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ALTER/180: Selbstbestimmtes Alter (planet)


planet - ZEITUNG DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT # 59
Oktober-November 2009

Selbstbestimmtes Alter

Von Philipp-Stephan Schneider


Mitbestimmung bei der Planung. Erproben neuer Formen des Zusammenlebens. Schlagwörter mit denen bisher für alternative Wohnprojekte geworben wurde, künden von neuen Wohnformen für alte Menschen.


"Wir sind kein Kegelclub, wir wohnen zusammen!" Unter diesem Motto plant die Neue Heimat-GEWOG in Wien-Ottakring eine Wohnhausanlage, deren Konzept aus zwei Wohngruppen für "interessierte Personen in der zweiten Lebenshälfte" besteht. Für diese Menschen werden in der Anlage 20 Wohnungen reserviert. Frühzeitige Information der BewerberInnen und Mitbestimmung sollen für möglichst viel Wohnkomfort sorgen. Laut Wohnprospekt soll durch diese beiden Wohngruppen im Zusammenspiel mit den übrigen BewohnerInnen der Anlage für eine "attraktive generationenübergreifende Wohnanlage mit hohem Nachbarschaftsfaktor" entstehen.

Dies ist nur ein Beispiel von vielen Bauprojekten, die derzeit unter dem Übertitel "Generationenübergreifendes Wohnen" entstehen. In Wien-Donaustadt wird beispielsweise unter Beteiligung der Grünen Gemeinderätin Sabine Gretner ein weiteres Projekt ("Mühlgrund") geplant. (http://wien.gruene.at/stadtplanung)


Gemeinsames Wohnen

All diese Konzepte haben eines gemeinsam: Aktive Nachbarschaftshilfe ist nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich gewünscht, im Idealfall auch zwischen den einzelnen Generationen. Architektin Christiane Feuerstein weist im Gespräch mit planet daraufhin, dass ein wesentlicher Impulsgeber für solche Konzepte selbstorganisierte Wohnprojekte sind, die bis in die 1980er Jahre zurückgehen. Sie verstanden sich als soziale Experimente, in denen neue Formen des Zusammenlebens erprobt werden sollten.

Mit dem Verein B.R.O.T. (Beten - Reden - Offensein - Teilen) gab es eine derartige Initiative auch in Wien. Die Gemeinschaft der BewohnerInnen des Hauses in Wien-Hernals hat sich im Jahr 1985 zusammengefunden und bestand aus InteressentInnen, die über Anzeigen in der Kirchenzeitung oder Mundpropaganda zueinander fanden. 1990 wurde das Haus mit seinen 25 Wohneinheiten eröffnet. Laut Vereins-Website verfolgt die Gemeinschaft das "Ziel, auf der Basis christlicher Spiritualität, gemeinschaftliches Wohnen zu ermöglichen und dadurch auch soziale Dienste erbringen zu helfen".

Walter Oppl, Sprecher des Hauses Hernals, betont zudem den Fokus auf "einen passenden Generationenmix". Die älteste Bewohnerin ist knapp 90, der jüngste Mitte 20." InteressentInnen für einen Einzug präsentieren sich und stellen sich anschließend einer Wahl, bei der sie mindestens zwei Drittel der Stimmen der Gemeinschaft erhalten müssen. Durch diesen Prozess soll gewährleistet werden, dass sowohl etablierte BewohnerInnen als auch neue InteressentInnen wissen, worauf sie sich beim zukünftigen Zusammenwohnen einlassen. Neben dem Gefühl, dass im Haus jemand ist, "der auf einen schaut", wissen die älteren BewohnerInnen vor allem ihre Freiheiten zu schätzen. Eine Bewohnerin im Gespräch mit planet: "Jeder kann hier tun und lassen was man will, während im Altersheim meist eine strenge Ordnung einzuhalten ist."


Solidarisch Wohnen

Die Hausgemeinschaft achtet darauf, dass nach dem Auszug eines Mitglieds oder dem Freiwerden einer Wohneinheit jüngere Menschen nachfolgen. "Damit ein bisschen frischer Schwung ins Haus kommt", so Oppl. Nachbarschaftshilfe wird im B.R.O.T.-Haus groß geschrieben. "Wir hatten für eine frühere pflegebedürftige Mitbewohnerin auch mal ein Radl eingeführt, das dafür gesorgt hat, dass die Person über einen längeren Zeitraum mit Essen versorgt und die Wohnung sauber gehalten wurde."

Eine solche Art der Nachbarschaftshilfe ist allerdings nur bis zu einem gewissen Grad möglich, das weiß auch Oppl: "Irgendwann ging das natürlich nicht mehr und die Dame musste ins Heim. Wir können hier im Rahmen der Nachbarschaftshilfe schließlich keinen 24-Stunden Betreuungsdienst leisten und sind dafür auch nicht ausgebildet."

Aufgrund der guten Erfahrungen in Hernals errichtet die B.R.O.T.-Gemeinschaft derzeit ein zweites Haus in Kalksburg, dort sind 57 Wohneinheiten geplant. Projekte wie jenes in Kalksburg werden auch von der Wiener Stadtpolitik positiv aufgenommen. So freute sich Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig anlässlich der Grundsteinlegung darüber, dass "der Verein B.R.O.T. mit seinen ihm zugrunde liegenden Werten und durch modern gelebte Solidarität sozialen Zusammenhalt schafft." Freilich darf die Politik in diesem Zusammenhang nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden, für ausreichend soziale Leistungen zu sorgen.


Generationen Wohnen

So entstand in den vergangenen Jahren ein breites Spektrum an unterschiedlichen Konzepten, die zum selbstbestimmten Wohnen unterstützungsbedürftiger, nicht nur älterer Menschen beitragen.

Für die Zukunft wünscht sich Architektin Feuerstein eine verstärkte Integration solcher Konzepte in bestehende Siedlungen und Quartiere, die im Sinne eines intergenerativen Zusammenlebens die Interessen aller in einem Quartier lebenden Personen berücksichtigen.

Diese "generationenübergreifenden Quartiere" könnten je nach Bedürfnis der BewohnerInnen ergänzt und modernisiert werden. Dadurch wird den Menschen einerseits ermöglicht, ihre gewohnte Umgebung auch im Alter beibehalten zu können. Andererseits kann durch entsprechende Investitionen in die Infrastruktur und attraktive Freiräume dafür gesorgt werden, dass der "Bevölkerungsmix" stimmt. Moderationsplattformen via Internet könnten - falls von den BewohnerInnen gewünscht - für den notwendigen Erstkontakt zwischen den einzelnen BewohnerInnen sorgen.

Grundsätzlich gelte es jedoch, die einzelnen übergreifenden Wohnformen nicht gegeneinander auszuspielen. Für die Zukunft stellen sich dann ohnehin andere Fragen, denn soziale Zugehörigkeit, unterschiedliche Bildungsniveaus oder finanzieller Background spielen eine immer größere Rolle. Egal, ob im Kegelclub oder beim Wohnen.


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Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 59,
Oktober-November 2009, S.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2009