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FRAUEN/348: Israel - Frauen bieten ultraorthodoxen Haredim die Stirn, Recht auf öffentliche Präsenz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. November 2011

Israel: Frauen bieten ultraorthodoxen Haredim die Stirn - Recht auf öffentliche Präsenz

von Pierre Klochendler


Jerusalem, 22. November (IPS) - In Israels Hauptstadt Jerusalem, die drei Weltregionen als Heilige Stadt bezeichnen, bietet eine Handvoll couragierter Frauen der einflussreichen, ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde der Haredim ('Die vor Gott zittern') die Stirn. Sie wehren sich dagegen, dass Plakatwerbung mit Frauen aus Jerusalem verbannt wurde. Über Facebook riefen sie ihre Geschlechtsgenossinnen auf, für ihr Recht auf Präsenz im öffentlichen Raum zu demonstrieren und an ihren Balkonen Poster mit eigenem Konterfei aufzuhängen.

Hunderte Frauen folgten dem Aufruf und protestierten singend gegen die Ausgrenzung von Frauen. "Wenn niemand dagegen vorgeht, machen sie weiter, bis es für eine Umkehr zu spät ist", erklärte eine Demonstrantin.

Jerusalems Behörden beugen sich den Moralkriterien der jüdischen Ultras und haben sogar die jüngste Plakatwerbung, auf der das prominente israelische Model Bar Rafaeli für die Wintermode der israelischen Marke Fox posiert, nur außerhalb der Stadtgrenzen genehmigt.


Von Plakaten weggeext

Als das Nationale Transplantationszentrum (ADI) vor zwei Wochen in Jerusalems Bussen mit einem Plakat für Organspenden warb, auf dem Frauen und Männer ihren Spenderpass in die Kamera hielten, ließ die verantwortliche Werbefirma 'Canaan' auf Druck der Haredim-Gemeinde die Gesichter der Frauen entfernen und ersetzte sie durch Männerportraits. Canaan-Sprecher Ohad Gibli rechtfertigte die Selbstzensur. "Uns ging es schließlich darum, möglichst viele neue, lebensrettende Organspenderpässe auszustellen."

"Auf den Fotos waren weder nackte Schultern noch andere mögliche Provokationen zu sehen. Doch man hatte uns gewarnt, dass Busse brennen könnten", berichtete ADI-Sprecherin Dvova Sherer. Während einer ähnlichen Organspendekampagne vor vier Jahren, bei der mit einer Spenderin und ihrem Säugling geworben wurde, war ein Bus abgefackelt worden.

"Das Auftreten von Frauen ist von Natur aus anstößig", +++kommentier[t]e ein auf Anonymität bestehender Rabbi die Haltung der Haredim. "Wir wollen Frauen keineswegs unterdrücken, sondern ihre Ehre und Würde schützen", rechtfertigte er die religiös begründete moralische Zwangsjacke seiner Gemeinde.

Idit Karni, eine der Organisatorinnen des Frauenprotestes, widersprach: "Ich bin zwar gegen die billige Ausbeutung eines Frauenkörpers, doch man darf einer Minderheit nicht das Kommando überlassen, die Frauen und Mädchen aus der Öffentlichkeit verschwinden lässt. Ich selbst habe nicht die Absicht, mit meinen vier Töchtern die Stadt zu verlassen, nur weil die den Verstand verloren hat", empörte sich die jüdische Aktivistin.


Schnell wachsende Minderheit

Die Minderheit, von der Karni sprach, ist die rasch wachsende ultraorthodoxe Gemeinde haredischer Juden. Sie macht inzwischen 30 Prozent der jüdischen Bevölkerung Jerusalems aus. Ihr Anteil an der Landesbevölkerung ist mit 15 Prozent nur halb so groß. In der freiwillig gewählten Abgeschlossenheit ihrer eigenen Gemeinde ist die Trennung von Männern und Frauen üblich. Von der in Israel für beide Geschlechter geltenden Wehrpflicht sind die ultraorthodoxen Haredim befreit.

An den Grenzen des von ihnen bewohnten Jerusalemer Stadtviertels Mea She'arim warnen Schilder die Besucher, das Quartier nicht mit "unzüchtiger Kleidung" zu betreten. Bei Fahrten in städtischen Bussen durch von Ultraorthodoxen kontrollierte Bezirke setzen sich Frauen vorsichtshalber gleich auf die hinteren Bänke, um Männern nicht zu nahe zu kommen.

Inzwischen befürchten säkulare Israelinnen, die ungesetzliche, sexistische Intoleranz könne sich in der gesamten israelischen Gesellschaft breit machen. Seit 2007 ist Israels Ranking auf dem für 135 Staaten ermittelten Index für Gender-Ungleichheit des Weltwirtschaftsforums von Platz 37 auf Platz 55 gefallen. (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://www.weforum.org/issues/global-gender-gap
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=105904

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 22. November 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2011