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ARMUT/163: Indien - Bauern in den Selbstmord gedrängt, Reformen ineffizient (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Dezember 2011

Indien: Bauern in den Selbstmord gedrängt - Reformen ineffizient

von K. S. Harikrishnan


Thiruvananthapuram, Indien, 21. Dezember (IPS) - Vor fünf Jahren baute Pulparambil Varghese erstmals Ingwer an. Er besaß einen halben Hektar Land in Thrikkeppatta, einem kleinen Dorf im Wayanad-Distrikt im südindischen Bundesstaat Kerala. Um sich das Saatgut leisten zu können, lieh er sich über die Jahre insgesamt 300.000 indische Rupien (5.700 US-Dollar) von Banken und privaten Gläubigern. Weil er weder die vereinbarten Raten einhalten noch die Zinsen zurückzahlen konnte, nahm sich der 48-Jährige das Leben.

Damit ist Varghese einer von sechs Kleinbauern, die sich in diesem Jahr im Wayanad-Distrikt umgebracht haben. Im gesamten Bundesstaat Kerala wurden allein im Monat November 13 Selbstmorde von Bauern gezählt. Das ist insbesondere deshalb ungewöhnlich, weil Kerala im sogenannten Index für menschliche Entwicklung landesweit die besten Werte erzielt: Die Analphabetenrate ist gering, der Privatkonsum hoch und die Gesundheitssysteme sind gut ausgebaut.

Doch die Mehrheit der Bevölkerung in Kerala und insbesondere im Wayanad-Distrikt lebt von der Landwirtschaft - was seit dem Jahr 2000 allerdings immer schwieriger geworden ist. Zum einen sind die Preise für Kaffee und Pfeffer in den letzten zehn Jahren auf den internationalen Märkten gesunken, zum anderen litten die lokalen Bauern immer wieder unter Missernten. Viele Bauern schwenkten daher auf Ingwer und Bananen um, doch auch die Preise für diese Produkte sind stetig zurückgegangen.


Bis zu 200.000 Selbstmorde

Die Zahlen, wie viele Bauern in den vergangenen Jahren Selbstmord begangen haben, schwanken stark zwischen rund 2.000 und 200.000 in den Jahren 1997 bis 2000. Einer Studie des Madras-Instituts für Entwicklungsforschung in Chennai zufolge, die die Suizidrate unter Bauern untersucht hat, brachten sich von 1997 bis 2006 rund 165.000 Bauern um. Die meisten Selbstmorde werden in Wayanad verzeichnet.

Als Problem hat S. Mohanakumar, Professor am Institut für Entwicklungsforschung in Jaipur, die große Differenz zwischen eingesetztem Kapital und Output ausgemacht. "Die Preise, die für Agrarprodukte erzielt werden, sinken immer weiter, während die Ausgaben für Düngemittel steigen."

Mittlerweile ist auch die Politik aufgeschreckt. Am 16. November verkündete Oommen Chandy, Regierungschef des Bundesstaats Kerala, ein einjähriges Moratorium auf alle Kreditraten, die lokale Bauern an den Staat zu entrichten haben. Er gab an, die Regierung wolle auch die Rolle der privaten Gläubiger untersuchen.

Viele Bauern müssen auf private Gläubiger zurückgreifen, weil die Banken nicht gewillt sind, den finanzschwachen Kleinbauern weitere Kredite zu geben. Die Zinsen sind bei privaten Kreditgebern allerdings wesentlich höher als bei staatlichen Institutionen und größeren Banken, was die finanziellen Schwierigkeiten der Bauern noch vergrößert.


Zentralregierung greift ein

Die Zentralregierung Indiens hat bereits Maßnahmen ergriffen. Das sogenannte 'Vidharbha-Paket' soll kleine Bauern in den Regionen unterstützen, in denen die Selbstmordrate besonders hoch ist. Benannt ist das Paket nach der Vidharbha-Region im westindischen Bundesstaat Maharashtra, auch hier haben sich in den vergangenen Jahren viele Bauern das Leben genommen. Die Regierung von Kerala beantragte Mittel aus dem Paket für die Distrikte Wayanad, Idukki und Palakkadu.

Als Lösung aus der Armutsspirale fordert der Generalsekretär des lokalen Bauernverbands 'All India Kisan Sabha' der Kommunistischen Partei, Satyan Mokeri, den Hinterbliebenen der verstorbenen Bauern einen finanziellen Ausgleich zu zahlen. Darüber hinaus sollten die Entschuldungsprogramme ausgeweitet werden und armen Bauern staatliche Kredite mit niedrigen Zinssätzen gewährt werden.

Ein großes Problem sei allerdings die laxe Implementierung der Regierungsprogramme, kritisieren Bauern-Vereinigungen. Ineffizienz im Verwaltungsapparat sorge häufig dafür, dass die Programme nicht oder schlecht umgesetzt werden. Auch sind die Zuständigkeiten der Behörden oft ungeklärt, und so streiten sich die Beamten um Verantwortlichkeiten, statt die Programme in die Praxis umzusetzen. (Ende/IPS/jt/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2011