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INTERVIEW/217: Zwielicht, Wirtschaft und Motive - Pressezensur konzertiert, Werner Rügemer im Gespräch (Teil 1) (SB)


Streit um Pressefreiheit argumentativ und juristisch ausgekostet und ausgelotet

Interview am 23. Mai 2014 in Köln



Der Literaturwissenschaftler, Philosoph und Ökonom Dr. Werner Rügemer ist als Publizist, Referent, Sachbuchautor und Lehrbeauftragter der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln tätig. Als "interventionistischer Philosoph", wie er sich selbst bezeichnet, erforscht er seine Spezialgebiete Privatisierung, internationale Kapitalverhältnisse, Unternehmenskriminalität, Korruption und die neoliberale Umgestaltung der Gesellschaft, ihrer Produktionsweise und Arbeitsbeziehungen.

Er ist Vorstandsmitglied der aktion./.arbeitsunrecht, gehört zum wissenschaftlichen Beirat von attac Deutschland, hat die Initiative Gemeingut in BürgerInnenhand (gib) mitgegründet und ist Initiator eines Aufrufs gegen das Freihandelsabkommen TTIP aus Arbeitnehmersicht [1].

Im Laufe seiner Recherchen wurde er des öfteren mit juristischen Angriffen überzogen. Dies begann bei seinen Publikationen zum Kölner Klüngel (2002) und der Privatbank Sal. Oppenheim (2008) und mündete aktuell in eine Klage von Prof. Dr. Klaus Zimmermann, dem Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Ein erster Verhandlungstag Anfang Mai in Hamburg endete mit einem Vergleichsvorschlag des Gerichts [2].

In einem Gespräch mit dem Schattenblick, das am 23. Mai bei ihm zu Hause in Köln geführt wurde, beantwortet Rügemer Fragen zum aktuellen Prozeß, seinem Umgang mit Versuchen, ihn mundtot zu machen, und zur Lage der Pressefreiheit in Deutschland. Im zweiten Teil des Interviews geht er auf das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP), die Lage der arbeitenden und ausgegrenzten Teile der Bevölkerung sowie die diesbezügliche Rolle von Gewerkschaften und SPD ein.

In seinem Arbeitszimmer sitzend - Foto: © 2014 by Schattenblick

Werner Rügemer
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Am 9. Mai hat die Pressekammer des Landgerichts Hamburg beim ersten Verhandlungstag angedeutet, daß sie die Klage des geschäftsführenden Direktors des Instituts zur Zukunft der Arbeit, Prof. Dr. Klaus Zimmermann, in drei von vier Punkten zurückweisen wird. Ein Punkt wurde für eine Einigung vorbehalten. Sind Sie denn bereit, dem Vergleichsvorschlag der Richterin zuzustimmen?

Werner Rügemer: Der Vergleichsvorschlag weist für mich ein paar krumme Seiten auf. Wenn drei der vier inkriminierten Äußerungen als zulässig anerkannt werden, dann müßte ja die Kostenverteilung drei Viertel für den klagenden Herrn Professor Zimmermann und ein Viertel für mich lauten. Das Gericht schlägt jedoch eine Aufteilung von zwei Dritteln zu einem Drittel vor. Das ist schon mal nicht gerecht, zumal es insgesamt immerhin um 10.000 Euro geht, die auf diese Weise aufgeteilt würden, sollte der Vergleich von beiden Seiten akzeptiert werden.

Zum anderen soll ich in dem Artikel, wenn er dann wieder veröffentlicht werden darf, den Zusatz einfügen, daß ich nicht den Eindruck erwecken wollte, das Forschungsinstitut des Professor Zimmermann, dieses Institut zur Zukunft der Arbeit, mache Gefälligkeitsgutachten oder arbeite nach Vorgaben der Poststiftung. Eine solche Formulierung habe ich erstens gar nicht gebraucht und zweitens wollte ich ja diesen Eindruck gerade nicht erwecken, weil der Tenor des ursprünglichen Artikels, um den es geht, eine neue Form von Lobbyarbeit zum Thema hatte, die nicht im Auftrag, sondern sozusagen freiwillig erfolgt. Deswegen würde ich diesen Zusatz nicht machen, weil er die Kernthese berührt.

