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FRAUEN/319: Nicaragua - Dem Machismo eins auswischen (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 116, 2/11

Dem Machismo eins auswischen
Mit Radio und Fußball den Wandel herbeiführen -
Ein Interview mit der nicaraguanischen Aktivistin Yamileth Chavarría


In einem abgelegenen Ort der nicaraguanischen Autonomen Atlantikregion, in Bocana de Paivas, engagiert sich ein Frauenhaus(1) in Sachen Medien, Kommunikation und - schlussendlich - in Sachen Sport. Mit einer Radiostation arbeiten die Frauen an einem gerechten und friedvollen Alltag in einem ländlichen Umfeld, in dem die strukturelle und soziale Gewalt gegen Frauen enorm ist. Welche Rolle dabei der Fußball und die Sportreportage junger Radioredakteurinnen spielen kann, darüber sprach Helga Neumayer mit Fußballpräsidentin und Radiomacherin Yamileth Chavarría(2).


FRAUENSOLIDARITÄT: Wie kam es zu der Idee, mit Fußball ein Instrument gegen Gewalt zu schaffen?

YAMILETH CHAVARRíA: Nun, du musst dir vorstellen, wir leben in einer sehr abgeschiedenen Region, und den Menschen ist alles recht, was die Eintönigkeit des Alltags durchbricht. Aber gleichzeitig können sie dabei ja auch etwas lernen. Wir haben 2010 ein Abkommen mit einer Mittelschule getroffen und haben dort jetzt fünf Frauenmannschaften mit Spielerinnen zwischen 13 und 17 Jahren, die unter der Schirmherrschaft des Frauenhauses und dem Motto "Un gol contra el machismo" (Ein Tor gegen den Machismo) spielen. Sie werden im Rahmen einer Kampagne gegen Gewalt mit Workshops und Gesprächen begleitet. Auf den Spielerinnentrikots steht das Motto der Kampagne. Das Endspiel 2010 war sehr spannend, denn die Mittelschule hat auch ein Team von Burschenmannschaften, und die haben zum Abschluss auch mit den Trikots unserer Kampagne gespielt.

FRAUENSOLIDARITÄT: Wie schaut das in der Praxis aus?

YAMILETH CHAVARRíA: Also bei den Spielen verwenden wir ausgewählte Musik und verkaufen Essen. Wir haben auch spezielle Slogans, wie z. B. "Ser machista da vergüenza!" (Machist zu sein ist eine Schande!) So fordern die Mädchen und Burschen auch andere auf, ihre diskriminierenden Einstellungen abzulegen. Und dann machen wir auch Übertragungen der Matches in unserem Radio "Palabra de mujer" (Frau am Wort). Wir erzeugen eben eine spezielle Atmosphäre, eine Atmosphäre des Wandels.

Es ist gut, die Mädchen zu animieren und ihnen zu zeigen, dass frau etwas ändern kann. Dass sie sich selbst ihr Bild gestalten können und nicht alles den Männern überlassen müssen. Und wir haben die Mädchen dazu gebracht, mit den Burschen zu verhandeln, denn es gibt nur zwei Fußballplätze, und dort spielen jetzt eben mal die Burschen und dann wieder die Mädchen.

Spielsaison ist der Winter, da regnet es, und alles ist voller Schlamm. Das macht es lustiger. Die zweite Runde "Un gol contra el machismo" wird im heurigen August beginnen und mit dem Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen am 25. November enden. Der Kern der Sache ist, die Eintönigkeit des Alltags zu durchbrechen und einen Wandel herbeizuführen.

FRAUENSOLIDARITÄT: Ich wusste zwar, dass du eine Radiokollegin bist, aber nicht, dass ich es auch mit einer Fußballpräsidentin zu tun habe ...

YAMILETH CHAVARRíA: Nun, wenn es um die Besetzung der Ämter von Fußballvereinigungen geht, dann sind es immer Männer, die diese Posten besetzen. Sich dort durchzusetzen ist nicht leicht, denn die Sportligen führen einen speziellen Diskurs. Es geht dabei um das Haushaltsbudget einer Region. Wir suchen zwar Schirmherrschaft, wo wir können, um Bälle und die Ausstattung, wie Trikots und Schuhe, zu kaufen. Und wir sparen, wo wir können, z. B. teilen sich zwei Mädchen ein paar Schuhe. Aber es ist nie genug. Es bleiben immer ein paar Mädchen über, die barfuß spielen müssen. Das beunruhigt uns natürlich, denn sie könnten sich die Füße ruinieren.

Wir mussten uns zu Beginn offiziell als Liga in Bluefields (Hauptstadt der Autonomen Region Atlántico Sur, Anm.) eintragen, und da haben mich die Spielerinnen selbst als Präsidentin gewählt. Und nun schauen wir, wie die Kampagne vorankommt.

FRAUENSOLIDARITÄT: Spielt die Präsidentin selbst mit?

YAMILETH CHAVARRíA: Die schaut nur zu ... (lacht).

FRAUENSOLIDARITÄT: Wer sind die Spielerinnen? Und wie ist die Dynamik?

