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ARMUT/239: Steigende Armut in Deutschland - Alleinerziehende und kinderreiche Familien besonders betroffen (idw)


GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften - 28.06.2017

Steigende Armut in Deutschland: Alleinerziehende und kinderreiche Familien besonders betroffen


Die steigende Armut in Deutschland ist Thema zahlreicher Sozialberichte. Ursachen und zeitliche Entwicklung dieser Tatsache werden jedoch nur selten thematisiert. In ihrer neu erschienenen Studie untersucht Mara Boehle, wie sich das Phänomen Armut langfristig verändert hat und wie sich sein Anstieg seit den 1970er Jahren erklären lässt.

Deutschland gehört als Industrienation zu den wohlhabendsten Ländern der Welt. Dennoch haben Einkommensungleichheit und Armut seit den 1970er Jahren zugenommen. Waren früher größtenteils ältere Menschen betroffen, leben heutzutage insbesondere Alleinerziehende und kinderreiche Familien nahe der Armutsgrenze.

Mara Boehle hat sich systematisch mit den Ursachen der Armutsentwicklung in Deutschland beschäftigt. In ihrer gerade erschienenen Dissertation "Ursachen und Wandel familialer Armut in Westdeutschland, 1962-2009. Eine theoretische und empirische Analyse" legt sie den Fokus zum einen auf die Frage, ob sich Armut langfristig verändert und die Armut in Familien in Deutschland tatsächlich kontinuierlich zunimmt. Zum anderen untersuchte sie die zeitliche Variation familialer Armut, insbesondere deren Anstieg seit den 1970er Jahren. Zur Beantwortung ihrer Forschungsfragen entwickelte Frau Boehle ein theoretisches Modell und führte eine Mehrebenenanalyse durch. Die Datengrundlage bildeten die in der Armutsforschung bisher ungenutzten Mikrozensusdaten aus dem Zeitraum 1962 bis 2009. Diese untersuchte Mara Boehle bereits während ihrer Arbeit am DFG-Projekt "Ursachen und Wandel familialer Armut in Deutschland, 1962 bis 2009. Eine theoretische und empirische Analyse" am GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.

Boehle stellt fest, dass die familiale Armut in Deutschland nicht kontinuierlich, sondern in Phasen ansteigt. Diese Phasen lassen sich entlang wichtiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ereignisse wie dem Wirtschaftswachstum, der Ölpreiskrise 1973 und der Einführung von Hartz IV verorten. So sorgte das Wirtschaftswachstum nach 1962 zunächst für einen Rückgang der Armut. Im Zuge der Ölpreiskrise stieg sie jedoch erneut an. Die Regelungen des "familialistischen westdeutschen Sozialstaates", die eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschwerten, erklären besonders den Armutsanstieg bei Alleinerziehenden seit 1970. Familiennachzüge im Migrationsprozess und die generell angestiegene Arbeitslosigkeit hatten wiederum Einfluss auf die Zunahme der Armut von Paarfamilien.

Zwischen 1985 und 1995 stagnierte das Phänomen der Armut auf hohem Niveau. Diese Entwicklung steht im Zusammenhang mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit nicht familiär eingebundener Personen, die Familien im Vergleich schlechter abschneiden ließ. Auch hob der Einfluss einkommensstarker kinderloser Paarhaushalte das mittlere Einkommen der Bevölkerung, das die Basis zur Berechnung relativer Einkommensarmut bildet, an. Erst mit der Verdopplung des Kindergeldes 1995 kam es zu einem erheblichen Rückgang familialer Armut. Für Alleinerziehende waren außerdem der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur und die daraus hervorgehende bessere Vereinbarkeit von Elternschaft und Erwerbsarbeit entscheidende Faktoren zur Minderung des Armutsrisikos.

Seit 2006 ist ein Wiederanstieg der Armut erkennbar, der insbesondere bei Alleinerziehenden steil verläuft. Boehle spricht in diesem Zusammenhang von einem Hartz IV-Effekt.



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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, Sophie Zervos, 28.06.2017
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2017

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