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INTERVIEW/150: Kapitalismus final - Kollateralstreß (SB)


Arnold Schölzel über die Zeitungskrise und die Zukunft der jungen Welt

Interview am 17. November 2012 in Hamburg-St. Georg



Arnold Schölzel ist Chefredakteur der jungen Welt und hat auf dem Symposium der der Hamburger Veranstaltungsreihe "Kapitalismus in der Krise" [1] zum Thema aktueller antikapitalistischer Bewegungen gesprochen. Nach der Veranstaltung beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Arnold Schölzel
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: In der alten Bundesrepublik war die Frankfurter Rundschau ein traditionell linkes Blatt. Wie beurteilst du ihre Trendwende zu einem eher linksliberalen Printmedium und ihr mögliches Verschwinden vom deutschen Zeitungsmarkt?

Arnold Schölzel: Die FR war einmal so etwas wie ein Sprachrohr der linken Gewerkschaftsszene. Eine solche Zeitung aus der Bundesrepublik zu entfernen, ist natürlich auch ein Zeichen der Zeit. Ich denke da vor allem an die Dokumentationsseiten, die die Frankfurter Rundschau immer hatte und auf denen auch gewerkschaftliche Debatten stattfanden. Das wurde in den 90er Jahren schon mehr oder weniger zurückgefahren und dann, wenn ich das richtig erinnere, mit dem Chefredakteur Uwe Vorkötter endgültig eingestellt. Dann kam Alfred Neven DuMont mit der Umstellung auf ein kleineres Format. Ab dann war sie wirklich nur noch eine beliebige Zeitung, die ihre Stammleser, die sie bis dahin besaß, verlor. Aber sie sind nicht alle zur jungen Welt gegangen.

SB: Die junge Welt kann sich keinen Gewinn vom Niedergang einer einst linken überregionalen Tageszeitung versprechen?

AS: Hätten wir einen höheren Bekanntheitsgrad in der alten Bundesrepublik, dann würde ich sagen ja. Denn wir merken immer mehr, daß zum Beispiel linke, kritische Sozialdemokraten gerne die junge Welt lesen oder ganz erstaunt sind, daß es so eine Zeitung überhaupt gibt, weil sie sie nicht kennen, und uns dann schreiben, daß sie die junge Welt für eine sehr interessante Zeitung halten.

SB: Die junge Welt ist ja aus einer Spaltung hervorgegangen, nachdem die jungle world ihren eigenen Weg eingeschlagen hat. Der desolate Zustand der Linken reflektiert sich auch in der linken Presselandschaft und ihren miteinander unvereinbaren Blättern, die zumindest nichts gemeinsam unternehmen würden. Könntest du dir vorstellen, daß es angesichts des steigenden sozialen Drucks auf die Masse der Bevölkerung nochmals eine Veränderung zum Besseren geben wird?

AS: Das kann man nie ausschließen, aber so, wie die in Frage kommenden Zeitungen derzeit aufgestellt sind, sehe ich diese Möglichkeit nicht. Es gibt bestimmte Punkte, wo die Positionen der junge Welt-Redaktion geradezu unvereinbar sind mit Standpunkten im Neuen Deutschland oder in der taz. In den 90er Jahren hat sich die Leserschaft dieser drei Zeitungen noch weit überschnitten. Das ist inzwischen erledigt und vorbei. Einesteils hat das mit der Haltung der taz in der Zeit zu tun, als die Grünen mit in der Bundesregierung saßen und Krieg, Sozial- und Demokratieabbau mitgemacht haben, während die junge Welt dagegengehalten hat wie damals übrigens auch noch das Neue Deutschland. Nur daß das Neue Deutschland beispielsweise in Hinsicht auf die roten Haltelinien von Lafontaine und vor allem die Geschichte der DDR und des Sozialismus völlig andere Positionen als wir einnimmt. Wir bemühen uns, so wenig Antikommunismus wie möglich zuzulassen und gehen mit der linken Bewegung insgesamt kritisch, aber solidarisch um, und außerdem bedienen wir keine Klischees und Pauschalen. In diesem Sinne hat sich das Neue Deutschland meines Erachtens leider in die falsche Richtung entwickelt.

