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FRAUEN/473: 100 Jahre Einforderung von Frauenrechten auf Kuba (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 122, 4/12

Lassen wir uns nicht von den Statistiken blenden
100 Jahre Einforderung von Frauenrechten auf Kuba

Von Nela Perle



In einer Atmosphäre zwischen Aufbruchstimmung, Resignation und offiziell verordneter Feierstimmung zum 100. Geburtstag des Feminismus in Kuba hat die Autorin mit drei kubanischen Feministinnen unterschiedlicher Generationen und politischer Motivationen über ihre Einschätzung der Situation der Frauen in Kuba gesprochen.


Hundert Jahre nachdem 1912 in Kuba die ersten Frauenorganisationen zur Einforderung des Stimmrechts gegründet wurden und mehr als ein halbes Jahrhundert nach Beginn der kubanischen Revolution können die Kubanerinnen eine positive Bilanz ziehen. Sie haben viel erreicht - mehr Frauen als Männer haben einen Universitätsabschluss, Frauen machen nahezu die Hälfte in den meisten Berufssparten aus: 42% im öffentlichen Dienst, 62% als technische Angestellte, 38% in der gesamten Wirtschaft. In den politischen Gremien in den Provinzen sind Frauen mit bis zu 57% vertreten, auf nationaler Ebene sind es 43%. Kindergarteneinrichtungen gibt es flächendeckend schon ab Babyalter, Schwangerschaftsabbruch ist straffrei und überall im ganzen Land kostenlos.

Isabel Moya, eine der führenden akademischen Feministinnen Kubas und Herausgeberin der offiziellen Frauenzeitschrift "Mujeres" (Frauen), erkennt eine Verbesserung der Situation der Kubanerinnen in den letzten Jahrzehnten, aber sie macht auch klar: "Lassen wir uns von den Statistiken nicht blenden, Zahlen sind nicht die Lösung."


Mujeres en transito - Frauen im Übergang

Auch wenn sich die gesetzlichen Grundlagen und die strukturellen Vorgaben für die Gleichberechtigung der Geschlechter verbessert haben, die Feministinnen jubeln nicht. Denn auch in Kuba bringen die Veränderungen in der Gesellschaft wie die Veraltung der Bevölkerung und die wirtschaftlich prekäre Lage besonders den Frauen Benachteiligungen - sie leiden am meisten unter Doppel- und Dreifachbelastung. Um überleben zu können, brauchen sie mehrere Einkommensquellen, auch die Pflege der Angehörigen geht auf Kosten der Frauen.

Andere Dauerthemen im feministischen kubanischen Diskurs sind das Fehlen von Frauen in Entscheidungspositionen sowie Gewalt gegen Frauen. Auch die Diskriminierung von Lesben und Afrokubanerinnen ist in einer, trotz Revolution - nach wie vor von Machismo, Sexismus und Rassismus geprägten Gesellschaft zunehmend ein zentrales Thema der feministischen Bewegung geworden. Nicht von ungefähr organisieren sich Lesben und Afrokubanerinnen abseits der offiziellen Frauenbewegung stärker in eigenen Räumen. Die staatlichen Reformen der letzten Monate, die u. a. auch eine größere Akzeptanz für Initiativen der Zivilgesellschaft mit sich brachten, kommen nicht zuletzt diesen mehrfach diskriminierten Gruppen zugute.


Musik und Humor

"Auf Gesetzesebene haben wir viel erreicht, aber Gesetze werden innerhalb von Monaten gemacht, das Umdenken in der Gesellschaft, das Abschaffen von Stereotypen dauert Generationen", sieht Isabel Moya die Situation realistisch. Während sich unzählige Studien und Diskussionen auf der ganzen Welt mit den von Medien und Werbung vermittelten Geschlechterstereotypen auseinandersetzen und deren Einfluss auf die Gesellschaft kritisieren, schlagen sich kubanische Feministinnen mit anderen Kommunikationsformen herum. "In Kuba ist der Einfluss der Medien, die Werbung und die Propaganda gut kontrolliert. Die Medienlandschaft ist relativ eingeschränkt, Werbung als Instrument der kapitalistischen Welt kaum präsent. In Kuba werden die Geschlechterstereotypen v. a. durch Musik und Humor, egal auf der Straße oder im Theater, reproduziert." Und diese Stereotypen sind so klassisch wie im Rest von Lateinamerika: Junge kubanische Rapper heizen ihr Publikum unverhohlen mit sexuelle Gewalt tolerierenden, frauenverachtenden Texten auf.

Kulturschaffen hat in Kuba einen sehr hohen Stellenwert. Neben der staatlichen Propaganda werden Werte vor allem über Kulturschaffende vermittelt. Noch vor Literatur und Theater spielt dabei Musik die wichtigste Rolle. Die Mainstreammusik sowohl für die kubanische Bevölkerung als auch für den Export ist fest in männlicher Hand. Aber es gibt auch einige positive Beispiele von Künstlerinnen in der offiziellen und der alternativen Kulturszene.