YAMILETH CHAVARRíA: Ursprünglich sollten es die verschiedenen Jahrgänge der Mittelschule sein, die gegeneinander spielen. Hat aber ein Jahrgang nicht genug Spielerinnen, so wird das Team mit Mädchen aus dem Dorf "aufgefüllt": junge Frauen, die nicht zur Schule gehen oder aus dem Bildungssystem rausgefallen sind. Es gibt auch ein paar junge Mütter mit Kindern, die ebenfalls mitmachen wollten. Denen kannst du nicht sagen, sie dürfen nicht mitspielen. Genau da wird aber die Sache interessant. Denn es gibt jetzt schon 75 Mädchen. Und es werden immer mehr Teams. Aber das stellt ein Problem dar, denn woher das Geld nehmen?! Die Mädchen und ihre Familien selbst haben nicht das Geld, um die Sportausstattung des Teams zu finanzieren. Wir haben auch keine Mittel für professionelle TrainerInnen, abgesehen davon sind wir ein sehr abgelegener Ort. Wir arbeiten also mit jugendlichen TrainerInnen, die schon Spielerfahrung haben. Die Mädchen lernen recht schnell, das selbst zu machen. Sie stellen die internen Regeln auf. Da ist der Respekt zwischen den Frauen und die Praxis der Schwesterlichkeit. Denn das haben wir nie gelernt, und oft sind es die Frauen, die sich gegenseitig zerstören. Schwesterlichkeit ist eine Regel. Und Fairplay. Also wenn sich eine verletzt oder am Feld etwas passiert, so wird das Spiel abgebrochen, und die Spielerinnen kommen der Verletzten zu Hilfe. Es geht auch um Sprache: es sollen keine verletzenden Worte fallen, die die Gegenmannschaft beleidigen, denn es handelt sich um ein Spiel. Wir haben 20 Regeln, um für die Mädchen ein sicheres Umfeld zu schaffen, aber auch eine Atmosphäre des Wandels.

FRAUENSOLIDARITÄT: Wie kommen Radio und Sport zusammen? Eure Radiofigur "La bruja" (die Hexe) klagt ja direkt und namentlich Gewalttäter an ...

YAMILETH CHAVARRíA: Unter den Spielerinnen gibt es Berichterstatterinnen, und sie selbst produzieren die Berichte über den Spielestand, über die wichtigsten Spielerinnen, wie die Atmosphäre war und ob es viele ZuschauerInnen gab. Es ist ihr Hobby, denn in den Gemeinden gibt es sonst nur Alltagsroutine. Die Spiele finden einmal wöchentlich statt, und im Hinblick auf das Wochenendspiel hat jede eine Meinung. Und dazu nutzen sie natürlich das Radio. Wir haben die Kampagne "Un gol contra el machismo" initiiert, aber getragen wird sie von den Jugendlichen selbst.

Wir sind ja ein Ort, wo jede(r) jede(n) kennt. Diejenigen, die Radio machen wollen, geben den Radiokolleginnen Bescheid, dass sie dabei sein wollen. So beginnt der Lernprozess. Das ist vielleicht keine professionelle Berufsausbildung, aber wir wissen, wie Radio gemacht wird.

Bevor sie Radio machen lernen, gibt es eine praktische Einführung in die Menschenrechte. Und ein Punkt bei der Einhaltung der Menschenrechte ist der Respekt vor der Würde des Menschen. Die Zusammenarbeit im Radio funktioniert über Schwesterlichkeit, denn uns Frauen wurde zeitlebens eingebläut, Feindinnen zu sein. Und stattdessen wollen wir uns als Freundinnen und Kolleginnen sehen. Das geschieht durch die Musik und den gegenseitigen Beistand. Das ist wichtig, wir Feministinnen wollen ja Vorschriften meist niederstoßen.

Aber ein wichtiger Punkt bei der Einhaltung der Menschenrechte ist der Respekt der Würde jedes Menschen, aller Menschen. Daran darf es nicht fehlen. Und wenn jemand ein Verbrechen begeht, dann dürfen wir das auch nicht schweigend hinnehmen. Und diese Verantwortung existiert im Falle der "bruja". Denn man muss schon mit Sicherheit sagen können, ob eine Person einen Irrtum begangen hat. Nur um des Anklagens willen tun wir das nicht. Es handelt sich auch nicht um einen Krieg gegen die Männer. Es geht darum, Haltungen, Handlungen und schlechte Gewohnheiten zu ändern.

FRAUENSOLIDARITÄT: Gibt es ein sportliches Ziel für die Zukunft?

YAMILETH CHAVARRíA: Naja, die Mädchen sagen, sie wollen es bis zum zentralamerikanischen Finale schaffen ... Aber du kannst dir ja vorstellen, es hängt alles von den Mitteln ab.

FRAUENSOLIDARITÄT: Alles Gute für die Vorhaben!



Anmerkungen:

(1) Das Frauenhaus in Bicana de Paiwas wird aus Mitteln des Familienfasttages der kfbö (Katholische Frauenbewegung Österreichs) unterstützt.

(2) Im März und April befand sich Yamileth Chavarría auf Einladung von Welthaus Österreich gemeinsam mit der nicaraguanischen Dichterin und Aktivistin Jolanda Rossmann auf Österreichtournee.


Hörtipp:

Palabra de mujer - Frauen am Wort. "Women on Air" Helga Neumayer im Studio-Live-Gespräch mit nicaraguanischen Radiomacherinnen vom 5. April 2010. Jederzeit nachhörbar auf: www.noso.at


Übersetzung aus dem Spanischen: Helga Neumayer


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 116, 2/2011, S. 16-17
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2011