Des weiteren soll ich gemäß des Vergleichsvorschlags hinzufügen, das Institut bekomme keine Vorgaben. Das wäre allerdings eine sogenannte Tatsachenbehauptung, die ich gar nicht treffen kann, weil ich die internen Beziehungen der Poststiftung mit diesem Institut weder kenne, noch jemals behauptet habe, sie zu kennen. Daher kann es sein, daß ich diesem Vergleichsvorschlag, der mir schriftlich noch nicht vorliegt, nicht zustimme.

SB: Mit welchen weiteren Schritten rechnen Sie im Falle einer Ablehnung des Vergleichsvorschlags?

WR: Dann würde weiter verhandelt, was natürlich auch noch davon abhängt, wie sich die Gegenseite, Herr Professor Zimmermann, erklärt. Das Gericht könnte im nächsten Schritt entweder einfach ein Urteil fällen oder einen weiteren Verhandlungstermin anberaumen, vor dem neue Schriftsätze hin- und hergehen. Sobald ein Urteil gefällt ist, werde ich prüfen, ob ich damit einverstanden bin. Wenngleich dies in ein paar kurzen Formulierungen eher versteckt als offengelegt wird, geht es hier um eine Grundsatzfrage der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Deshalb habe ich mir vorgenommen, im Zweifelsfall durch alle Instanzen zu gehen.

SB: Am ersten Verhandlungstag war viel von dem sogenannten Durchschnittsrezipienten die Rede. Ist das nicht in diesem Zusammenhang ein hergeholter Begriff, weil man bei seiner Verwendung lediglich spekuliert, was die Leserschaft möglicherweise so oder anders versteht?

WR: Das Gericht und die Gegenseite haben mit diesem Begriff argumentiert: Herr Rügemer, Sie haben zwar nichts von Gefälligkeitsgutachten geschrieben, aber der sogenannte Durchschnittsrezipient wird das doch in diesem Sinne verstehen. Ich hege Zweifel, ob dieser Durchschnittsrezipient, dieser Homunkulus, diese Kunstfigur hier überhaupt ein Recht hat. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Argumentation dieses Hamburger Landgerichts und seiner Pressekammer, sondern um eine juristische Figur, die bis hinauf zum Bundesgerichtshof schon seit Jahren verwendet wird. Dieser Begriff ist natürlich für alle möglichen Interpretationen offen, da irgend jemand meint, irgend jemand anderes müßte eine bestimmte Aussage auf diese oder jene Weise verstanden haben.

Der inkriminierte Artikel ist ursprünglich in der Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik und später in der Neuen Rheinischen Zeitung erschienen. Man müßte meines Erachtens die Frage stellen, ob die Kunstfigur des Durchschnittsrezipienten jeweils die gleiche sein kann, wenn man sie einerseits auf die Bildzeitung oder andererseits die sogenannten Qualitätsmedien wie etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung anwendet. Die beiden erstgenannten Zeitschriften haben wiederum ein viel kleineres und ganz anderes, sagen wir mal vernunftbetontes Publikum, wobei die Neue Rheinische Zeitung eine noch geringere Leserschaft als die Zeitschrift Blätter hat. Daß es für diese höchst unterschiedlichen Publikationen so etwas wie einen gemeinsamen Durchschnittsrezipienten geben kann, wage ich zu bezweifeln. Insofern hätte ich Lust, mich anhand meines aktuellen Verfahrens einmal grundsätzlich mit dieser Kunstfigur des Durchschnittsrezipienten zu beschäftigen und sie in Frage zu stellen.

SB: Die Blätter für deutsche und internationale Politik haben im Gegensatz zu Ihnen selbst und der Neuen Rheinischen Zeitung einen Rückzieher gemacht und die IZA-Passage aus der Internetversion des Artikels entfernt. Handelt es sich bei diesem Einlenken unter Druck um einen Vorgang, der Ihrer Erfahrung nach sehr oft vorkommt, ohne daß dies der Öffentlichkeit bekannt ist? Sind Abmahnungen und Klagen eine Waffe, die gegen die Meinungs- und Pressefreiheit gehäuft in Stellung gebracht wird?

