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ARMUT/150: Philippinen - Müll zu Schulgeld, recycelbarer Abfall bildungsfördernd (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Dezember 2010

Philippinen: Müll zu Schulgeld - Recycelbarer Abfall erweist sich als bildungsfördernd

Von Kara Santos

Abzüge bei den Schulgebühren durch Müllsammeln - Bild: © Kara Santos/IPS

Abzüge bei den Schulgebühren durch Müllsammeln
Bild: © Kara Santos/IPS

Cavite, Philippines, 7. Dezember (IPS) - Die meisten Philippiner werfen Plastiktüten, Kabel und Verpackungsmaterialien einfach weg, ohne auf die Idee zu kommen, dass sich die Abfälle zu Geld machen lassen. Für viele Schüler vom Cavite-Institut in Silang südlich der Hauptstadt Manila haben sie sich als Freifahrschein aus der Armut herausgestellt.

Die Non-Profit-Schule hat ein Programm aufgelegt, das Mädchen und Jungen aus armen Verhältnissen erlaubt, ihre Schulgebühren in Form recycelbarer Abfälle zu zahlen. Es handelt sich um WISHCRAFT ('We Integrate Scholarship with the Collection of Recyclables and Frequently Generated Trash'), die Bildung und Umweltschutz voranbringen kann.

Arvee Rose Abayabay geht in die vierte Klasse der High School. Auch sie hat von WISHCRAFT profitiert. Ihre Mutter hält sich als Arbeitsmigrantin in Kuwait auf. Ihr Vater arbeitet für die Stadt.

"Für uns Schüler ist WISHCRAFT eine große finanzielle Hilfe, sagte Abayabay, die einen Abschluss in Krankenpflege oder Nahrungsmitteltechnologie anstrebt. Das Projekt trägt dazu bei, dass nicht nur wir Schüler, sondern auch unsere Eltern mitmachen, um möglichst viel Müll in Geld für unsere Bildung umzuwandeln und die Umwelt zu schützen."

Elin Mondejar hat WISHCRAFT für das Cavite-Institut entwickelt und erläutert, wie es funktioniert. "Alle Schüler, die recycelbare Abfälle mitbringen, erhalten eine Gutschrift, die als Mittel zur Zahlung der Schulgebühren anerkannt wird. Sie können die Credits verwenden oder Schulkameraden überlassen, die auf finanzielle staatliche Unterstützung angewiesen sind."


Zusammen an einem Strang

Schüler, Eltern, Lehrer und Einzelpersonen, die Schüler aus armen Elternhäusern helfen wollen, können die recycelbaren Abfälle wie Pappe, Papier, Plastik, Zeitungen und Glasflaschen zu einer in unmittelbarer Nähe der Schule gelegenen Sammelstelle [bringen], wo sie gewogen und erfasst werden.

Die Einrichtung arbeitet mit einem Vertragspartner zusammen, der die sortierten Abfälle weiterverkauft und das Geld dann an die Schule zurücküberweist, wo es als Zahlungsmittel für die Schulgebühren gutgeschrieben wird.

Im Durchschnitt fallen für jeden Schüler jedes Jahr im Durchschnitt Gebühren in Höhe von 30.000 Peso (umgerechnet 680 US-Dollar) an. Den Schulbehörden zufolge kamen 40 bis 50 Prozent der Schüler in den Genuss solcher Gutschriften, die sich in Preisnachlässen bis zu 25 Prozent niederschlugen.

Die Preise für die Werkstoffe fallen unterschiedlich aus. Kupferdraht erzielt umgerechnet 3,4 US-Dollar die Tonne, während Altpapier für 13 Cent das Kilo gehandelt wird. Wie die Schulleiterin Corrine Realica berichtet, werden die Wertstoffe von den Schülern und Lehrern getrennt und gereinigt und dann bei der Sammelstelle abgegeben.

"Während Schüler und Eltern meist ihren eigenen Müll anschleppen, lassen einige Familien den Abfall von Freunden und Verwanden zu selbst organisierten Sammelstellen liefern. Die daraus erzielten Einnahmen sind ebenfalls zur Verrechnung der Schulgebühren bestimmt", erzählt Realica. "Selbst Lehrer, die keine eigenen Kinder an der Schule haben, machen mit."


Hilfe von der Wirtschaft

Zwei Heranwachsende sind völlig vom Schulgeld befreit. Sie profitieren von den Erlösen, die ihnen der recycelte Müll des transnationalen Mischwarenkonzerns Unilever für ihre Teilnahme am Sonderschulunterricht überlassen hat. Das Schulgeld für die Integrationskinder kostet jährlich stolze 1.140 Dollar. Einen solchen Betrag können sich sozial schwach gestellte Familien in einem Land, in dem 44 Prozent der mehr als 40 Millionen Philippiner von täglich unter einem Dollar leben, nicht leisten.


Zahl der Schulabbrecher gestiegen

Aus einer gemeinsamen Untersuchung des Weltkinderhilfswerks UNICEF und des regierungsunabhängigen Philippinischen Instituts für Entwicklungsstudien (PIDS) geht hervor, dass [sich] die Zahl der Kinder zwischen sechs und 16 Jahren, die nicht zur Schule gehen, von 1,8 Millionen 2002 auf 2,2 Millionen 2007 hochgeschraubt hat. Die hohen Schulgebühren hatten an dieser Fehlentwicklung einen Anteil.

Das WISHCRAFT-Programm, das 2002 als Pilotvorhaben getestet und zwei Jahre später gestartet wurde, gilt als ein Paradebeispiel dafür, das sich Innovation, Kosteneffektivität und Partnerschaften lohnen. Es wird bereits in anderen Teilen des Landes kopiert.

So verfährt eine landwirtschaftliche Schule nach dem gleichen Müll-zu-Geld-Konzept, um die Lehrergehälter zahlen zu können. In einer weiteren öffentlichen gebührenfreien Schule werden mit den Einnahmen durch den Verkauf recyclebarer Materialien die Klassenzimmer ausgestattet. Eine Gruppe ehemaliger Schüler eröffnete ein Theater, das recycelbare Abfälle als Zahlungsmittel annimmt.


"Viel Geld im Müll"

"Es steckt viel Geld im Müll, und die die Möglichkeiten sind schier endlos", sagt Mondejar. "Und das Gute ist: Schüler betrachten die Abfälle in einem ganz anderen Licht." Das gilt auch für die Jungen und Mädchen, die sich für den Hochbegabtenunterricht an Cavite-Institut qualifiziert haben. In diesen Klassen sitzen 25 bis 30 Schüler, in allen übrigen hingegen bis zu 60.

Die Zahl der Schüler, die von einem Voll- oder Teil-WISHCRAFT-Stipendium profitierten, ist von 48 2002-2003 auf inzwischen 500 angestiegen. Dass das Programm zudem zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hat, nimmt sich auch für die Umweltbilanz recht positiv aus. "Bis heute wurden mehr als 300 Tonnen Abfall gesammelt, die sonst in den Flüssen, Kanälen und Straßen verschwunden wären", so die Expertin Mondejar. "Sie wurden einer eindeutig besseren Sache zugeführt: der Bildung." (Ende/IPS/kb/2010)


Link:
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=53780


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2010