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INTERVIEW/135: Die Linke - Gerechtigkeit für Portugal (SB)


Interview mit Francisco Alves am 15. September 2012 in Hamburg



Die Bürgerschaftsfraktion der Partei Die Linke lud am 15. September zu einer Veranstaltung ins Hamburger Rathaus ein, die unter dem Thema "Wohin steuert Europa? EU-Krisenpolitik auf Katastrophenkurs!" stand. Christiane Schneider von der Hamburger Linksfraktion sprach zu der Sparpolitik in der Hansestadt, und die Europaabgeordnete Sabine Wils nahm zum Charakter der aktuellen Krise Stellung. Als Gäste berichteten Maria Syrakou von Synaspismos Athen und Francisco Alves von El Bloco Portugal über die Situation in ihren Ländern. [1]

Wie Francisco Alves darlegte, gleichen die sozialen Verwerfungen in Portugal inzwischen dem verhängnisvollen Szenario, dem die Bevölkerung Griechenlands unterworfen ist. Die Regierung in Lissabon fügt sich den von der Troika auferlegten Sparzwängen und bürdet den Menschen immer neue Lasten auf. Sinkendes Lohnniveau, steigende Arbeitsbelastung und massenhafte Arbeitslosigkeit drücken die Lebensverhältnisse zahlloser Portugiesen, die staatlicher Unterstützung bedürften, während diese zugleich drastisch beschnitten wird. Grassierende Armut erfaßt weite Teile der Gesellschaft, in der sich Widerstand gegen die Politik der Verelendung formiert. Im März dieses Jahres setzte ein Generalstreik ein Zeichen gegen die Bereitschaft der Regierung, sich dem Diktat der Troika zu beugen. Am Wochenende des 15. und 16. September gingen Hunderttausende Menschen auf die Straße, wo sie den Rücktritt der Regierung Coelho forderten und die Troika zum Teufel wünschten. Francisco Alves, der zu diesem Zeitpunkt in Hamburg über die Situation in seinem Land berichtete, beantwortete nach der Veranstaltung im Rathaus dem Schattenblick einige Fragen.

Francisco Alves im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Francisco Alves
Foto: © 2012 by Schattenblick

BUBL: Francisco Alves im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Sie hatten in Ihrem Vortrag ausgeführt, daß Ihrer Ansicht nach in Europa führende Komplexe des ökonomischen Sektors über die Politik dominieren und selbst die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Handlangerin sei. Maria Syrakou hob in ihrem Beitrag hingegen die Dominanz des Politischen hervor. Ich hatte den Eindruck, daß Sie zuletzt noch einmal Stellung zu dieser Frage nehmen wollten, was jedoch aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich war.

Francisco Alves: Genauso war es. Vielleicht war das ein Mißverständnis. Natürlich setzen auch wir in besonderem Maße auf die Politik. Wenn ich in meinem Beitrag verstärkt auf die Wirtschaft eingegangen bin, so hängt das damit zusammen, daß in der Diskussion, die wir heute geführt haben, Fragen der Ökonomie eine zentrale Rolle spielten. Es handelt sich nur scheinbar um einen Widerspruch, denn im Grunde stimmen wir überein.

SB: Wir hatten auch darüber gesprochen, daß es sich bei der Europäischen Union um ein übergeordnetes politisches Projekt handelt. Würden Sie die Auffassung teilen, daß im europäischen Zusammenhang führende Nationalstaaten wie Deutschland ihre Interessen auf eine höhere Ebene transportieren wollen?

FA: Wir kämpfen für ein soziales Europa, ein Europa der Bürger, der Menschen, und wir streben eine andere Politik als die vorherrschende für Europa an, denn diese Politik bringt nichts. Dennoch sind wir nicht der Auffassung, daß ein Föderalismus, sozusagen ein Auseinanderdriften, die bessere Alternative wäre. Wir brauchen Europa, aber ein anderes, in dem die Bevölkerung gehört wird. Wir haben das Europaparlament und wenn wir die politischen Entscheidungsgremien der europäischen Staaten als Modell zugrundelegen, können wir ein Europa herbeiführen, in dem die parlamentarische Demokratie uneingeschränkte Geltung hat. Wir setzen uns ein für Demokratie, soziale Rechte und die Wahrung des Sozialstaats, der einen angemessenen Lebensstandard garantiert. Wir lehnen die Beschränkung unserer Rechte und die Kürzung unserer Löhne entschieden ab, und genau da liegt das Problem.

SB: Wäre die vorhandene Entscheidungsstruktur der Europäischen Union mit dem großen Einfluß der EU-Kommission überhaupt geeignet, das von Ihnen entworfene Europa zu realisieren?

