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FRAUEN/500: Die Bewegung dominiko-haitianischer Frauen MUDHA (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 123, 1/13

Die Bewegung dominiko-haitianischer Frauen (MUDHA)
Ein neues Selbstverständnis entwickelt sich

Von Sirana Dolis



Die Bewegung der dominiko-haitianischen Frauen (MUDHA) ist eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in der Dominikanischen Republik. Sie hat über 29 Jahre Arbeitserfahrung in Empowerment, in kommunaler Entwicklung und in der Verteidigung der Menschenrechte, vor allem der Rechte der DominikanerInnen mit haitianischer Abstammung und der haitianischen MigrantInnen, die im Land leben.


Aktuell arbeiten wir, die Frauen von MUDHA, an der Umsetzung von vier grundlegenden Programmen, nämlich der Basisgesundheitsentwicklung, der Bildung und Kultur, von Rechtsbeistand und Menschenrechten und Programmen der Berufsausbildung.


Mission und Vision

Unsere Mission ist es, die Lebensbedingungen der verarmten und an den Rand gedrängten Gemeinschaften zu verbessern. Frauen und Kinder stehen bei der Umsetzung unserer ganzheitlichen Entwicklungsprogramme im Mittelpunkt. Unsere Vision ist es, eine Organisation mit einer starken kollektiven Führung zu entwickeln, sozusagen ein Referenzmodell für die Verteidigung der Menschenrechte; weiters eine funktionelle Struktur und ein kompetentes, motiviertes Personal, welches sich mit den Zielen von MUDHA identifiziert und so Impulse für die Kapazitätenbildung und Selbstverwaltung der Gemeinschaften setzt.

Wir sind heute eine langjährige Organisation, die durch Bedrohungen und Probleme Erfahrungen gesammelt hat. Wir - die Frauen von MUDHA - hatten das Glück, Sonia Pierre(1) als unsere compañera (Mitstreiterin) zu haben. Sonia Pierre war Gründungsmitglied und Geschäftsführerin von MUDHA, Beraterin, Mutter und Freundin, "eine wirklich mutige Frau"(2). Sonia Pierre überwand Rassismus, Diskriminierung und Xenophobie mit ihrer ganzen Kraft und Hingabe und trug die Stimme unserer Organisation und unserer Leute in andere Länder und Kontinente.

Der Großteil der Menschen kennt uns als eine soziale Organisation, die den Mut fand, ihr eigenes Land wegen Verweigerungen der ihr zustehenden Staatsbürgerschaftsrechte beim Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof anzuzeigen, und diesen Fall auch gewonnen bzw. noch zwei weitere Fälle eingebracht hat. Wir folgen vielen Einladungen, um die diskriminierende Politik der dominikanischen Regierung aufzuzeigen.

Aber MUDHA ist vor allem eine Organisation, die für Entwicklung und für das gemeinschaftliche Wohlergehen arbeitet. Dies geschieht vor allem über Programme, die in 20 verschiedenen Bateyes (Plantagendörfern) angesiedelt sind und die nach einer anderen Logik als herkömmliche Projekte funktionieren: Wir arbeiten direkt mit den Menschen und für die Menschen, das ist unsere Stärke. Wir können auf ein Team bauen, das die Problematiken, mit welchen die Menschen in den Bateyes kämpfen, bestens kennt und darauf sensibilisiert ist.

National wie international findet unsere Arbeit als engagierte Menschenrechtsorganisation Anerkennung. Das erste Mal in der Geschichte dieses Kampfes schaffte MUDHA es 2011, mehr als 3.000 junge DominikanerInnen haitianischer Abstammung zu aktivieren, vor dem Senat und dem Obersten Gerichtshof ihre Rechte auf Staatsbürgerschaft und den Stopp der anhaltenden ausgrenzenden Politik einzufordern.

Unsere laufenden Programme haben den Gemeinschaften in den Bateyes folgende Verbesserungen gebracht: Aufbau von lokalen Ressourcen, formelle und informelle Bildung, Zugang zu offiziellen Dokumenten, hygienische Grundausstattung, grundsätzliche Gesundheitsversorgung, Rechtsberatung und -begleitung, Wasser- und Stromversorgung sowie sonstige öffentliche Dienstleistungen, die von der dominikanischen Regierung für unsere Bevölkerungsschicht nicht bereitgestellt werden. Im Moment stellen wir unsere Programme auf eine breitere Basis und weiten unseren Aktionsradius auch auf Haiti aus. Wir sind dabei, in Leogane ein Büro zu errichten, um ähnliche Projekte wie in der Dominikanischen Republik aufzubauen.

