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GENDER/032: Kuba - Versteckte Homosexuellen-Treffpunkte, HIV/Aids-Prävention notwendiger denn je (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. November 2015

Kuba: Versteckte Homosexuellen-Treffpunkte - HIV/Aids-Prävention notwendiger denn je

von Ivet González


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Nachts treffen sich Schwule, Lesben und Transsexuelle an sogenannten Cruising-Orten wie im Viertel El Vedado in Kubas Hauptstadt Havanna
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

HAVANNA (IPS) - Sobald die Dunkelheit einbricht, treffen immer mehr junge Männer an der ehemaligen Bushaltestelle nahe des Calixto-García-Krankenhauses in der kubanischen Hauptstadt Havanna ein. Sie bleiben nur kurz, bevor sie weiter hoch auf den Hügel im Stadtteil El Vedado klettern, wo sie sich auf die Suche nach Sexualpartnern machen.

"Da oben an der alten Bushaltestelle sieht man jetzt nachts eigentlich immer Menschen", erzählt Daniel Hernández, der jeden Abend nach der Arbeit an dem Ort vorbeiläuft. Der 36-jährige Biologe ist schwul und hat selbst auch schon an der Haltestelle gesessen oder ist zu anderen sogenannten Cruising-Orten gegangen, wo Männer auf andere Männer treffen, mit denen sie Sex haben. Hierher kommen auch Männer, die ihre Homosexualität im Alltag nicht offen ausleben, und im Schutz der Dunkelheit ihrer Lust nachgehen können. Doch langsam scheint sich die Szene zu öffnen. "Schwule haben ihre Ängste verloren. Sie zeigen sich da oben immer häufiger ganz offen, obwohl jeder weiß, warum die Leute da hingehen", sagt Hernández.

Hernández weiß, dass er vorsichtig sein muss. An den Cruising-Orten, die in Kuba 'potajeras' genannt werden, kann man sich leicht mit HIV/Aids infizieren. "Alle möglichen Menschen kommen hierher. Nicht alle wissen, wie gefährlich Aids ist und wie man sich davor schützen kann." Ein weiteres Risiko sei, dass es an diesen dunklen Orten auch zu gewaltsamem Sex komme.

Die Verbreitung von HIV/Aids ist in Kuba im weltweiten Vergleich eher niedrig. Lediglich 0,1 Prozent der 11,2 Millionen Kubaner sind infiziert. Doch die Tendenz ist steigend: Während Ende 2013 noch 16.479 Menschen mit dem Virus gezählt worden waren, sind es heute 19.500. 70 Prozent der Infizierten sind Männer, die regelmäßigen Geschlechtsverkehr mit anderen Männern haben. Die Infektionsrate bei Frauen ist in den vergangenen Jahren jedoch schneller angestiegen: 2013 waren noch 18,5 Prozent der Infizierten weiblich, heute sind es 21 Prozent.


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Der Eingang zu einem Nachtclub im Viertel El Vedado in Kubas Hauptstadt Havanna
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Nach Schätzungen der Organisation UNAIDS waren Ende 2013 geschätzt 35 Millionen Menschen weltweit mit HIV infiziert, davon - anders als in Kuba - etwa die Hälfte Männer, die Hälfte Frauen. Im Jahr 2013 starben ungefähr 1,5 Millionen Menschen weltweit an den Folgen einer HIV-Infektion. Die Zahl der Neuinfektionen sinkt seit 1997 stetig und lag 2013 bei 2,1 Millionen Menschen. Auch die Zahl der AIDS-Toten ist seit dem Jahr 2005 rückläufig. In Deutschland leben gemäß Schätzungen des Robert-Koch-Instituts etwa 80.000 Menschen mit HIV, davon ca. 15.000 Frauen und 200 Kinder.

Eine gute Nachricht konnte Kuba kürzlich bei der Bekämpfung des Virus vorweisen: Am 30. Juni dieses Jahres erklärte die Weltgesundheitsorganisation, dass die karibische Inselnation als erstes Land der Welt die Übertragung von HIV/Aids von Müttern auf ihre Kinder eliminiert habe.

Der Aktivist Avelino Matos hält Cruising-Orte für besonders gefährlich, weil viele junge Männer, die dort nach Sex suchten, nervös seien, weil sie wissen, dass sie etwas gesellschaftlich Geächtetes tun. Deshalb würden sie schnell mal vergessen, Kondome zu benutzen oder hätten wegen der Dunkelheit Probleme, sie richtig überzuziehen. Zudem kommen gerade kranke Männer hierher, weil sie die Anonymität schätzen und nicht, wie an anderen Orten, wo Schwule zum geselligen Beisammensein zusammenkommen, über sich reden müssen.

Matos arbeitet im gemeinnützigen Projekt 'HSH-Cuba', das die Ausbreitung des HI-Virus in Kuba zu verhindern versucht. Ein Netzwerk von 1800 Ehrenamtlichen unterstützt das Projekt mit Aufklärungsarbeit und der Verteilung von Kondomen. Die Ehrenamtlichen sind an Schwulentreffpunkten präsent, hängen tagsüber Tüten mit Kondomen an Bäumen an typischen Cruising-Orten auf und geben auch Velotaxifahrern, die die Männer häufig zu den Treffpunkten fahren, Verhütungsmittel, um sie an ihre Fahrgäste zu verteilen.


Schwule und Bisexuelle werden diskriminiert

Homosexuelle werden in Kuba heute noch immer diskriminiert. Viele Schwule leben daher häufig in Ehepartnerschaften mit Frauen und leben ihre Homosexualität nur im Verborgenen aus. Bisexuelle haben es noch schwerer, da sie oft von beiden Seiten nicht anerkannt werden. Bis 1979 war Homosexualität in Kuba verboten. Seitdem sind homosexuelle Handlungen straffrei. Bis 1987 galt allerdings ein Gesetz, nachdem Homosexualität nicht offen gezeigt werden durfte. Seit dem Jahr 2010 will sich Kuba stärker gegen die Verfolgung von Schwulen einsetzen. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden aber bis heute nicht staatlich anerkannt.

Der Journalist Jorge Carrasco befasst sich bereits seit mehreren Jahren mit dem Phänomen der Cruising-Orte und hat über den Hügel am Calixto-García-Krankenhaus sowie über einen Strandabschnitt namens 'Playa de Chivo', an dem sich auch häufig Schwule treffen, Artikel geschrieben. Die Treffpunkte verteidigt er als "Kulturstätten", die überdies legal seien. Nicht jeder, der dort hingehe, habe auch ungeschützten Geschlechtsverkehr, erklärt er gegenüber IPS.

Carrasco warnt allerdings vor anderen Gefahren, die an diesen Orten lauern: Missbrauch, selbst Morde habe es schon gegeben und Amtsmissbrauch von Polizisten. "Wenn die Polizei kommt, dann nimmt sie nicht nur die Diebe und anderen Verbrecher mit, sondern auch Schwule." Die Beamten müssten besser im Umgang mit Homosexuellen geschult werden, fordert er. (Ende/IPS/jk/20.11.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/11/gay-cruising-spots-a-challenge-for-hivaids-prevention-in-cuba/
http://www.ipsnoticias.net/2015/11/sitios-de-sexo-inseguro-retan-prevencion-del-vihsida-en-cuba/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2015

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