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FRAUEN/541: Guter Job - Kinder können warten (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 143, März 2014
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Guter Job - Kinder können warten
Frauen in Berufen mit Perspektiven schieben die Familiengründung auf

von Agnieszka Althaber und Michael Ruland



Kurz gefasst: Berufe unterscheiden sich bezüglich der Beschäftigungsperspektiven, die sie erwerbstätigen jungen Frauen bieten. Die Untersuchung bestimmter Charakteristika von Berufen zeigt, dass die beruflichen Rahmenbedingungen für Frauen direkte Auswirkungen auf die Planung und Entscheidung zur Familiengründung haben. Frauen in Berufen mit guten Beschäftigungsperspektiven beim Arbeitsmarkteinstieg bekommen ihr erstes Kind deutlich später als Frauen in Berufen mit schlechteren Beschäftigungsperspektiven. Das hat Konsequenzen für das gelebte Modell der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und darauf, wie stark Frauen Abstriche im Berufsleben machen.


In den letzten Jahrzehnten ist die Erwerbstätigkeit von Frauen zunehmend selbstverständlich geworden, gerade für junge Frauen. Gleichzeitig sehen wir, dass sich das Alter bei der Geburt des ersten Kindes in demselben Zeitraum erhöht hat. Erwerbstätige Frauen schieben die Familiengründung insbesondere dann auf, wenn ihre berufliche Situation von Unsicherheit geprägt ist, beispielsweise bei kurzfristiger Arbeitslosigkeit, oder wenn sie in Teilzeit arbeiten. Was für ein Einkommen werde ich voraussichtlich erzielen können? Ist mein Job sicher? Das sind Fragen, die für Frauen zunehmend wichtiger werden.

Wenig erforscht ist bisher, ob bestimmte Charakteristika der Berufe für Frauen die Länge des Zeitraums zwischen Berufseinstieg und Geburt des ersten Kindes systematisch beeinflussen. Um diese Frage zu beantworten, haben wir Beschäftigungssicherheit als ein Kennzeichen von Berufen untersucht. Anstatt einzelne Dimensionen von Beschäftigungssicherheit für die Analysen festzulegen, haben wir die Geschlossenheit von Berufen näher betrachtet. Dieses Merkmal beeinflusst viele verschiedene Dimensionen von Beschäftigungssicherheit und steht damit in engem Zusammenhang.

Berufe lassen sich durch den Grad ihrer Schließung in geschlossene und offene Berufe einteilen. Für diese Unterscheidung ist relevant, wie eng der Zugang zu einem Beruf an einen bestimmten Abschlusstyp gekoppelt ist. Die verschiedenen Abschlusstypen haben wir in sechs Kategorien zusammengefasst: kein Abschluss, allgemeinbildender Schulabschluss, beruflicher Ausbildungsabschluss, Meister-, Fachhochschul- und Universitätsabschluss. Entscheidend ist in Bezug auf die Geschlossenheit, ob ein einzelner Abschlusstyp innerhalb eines Berufs dominiert.

Für geschlossene Berufe ist in der Regel ein ganz bestimmter Abschluss die Voraussetzung, um in diesen Berufen zu arbeiten. Es sind zum Teil hoch qualifizierte Berufe wie zum Beispiel Lehrerin und Ärztin oder spezialisierte Berufe wie Buchhalterin und Rechtsanwalts-/Notargehilfin. Aber auch ganz gewöhnliche Berufe zählen zu den geschlossenen Berufen, wie verschiedene Verkäuferinnen- und Fachverkäuferinnen-Berufe.

Offene Berufe zeichnen sich dadurch aus, dass der Zugang zu den Tätigkeiten und Positionen nicht ganz so stark reguliert ist und bestimmte Abschlüsse zwar erwünscht sind, aber nicht zwingend vorausgesetzt werden. Somit finden sich in diesen Berufen häufig Erwerbstätige mit unterschiedlichen Abschlüssen. Zu den offenen Berufen zählen unter anderem Reinigungskräfte, Altenpflegerinnen, aber auch Sozialpädagoginnen oder Bibliothekarinnen.

