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INTERNATIONAL/059: Ghana - Abschied vom Hexenwahn, Regierung denkt an Auflösung der "Hexendörfer" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. November 2011

Ghana: Abschied vom Hexenwahn - Regierung denkt an Auflösung der 'Hexendörfer'

von Grit Porsch


Berlin, 21. November (IPS) - Etwa 1.000 Frauen, 700 Kinder und einige Männer fristen in sechs so genannten Hexendörfern im Norden Ghanas ein kümmerliches Dasein. In diesen Lagern sind sie vor der Gewalt ihrer Familien und Dorfgemeinschaften sicher, die die häufig psychisch Kranken aus Furcht vor ihren vermeintlichen Zauberkünsten verbannt hatten. Jetzt denkt die Regierung des westafrikanischen Landes über eine Auflösung der Camps nach und über Möglichkeiten, die Verstoßenen wieder in ihr früheres soziales Umfeld zu integrieren.

Die Existenz der 'Hexendörfer' ist der ghanaischen Regierung seit Jahrzehnten bekannt. Ihre Bewohner sind in Lehmhütten ohne Strom und Wasser und ohne medizinische Versorgung untergebracht. Die Frauen haben nicht genug zu essen und müssen kilometerweit zur nächsten Wasserquelle laufen. Ihre Kinder können keine Schulen besuchen. Die Dörfer werden von selbst ernannten Managern geleitet und sind von privaten Spenden und der Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen abhängig.

"Wir sind beschämt, denn diese Lager werfen ein schlechtes Licht auf unseren Umgang mit den Menschenrechten", erklärte die stellvertretende Frauenministerin Hajia Hawawu Boya Gariba kürzlich im Gespräch mit dem UN-Nachrichtendienst IRIN. Abordnungen der Verbannten, einheimische Aktivisten und Ärzte hatten kürzlich bei einer Konferenz von Regierungsbeamten gefordert, die miserablen Lebensbedingungen der als Hexen verstoßenen Menschen zu verbessern.

Gariba kündigte an, in Zusammenarbeit mit der nationalen Katastrophenhilfe (NADMO) zunächst die Versorgung der Dörfer zu verbessern. Längerfristig werde die Regierung dafür sorgen, dass die Verstoßenen in ihre Dörfer zurückkehren können und die Lager aufgelöst werden. Über diese Pläne werde man noch in diesem Monat auf einer zweiten Konferenz beraten, sagte die Ministerin.

Zunächst müsse man die heimatlichen Kommunen gründlich auf die Rückkehr der Verstoßenen vorbereiten, forderte Akwasi Osei, leitender Psychiater des nationalen Gesundheitsdienstes. "Andernfalls würden die als Hexen gefürchteten Frauen bei ihrer Heimkehr kurzerhand gelyncht", warnte er. "Man muss den Menschen zunächst einmal klarmachen, dass die als Hexen Verjagten nicht für Schicksalsschläge ihrer Mitmenschen verantwortlich sind", erklärte er.


Psychisch kranke Frauen zu Sündenböcken erklärt

"Frauen mit psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Epilepsie oder Depressionen werden in einer Dorfgemeinschaft leicht zu Sündenböcken, vor allem dann, wenn sie verwitwet, kinderlos, arm und ungebildet sind", erklärte Osei.

Emmanuel Dobson, Leiter der evangelikalen 'Christian Outreach Fellowship', die den Menschen in den Lagern der Verbannten mit Lebensmitteln und Medikamenten hilft, stimmte dem Facharzt Osei zu. "Vor allem ältere Frauen werden der Hexerei verdächtigt. Im Norden Ghanas mit seinen patriarchalischen Strukturen wird eine Frau bei der Heirat zum Eigentum des Ehemanns. Sie ist ihm hilflos ausgeliefert, denn die eigene Familie kann ihr nicht beistehen."

Längst nicht alle Frauen können sich vorstellen, den sicheren Schutz des Lagers aufzugeben. "Ich bleibe hier", erklärte Bilabim Jakper bestimmt. Die 60-Jährige lebt seit neun Jahren im Nabuli im Bezirk Gushegu. "Die Menschen hier sind jetzt meine Freunde und Familie", erklärte sie. Zu Hause hatte ihr Schwager sie vor 15 Jahren beschuldigt, ihren Mann verflucht und getötet zu haben. "Schließlich hielt mich die ganze Familie für eine Hexe und jagte mich mit Schlägen davon", erinnerte sie sich.

Auch Alhassan Sayibu, der in Nyani, einem anderen Dorf der Verbannten, lebt und der vor zehn Jahren das Amt des Verwalters von seinem Vater übernommen hatte, glaubt nicht, das die als Hexen und Hexenmeister Verstoßenen in ihrer ehemaligen Heimat willkommen sein werden. "Dort droht ihnen wieder Gewalt, deshalb sollte man die Lager nicht schließen", meinte er. (Ende/IPS/mp/2011)


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http://www.unicef.org
http://www.outreachcf.org
http://www.irinnews.org/report.aspx?reportid=93961

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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2011