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INTERVIEW/471: Die Linke - Knick im Internationalismus ...    Ferat Kocak im Gespräch (SB)


Ferat Kocak ist Stellvertretender Sprecher der Linken im Berliner Bezirk Neukölln und aktiv bei Aufstehen gegen Rassismus und Unteilbar. Er wurde bereits selbst Ziel eines Anschlages mutmaßlich rechter Täter [1]. Auf seine Herkunft anspielende Fragen beantwortet er gerne damit, daß er ein gebürtiger Kreuzberger sei, der in Neukölln aufwuchs und daher einen Kreuzberger Migrationshintergrund habe. Am Rande der Gründungsversammlung der BAG Bewegungslinke hatte der Schattenblick Gelegenheit, Ferat Kocak einige Fragen zur Repräsentanz migrantischer Interessen innerhalb der Partei Die Linke zu stellen.


Bei der Gründungsversammlung der Bewegungslinken vor Transparent gegen Rassismus - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ferat Kocak
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ferat, in deinem Diskussionsbeitrag hast du rechte Gewalt in Neukölln angesprochen. Was findet da statt?

Ferat Kocak (FK): Seit 2009 werden DemokratInnen sowie Linke in Neukölln von einem Netzwerk aus Neonazis terrorisiert, die Brandanschläge verüben, Stolpersteine stehlen und sogar mit Mord drohen. Das passierte bisher alles im Süden Neuköllns und nur punktuell im Norden, weil die Neonazis sich im Süden sicherer fühlen. Da ist auch die NPD aktiv, die einst sehr stark war und mittlerweile zu großen Teilen in der AfD aufgegangen ist. Die AfD hat im Süden an manchen Orten 24 bis 26 Prozentpunkte erlangt. Kürzlich hatten wir auch Angriffe im Norden. Läden von MigrantInnen wurden mit Hakenkreuzen, mit "Ausländer raus" und mit SS-Runen markiert, um zu sagen: Ihr seid hier nicht willkommen. Dagegen kämpfen wir.

SB: In den 70er Jahren befanden sich unter MigrantInnen viele Linke, wie zum Beispiel ihre starke Beteiligung an Arbeitskämpfen in der BRD dokumentiert. Gibt es heute noch nennenswerte linke Bewegungen unter MigrantInnen?

FK: Ja, migrantische Bewegungen sind tendenziell links. Wenn wir jetzt sagen, okay, im linken Spektrum der Parteien zählen wir auch die Grünen und die SPD dazu, dann könnte man sagen, daß die Mehrheit der migrantischen Community irgendwie in diesen Parteien verankert ist, bis dahin, daß sie diese Parteien wählt. Auch meine Eltern fühlen sich aufgrund ihrer kurdisch-alevitischen Herkunft eher der Linkspartei zugehörig. Das Problem ist allerdings, daß sich der Zusammenhang mit Parteien und Parteistrukturen in den letzten zehn, zwanzig Jahren immer mehr gelöst hat. Die Linke ist immer mehr in die Mitte gerückt, und die MigrantInnen sind tendenziell eher in Richtung links bis hin zu revolutionärer Veränderung verankert.

SB: Es gibt eine starke türkische Rechte, die man nicht so wahrnimmt wie etwa die linke kurdische Bewegung. Gehören zu den Leuten, die euch angreifen, auch türkische Faschisten oder sind das vor allem herkunftsdeutsche Rassisten und Faschisten?

FK: In Neukölln haben wir ein sehr starkes Problem mit deutschen Faschisten, aber man darf die deutschlandweiten türkeistämmigen rechten Strukturen nicht vernachlässigen. So wurde der Gewerkschafter Celalettin Kesim am Kottbusser Tor ermordet. Es kommt zu Angriffen auf kurdische AktivistInnen bei Wahlkämpfen, das HDP-Büro in Kreuzberg wurde 2015 angegriffen und mit Symbolen beschmiert und markiert, die man den türkeistämmigen rechten Strukturen zurechnen kann. Aber ich sehe das schon ein bißchen anders. Der Kampf gegen türkische Rechte muß anders geführt werden als der gegen Neonazis. Junge Menschen, die hier geboren sind und aktiv einen türkischen Nationalstolz, ein türkisches Nationalbewußtsein oder eine radikale nationale Identität pflegen, haben andere Hintergründe als ein Neonazi, der im Prinzip uns alle angreift und für den es egal ist, ob ich ein linker türkeistämmiger Mensch oder ein rechter türkeistämmiger Mensch bin.