SB: Wir hatten eben in dem Vortrag von Andreas Wehr gehört, daß es durchaus Optionen für die Linke geben könnte, mit bürgerlichen Kräften gewisse Zweckbündnisse oder Handlungsgemeinschaften einzugehen. Neulich hattet ihr einen zweiteiligen, recht feuilletonistisch anmutenden Vortrag von Dietmar Dath, der als Redakteur für die FAZ arbeitet, über die Oktoberrevolution abgedruckt. Könntest du dir vorstellen, daß sich vielleicht gerade über die Schiene des Feuilletons auch ein bürgerliches Publikum stärker erreichen ließe?

AS: Das ist möglicherweise schon jetzt der Fall. Das Feuilleton ist immer ein Kapitel für sich. Es ist keine Zeitung in der Zeitung, aber natürlich ein Experimentierfeld für Dinge, die auf den Politik-, Wirtschafts- und Sportseiten so nicht stattfinden können. Dort ist die Nachrichtenlage mehr oder weniger klar, so daß es nur noch auf die Gewichtung, Hintergründe und Analysen ankommt. Das Feuilleton ist ein eigenes Feld und wäre dafür meines Erachtens der falsche Weg. Wenn wir jetzt anfangen würden, sagen wir einmal, die sogenannte Hoch- und Staatskultur besonders zu berücksichtigen, was wir bisher nicht gemacht haben, während wir - manchmal zugegebenermaßen etwas übertrieben - die Subkultur oder wirklich alternative Szenen in den Vordergrund stellen - nein, das ginge gar nicht.

Das ist aus meiner Sicht ja eines der Probleme dieses Landes. Die Theater, die Filme, das Fernsehen ohnehin sind keine Felder für Diskussionen, für Streit oder für grundsätzliche Überlegungen zum Beispiel über gesellschaftliche Alternativen. Die finden dort überhaupt nicht statt. Das hat nicht nur damit zu tun, daß Franz Josef Degenhardt 30 Jahre lang praktisch nie im Fernsehen auftrat, obwohl er, wie sie alle bei seinem Tode geschrieben haben, der größte Liedermacher war, den die Bundesrepublik je hatte. Was dort präsentiert wird ist uninteressant. Sie machen die falsche Politik und haben deswegen auch die falsche Ästhetik. Im Theater Krawall und nackte Personen auf der Bühne, im Film, wenn es nicht gerade um die Stasi geht, hirnrissige Drehbücher in meinen Augen, naja, über das Fernsehen muß man gar nicht erst reden. Es hat sich selber aus jeder ernsthaften Debatte weggesprengt.

SB: Das bürgerliche Feuilleton verfaßt unter dem Titel politisches Feuilleton aber auch interessante Berichte über Persönlichkeiten wie etwa Arundhati Roy oder den Kapitalismuskritiker David Graeber.

AS: Sicher. So hat Frank Schirrmacher - ich war dabei - ein Gespräch zwischen Sahra Wagenknecht und Peter Gauweiler moderiert. Das leisten sie sich und man kann auch noch andere Dinge anführen. Dietmar Dath ist in dem Vortrag, den wir abgedruckt haben und den er auf Einladung der Antifa in Berlin gehalten hat, also ARAB, ALB und junge Welt, kurz auf diese Sache eingegangen, als er sinngemäß sagte, die Großbourgeoisie weiß, daß das bloß Redebeiträge sind. Im Moment läßt sie so etwas zu, wenn es gut und argumentativ Themen berührt, die ihnen selber auf den Nägeln brennen wie zum Beispiel die Finanzkrise und dieses völlige Verrotten einer Ideologie, die sie 30 Jahre lang ums Verrecken vertreten haben, also kurz zusammengefaßt: den Neoliberalismus. Natürlich merken die Klügeren unter ihnen, daß nicht nur Illusionslosigkeit unter den Leuten vorherrscht, sondern, wie es Werner Seppmann vorhin geschildert hat, 98 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, daß diese Gesellschaft nicht das letzte Wort ist. Deswegen lassen sich diese Klügeren manchmal auch etwas vorsetzen, für das sie vermutlich an anderen Stellen der Redaktion richtig aufs Haupt bekommen würden.