WR: Ja, das kommt sehr häufig vor und hat auch damit zu tun, daß sich seit etwa einem Jahrzehnt eine relativ große, spezialisierte Branche von Medienkanzleien herausgebildet hat, die nur mit solchen Dingen befaßt sind und ganze Abteilungen von Medienrechtsanwälten beschäftigen. Ich habe es selbst mehrfach erlebt, daß im ersten Schritt eine Abmahnung kommt, in der eine sogenannte Unterlassungsverpflichtungserklärung verlangt wird, die man unterschreiben soll. Ich stand häufig vor der Wahl, entweder zu unterschreiben, um mir Ärger zu ersparen, oder mich zu weigern und weitere Phasen eines gerichtlichen Verfahrens zu riskieren, die dann sehr teuer werden können. Nach meiner Kenntnis wird das häufig praktiziert, wobei vor allem kleine Medien darauf eingehen, weil sie Ärger und Kosten fürchten. In der Regel klagen entweder sogenannte Prominente oder große Unternehmen, mit denen sich die meinungsführenden Medien zumeist schnell einigen, weil sie es sich mit diesen Personen und Konzernen, denen sie ohnehin zugeneigt sind, nicht verderben wollen.

SB: Ich habe den Eindruck, daß Ihr aktueller Fall von recht vielen Medien und Kreisen wahrgenommen wird. Sie erhielten unter anderem Unterstützung von dem Grünen-EU-Parlamentarier Sven Giegold oder den 53 Professoren von attac. Ist es aus Ihrer Sicht eine Art Präzedenzfall, anhand dessen man vielen Menschen vermitteln kann, was in der Presselandschaft vor sich geht?

WR: Meine Erfahrung mit dieser speziellen Problematik umspannt inzwischen gut zwei Jahrzehnte. Ich habe 1992/1993 angefangen, über den sogenannten Kölner Klüngel zu berichten, und das im Laufe der 90er Jahre in der örtlichen Zeitschrift Kölner Stadtrevue fortgesetzt. In dieser Zeit hatte ich mehrere Verfahren durch den Oberstadtdirektor, den Oberbürgermeister, ein Ratsmitglied und den Präsidenten des 1. FC Köln am Hals. Später ging das dann mit der örtlich sehr dominierenden Bank Oppenheim weiter. Damals gab es noch wenig Resonanz in der Öffentlichkeit.

Inzwischen hat die Distanz zu den großen Medien und die Kritik an dem, was man ganz allgemein Lobbyismus nennt, doch erheblich zugenommen. Der Lobbyismus wandelt sich ständig, er paßt sich den Umständen an und trägt der wachsenden Kritik Rechnung, indem er vorsichtiger zu Werke geht. Deswegen habe ich mich mit diesem Fall von Lobbyismus, den ich unsichtbares, indirektes Lobbying nenne, befaßt. Lobbycontrol hat für das von mir beschriebene Phänomen den Begriff Deep Lobbying geprägt. Das wird mittlerweile von sehr viel mehr Menschen kritisch gesehen, weshalb ich denke, daß meine aktuelle Auseinandersetzung in eine Phase erhöhter Aufmerksamkeit gefallen ist. Um so mehr habe ich mir vorgenommen, die Sache nicht nebenbei zu Ende zu bringen, sondern sie argumentativ und juristisch auszukosten und auszuloten.

SB: Man könnte den Eindruck gewinnen, daß viele kritische Aussagen relativ unangefochten möglich sind, solange sie allgemein gehalten werden und sich niemand im speziellen daran stört. Nennt man aber Namen und deckt konkrete Zusammenhänge auf, ruft dies heftige Reaktionen und Anfeindungen auf den Plan. Ist es Ihres Erachtens wichtig oder sogar notwendig, die Hintergründe zu recherchieren und zu präzisieren, weil man anders den jeweiligen Sachverhalt nicht angemessen aufdecken kann?

