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FRAUEN/613: Gute Lager gibt es nicht - Geflüchtete Mädchen und Frauen in Traiskirchen (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 134, 4/15

Gute Lager gibt es nicht
Geflüchtete Mädchen* und Frauen* in Traiskirchen

Von Women support Refugee Women


Das offene Bündnis Women support Refugee Women berichtet in diesem Beitrag über die aktuelle Situation im Flüchtlingslager Traiskirchen und den Versuch, temporäre solidarische Frauenräume zu etablieren.


Traiskirchen hat sich seit dem Sommer verändert, stellen Aktivist_innen des feministischen Bündnisses Women* support Refugee Women*[1] fest. Klar, es ist kälter geworden, aber nicht nur deshalb sind die Straßen leerer. Hauptsächlich Jugendliche und junge Männer* halten sich jetzt in der Nähe des Lagers auf, die kleinen Gruppen an Mädchen* und Frauen* sind großteils verschwunden. Rund 1.700 Leute - und damit ist das Lager immer noch sehr voll - sollen derzeit im Erstaufnahmezentrum registriert sein, 1.300 davon sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge[2].

Anders als noch vor einigen Monaten sind nur mehr wenige Mädchen und Frauen im Lager. Sie sind jetzt gemeinsam untergebracht, zusammen mit einigen Familien. Wohin die vielen Frauen* gebracht worden sind, die im Juli/August noch in Traiskirchen waren, und wohin sie heute gebracht werden, wird von ORS[3] und Innenministerium nicht kommuniziert. Wenn die Frauen* nicht abgeschoben werden, landen sie oft in völlig abgeschiedenen Heimen.

"Es ist in diesem Transitraum für die Frauen schwierig, miteinander in Kontakt zu sein und Informationen auszutauschen. Und es ist schwierig für uns, mit den Frauen in Kontakt zu kommen. Manche ORS-Wachleute sagen ihnen, dass sie das Lager besser nicht verlassen sollen, sich draußen nicht unterhalten sollen", erzählt eine Aktivistin*, und ergänzt, dass einige von den Frauen* befürchten würden, von draußen nicht mehr zurück ins Lager gelassen zu werden.


Isolation, Aussperrungen und strukturelle Gewalt

Zu Recht: Immer wieder treffen die Aktivist_innen auf im Lager registrierte Geflüchtete, die ausgesperrt und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt obdachlos gemacht wurden. Diese vor Ort gemachten Beobachtungen sprechen dafür, dass die Aussperrungen durch Mitarbeiter_innen der Lagerbetreiber_in ORS keine Einzelfälle sind, sondern regelmäßig und willkürlich angewendet werden, teils ohne Begründung, teils als Strafmaßnahme oder bürokratisch argumentiert.

Die Aussperrungen sind nur eine der Formen, die strukturelle Gewalt im Lager, ob in Traiskirchen oder anderswo, annehmen kann. Strukturelle Gewalt im Lager trifft alle. Ob Mädchen und Frauen, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans, Inter-Personen und Queers zusätzlich sexualisierter Gewalt und Sexismus ausgesetzt sind, hat viel mit den Bedingungen im Lager zu tun. Diese würden etwa bei Schutz und ausreichender Grundversorgung, bei Respektierung der Intimsphäre und Zugang zu medizinischer Versorgung beginnen, transparente Asylverfahren und gute Rechtsberatung einschließen und dort noch lange nicht enden.

Wenn wir über strukturelle und sexualisierte Gewalt reden, sprechen wir nicht nur über Traiskirchen, sondern über alle Lager genauso wie über Notschlafstellen. Gute Lager, wie manche sie fordern, gibt es nicht. Auch in Heimen, Kasernen oder Gefängnissen haben Leute auf der Flucht und im Asylverfahren nichts verloren. Es gibt ausreichend leerstehende Wohnungen und Häuser, in denen Geflüchtete in Sicherheit und selbstbestimmt leben könnten.


Keine karitative Hilfe, sondern praktische Solidarität

Im Sommer reagierten einige Wiener Frauen darauf, dass die Zustände in Traiskirchen die geflüchteten Frauen und Mädchen besonders stark isolieren, dass diese oft erst als Letzte an die Reihe kommen, wenn Spenden verteilt wurden, und dass es an vielen benötigten Dingen fehlte: Das für alle Frauen* (Frauen, Lesben, Inter, Trans) offene feministische Bündnis Women support Refugee Women wurde ins Leben gerufen.

"Von karitativer Hilfe, ihren paternalistischen Strukturen und ihrer Komplizinnenschaft mit den staatlichen Grenzregimen grenzen wir uns klar ab, aber wir wollten unsere praktische Solidarität zeigen", sagt eine der Aktivistinnen. Also starteten sie im Juli Verteilaktionen im öffentlichen Raum in Traiskirchen nach dem Prinzip "ladies first". Die Aktionen wurden gleichzeitig als politische Kundgebungen angemeldet. "Wichtig war uns, beim Verteilen einen respektvollen Raum zu schaffen, in dem Begegnung auf Augenhöhe möglich ist", fügt eine zweite hinzu. Eine dritte erzählt von einem Gespräch mit einer geflüchteten Frau*, die explizit eingefordert hat, dass die Verteilenden die Verantwortung dafür übernehmen, einen guten Rahmen zu organisieren.

