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ARBEIT/565: Noch mehr Daumenschrauben für Arbeitslose? (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 26 vom 27. Juni 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Noch mehr Daumenschrauben für Arbeitslose?
Arbeitslosengeld II soll reformiert werden

von Manfred Dietenberger



Die allermeisten Arbeitslosen gehen zum Jobcenter und beantragen staatliche Hilfe, weil sie anders einfach nicht über die Runden kommen. Sie machen es sich nicht einfach, denn der Gang dorthin kostet Überwindung und nicht selten auch ein Stück Würde. Hartz-IV-Empfänger sein, das bedeutet gesellschaftlich als Versager stigmatisiert zu werden: Deshalb müssen sie sich ständig beim Jobcenter melden, Bewerbungstrainings absolvieren - und praktisch jeden Job annehmen, der ihnen angeboten wird.

Wer nicht kuscht und macht, was von ihm verlangt wird, wird "sanktioniert". Arbeitsämter haben die Möglichkeit, Hartz-IV-Empfänger abzustrafen: sobald sie Termine versäumen, Schulungen "schwänzen" oder die Aufnahme einer "zumutbaren" Arbeit verweigern. Wer einmal nicht zum vereinbarten Termin erscheint, bekommt gleich zehn Prozent weniger Geld. Wer zum Beispiel eine schlecht bezahlte Leiharbeiter-Stelle nicht annimmt, wird mit noch drastischeren Kürzungen drangsaliert.

Seit 2007 sprachen die Ämter mehr als sechs Millionen dieser Strafen aus. In den allermeisten Fällen aber waren Meldeversäumnisse der "Grund". In den Jahren 2012 und 2013 kürzten Jobcenter Erwerbslosen und "Aufstockern" jeweils über eine Million Mal die existenzsichernden Leistungen. Die Sozialgesetzbücher (SGB) II und XII ermöglichen Sanktionen bis zu 100 Prozent, wenn Betroffene gegen amtliche Auflagen verstoßen.

Besonders schnell, besonders oft und besonders hart werden junge Arbeitslose unter 24 Jahren bestraft - so schreiben es die Hartz-Gesetze vor. Mehr als elf Prozent dieser Menschen wurden im vorigen Jahr sanktioniert, bei den älteren waren es "nur" 4,5 Prozent. So werden junge Menschen grundgesetzwidrig gezwungen, irgendeinen miesen Job anzunehmen, zum Beispiel als Leiharbeiter.

Allzu oft wird rechtswidrig sanktioniert, das belegen die gerade vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vorgelegten Zahlen: In über 43 Prozent aller bearbeiteten Klagen entschieden Sozialgerichte 2013 zugunsten der klagenden Betroffenen. In 2767 von 6367 Fällen mussten die Jobcenter verhängte Sanktionen ganz oder teilweise zurücknehmen. Rund 36,5 Prozent aller Widersprüche endeten mit einem vollständigen Sieg für die sanktionierten Kläger. So gaben die Jobcenterjuristen laut BMAS 21.128 von 61.498 Widersprüchen komplett und weiteren 1286 zum Teil statt. 35.349 Eingaben wiesen die Behörden zurück.

Harz-IV-Empfänger stehen also zu Unrecht am Pranger. Doch die Hatz auf sie geht weiter. Jüngst titelte die "Blöd"-Zeitung "Jetzt geht's den Schluffis an den Kragen", und meldete damit die geplante Verschärfung von Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger. In Zukunft solle schon der erste Regelverstoß mit einer Leistungskürzung beantwortet werden. Es werde nicht mehr unterschieden zwischen dem Versäumnis eines Meldetermins bei der Arbeitsagentur und dem Nichtantreten einer Arbeitsstelle. "Viele komplizierte Berechnungen der Einzelansprüche sollten durch die Möglichkeit der Pauschalierung vereinfacht werden." Die parlamentarische Opposition reagierte empört und Regierung und Bundesanstalt für Arbeit dementierten eifrig. Das Arbeitsministerium gab kund, Ziel der anstehenden Reform der Hartz-IV-Gesetzgebung sei es nicht, den Leistungsbezug restriktiver zu gestalten. Im Gegenteil, man wolle die Bürokratie reduzieren, damit die Sachbearbeiter in den Arbeitsagenturen wieder mehr Zeit hätten, um den Langzeitarbeitslosen zu helfen. "Festlegungen oder Beschlüsse liegen noch nicht vor, Ergebnisse werden im Herbst erwartet".

Längst hat man sich in diesem unserem Lande daran gewöhnt, dass Reformen keinen Fort- sondern Rückschritt bedeuten und ein Dementi - je heftiger vorgetragen, desto sicherer - eine regierungsamtliche Bestätigung ersetzen. Fakt ist: Schon seit November 2012 bastelt eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern, zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen lautlos an einer "Reform des Arbeitslosengeldes II", so der verharmlosende Titel. Im Herbst will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles dann entscheiden, welche vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt werden. Das Gesetzgebungsverfahren dazu werde noch 2014 beginnen, so das Ministerium. Dabei wird, soviel lehrt uns die Erfahrung, nichts Positives herauskommen.

Diese Art von "Reformen" gefällt allenfalls reaktionären, selbstgefälligen Stammtisch-Brüdern. Arbeitslosigkeit aber bekämpft man so nicht. Die Sanktionen sind die Knute, mit denen man Arbeitslose hierzulande schikaniert und Beschäftigten droht, um sie dahin zu bringen, dass sie sich mit den prekären Verhältnissen im realexistierenden Kapitalismus abfinden. Den Gefallen dürfen wir den Herrschenden nicht tun.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 26 vom 27. Juni 2014, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2014