SB: Zum Teil verstehe ich den türkischen Nationalismus in Deutschland auch als Reaktion auf die Abwehr von MigrantInnen hierzulande.

FK: Das ist ein Teil, auch eine Begründung, es gibt natürlich mehrere Facetten. In Berlin hatten wir eine Insellage, hier hat man sich gegenseitig gekannt. Ich bin kurdischer Abstammung, aber ich habe auch mit demjenigen Fußball gespielt, der gesagt hat: Ich bin türkischer Nationalist. Und deshalb verstehe ich auch die Denkweise dieser Kids. Die sind da reingerutscht, ohne wirklich ein ideologisches Fundament zu haben. An die muß man halt anders rangehen.

SB: Wie kommt diese Diskrepanz zustande, daß eine Linke mit multikulturellem und internationalistischem Selbstverständnis eher wenige migrantische KandidatInnen auf aussichtsreiche Listenplätze setzt?

FK: Wenn ich mir Die Linke in Berlin und die Bundesparteistrukturen anschaue, dann spiegeln sie den Zuspruch der Wählerinnen und Wähler eigentlich nicht wider. Das ist schon ein Problem. Ich mache das immer am Beispiel Berlin klar: Beim Abgeordnetenhauswahlkampf 2016 gab es viele KandidatInnen mit Migrationshintergrund - russischer, kurdischer, türkischer, irakischer Herkunft beispielsweise -, aber im Endeffekt wurde auf einen der Listenplätze, bei denen eine gewisse Aussicht darauf besteht, daß man tatsächlich Parlamentarier wird, nur eine Person gesetzt, das war Hakan Tas. Das bezeichne ich ein Stück weit als institutionellen Rassismus.

Man läßt diese Menschen an Orten kandidieren, wo sie keine Chance haben zu gewinnen. Sie geben sich dort alle Mühe, Wählerstimmen zu gewinnen, indem sie in ihre Communities hineingehen und mobilisieren, werden dann aber letztlich nicht gewählt und verlieren danach auch den Bezug zur Partei. Die Leute in den migrantischen Communities sind bei ihrer Wahlentscheidung stark auf die jeweilige Person bezogen. Wenn die dann nicht ins Abgeordnetenhaus gelangt, weil andere bevorzugt werden, ist das natürlich keine Empfehlung für die Partei. Es ist ein Problem, wenn wir die Menschen benutzen, um Wählerstimmen zu gewinnen, im Endeffekt jedoch diejenigen Leute in die Parlamente setzen, von denen wir glauben, daß sie auf unserer Linie sind. Das sind meistens die Freunde, mit denen man jahrelang zusammengearbeitet hat, während neue Menschen nicht wirklich wahrgenommen werden.

SB: Gibt es vielleicht auch ideologische Probleme? So gelten etwa PalästinenserInnen auch in der Linken als potentiell antisemitisch und werden häufig ausgegrenzt. Könnten solche Motive eine Rolle dabei spielen, wenn linke PolitikerInnen den Eindruck haben, daß migrantischen KandidatInnen möglicherweise politisch unzuverlässig sind?

FK: Ich glaube, das spielt weniger eine Rolle, weil man die KandidatInnen aus diesen Communities eher schon von vornherein ausgrenzt (lacht). In Neukölln haben wir einen sehr guten Draht auch zur palästinensischen Community und gehen ein Stück weit anders damit um, aber mit dem Nahostkonflikt wird in allen Parteien so umgangen, daß, wenn man bei diesem Thema propalästinensisch argumentiert, sofort als antisemitisch bezeichnet wird. Aber ich glaube, das ist nicht ausschlaggebend für das Problem, das ich anspreche, das betrifft ja alle MigrantInnen. Die Linkspartei redet von Diversität, aber öffnet sich nicht wirklich. Ich sage immer, wir reden die ganze Zeit über Vielfalt, aber wieviel Vielfalt lassen wir eigentlich zu? Das ist das Problem.

SB: Hätte eine Linke mit internationalistischem Anspruch, der ja auch ein Klassenanspruch ist, nicht auch deshalb gute Gründe, mehr migrantische Menschen einzubeziehen, weil sie sozial in der Bundesrepublik eher zu den Benachteiligten gehören?

