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FRAUEN/317: USA - Gewalt gegen indigene Frauen, Gesetze allein können Problem nicht lösen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juli 2011

USA: Gravierende Gewalt gegen indigene Frauen - Gesetze allein können Problem nicht lösen

Von Kanya D'Almeida


Washington, 29. Juli (IPS) - Juana Majel Dixon, die Erste Vizepräsidentin des 'National Congress of American Indians', hat die Situation US-amerikanischer Ureinwohnerinnen unlängst auf den Punkt gebracht: "Junge Frauen in den Reservationen leben ihr Leben mit der Aussicht, irgendwann einmal vergewaltigt zu werden", berichtete sie. "Wir sollten nicht zu einem solchen Leben verurteilt sein."

Die Gefahr, der viele indigene Frauen in den USA und Alaska ausgesetzt sind, haben Wissenschaftler in Zahlen gefasst. Nach Erkenntnissen des 'Indian Law Resource Center' wird jede dritte US-amerikanische Indigene mindestens einmal in ihrem Leben vergewaltigt, jede sechste Opfer innerfamiliärer Gewalt.

Dem 'National Sexual Violence Resource Center' (NSVRC) zufolge sind US-Ureinwohnerinnen um das 3,5-Fache missbrauchsgefährdeter als ihre Geschlechtsgenossinnen anderer Bevölkerungsgruppen. Fast 65 Prozent aller indigenen Frauen, die im Rahmen der 'National Violence Against Women Survey' (NVAWS) befragt worden waren, gaben an, schon mindestens einmal vergewaltigt oder misshandelt worden zu sein.

Lange Zeit hatten sich nur einige wenige Gemeindeorganisationen mit dem Gewaltproblem in den US-Reservationen befasst. Doch jetzt scheint sich auch die Bundesregierung des Problems bewusst zu werden und bereit zu sein, Abhilfe zu schaffen. So erklärte Thomas Perrelli, Vizegeneralstaatsanwalt beim US-amerikanischen Justizministerium, das Weiße Haus und seine Partnerinstitutionen führten bereits Gespräche mit Vertretern der verschiedenen Volksgruppen, um einen größeren Schutz der indigenen Frauen zu erreichen. In einigen Gemeinschaften habe die häusliche Gewalt ein epidemisches Ausmaß angenommen und müsse dringend angegangen werden, hieß es.


Mandat der Indigenen-Gerichte zu eng gefasst

Vertreter der verschiedenen Ethnien prangern seit Jahrzehnten den geringen rechtlichen Spielraum der indigenen Behörden an, sexuelle Gewalt und Misshandlung in den indigenen Gebieten zu ahnden und die Gewalt in den Reservationen einzudämmen. Nach geltendem Recht sind die Ureinwohnerbehörden nicht befugt, Übergriffe von 'Weißen' zu ahnden.

Das vor einem Jahr eingeführte Gesetz 'Tribal Law and Order Act' erlaubt den Ureinwohnergerichten zwar, indigene Straftäter zu ein bis drei Jahren Gefängnis zu verurteilen. Doch nach wie vor ist es ihnen nicht gestattet, Nicht-Indigene hinter Gitter zu bringen, selbst wenn die Betreffenden in der Reservation leben, Teil der Gemeinschaft oder mit einer Ureinwohnerin verheiratet sind.

Dass die Hälfte der US-Indianerinnen mit Nicht-Indigenen verheiratet sind, stelle die indigenen Gerichte vor eine immense Herausforderung, sagte Kimberly Teehee, Beraterin für ethnische Angelegenheiten im Weißen Haus.

Gegenwärtig verhandelt der Kongress ein Gesetz, das die bestehenden rechtlichen Schlupflöcher schließen soll. Dazu gehört auch, dass die Ureinwohnergerichte künftig sämtliche Übergriffe auf indigene Frauen, ob nun von Ureinwohnern oder 'Weißen' begangen, strafrechtlich verfolgen dürfen. Auch soll das Strafmaß für schwere Fälle innerfamiliärer Gewalt verschärft werden.

Doch viele Experten sehen die Eskalation der innerfamiliären Gewalt in den indigenen Reservationen als Problem, das auf unterschiedlichen Ebenen bekämpft werden muss. "Das Rechtssystem ist lediglich eine Komponente und hilft nur denjenigen Frauen, die es auch tatsächlich in Anspruch nehmen", meint dazu Monika Johnson Hostler von der 'National Alliance to End Sexual Violence'. Nur allzu oft sei das nicht der Fall.

Johnson Hostler zufolge kommt deshalb der Gewaltprävention eine besondere Bedeutung zu. Auch seien finanzielle Mittel für die Behandlung der Opfer nötig. "Es kommt häufig vor, dass indigene Gewaltopfer noch nicht einmal lebensrettende medizinische Leistungen in Anspruch nehmen können", berichtet sie. "Auch deshalb ist es wichtig, die indigenen Koalitionen und Hilfsprogramme für die Opfer in Ureinwohnergebieten stärker als bisher finanziell zu unterstützen."


Rückbesinnung auf vorkoloniale Werte

Ein weiteres Hindernis auf dem mühseligen Weg, indigenen Gewaltopfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, liegt nach Ansicht von Lucy Simpson, der Geschäftsführerin des 'National Indigenous Women's Resource Center', daran, dass die Gewalt in den indigenen Reservationen nicht in einen historischen Zusammenhang gestellt wird.

"Die Kolonisierung ist eine Ursache für die Übergriffe auf indigene Frauen", erläutert sie. "Um die Gewalt zu unterbinden, müssen wir uns mit der Kolonisierung und ihren Auswirkungen auseinandersetzen. Wir müssen uns auf die indigene Kultur und Tradition besinnen, die die traditionelle Wertschätzung der Frauen innerhalb unserer Gesellschaften wiederherstellt. Darüber hinaus ist es wichtig, Armut und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, die jeden Ausstieg aus der Gewaltspirale unmöglich machen."

"Auch die Internatsbildung, die Ureinwohnerkinder ihrer eigenen Kultur entfremden, ist als Faktor zu berücksichtigen"; meint Hostler gegenüber IPS und fügt hinzu: "Medien und die Art ihrer Berichterstattung könnten eine entscheidende Rolle spielen, um den gesellschaftlichen Umgang mit den Frauen wirklich zu ändern." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.indianlaw.org/
http://www.nsvrc.org/
http://www.whitehouse.gov/blog/2010/07/29/tribal-law-and-order-act-2010-a-step-forward-native-women
http://www.ncai.org/
http://naesv.org/
http://www.futureswithoutviolence.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56616

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. Juli 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2011