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INTERNATIONAL/099: Ägypten - Beduinen in der Traditionsfalle, ohne amtliche Papiere keine Bürgerrechte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Juli 2012

Ägypten: Beduinen in der Traditionsfalle - Ohne amtliche Papiere keine Bürgerrechte

von Grit Porsch



Berlin, 23. Juli (IPS) - Als Talal Rashid heiratete, übergab ihm der Brautvater ein Palmblatt und bestätigte damit den Ehebund, wie es bei den Beduinen auf der Sinai-Halbinsel Tradition ist. Eine Heiratsurkunde besitzt Rashid nicht. Deshalb muss der heute 42-jährige seinen Schwager bitten, ihn zu begleiten, wenn er seine Frau zur Behandlung ins Krankenhaus bringen will. Der überzeugt dann die vor der Klinik stationieren Polizeiposten, dass die Kranke tatsächlich mit Rashid verheiratet ist.

Ohne Geburtsurkunden und andere Personalpapiere können Ägyptens Beduinen weder die staatliche Krankenkasse noch die kostenlose Impfung der Kinder in Anspruch nehmen. Auch auf Lebensmittelkarten für verbilligte Nahrungsmittel müssen sie verzichten. Die Arztrechnung von über zehn US-Dollar, die Rashid aus eigener Tasche bezahlen muss, kostet ihn zehn Prozent seines Monatseinkommens.

Beduinenkinder dürfen nur dann zur Schule gehen, wenn ihre Eltern deren Geburt registrieren ließen. Keiner von Rashids 18 und 15 Jahre alten Söhnen hat eine Schule besucht. "Meine Kinder sagen mir, dass ihnen eine Schulbildung zu besseren Chancen verholfen hätte", berichtete Rashid dem UN-Informationsdienst IRIN. "Es tut mir leid, dass sie heute für meine Versäumnisse bezahlen müssen."

Anders als viele Beduinen, die nichts von den Vorteilen einer Registrierung wissen, hat Rashid schon einmal darüber nachgedacht, sich um die Ausstellung von Personaldokumenten für sich und seine Familie zu kümmern. Doch der zu befürchtende bürokratische Aufwand brachte den Beduinen von seinem Vorhaben ab. Zunächst einmal müssten sich seine Eltern eine Heiratsurkunde ausstellen lassen. Problem ist aber auch, dass die Eheschließung seiner Schwiegereltern nicht amtlich erfasst worden ist.

"Zudem würde mich die Fahrt zur nächsten Meldebehörde umgerechnet 66 Dollar kosten. Hinzu kämen die bei der Ausstellung der Papiere anfallenden Gebühren", sagte er. "Das kann ich mir nicht leisten."

Ohne amtliche Dokumente können Ägyptens Beduinen auch keine Landansprüche vor Gericht einklagen. Auf dem Sinai gab es traditionell keine schriftlichen Verträge, um Landbesitz zu dokumentieren. Auch Rashid musste klein beigeben, als er vor einiger Zeit mit einem Nachbarn wegen ein paar Quadratmeter Land in Streit geraten war. "Einige Nachbarn wussten zwar, dass dieses Grundstück mir gehört, doch ich besitze kein Dokument, mit dem ich dies beweisen kann" erklärte er.


70.000 Beduinen ohne Personalpapiere

Die 'Al Gora-Gemeinde-Entwicklungsvereinigung' wirft der Regierung in Kairo vor, die Beduinen zu diskriminieren und auszugrenzen. Auf der Sinai-Halbinsel leben etwa 70.000 nicht amtlich registrierte Angehörige der ethnischen Minderheit. Dazu meinte Bakr Sweilam, der Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation: "Diese Menschen heiraten und haben Kinder, doch die Regierung weiß nichts von ihnen. Nicht einmal bei der Volkszählung werden die Beduinen berücksichtigt, denn für die Regierung existieren sie nicht."

Seit langem klagen Sinai-Beduinen, dass sie keinen Militär- oder Polizeidienst leisten dürfen und ihnen die damit verbundenen lukrativen Jobs vorenthalten werden. Sie behaupten, die ehemalige Regierung habe sie Verräter genannt, doch die Beduinen auf dem Sinai hätten dieselben Rechte und Pflichten wie alle Ägypter.

Schon in den 70er Jahren, zu Zeiten der Besetzung durch das israelische Militär, galt die 61.000 Quadratkilometer große Sinai-Halbinsel als schwer zu kontrollierende Region. Das blieb sie auch für sämtliche ägyptischen Regierungen, auf die die Beduinen nicht gut zu sprechen sind.

Lokale Behörden hatten das Problem erkannt. Eine Zeitlang suchten Beamte Beduinen zu Hause auf, um ihnen bei der Registrierung behilflich zu sein. Inzwischen wurde diese Amtshilfe eingestellt. Es sei nicht zu erkennen, ob irgendeine Regierung plant, diese Initiative fortzusetzen, erklärte der Aktivist Sweilam. (Ende/IPS/mp/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2012