Die Dolmetscherinnen übernehmen eine Schlüsselrolle: Sie übersetzen nicht nur, sondern sie sind es, denen es gelingt, mit den Frauen ins Gespräch zu kommen, zu erfahren, was sie gerade am dringendsten brauchen. Mittlerweile steht nicht mehr das Verteilen im Vordergrund. Ziel ist es, einen regelmäßigen Begegnungsraum zu schaffen, in dem die geflüchteten Frauen sich einen Moment lang erholen, mit anderen essen, trinken, reden - Infos einholen, gemeinsam kochen - oder Musik hören können, während es Kinderbetreuung gibt.

Das offene Frauenbündnis beschränkt seine Arbeit keinesfalls auf Traiskirchen. Im Sommer hat sich eine Gruppe gebildet, die gemeinsam mit Frauen und Mädchen aus dem Lager Traiskirchen, die jetzt in einem Heim in Wien leben, Freizeitangebote gestaltet, Sprachen lernt und vor kurzem gemeinsam eine Party veranstaltet hat.


Forderungen geflüchteter Frauen*

Dem Bündnis insgesamt geht es darum, dass Frauenfluchtgründe anerkannt werden. Das Bündnis will politische Forderungen, die geflüchtete Frauen selbst stellen, unterstützen und mit ihnen und anderen (queer_)feministischen Gruppen wie der Initiative für geflüchtete Frauen* oder Queer Base, dem Support-Netzwerk für LGBTIQ Refugees, gemeinsam politisch handeln. Die folgenden Statements und Forderungen wurden während der letzten Monate bei Gesprächen mit Frauen in Traiskirchen gesammelt:

  • Wir wollen über unsere rechtliche Situation Bescheid wissen - informiert uns darüber in Sprachen, die wir verstehen.
  • Wir wollen in Sicherheit und Frieden leben und respektiert werden.
  • Wir fordern ein Ende der verbalen und körperlichen Übergriffe auf uns, wie sie in Traiskirchen immer wieder passiert sind.
  • Wir haben ein Recht auf Privatsphäre und Intimsphäre, auf saubere und sichere WCs und Duschen.
  • Wir brauchen Rückzugsorte für uns: Räume, Wohnungen oder ein Haus für Frauen*.
  • Wir brauchen ausreichend Nahrung, Hygieneartikel und medizinische Versorgung für unsere Kinder.
  • Unsere Kinder wollen in die Schule gehen. Wir möchten Deutsch lernen.
  • Wir wollen lernen und arbeiten dürfen und dass unsere Bildungsabschlüsse anerkannt werden.
  • Wir fordern die Anerkennung frauen*spezifischer Fluchtgründe. Anerkennt, wenn wir nicht darüber sprechen wollen/können, und hört uns zu, wenn wir erzählen.
  • Keine Abschiebungen, auch keine Dublin-Abschiebungen.
  • Trennt bei Transfers keine Familien oder Kinder und Bezugspersonen.
  • Wir wollen hier bleiben und in Frieden und Ruhe mit euch leben.

Anmerkungen:

[1] Das Gendersternchen* soll in diesem Beitrag darauf aufmerksam machen, dass der Begriff Frauen* konstruiert ist. Im Bündnis 'Supporting Refugee Women*' gibt es unterschiedliche Positionen zur Verwendung des Gendersternchen*, die im Text in der nicht durchgängigen Verwendung sichtbar werden.

[2] https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2015/PK1150/index.shtml

[3] Die ORS - Betreuung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden ist seit 1.1.2012 mit der Betreuung der Flüchtlinge in den Betreuungsstellen des Bundesministeriums beauftragt.


Zu den Autorinnen:
Women support Refugee Women ist ein für alle Frauen* (FrauenLesbenInterTrans) offenes feministisches Bündnis, das sich im Sommer 2015 formiert hat. Die Frauen kommen aus ganz unterschiedlichen politischen, feministischen und/oder queeren Kontexten. Ihr gemeinsames Handeln basiert darauf, dass sie praktische Solidarität mit geflüchteten Frauen* zeigen und ihre Forderungen unterstützen wollen. Sie weisen darauf hin, dass insbesondere Frauen, Lesben, Trans, Inter-Personen auf allen Stationen ihrer Flucht und in Institutionen der Grenzregime sexualisierter und sexistischer Gewalt ausgesetzt sind. Sie fordern, dass frauenspezifische Fluchtgründe anerkannt werden, und positionieren sich gegen Zäune und Grenzregime.


Webtipps:
Queer Base in der Türkis Rosa Villa:
http://dievilla.at/blog/queer-base-in-der-turkis-rosa-lila-villa/
Initiative für geflüchtete Frauen*: https://frauenaufderflucht.wordpress.com/

*

Quelle:
Frauensolidarität Nr. 134, 4/2015, S. 26-27
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2016

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