Geschlossene und offene Berufe unterschieden sich systematisch in ihren Beschäftigungsperspektiven. Die Verdienstmöglichkeiten und die Beschäftigungssicherheit sind in geschlossen Berufen hoch, in offenen Berufen niedriger. So haben Erwerbstätige in geschlossenen Berufen höhere Stundenlöhne und Einkommen, sie arbeiten zusätzlich seltener in Teilzeit als Erwerbstätige in offenen Berufen. Außerdem verbleiben sie im Schnitt länger in einem Betrieb und wechseln seltener ihren Beruf. Geschlossene Berufe bieten also ein höheres Maß an Sicherheit, was Stabilität und Dauer der Beschäftigung angeht.

Diese deutlichen Unterschiede legen nahe, dass sich je nach Grad der Geschlossenheit und der damit verbundenen Beschäftigungssicherheit eines Berufs der Zeitraum zwischen Berufseinstieg und Familiengründung bei Frauen unterscheidet. Die Theorie und Ergebnisse bisheriger Untersuchungen lassen zwei unterschiedliche Argumentationslinien zu, welchen Einfluss die genannten Berufsmerkmale auf den Zeitpunkt der Familiengründung haben können.

Eine Möglichkeit wäre der Grundsatz: Sicherheit ist wichtig! Eine sichere ökonomische Basis kann als Voraussetzung für eine Familiengründung angesehen werden. Natürlich kommt es hierbei auch auf die Konstellationen im Haushalt und in der Partnerschaft an. Aber die derzeitige Erwerbssituation der Frauen und ihre Zukunftsperspektiven spielen eine entscheidende Rolle. Gute Beschäftigungsperspektiven bieten Frauen ein vergleichsweise hohes Maß an Sicherheit für die berufliche Zukunft, und diese finden Frauen überwiegend in geschlossenen Berufen vor. Entsprechend sollten diese Bedingungen zum Beispiel auch den Wiedereinstieg nach der Geburt eines Kindes erleichtern. Daraus lässt sich schließen, dass Frauen sich umso eher für eine Familiengründung entscheiden, wenn sie in geschlossenen Berufen tätig sind.

Eine andere Annahme ließe sich auch denken: Flexibilität zählt! Wenn Frauen in geschlossenen Berufen ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, während sie noch in der Etablierungsphase sind, dann ist es für sie schwierig, anschließend auf ihre Position zurückzukehren. Durch die enge Koppelung des Zugangs zu geschlossenen Berufen an bestimmte Abschlüsse gelten hier relativ klare Vorgaben über die erforderlichen Qualifikationen. Beim Arbeitsmarkteintritt bescheinigt der Abschluss das Vorhandensein dieser Qualifikationen, und im weiteren Verlauf ist eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit der beste Beleg dafür, dass diese Qualifikationen weiterhin vorliegen und ausgebaut werden. Eine familienbedingte Unterbrechung hingegen schreibt die Kenntnisse und Fähigkeiten ab; das erschwert die Rückkehr auf die frühere Position.

Die schlechteren Beschäftigungsperspektiven in offenen Berufen bedeuten, dass hier ein höheres Maß an Fluktuation und Flexibilität herrscht. In offenen Berufen dominieren zwar unsichere und prekäre Erwerbssituationen. Aber Frauen wissen, dass sich nach einer familienbedingten Unterbrechung für sie in diesen Berufen Chancen für einen Wiedereinstieg oder sogar für eine Neuorientierung ergeben können. Daraus lässt sich schließen, dass Frauen sich umso eher für eine Familiengründung entscheiden, wenn sie in offenen Berufen tätig sind.