WR: Ja, das ist richtig. Unter denen, die man etwas pauschal Globalisierungskritiker nennt, bin ich jemand, der die Hintergründe aus vielen Quellen zusammenträgt, Namen nennt und, soweit ich das ermitteln kann, Handlungen konkret benennt. Deswegen werde ich wohl im Unterschied zu allgemeinen Kapitalismuskritikern auch sehr schnell angegriffen. Für die Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik, die man ja auch in das linke kapitalismuskritische Spektrum einordnet, wobei sie eher allgemeine wissenschaftliche Analysen publiziert, war es die erste Erfahrung mit solchen juristischen Angriffen. Deswegen kann ich auch verstehen, daß ihre Redaktionsmitglieder sehr aufgeregt waren und sich schnell auf die Unterlassungsforderung eingelassen haben. Wie mir die Redaktion vor kurzem erzählte, hat sie inzwischen einen zweiten derartigen Fall auszufechten und ist jetzt doch etwas besser vorbereitet.

SB: Sie haben über viele Jahre die Entwicklung der Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland mitverfolgt und in vielen Fällen auch am eigenen Leib erlebt. Wie würden Sie die generelle Entwicklung einschätzen?

WR: Wir haben es mit einer sehr bösen Entwicklung zu tun. Die ersten vier, fünf Gerichtsverfahren, die ich im Laufe der 90er Jahre hatte, waren im Vergleich zu heute relativ gemütliche Veranstaltungen. Praktiken, die ich seit 2006 im Fall meines Buches "Der Bankier" über die Bank Oppenheim erlebt habe, sind inzwischen üblich geworden. Heutzutage setzen spezialisierte Medienkanzleien darüber hinaus viele weitere Praktiken ein, die man im Grunde nur als Einschüchterung verstehen kann. Zum einen werden Fristen, innerhalb derer man eine Unterlassungsverpflichtungserklärung unterzeichnen soll, sehr kurz auf den nächsten Tag angesetzt, so daß man sich nicht anwaltlich beraten lassen kann. Wenn man damit Erfahrung hat, weiß man, daß sich diese Frist mit bestimmten Mitteln durchaus verlängern läßt. In meinen ersten Fällen war mir das nicht klar, und so habe ich voller Angst reagiert.

Im Fall der Bank Oppenheim hat mich die betreffende Kanzlei, die offensichtlich so eine Art Blankoscheck von der Bank hatte, mit gut zwei Dutzend Verfahren belegt. Jede Äußerung, die ich im Zusammenhang mit dieser Bank und dem Gerichtsverfahren gemacht habe, hatte die Kanzlei sofort auf dem Schirm. Sie stellte umgehend eine erneute Unterlassungsforderung oder behauptete schlichtweg, daß eine Formulierung, die ich in einem Artikel oder Interview verwendet hatte, eine Wiederholung der alten verbotenen Formulierung sei, weshalb ein Bußgeld beantragt werde. In der Tat mußte ich damals wegen einer angeblichen Wiederholung einmal ein Bußgeld von 1000 Euro bezahlen, wobei keine Revision zugelassen war. Das heißt, die Aggressivität der spezialisierten Medienkanzleien hat enorm zugenommen.

Werner Rügemer mit SB-Redakteur - Foto: © 2014 by Schattenblick

Großmedien entsorgen journalistische Standards
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Verfolgt man die Entwicklung der Berichterstattung und Meinungsbildung vom Jugoslawienkrieg über die nachfolgenden Waffengänge in Afghanistan, im Irak, in Libyen und Syrien bis zum heutigen Konflikt in der Ukraine, läßt sich eine Verengung und Verdichtung der medialen Präsentation feststellen. Es werden in zunehmendem Maße Sichtweisen verfestigt und Sprachregelungen etabliert, die kaum noch hinterfragbare Glaubensbekenntnisse produzieren.

WR: Vor allem die Großmedien einschließlich der sogenannten öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten sind zu einer Praxis übergegangen, die das, was eigentlich immer noch als eherner Standard des guten Journalismus angepriesen wird, entsorgen. Eine ausgewogene Berichterstattung, bei der man auch die andere Seite fragen muß und nicht über jemanden schreibt, ohne ihn zuvor selbst zu fragen, dieses eigentlich prägende Gebot für den herrschenden Journalismus wird zunehmend, vor allem wenn es um zugespitzte Konflikte wie den Irakkrieg, den Syrienkrieg oder jetzt die Ukraine geht, völlig gewissenlos über den Haufen geworfen. So werden diese Großmedien mehr oder weniger zu Agitations- und Hetzinstitutionen.