Auf institutioneller Ebene(3) stärken wir die internen und externen Organisationsstrukturen und erweitern auch da unseren Aktionsradius. Wir haben eine gemeinschaftliche Leitung aufgebaut, wo Entscheidungen in einem Rat aus Vertreterinnen der Arbeitsteams sowie den Organisationsleiterinnen getroffen werden. Unsere Statuten haben wir gemäß den neuen dominikanischen Gesetzen modifiziert, aber vor allem auf die Realität und Erfahrungen unserer Organisation abgestimmt.


Das Erbe von Sonia Pierre

Wir haben viele Aktionen umgesetzt, und es gibt noch sehr viel zu tun. Wir sind uns der Verantwortung, welche wir gegenüber den Menschen in den Bateyes haben, bewusst. Nach dem Tod von Sonia Pierre im Dezember 2011 haben wir als Team von MUDHA den Auftrag, die Arbeit weiterzuführen. Ihr Erbe und ihre Vision ist unsere Inspiration, weiterzumachen und dafür zu kämpfen, dass in unserer Gesellschaft Gerechtigkeit für alle Menschen existiert, gleichberechtigt und ohne Ausgrenzung.

29 Jahre nach Gründung von MUDHA sind die Früchte, die wir ernten können, vielfältig, aber wichtiger sind uns die Früchte, die gerade reifen, und ihretwegen nehmen wir täglich all unsere Kraft zusammen.

Unser Ziel ist es nach wie vor, an der Stärkung unseres Selbstverständnisses als dominiko-haitianischer Bevölkerungsteil zu arbeiten, die Respektierung unseres Rechts auf Teilnahme einzufordern und uns stark und sichtbar zu positionieren. Wir wollen als Subjekte mit spezifischem Wissen und Erfahrungen unsere eigene Geschichte erzählen. Dafür hoffen wir auch weiterhin auf die Solidarität und die Unterstützung von befreundeten Institutionen, die seit über 29 Jahren an die Arbeit MUDHAs glauben und uns ökonomisch, aber auch emotional unterstützen.


KASTEN
 
KAMPAGNE

MUDHA startet jedes Jahr rund um den Tag der Menschenrechte im Dezember eine nationale Bewusstseins-Kampagne. Die letzten zwei Jahre waren geprägt vom Kampf gegen die Resolution 012, die vom Zentralen Wahlverband erlassen wurde, der in der Dominikanischen Republik für Themen der Identität und Staatsbürgerschaft zuständig ist. Diese Resolution 012 verweigert DominikanerInnen haitianischer Abstammung den Erhalt von Geburtsurkunden und Identitätsausweisen, die ihnen aber verfassungsmäßig zustehen. Mehr noch, vielen Menschen wurden ihre offiziellen Dokumente rückwirkend aberkannt. Dieses diskriminierende Vorgehen gefährdet die Existenz von vielen Dominiko-HaitianerInnen und viele Kinder dominiko-haitianischer Eltern sind dadurch staatenlos. Am 8. Dezember 2011 demonstrierten über 3.000 Menschen, um die Streichung der Resolutuion 012 vom Gesetzgeber zu fordern. Vier Tage nach dem Tod von Sonia Pierre war der Slogan auf allen Transparenten und T-Shirts zu lesen: "Wir alle sind Sonia Pierre".
  KASTENDE

Anmerkungen:

(1) Die charismatische Menschenrechtsaktivistin Sonia Pierre verstarb am 4. Dezember 2011 im Alter von 48 Jahren an einem Herzinfarkt. Morddrohungen und Attacken gegen sie und ihre Familie prägten jahrelang ihren Alltag.

(2) Sonia Pierre erhielt neben dem Internationalen Menschenrechtspreis von Amnesty International (2003) u. a. auch den Preis als "Eine der 10 mutigsten Frauen der Welt" von der USA-Regierung (2010).

(3) MUDHA nimmt gemeinsam mit sechs anderen Institutionen an einer Plattform zur institutionellen Stärkung und Ausbildung teil. Diese ist von ACNUR (UN-Flüchtlingsorganisation, Anm.) organisiert und wird von der US-amerikanischen Botschaft unterstützt.


Zur Autorin:

Sirana Dolis ist Gründungsmitglied und Leiterin von MUDHA. Sie wuchs selbst in einem Batey inmitten von Zuckerrohrfeldern auf und lebt in der Dominikanischen Republik.

Übersetzung aus dem Spanischen: Sonja Rappold

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 123, 1/2013, S. 24-25
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 6,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2013