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FRAUEN/395: Nepal - Mädchensklaverei vor Jahren abgeschafft, zugesagte Hilfe für Opfer bleibt aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. April 2012

Nepal: Kamalari-Mädchensklaverei vor fünf Jahren abgeschafft - Versprochene Hilfe für die Opfer ausgeblieben

von Naresh Newar

Zwei ehemalige Kamalari, die in extremer Armut leben - Bild: © Naresh Newar/IPS

Zwei ehemalige Kamalari, die in extremer Armut leben
Bild: © Naresh Newar/IPS

Dang, Nepal 24. April (IPS) - Nepal hat vor fünf Jahren 'Kamalari' abgeschafft, ein System zur Versklavung von Mädchen. Doch bis heute warten tausende junge Frauen auf die von der demokratischen Regierung zugesagten Entschädigungen.

In dem ehemaligen Himalaja-Königreich gibt es etwa 11.000 ehemalige Kamalari-Mädchen. Die meisten leben im armen Südwesten des Landes. Vor sechs Jahren hat der Oberste Gerichtshof bereits verfügt, einen Sozialfonds für die Betroffenen und ihre Familien einzurichten.

Allein 2011 stellte die Regierung in Katmandu umgerechnet etwa 2,5 Millionen US-Dollar für die Rehabilitierung der Mädchen bereit. Davon sollen Stipendien, Ausbildungen und Wohnzuschüsse finanziert werden. Tatsächlich aber wurden nur knapp 70.000 Dollar für diese Programme ausgegeben, wie die Organisation 'Mukta Kamalari Biskash Manch' (Freies Kamalari-Entwicklungsforum) berichtet. Das unabhängige Netzwerk hilft den Mädchen dabei, ihre Rechte durchzusetzen.

"Wir wissen, dass eine große Summe für uns beiseite gelegt wurde. Doch bisher haben wir davon nicht profitiert", sagt die 20-jährige Urmila Chaudhary, die zehn Jahre Zwangsarbeit in einer wohlhabenden Familie in Katmandu hinter sich hat. Urmila, die inzwischen in Dang rund 200 Kilometer südwestlich der Hauptstadt lebt, erinnert sich noch gut daran, wie sie mit sechs Jahren von ihren Eltern verkauft wurde. Eine richtige Kindheit hat sie nicht gehabt.

2008‍ ‍kamen die Organisationen 'Friends of Needy Children' (FNC) und 'Nepal Youth Foundation' (NYOF) der jungen Frau zur Hilfe. Gemeinsam befreiten die Organisationen tausende Sklavinnen. Urmila kämpft seitdem öffentlich dafür, dass die Regierung ihre Versprechen gegenüber den Kamalari einhält.


Mädchen als Zahlungsmittel

Die Versklavung der Mädchen wurde in den 1950er Jahren vor allem in den fünf Distrikten Dang, Banke, Bardiya, Kailali und Kanchanpur im Süden Nepals zur gängigen Praxis. Angehörige der Tharu-Ethnie hatten keine andere Wahl, als durch die 'Vermietung' ihrer Töchter ihre Schulden bei Großgrundbesitzern abzubezahlen.

Erwachsene und Jungen wurden zur Arbeit auf den Feldern und in den Häusern der Grundbesitzer gezwungen, die Mädchen über Mittelsmänner an Stadtfamilien vermittelt. Die mündlich geschlossenen Verträge mit den Eltern sahen Zahlungen in Höhe von 50 bis 70 Dollar jährlich vor.

"Die Mädchen zu retten, bedeutete einen großen Durchbruch. Leider haben sie von der Regierung nicht viel Unterstützung erhalten", sagt der NYOF-Leiter Som Paneru. Sein Kollege von der 'Society Welfare Action Nepal', Bhagiram Chaudhary, hält eine landesweite Protestbewegung für notwendig, damit den jungen Frauen endlich Gerechtigkeit widerfährt. "Wir werden in den Straßen der Hauptstadt demonstrieren, um die Regierung dazu zu zwingen, den ehemaligen Kamalari zu helfen."

Die Vernachlässigung der ehemaligen Sklavinnen steht zudem im Widerspruch zu den acht Millenniumsentwicklungszielen der Vereinten Nationen, die bis 2015 unter anderem eine deutliche Reduzierung der Armut und bessere Bildungschancen vorsehen. Obwohl Nepal auf beiden Gebieten Fortschritte verzeichnet, ist die Kluft zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen weiterhin riesig. Auch das Stadt-Land-Gefälle ist groß.


Zu arm, um sich ein Schulbuch zu kaufen

Da die ehemaligen Kamalari-Mädchen aus sehr armen Familien stammen, können sie nicht zur Schule gehen. Viele von ihnen haben nicht genug zu essen. Ein Bericht über die Fortschritte auf dem Weg zu den Millenniumszielen von 2010 hebt hervor, dass zwar 93,7 Prozent aller Kinder in Nepal Grundschulen besuchen. Mehr als 200.000 Kinder aus ärmsten Verhältnissen nehmen allerdings nicht am Unterricht teil. Hilfsorganisationen zufolge handelt es sich bei den meisten um ehemalige Kamalari.

Kalpana Chaudhary geht zwar zur Schule, weiß aber nicht, wie lange sie sich dies noch leisten kann."Bis jetzt habe ich erst sieben Dollar für das gesamte Jahr erhalten und habe keine Ahnung, was ich damit anfangen soll", sagt sie.

Aktivisten warnen, dass die Mädchen gezwungen sein könnten, in sklavenähnliche Verhältnisse zurückzukehren, weil ihre verarmten Familien nicht für sie aufkommen können. Sie würden gern mehr für die jungen Frauen tun, stoßen aber an finanzielle Grenzen. Chaudhary zufolge kostet der Schulbesuch monatlich etwa 15 Dollar. Gespräche mit Vertretern des Bildungsministeriums, den ehemaligen Kamalari das Schulgeld zu erlassen, hätten nichts gebracht. Wie Urmila erzählt, schimpfen viele Eltern mit ihren Töchtern, wenn diese zur Schule gehen anstatt zum Unterhalt der Familie beizutragen.

Etliche Behördenvertreter geben die anhaltende politische Instabilität als Grund für den mangelnden Fortschritt an. Das südasiatische Land befindet sich nach dem Ende des Bürgerkriegs 2006 nach wie vor in einem schwierigen Friedensprozess. Urmila ist davon überzeugt, dass ihr neues Leben noch nicht begonnen hat. (Ende/IPS/ck/2012)

Links:
http://www.fncnepal.org/
http://nepalyouthfoundation.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107511

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2012