SB: Sie haben auch beschrieben, daß die Verflechtungen zwischen der Presse und bestimmten politischen oder ökonomischen Interessen im Laufe der Zeit immer enger geworden sind.

WR: Die Printmedien in der Bundesrepublik sind immer private Medienunternehmen und dann auch Konzerne gewesen. Dem sollte eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg die Struktur eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit demokratischen Prinzipien, Vertretungs- und Verwaltungsorganen entgegengesetzt werden. Ich habe schon frühzeitig sehr interessiert verfolgt, wie durch das Privatfernsehen ab etwa 1984 auch für die anderen Medien neue Kriterien entwickelt wurden, die die sogenannte Publikumsgunst oder die Quote zum Maßstab machen, an den man sich anpaßt. Das hat auch in die öffentlich-rechtlichen Medien hineingewirkt, die sich in Konkurrenz mit den Privatmedien sehen. Das ist ein Faktor, der die enge Verknüpfung von Politik, Unternehmensinteressen und Medien befördert hat.

Zudem haben die internationalen Konzerne und Lobbyinstitutionen ihre Praktiken, Medienvertreter einzubinden, immer weiter verfeinert. Man wird zu wichtigen Konferenzen, die eigentlich vertraulich sind, eingeladen, so daß die jeweiligen Abteilungsleiter für Außenpolitik, Innenpolitik, Finanzen und Wirtschaft in Konzernveranstaltungen eingebettet werden. Auch bedient man sich der Vorgehensweise, als Konzernvorstand unter Zuhilfenahme einer PR-Agentur den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem man einen ganz bestimmten, von der Agentur ausgesuchten Journalisten einlädt, um das passende Interview zur Imageverbesserung zu führen.

So etwas ähnliches habe ich beim Institut zur Zukunft der Arbeit auch festgestellt. Dem lockeren Beraterkreis dieses Instituts, genannt Policy Fellows, gehören 67 ausgesuchte Unternehmensvertreter, Politiker, Expolitiker mit starker Schlagseite zur FDP oder CDU und dann auch noch zwei Rechtsaußen der SPD wie zum Beispiel Herr Thilo Sarrazin an. Eine gute Handvoll Medienvertreter, die entweder selbständige Journalisten sind oder kleine Medienproduktionsfirmen haben, bekommen von einer befreundeten Institution des Instituts zur Zukunft der Arbeit, beispielsweise der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, den Auftrag, eine bestimmte Dokumentarsendung zu produzieren, die dann wiederum irgendwo in einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Sender plaziert wird.

SB: Es handelt sich also um eine Form von verdecktem Lobbyismus.

WR: Diejenigen, die nicht zuletzt deswegen für sich Lobby machen wollen oder müssen, weil die Zustimmung in der Bevölkerung gegenüber Bankern, Konzernvorständen und den regierenden Parteien immer weiter geschrumpft ist, haben natürlich ein erhöhtes Interesse, Werbung in eigener Sache auf eine Weise zu betreiben, die nicht als Lobbyismus herkömmlicher Art auffällt. Deswegen konnte ich in vielen Bereichen beobachten, daß die Zahl der medialen Hilfstruppen, also die spezialisierten Medienkanzleien, PR-Agenturen, Dokumentarfilmproduzenten und so weiter, erheblich zugenommen hat.

SB: Welche Rolle spielen kritische oder linke Medien in diesem Spektrum? Sie haben ja in dem Maße einen zunehmend schweren Stand, wie sich die gesamte Gesellschaft in den zurückliegenden Jahren verändert hat.