SB: Ihr habt auch über die Waldbesetzung im Hambacher Forst berichtet, wo sich junge Menschen für eine sehr wichtige Sache engagieren. Wenn man allerdings bedenkt, wie man in den letzten Tagen in diesem Wald gegen die Besetzung vorgegangen ist, wundert man sich, daß das von den größeren Medien fast gar nicht reflektiert wurde. Wie ist das Verhältnis der jungen Welt zu diesem Spektrum der Linken, das im wesentlichen aus dem anarchistisch-libertären, radikalökologischen Feld kommt?

AS: Ich würde sagen wie ein Schwamm: Alles aufsaugen, sobald sich Leute ernsthaft für soziale und politische Fragen engagieren und in exemplarischen Aktionen Widerstand gegen die Zerstörung unserer Lebensumwelt leisten. In der Fluglärmdebatte haben wir uns mit Absicht ein wenig zurückgehalten. Es ist zwar eine Schweinerei, was da passiert, aber andererseits leben die Leute schon sehr lange unter diesen Bedingungen. Jetzt sind es jedoch diejenigen, die neu dorthin gezogen sind und an der Spitze der Bewegung stehen. Insbesondere in Berlin kommen sie aus den besseren Vierteln. Man muß nicht unbedingt über alles berichten, es sei denn, es handelt sich um einen exemplarischen Widerstand gegen die Zerstörung von Gesellschaft und Umwelt. Dann müssen wir natürlich dran bleiben. Ich sehe die Aufgabe der Zeitung darin, solche Bewegungen zusammenzuführen und andere darüber zu informieren. Wir erreichen mit unserer Auflage ohnehin nicht die Massen, wie es die großen Medien tun, aber als Vernetzungsplattform, wo die Leute auch selber zu Wort kommen können, denke ich, hat eine solche Zeitung auch ihre Berechtigung. Nur so kann es funktionieren.

SB: Ihr baut einen neuen Internet-Auftritt auf. Aus welchen Gründen seid ihr zu dem Schluß gekommen, daß das erforderlich ist, auch im Verhältnis dazu, daß allgemein behauptet wird, daß die Printpresse sich im Niedergang befindet?

AS: Die Printpresse befindet sich aus zwei Gründen im Niedergang. Erstens - und das ist nicht nur der Ziffer, sondern auch dem Gewicht nach so -, weil die Renditeerwartungen der Zeitungsbesitzer nicht mehr erfüllt werden. Ihnen fällt in dieser Situation nichts Besseres ein, als eine Spirale nach unten in Gang zu setzen, Kosten zu drosseln, Leute zu entlassen und die Qualität zu senken. Auch wenn sie dadurch Abonnements verlieren, wird diese Strategie weitergeführt. Die Frankfurter Rundschau ist in meinen Augen das Musterbeispiel dafür, aber es betrifft auch die gesamten ostdeutschen Zeitungen, die sich westdeutsche Verlage unter den Nagel gerissen haben. Diese Regionalzeitungen sind ohnehin seit 1990 hinsichtlich der Auflage und der Abonnements mindestens halbiert, wenn nicht noch weit mehr. Mir ist das ein Rätsel, denn eigentlich wollen sie ja verdienen, zumindest wenn man sie sich als ordentliche Kapitalisten denkt. Medienwissenschaftler bezeichnen die 90er Jahre als die Goldenen Jahre, als die Rendite bei solchen Publikumszeitungen bei weit über 20 Prozent lag. Inzwischen liegt sie nur noch bei 10 Prozent, und das ist offenbar zu wenig. Das ist der hauptsächliche Grund für diese Entwicklung. Er betrifft uns aber nicht, weil wir uns im Besitz einer Genossenschaft befinden und die Leute, die bei uns arbeiten, damit ein politisches Engagement verbinden.

