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ARBEIT/482: Brasilien - Staudammprojekt Jirau liegt lahm, Streiks für bessere Arbeitsbedingungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. März 2012

Brasilien: Staudammprojekt Jirau liegt lahm - Streiks für bessere Arbeitsbedingungen

von Mario Osava

Die Baustelle des Jirau-Wasserkraftwerks - Bild: © Mario Osava/IPS

Die Baustelle des Jirau-Wasserkraftwerks
Bild: © Mario Osava/IPS

Rio de Janeiro, 26. März (IPS) - Ein Jahr nach einem aufsehenerregenden Streik, der den Bau des Staudamms von Jirau in Brasilien unterbrach und Regierung sowie Unternehmen zu Verhandlungen über bessere Arbeitsbedingungen zwang, sind neue Proteste gegen das große Energieprojekt im Nordwesten des Landes im Gang.

Die rund 20.000 Arbeiter, die der Konzern 'Enesa Engenharia' auf der Baustelle eingesetzt hat, könnten demnächst alle in den Ausstand treten, nachdem 1.500 Kollegen am 8. März den Anfang gemacht haben.

Auslöser der Proteste war die Weigerung des Unternehmens, ein neues Abkommen zu unterzeichnen, das die Arbeitsbedingungen in der Bauindustrie verbessert. Die Übereinkunft, die neue Streiks verhindern soll, wurde von der Regierung, neun großen Baufirmen und sechs Gewerkschaften unterschrieben.

In dem Abkommen ist festgelegt, dass ständige Interessenvertreter der Beschäftigten vor Ort Verhandlungen mit den für die Bauprojekte Verantwortlichen führen können. Zudem sollen Gesundheits- und Sicherheitsausschüsse eingerichtet werden. Vorgeschrieben ist überdies, dass Arbeitskräfte nur über offizielle Kanäle angeworben werden dürfen. Damit soll skrupellosen Arbeitgebern das Handwerk gelegt werden.


Enesa will Beschäftigten nicht entgegenkommen

Enesa unterzeichnete das Abkommen jedoch nicht und ignorierte zudem die Beschwerden der Belegschaft in Jirau, die bessere Schlafstätten und Aufenthaltsbereiche forderte, wie der Vorsitzende der Gewerkschaft CONTICOM, Cláudio Gomes, erklärte.

"In jedem Schlafraum sind acht Leute untergebracht. Privatsphäre gibt es nicht", kritisierte Gomes. Besser sehe es dagegen bei Enesas Konkurrent 'Camargo Corrêa' aus. Der Gewerkschaftschef kam aus São Paulo nach Jirau, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Die Streikenden verlangen außerdem höhere Löhne und weitere Vergünstigungen.

Auch nachdem Arbeitsgerichte den Ausstand am 15. März für illegal erklärten, setzen die Arbeiter ihre Proteste fort. Die lokale Gewerkschaft wurde dazu verurteilt, für jeden weiteren Streiktag ein Bußgeld von 111.000 US-Dollar zu zahlen.

Laut Gomes sind die Spannungen auf der Jirau-Baustelle groß. Bislang seien die Aktionen aber friedlich geblieben, anders als die Proteste vor einem Jahr, als es zu gewaltsamen Ausschreitungen kam. Wütende Arbeiter setzten damals etwa 60 Busse und andere Fahrzeuge sowie Unterkünfte in Brand, in denen 16.000 Enesa-Beschäftigte untergebracht waren.

Als die Polizei mit Gewalt gegen die Streikenden vorging, brach ein Chaos aus. Tausende Arbeiter flohen ins 130 Kilometer entfernte Porto Velho, der Hauptstadt des im Amazonasgebiet liegenden Bundesstaates Rondônia. Dort kamen sie in einem Stadion unter.

Die Proteste führten damals auch dazu, dass der Bau des Staudamms von Santo Antônio am nahe von Porto Velho gelegenen Madeira-Fluss unterbrochen werden musste. Über Nacht verloren mehr als 40.000 Beschäftigte ihre Arbeit. Viele kehrten in ihre teils weit entfernten Heimatregionen zurück. Der Betrieb auf der Jirau-Baustelle wurde erst drei Monate später nach und nach wieder aufgenommen. Die Fertigstellung des Kraftwerks, die ursprünglich für März dieses Jahres geplant war, wurde daraufhin um neun Monate verschoben.

Die Krise 2011 veranlasste die Zentralregierung in Brasilia dazu, auf Verhandlungen zwischen Baufirmen und Gewerkschaften zu drängen. Damit soll nicht zuletzt die planmäßige Fertigstellung von Infrastrukturprojekten für die Fußballweltmeisterschaft 2014 gesichert werden.

In den vergangenen fünf Jahren bemühten sich die Gewerkschaften darum, Tarifverträge für das Baugewerbe auszuhandeln, um die prekären Zustände in dem Bereich zu beseitigen. Wie der CONTICOM-Generalsekretär Luiz Carlos Queiroz kritisierte, kamen von den Unternehmen jedoch keine Reaktionen.


Streiks auf mehreren Großbaustellen im vergangenen Jahr

Die Proteste in Jirau vor einem Jahr hätten zu ähnlichen Streikaktionen auf anderen Großbaustellen geführt, berichtete Queiroz. Erst dann sei es zu dem Dialog gekommen, der zu dem nationalen Abkommen geführt habe. "Wir haben die Einigung akzeptiert, die in unserer Reichweite lag. Nicht alle unserer Forderungen wurden jedoch erfüllt", sagte er.

Unter den neun Unternehmen, die das Abkommen unterzeichneten, sind auch zwei Firmen, die an den Projekten von Jirau und Santo Antônio beteiligt sind. Weiteren Unternehmen steht es offen, sich anzuschließen. Nach Angaben der brasilianischen Kammer für die Bauindustrie arbeiten in dem größten südamerikanischen Land 170 Firmen in dem Sektor.

Gewerkschaften beziffern die Zahl der Bauarbeiter, die sich im Laufe der letzten zehn Jahre verdreifacht hat, mit vier Millionen. Immerhin konnte Gomes feststellen, dass sich die Bedingungen mit der Zeit verbessert haben. Vor einem Jahrzehnt seien etwa 60 Prozent der Bauarbeiter im informellen Sektor rekrutiert worden, erklärte er. Dieser Anteil sei inzwischen auf höchstens 30 Prozent zurückgegangen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
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http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100362
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107102

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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2012