WR: Sagen wir es etwas pauschal: Kritische Medien haben es wirklich sehr schwer, weil die herrschende Meinungsmache eben doch, obwohl sie manchmal sehr primitiv daherkommt, hochwissenschaftlich mit viel Beratungsaufwand produziert wird. Auch die Bildzeitung schüttelt nicht einfach irgend etwas Polemisches aus dem Ärmel, sondern gibt zuvor Meinungsumfragen in Auftrag, um herauszufinden, welche Gruppierungen in der Bevölkerung gerade bestimmte Auffassungen favorisieren. Das ist im Prinzip nicht neu, denn ich bin schon 1968 im Zusammenhang des Springer-Tribunals in Berlin auf eine wissenschaftliche Studie namens "Die Psychoanalyse der Bildzeitung" gestoßen. Obgleich die wissenschaftliche Begleitung, dieser indirekte Lobbyismus, damals noch recht unterentwickelt war, hat die Redaktion bereits so geschrieben, wie es dem wissenschaftlich, psychoanalytisch, psychologisch erforschten Publikum zumutbar schien, wie und wofür es ansprechbar war.

Diese Technik ist natürlich heute ungemein verfeinert, und auch das ist ein Grund, warum es linke Medien schwer haben, weil die Mehrheit der Bevölkerung eben die Meinungsmanipulation nicht durchschaut. Das hat aber auch viele weitere Gründe: Die Hetze in der Arbeits- und Familienwelt hat enorm zugenommen, die Freizeit ist eingeschränkt, man kann sich kaum noch in Ruhe selbständig informieren, auch das spielt eine große Rolle. Aus all diesen Gründen haben es linke Medien, die auf die Vermittlung von Fakten und nicht auf die schlagzeilengroße Meinungsmache setzen, heute sehr schwer.

SB: Hat man es nicht auch mit einer beschränkten Tiefe und Reichweite der Analyse zu tun, die das Niveau der Kritik zunehmend senkt? Beispielsweise sitzen bei der Bankenkritik sehr viele Positionen letztlich im selben Boot, weil sie die Verantwortlichen für die Krise vordergründig identifiziert zu haben glauben. Inwieweit kann oder muß man differenzieren und die Kritik in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang stellen?

WR: Die Banken konnten diese Krise wie auch die vorangegangenen Krisen nicht allein verursachen. Sie waren zwar die mächtigen Antreiber, indem sie unmittelbare Profitinteressen verfolgten, doch wäre ihnen deren Realisierung ohne die Hilfestellung der Regierungen und Medien nicht möglich gewesen, wie wir das erst jetzt in den konkreten Einzelheiten in Erfahrung bringen. Gerade jene Medien, die man als wirtschaftsnah, als wirtschaftskompetent bezeichnet, haben damals über die konkreten Handlungen der Banken, die zur Krise geführt haben, überhaupt nichts berichtet.

Und es gibt sehr viele Mittäter. Ich habe in dem Buch "Die Berater" von den zivilen Hilfstruppen des Kapitals gesprochen und die hoch honorierten und weltweit tätigen Unternehmensberater vom Typ McKinsey beschrieben, wie auch die einflußreichen sogenannten Wirtschaftsprüfungsunternehmen wie KPMG, Price Waterhouse Coopers, Ernst & Young und Deloitte angeführt sowie die Ratingagenturen Standard & Poor's, Fitch Ratings und Moody's unter die Lupe genommen.

In der Hierarchie derer, die irgendwie mitspielen, gibt es natürlich auch sehr viele Leute, die in den Hochzeiten des Glaubens an die Kraft und segensreiche Aktivität der Banken in Deutschland und Europa millionenfach Aktien und sonstige Wertpapiere gekauft haben. Auch die öffentlich-rechtlichen Bankinstitute waren beteiligt, die sich teilweise in großer Unkenntnis eingeschaltet und wiederum auch die kleinen Kunden miteinbezogen haben, was in seiner Gesamtheit die sich anbahnende Krise völlig verschleiert hat. Wir haben hier also ein sehr gestuftes System der Mittäter, Mitmacher und Mitläufer, das es den Banken ungemein erleichtert hat, ihre Macht zu entfalten, ihre Gewinne einzufahren und nach der Krise ungestraft und sogar noch exzessiver weiterzumachen als zuvor.

(Teil 2 des Interviews folgt)


Fußnoten:

[1] http://arbeitsunrecht.de/ttip

[2] http://arbeitsunrecht.de/iza_deep-lobbying-pressekammer-weist/

30. Mai 2014