Der zweite Grund betrifft auch uns, nämlich das unterschiedliche Nutzerverhalten insbesondere zwischen den Generationen. Da ist es ganz einfach so, daß die jüngeren Leute in erster Linie durchs Internet angesprochen werden, und da stellen wir fest, daß wir große Chancen haben. Immer dann, wenn wir im Internet am Auftritt etwas verbessern oder eine Leistung mehr anbieten, ist die Resonanz darauf unglaublich. Wir sind jedes Mal von neuem überrascht und gewinnen in einem erstaunlichen Maße Internet-Abos hinzu. Die sind auf freiwilliger Basis, keiner muß sie abschließen, zumal praktisch alles von uns nach 24 Stunden freigestellt wird. Bei den Internet-Abos liegen wir in der Bundesrepublik ziemlich weit vorne. Wir erreichen zwar nicht die Dimensionen von FAZ.net oder anderer dieser Kategorie, kommen aber schon bald danach. Das ist kein Vergleich zum Abstand in der Druckauflage. Zeitungen wie die Süddeutsche liegen mit ihrem Auftritt weit hinter uns, aber sie investieren, soweit ich das sehe, auch gar nichts.

SB: Ihr habt neulich in einem Aufruf auf die finanziellen Probleme der jungen Welt hingewiesen. Unter anderem hattet ihr geschrieben, daß bestimmte Leute euch empfohlen hätten, nach Kapitalinvestoren Ausschau zu halten, weil ihr wachsende Auflagen vorzuweisen habt, ihr das aber nicht tun wolltet. Könntest du etwas dazu sagen?

AS: Tatsächlich gibt es Leute, die der Meinung sind, daß unser Blatt Zukunft hat, weil es ein eigenes Profil besitzt und eine klare Ansage macht, nur daß der Bekanntheitsgrad nicht so hoch ist. Daraus ließe sich doch etwas machen. Für uns kommt das aber nicht in Frage. Die junge Welt kann, glaube ich, nur existieren, wenn sie die redaktionelle Unabhängigkeit so wie jetzt durch die Konstruktion einer Genossenschaft als Mehrheitsgesellschafter des herausgebenden Verlages behält und jede Möglichkeit, in redaktionelle Belange einzugreifen, ausgeschlossen ist, höchstens durch die Absetzung des Geschäftsführers, des Chefredakteurs oder einzelner Redakteure. Man hat uns auch eine stille Teilhabe, also eine Kommanditgesellschaft angeboten, ohne in die Belange der Geschäftsführung einzugreifen. Wie es weitergehen soll, ist im Augenblick eine offene Frage. Wir sind noch am Diskutieren, ob wir so etwas machen, aber das wird sich erst herausstellen, wenn wir eine Bilanz dieser Kampagne ziehen.

SB: Habt ihr positive Resonanz auf eure Bitte um Unterstützung gehabt?

AS: Ja, die Resonanz war sehr positiv. Man kann so viel sagen, daß diese Kampagne aus einer zweigespaltenen Situation hervorgegangen ist. Auf der einen Seite wächst die junge Welt, aber andererseits hielten Wachstum und entsprechende Einnahmen mit dem Anstieg der Ausgaben nicht schritt, und deswegen entstand diese Finanzierungslücke, die nun geschlossen werden muß. Die junge Welt hat eigentlich genügend Potential, um weitermachen zu können. Wenn wir das Modell einer fast ausschließlich durch Abonnements finanzierten Zeitung durchsetzen wollen, dann brauchen wir eine Erhöhung des Abonnentenstamms auf ein Sockelniveau, das diese ständigen Schwankungen auffängt. Im Augenblick bekommen die Kollegen nicht einmal den Inflationsausgleich, geschweige denn sonst eine angemessene Vergütung. Die Anschaffung eines Computers ist schon ein Problem. Die halbe Wegstrecke liegt inzwischen hinter uns. Wir haben in den ersten Wochen eine sehr positive Resonanz gehabt, und wenn es gelingt, diese Resonanz fortzuführen, dann könnte die junge Welt die Hürde möglicherweise Anfang nächsten Jahres genommen haben.

SB: Dann wünsche ich euch viel Glück. Vielen Dank für das Gespräch.

Fußnote: [1] http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/index.php/symposium

15. Dezember 2012