FK: Im Prinzip ja. Wenn wir von den Personen wegkommen, die sich zur Wahl stellen und nicht wirklich eine Chance haben, gewählt zu werden, im Prinzip nur ausgenutzt werden, um ihre Communities zu mobilisieren, um ihr Gesicht hinzuhalten, und über Themen sprechen wie kommunales Wahlrecht oder Neutralitätsgesetz, all diese Themen, bei denen es um Rassismus gegenüber Migranten geht, dann stellt man fest, daß diese nicht nur in der Linkspartei, sondern im Gesamtkomplex Parlamentarismus immer wieder übergangen werden. Man betrachtet sie als Nischenprodukte, die fallengelassen werden können, weil sie nur soundsoviele Wähler erreichen, im Austausch gegen andere Themen. Es geht im Prinzip gar nicht mehr um Wertvorstellungen, um das Inhaltliche, sondern es geht darum, daß ich - wie im Schachspiel - etwas opfern und dafür etwas anderes zugespielt bekommen kann. Das ist ein Problem, das Die Linke immer mehr betrifft, wogegen wir uns als internationalistische Linke und Bewegungslinke insbesondere wehren müssen.

SB: Fast zwölf Prozent der in Deutschland lebenden Erwachsenen dürfen bei der Bundestagswahl nicht wählen, weil sie keinen deutschen Paß haben.

FK: Es ist wichtig, daß die Menschen dort wählen können, wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben und nicht nach Nationalität. Junge Migranten, die eigentlich keinen Bezug zur Türkei haben, nehmen von hier aus an türkischen Wahlen teil, und die Leute regen sich auf, warum Erdogan hier so viele Stimmen bekommt. Die Leute haben häufig nur über ihren Urlaub, über die Feiertage, die sie dort verbringen, einen Bezug zu diesem Land und beeinflussen von hier aus die Politik dort, was ich im Prinzip nicht richtig finde. Es ist viel wichtiger, daß sie sich für die Politik hier interessieren. Selbst wenn sie in der Türkei etwas bewegen wollen, müssen sie sich mit deutscher Politik auseinandersetzen, etwa bei Waffenexporten in die Türkei oder beim Thema Genozid an den Armeniern. Auch wenn ich gut finde, was entschieden wurde, dann müssen doch diejenigen, die diese Entscheidung kritisieren, das in die hiesige Politik einbringen.

SB: Was wünscht du dir von der Bewegungslinken?

FK: Mein Wunsch an die Bewegungslinke ist, daß man diejenigen InternationalistInnen, die es innerhalb der Linkspartei gibt, auch zeigt und zu Wort kommen läßt. Eine kleine Idee, die ich habe, die aber noch nicht ausgereift ist, wäre beispielsweise neben einer geschlechterorientierten Redequotierung auch eine Redequotierung für Menschen mit Migrationshintergrund, damit man ihre Stimmen auch hört.

Ich hatte eben die ganze Zeit Sorge, aus Zeitgründen nicht mehr ans Mikrofon zu kommen, dann hätte nur eine Person mit Migrationshintergrund gesprochen, obwohl wir eine Stunde lang diskutiert haben. Mir war es gerade deshalb wichtig, dieses Problem anzusprechen, weil die wenigsten es direkt wahrnehmen. Es ist halt so, daß man es merkt, wenn man selbst betroffen ist, und dann ist die Wichtigkeit noch einmal eine ganz andere. Deshalb wollte ich das Thema auch in diese Versammlung hineintragen.

Es gibt natürlich auch Bewegungen innerhalb der Linken, in der mehr MigrantInnen vertreten sind. So haben wir die Gruppe LINKS*KANAX [2] gegründet, um unsere Themen erst einmal selbst in einem sicheren Raum zu diskutieren und sie dann in die verschiedenen Bewegungen hineinzutragen.

SB: Ferat, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:


[1] https://taz.de/Linke-Politiker-ueber-Anschlagsserie/!5640812/

[2] https://diefreiheitsliebe.de/politik/linkskanaks-gruendungsmanifest/?fbclid=IwAR2u1o3x6y-E6hiW5Nt54sVo8Y-RyJNalYra4fPjmuEdtFuFb3aLXnOkzeA


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17. Januar 2020


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