Was sagt nun die Empirie? Unsere Analysen beruhen auf den Daten des Nationalen Bildungspanels, die wir mit Methoden der Ereignisdatenanalyse ausgewertet haben. Sie bestätigen weitgehend das zweite Szenario: Flexibilität in Berufen ist entscheidend. Frauen, die beim Arbeitsmarkteintritt in offene Berufe einsteigen, bekommen ihr erstes Kind im Schnitt 28 Monate früher als Frauen mit einem Einstieg in geschlossene Berufe. Allerdings entwickelt sich dieser Unterschied erst im Laufe der Zeit nach dem Arbeitsmarkteinstieg: Zu Beginn gibt es kaum einen Unterschied, aber mit zunehmender Dauer tritt die Differenz deutlich hervor und wächst weiter an. So haben fünf Jahre nach Beschäftigungsbeginn bereits ca. 30 Prozent der Frauen in offenen Berufen Kinder, bei Frauen in geschlossenen Berufen sind das ca. 25 Prozent. Zehn Jahre nach Beschäftigungsbeginn (die Mehrheit der Frauen ist dann zwischen 26 und 36 Jahren) haben ca. 50 Prozent der Frauen in offenen Berufen Kinder bekommen, bei Frauen in geschlossenen Berufen lediglich ca. 41 Prozent. Die Ergebnisse basieren auf Berechnungen eines Piecewise-Constant-Exponential-Modells, unter Berücksichtigung von weiteren individuellen Merkmalen wie Alter bei Beschäftigungsbeginn, Geschlecht, Geburtskohorte, Beschäftigungsform, Bildung.

Frauen in geschlossenen Berufen schieben die Familiengründung also trotz oder vielleicht auch aufgrund der besseren Beschäftigungsperspektiven erheblich auf. Die vergleichsweise hohe Flexibilität in offenen Berufen scheint das frühe Timing der Familiengründung zu bewirken. Die Ergebnisse weisen gleichzeitig darauf hin, dass diese Mütter eher in instabilen, geringer entlohnten und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Für die Paarkonstellation bedeutet dies, dass sie viel stärker auf die Rolle der Zuverdienerin verwiesen werden und somit auch stärker vom Einkommen ihrer Partner abhängig sind. Folglich geht das Modell der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen in offenen Berufen überwiegend mit erheblichen Abstrichen im Berufsleben einher.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Rahmenbedingungen des Berufs für Frauen direkte Auswirkungen auf die Planung und Entscheidung zur Familiengründung haben. Offensichtlich sind gute Beschäftigungsperspektiven nicht allein ausschlaggebend. Ziel weiterführender Analysen wird sein, zusätzliche Mechanismen zu identifizieren, warum Frauen in geschlossenen Berufen den Zeitpunkt der Familiengründung nach hinten verschieben. Ungeklärt ist beispielsweise die Frage, ob es sich um einen Selektionsprozess handelt und Frauen in geschlossenen Berufen von vornherein erst später ein Kind bekommen wollen. Oder ob es an der regionalen Unterversorgung von Kinderbetreuungsplätzen liegt, die insbesondere für Frauen mit guten Karriereaussichten hemmend wirken.


Agnieszka Althaber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Projektgruppe Nationales Bildungspanel: Berufsbildung und lebenslanges Lernen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Arbeitsmarkt- und Familiensoziologie sowie in der Lebensverlaufsforschung.

Michael Ruland ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Projektgruppe Nationales Bildungspanel: Berufsbildung und lebenslanges Lernen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Bildungs- und Arbeitsmarktsoziologie sowie der Surveymethodenforschung.


Literatur

Blossfeld, Hans-Peter/Roßbach, Hans-Günther/von Maurice, Jutta (Eds.): Education as a Lifelong Process - The German National Educational Panel Study (NEPS). Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 2011, Sonderheft Band 14, H. 2.

Andreas Haupt (2012). (Un)Gleichheit durch soziale Schließung - Effekte offener und geschlossener Teilarbeitsmärkte auf die Lohnverteilung in Deutschland. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 64: 729-753.

Michaela Kreyenfeld (2008). Ökonomische Unsicherheit und der Aufschub der Familiengründung, in Marc Szydlik (Hrsg.). Flexibilität - Folgen für Arbeit und Familie. VS Verlag für Sozialwissenschaften: 232-254.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 143, März 2014, Seite 10-12
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2014