FA: Nein. Natürlich bevorzugen wir das europäische Parlament. Wir wollen kein übergeordnetes europäisches Direktorium oder Führungsgremium. Wir möchten, daß alle Länder auf gesamteuropäischer Ebene mit denselben Rechten, demselben Einfluß, mit derselben Möglichkeit, ihre Meinung kundzutun, vertreten sind. Wir setzen uns für Rechte auf Augenhöhe ein. So eine Disparität, so eine Schere bezüglich Recht und Einfluß, wie etwa jene zwischen Deutschland und Portugal, lehnen wir entschieden ab.

SB: In Deutschland herrscht in der Bevölkerung die Stimmung vor, den eigenen Lebensstandard, der zwar ebenfalls schwindet, aber nach wie vor deutlich über dem der ärmeren Länder Europas liegt, zu deren Lasten zu verteidigen. Viele Menschen haben vor allem ihren eigenen Vorteil im Sinn und sagen, lieber den Mund halten, auch wenn es hier schlechter wird, damit es mir nicht so ergeht wie den Griechen, Portugiesen oder Spaniern. Wie ist demgegenüber die Stimmung in Portugal? Was denken die Menschen in Ihrem Land?

FA: Seitdem die Troika ihre Maßnahmen durchsetzt, ist es für die portugiesische Bevölkerung schwierig, überhaupt noch ihre Interessen geltend zu machen. Dennoch zeigt sich, daß der Protest gegen diese Politik in Portugal an bestimmten Stellen zumindest punktuell anwächst. Die Linke - ich habe es ja hier geschildert - hat bei den Wahlen nur 15 Prozent der Stimmen bekommen. Unser Einfluß ist natürlich in den sozialen Bewegungen größer als beim Urnengang und somit im Parlament. Ich kann die Stimmungslage in Deutschland durchaus nachvollziehen, denn viele Portugiesen denken ja auch so ähnlich wie die Deutschen und halten sich zurück, damit die Sache nicht noch schlimmer wird. Doch angesichts der neuen Maßnahmen, die der Premierminister und der Finanzminister anläßlich der fünften Inspektion und Auswertung der Troika angekündigt haben, in deren Folge die Sparpolitik noch schärfer angezogen wird, glauben wir, daß die Gegenwehr der sozialen Bewegungen und letztlich breiter Kreise der Bevölkerung weiter anwachsen wird. Da bin ich mir sicher.

Ich bin schon sehr neugierig und werde mich bei meiner Rückkehr nach Portugal sofort informieren, wie sich die Lage jetzt darstellt und was sich inzwischen ereignet hat. Heute finden ja in 15 Städten des Landes Demonstrationen und Kundgebungen statt - auch vor dem deutschen und dem britischen Konsulat, vor dem französischen Konsulat, vielleicht sogar in Paris und selbst in Porto Alegre in Brasilien wird demonstriert! (lacht) Wir hoffen, daß diese neuen Sparmaßnahmen etwas ins Leben rufen, was wir Bewußtseinsbildung nennen können: Daß es so nicht weitergeht, ist das, was wir hoffen.

Der Gewerkschaftsbund CGTP [2] hat eine nationale Kundgebung für den 29. September anberaumt, das ist praktisch die erste große Demonstration nach der Verkündung dieser neuen Sparmaßnahmen. Ich bin Mitglied des Nationalrats der CGTP, und wir haben untereinander schon ausgiebig über die Möglichkeit diskutiert, einen erneuten Generalstreik auszurufen. Unser Ziel wäre nicht zuletzt, daß dieser Streik überall auf der iberischen Halbinsel, also auch mit den spanischen Kollegen gleichzeitig durchgeführt wird. Es ist natürlich nicht so einfach, die Termine zu koordinieren.

SB: In Griechenland liegt ja stets die Gefahr eines Militärputsches in der Luft, zumal der historische Einfluß der Vereinigten Staaten auf Politik und Gesellschaft des Landes nach wie vor unterschwellig präsent ist. Droht in Portugal eine ähnliche Gefahr für den Fall, daß der Widerstand der Bevölkerung weiter wächst und zunehmend linksgerichtete Positionen einnimmt?

FA: Nein. Ich glaube nicht, daß es in Portugal dazu kommen wird. Ich muß in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß die Revolution des 25. April von der Armee ausgegangen ist und das Volk dabei war. Ich glaube nicht, daß es bei uns zu einem Militärputsch kommt, denn selbst Angehörige der Streitkräfte, angefangen vom kleinen Soldaten bis hin zum hohen Offizier, finden sich inmitten der Protestbewegung gegen die Maßnahmen der Regierung ein. Sie sind ihrerseits betroffen von den Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen, ihr Sold wurde gekürzt, auch sie sind unzufrieden. Deshalb glaube ich nicht, daß es in Portugal zu einem Staatsstreich der Militärs kommen könnte.

SB: Herr Alves, vielen Dank für dieses Gespräch.

Fußnoten:
[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0121.html

[2] CGTP - Confederaç’o Geral dos Trabalhadores Portugueses

Gesprächssituation am Tisch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Francisco Alves mit Dolmetscherin und SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

5. Oktober 2012