch nichts zuwege bringt oder den grundlegenden Wandel, den das Land wirklich braucht, nicht in Angriff nimmt, was sagt das dann über ihr Programm und ihre politischen Repräsentanten aus? Ich meine, das erklärt, warum viele Menschen versuchen das Versagen der Obama-Regierung nicht wahrzunehmen. Im Fall der jüngsten FBI-Razzien im mittleren Westen ist es verwerflich zu ignorieren, was geschehen ist. Die Demokraten hätten sich in dieser Sache stärker engagieren müssen, sie haben es aber nicht getan.

SB: Sie haben Ihren Vortrag heute mit den Worten beendet, daß im Vergleich zur Red Scare der McCarthy-Ära in den 40ern und 50ern heute niemand das Gefühl hat, er müsse seinen Nachbarn anschwärzen, um den Verdacht von sich selbst abzuwenden. In den vergangenen Jahren sind jedoch Programme wie das "Terrorist Information and Prevention System" (TIPS) [Informationssystem zur Vorbeugung gegen den Terrorismus] vorgeschlagen oder zum Teil umgesetzt worden, um den normalen Bürger zu veranlassen, den Behörden so schnell wie möglich verdächtige, potentiell "terroristische" Aktivitäten zu melden. Widerspricht eine solche Entwicklung nicht dem, was Sie sagen, insofern, als wieder Bedingungen geschaffen werden, die Menschen dazu verleiten, andere einfach nur aus Boshaftigkeit zu melden oder weil sie Groll gegen sie hegen?

Will Potter hört zu - © 2010 by Schattenblick

Will Potter überlegt seine Antwort
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WP: Da muß ich Ihnen zustimmen. Es wird derzeit gerade durch solche Programme eine Art von Paranoia, vergleichbar der der McCarthy-Ära, genährt. Was ich dennoch deutlich machen wollte, ist, daß diese Reaktion während der Red Scare letztlich nicht erfolgreich war. Sie hat niemanden geschützt. Die beteiligten Personen mögen einer Untersuchung aus dem Weg gegangen sein, indem sie Namen angegeben oder andere Menschen verpfiffen oder sich gegen ihre Freunde und Nachbarn gewendet haben, um die Aufmerksamkeit von sich selbst abzulenken, aber letztendlich hat das den McCarthyismus nicht aufgehalten.

SB: Ich verstehe das nicht ganz. Wollen Sie damit sagen, daß es niemanden vor Ermittlungen bewahrt hat, wenn er den Nachbarn anschwärzte?

WP: Genau.

SB: Aber worauf ich hinauswollte, war, daß Menschen andere nicht angezeigt haben, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, sondern einfach nur, weil sie sie nicht ausstehen konnten.

WP: Ich glaube, wir steuern aus unterschiedlichen Richtungen auf die Frage zu. (lacht)

SB: Das vermute ich auch. (lacht)

WP: Das Phänomen, auf das Sie sich beziehen, kann man zweifellos beobachten. Ich glaube, das läßt sich durch Angst erklären - diffuse Angst, welche die ganze Gesellschaft durchzieht und Menschen dazu bewegt, etwas gegen diese soziale Bedrohung zu unternehmen - sei es eine Grüne Gefahr, eine Rote Gefahr oder eine Arabische Gefahr -, indem man Leute den Behörden meldet oder bestimmte Telefonnummern anruft, um Tips zu geben, oder was auch immer. Was ich aber dennoch sagen würde: Wenn wir uns die breitere politische Bewegung jener Zeit ansehen, dann haben solche Reaktionen dem McCarthyismus nicht Einhalt geboten. Sie haben die Verfolgung und Internierung vieler Menschen als Kommunisten und die Zerstörung ihres Lebens nicht verhindert. Ich sage das deshalb, weil ich es für wichtig halte, daß wir jetzt nicht der Versuchung nachgeben sollten, in solche Verhaltensmuster zurückzufallen. Natürlich gibt es die Programme, von denen Sie gesprochen haben. Aber eine weitere bemerkenswerte Sache ist die, daß Kongreßmitglieder Briefe an die großen Umweltorganisationen geschickt und sie aufgefordert haben, andere Umweltorganisationen zu verurteilen und sich insbesondere von den radikaleren Aktivisten zu distanzieren. Die Politiker sagen sehr offen: "Ihr seid entweder für uns oder gegen uns." Solche Forderungen wurden auch Menschen in der McCarthy-Ära gestellt. Woran sich die Menschen erinnern müssen, ist jedoch, daß es sie nicht retten wird, solche Erklärungen abzugeben. Es lenkt womöglich für eine kleine Weile die Aufmerksamkeit von ihnen ab, aber das war's dann auch.

SB: Das, worauf Sie sich beziehen, erinnert an das berühmte Gedicht des deutschen Widerstandskämpfers und Nazigegners Pastor Martin Niemöller darüber, wie er sich nicht gegen die Verfolgung der Kommunisten gestellt hat ...

WP: ... weil er kein Kommunist war, usw. Das ist genau, was ich meine. Aktivisten und politisch interessierte Menschen im allgemeinen müssen erkennen, daß es nicht lange dauern wird, bis sie selbst an der Reihe sind, wenn sie die politische Verfolgung einer Minderheit, zu der sie nicht gehören, als unwichtig abtun oder nicht beachten. Die jüngsten FBI-Razzien im mittleren Westen gegen die Antikriegsbewegung sind ein Beweis dafür. Um es mit Niemöller zu sagen: Erst holten sie die Araber, die Moslems, die Tierrechtsaktivisten, die radikalen Umweltschützer ... und jetzt geht es noch viel weiter.

SB: Will Potter, vielen Dank für dieses Interview.

Platz der jüdischen Deportierten - © 2010 by Schattenblick

Mahnmal zu den ermordeten Hamburger Juden am Veranstaltungsort
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20. Oktober 2010