Hiphop gegen Rassismus

Magia Lopez, afrokubanische Rapmusikerin, ist ein solches Beispiel. Seit mehr als 15 Jahren verleiht sie mit Gedichten und Rapmusik ihren Gefühlen und vor allem ihrem Protest gegen Sexismus, Rassismus und Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung musikalischen Ausdruck, seit einigen Jahren zusammen mit ihrem Mann Alexey im Duo "Obsession". Die Hiphop-Bewegung hat vor einem Jahrzehnt auch in Kuba Fuß gefasst. Frauen wie Magia Lopez oder die Gruppe "Las Crudas" sind Ausnahmen in der männlich dominierten Szene, die auch in Kuba im Protest der Schwarzen gegen Rassismus und Marginalisierung in der Gesellschaft ihren Ausdruck findet.

"Es gibt keine weiblichen Produzenten in der Hiphop-Szene, die Stimmung ist voll Sexismus", erklärt Magia. Trotzdem gehört sie heute zu den wenigen national und international anerkannten Rapperinnen Kubas, die als eigenständige Künstlerin, auch unabhängig von ihrem Partner, wahrgenommen wird. Seit Beginn ihrer Musikerinnenkarriere waren Frauen, insbesondere schwarze Frauen, ihr Hauptthema. Vom Alltagsleben kubanischer Frauen über Gewalterfahrungen und intime Themen spricht sie in konstruktiv kritischer Art alles an. Zensur vom Staat hat sie schon einige Male erfahren, aber nach eigenen Angaben lässt sie sich nicht einschränken.


Karibik-Phantasien

Ebenso wie Isabel Moya sieht auch Magia Lopez positive Veränderungen für Frauen in der kubanischen Gesellschaft, aber die Benachteiligung insbesonders von schwarzen Frauen ist nach wie vor ein eklatantes Problem: "Speziell schwarze Frauen haben viel weniger Geld zur Verfügung, denn die Geldüberweisungen aus dem Ausland gehen meistens an die Männer, und afrokubanische Familien haben generell weniger oder gar keine Verwandten im Ausland, die Geld schicken." Auch seien kaum Afrokubanerinnen in Entscheidungspositionen in der Politik oder in den Medien anzutreffen. Der gleichberechtigte Zugang zu Bildung existiere in der Theorie, in der Praxis ließe der tägliche härtere Überlebenskampf Afrokubanerinnen weniger Perspektiven für Weiterbildung und Karriere.

In der Tourismusbranche, wo Afrokubanerinnen vergleichsweise leicht eine Arbeit finden, weil ihr Erscheinungsbild die Karibik-Phantasien der UrlauberInnen zufriedenstellt, leiden die dunkelhäutigen Frauen wiederum besonders stark unter Rassismus und Sexismus der eigenen Landsleute ebenso wie der Urlauber.

Sandra Alvarez, afrokubanische Autorin des Blogs "Negra Cubana tenia que ser" (Schwarze Kubanerin musste es sein), die sich für die Anliegen der schwarzen, vor allem aber der lesbischen Frauen einsetzt, schreibt seit 2006 über die Diskriminierung schwarzer Frauen in Kuba. "In akademischen feministischen Kreisen und in den staatlichen Frauenorganisationen gibt es wenig Schwarze. In den Schulen werden schwarze Frauen und ihre Anliegen nicht sichtbar gemacht, auf der Universität beschäftigt sich keine Vorlesung mit der Geschichte und Situation schwarzer Frauen in Kuba, auch in Studien und Untersuchungen werden sie ignoriert", erzählt sie. Und wie Magia Lopez plädiert auch Sandra Alvarez dafür, schwarze Frauen mögen sich nicht als Opfer akzeptieren, sondern ihr Schwarzsein zelebrieren.

Kiss In

Eine in Kuba völlig neue Form des Zelebrierens, zwar nicht des "Schwarzseins" aber des "Andersseins", kann jedenfalls allen diskriminierten Randgruppen in Kuba Hoffnung machen. Nachdem Mariela Castro, die oberste Sexualerziehungs-Koordinatorin und Tochter von Fidel Castro, Gay-Pride-Veranstaltungen, die alljährlich weltweit am 28. Juni stattfinden, als Phänomen der kapitalistischen Gesellschaft nach wie vor ablehnt, hat Arco Iris, eine LGBT-Initiative, dazu aufgerufen, an diesem Tag ein rotes T-Shirt anzuziehen und am Busbahnhof von Havanna irgendjemanden zu küssen. Dem Aufruf zu diesem Kiss-In am 28. Juni folgten 46 Personen, und obwohl die VeranstalterInnen negative Reaktionen befürchteten und sehr nervös waren, schritt die Polizei nicht ein. Ein kleines, aber feines Signal, sowohl von Seiten der Zivilgesellschaft als auch der Regierung.


ZUR AUTORIN:
Nela Perle hat im Februar 2012 am Postgraduate-Kurs "Frauen und Medien" an der Universidad José Martí in Havanna teilgenommen. Derzeit lebt sie in Wien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 122, 4/2012, S. 24-25
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2013