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JUGEND/290: Indonesien - Jugendliche in Haft misshandelt, staatliche Kommission dringt auf Reform (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Februar 2012

Indonesien: Jugendliche in Haft misshandelt - Staatliche Kommission dringt auf Reform

von Kanis Dursin


Jakarta, 10. Februar (IPS) - Die Indonesische Kommission für Kinderschutz (KPAI) hat eine Kampagne zur Abschaffung von Haftstrafen für Jugendliche gestartet. Straffällig gewordene Minderjährige sollten nicht weggesperrt, sondern rehabilitiert werden, so die staatliche Institution.

Die Kampagne fällt in eine Zeit, in der sich Berichte über Misshandlungen und Todesfälle in den Strafvollzugs- und Besserungsanstalten für Jugendliche häufen und das Parlament über eine Reform des Jugendstrafrechts debattiert.

Wie Apong Herlina, ein Mitglied der KPAI, ankündigte, werde man sicherstellen, dass das neue Gesetz keine Haftstrafen für Minderjährige vorsehe. Stattdessen sollen Mädchen und Jungen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten, künftig in speziellen Rehabilitierungszentren untergebracht werden. Darüber hinaus sind Kläger und Angeklagte vor allem im Zusammenhang mit Bagatelldelikten angehalten, sich außergerichtlich zu einigen.

"Der Gesetzentwurf beinhaltet wesentliche Verbesserungen des geltenden Jugendstrafvollzugs. Dennoch müssen wir wachsam bleiben, da starke Interessenkonflikte unter den politischen Parteien im Repräsentantenhaus bestehen", erklärte Herlina.

Die Kommission, die den Kinderschutz in dem Land mit der weltweit vierthöchsten Bevölkerungszahl verbessern soll, hat durch die Kampagne ihre Wachsamkeit bewiesen. Ende Januar hatte KPAI eine Diskussion über das Für und Wider der Inhaftierung Minderjähriger organisiert. Nun wird ein Seminar über den Jugendstrafvollzug vorbereitet, dem Gespräche mit unterschiedlichen Interessenverbänden folgen sollen.


Rehabilitierungszentren sollen Bildungsministerium unterstehen

Nach Angaben von Herlina will die Kommission zudem erreichen, dass die Rehabilitationszentren für Jugendliche dem Bildungsministerium in Jakarta unterstellt werden. Damit vertritt sie einen Konfrontationskurs zur Regierung, die darauf besteht, dass die Zentren vom Ministerium für Justiz und Menschenrechte verwaltet werden.

Wie Herlina betonte, soll sichergestellt werden, dass jugendliche Straftäter Zugang zu Bildung und Gesundheitsdiensten sowie Zeit zur freien Verfügung erhalten. Die Ministerien für Gesundheit, Soziales, Religion, Justiz und Menschenrechte sollten ebenfalls in die Rehabilitierung der Minderjährigen eingebunden werden.

Das Thema ist in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt, nachdem Misshandlungen und Todesfälle von Jugendlichen in Polizeigewahrsam und Besserungsanstalten bekannt geworden sind.

Im Dezember wurden zwei Teenager im Alter von 14 und 17 Jahren tot in einem Polizeigefängnis in Sijunjung in West-Sumatra aufgefunden. Den lokalen Sicherheitskräften zufolge begingen die beiden Selbstmord, nach Ansicht ihrer Familien wurden sie getötet. Knapp drei Wochen später starb ein 15-Jähriger in einer Besserungsanstalt in Tulungagung in Ost-Java, nachdem er von anderen Insassen angegriffen worden war.

Oftmals sitzen junge Indonesier wegen Kleinstvergehen ein. So wurde ein 16-jähriger Junge in der Provinz Ost-Nusa Tenggara fast drei Monate unter dem Vorwurf weggesperrt, er habe Blumen gestohlen. Mitte Januar sprach ihn jedoch ein örtliches Gericht frei.

Mehr als 4.000 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren kamen im Laufe des vergangenen Jahres vor Gericht. Ihnen wurden Diebstähle, Drogenmissbrauch, Beteiligung an Massenschlägereien, Überfälle und Vergewaltigungen zur Last gelegt. Herlina zufolge zeigen diese Zahlen Fortschritte im Kampf gegen die Jugendkriminalität. "2009 und 2010 waren es noch jährlich 7.000 Heranwachsende, die sich gerichtlich verantworten mussten."


Mehrzahl jugendlicher Straftäter mit Erwachsenen inhaftiert

In den Zeiträumen 2002/2003 und 2006/2007 in Indonesien durchgeführte Studien des Weltkinderhilfswerks UNICEF belegen, dass dort etwa 5.000 Jugendliche pro Jahr weggesperrt wurden. Mehr als 85 Prozent von ihnen saßen aus Platzmangel gemeinsam mit erwachsenen Straftätern ein. Die Untersuchungen ergaben ferner, dass mehr als 90 Prozent der Minderjährigen, die mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, zu Haftstrafen verurteilt wurden. Zwei Drittel von ihnen mussten für mehr als ein Jahr hinter Gitter.

"Bei den Recherchen kam heraus, dass Indonesien die globalen Standards im Umgang mit Minderjährigen im Justizsystem noch nicht erfüllt", sagte ein Vertreter von UNICEF Indonesien. Das Weltkinderhilfswerk appellierte an das Land, auf die Straffälligkeit von Jugendlichen mit konkreten Bildungsangeboten, Sozialarbeit und der verstärkten Unterstützung der jeweiligen Familien zu reagieren.

"Mehr als 70 Prozent der Jugendlichen, die mit Erwachsenen einsitzen, werden nach der Freilassung als Wiederholungstäter gefasst", erklärte UNICEF. Es gebe in aller Welt Beweise dafür, dass Haftstrafen bei Minderjährigen psychische Störungen hervorrufen, die eine Wiedereingliederung der Betroffenen in die Gesellschaft erschwerten.


Jugendliche und Erwachsene nach gleichen Kriterien abgeurteilt

In Indonesien ist das Strafmündigkeitsalter auf zwölf Jahre festgesetzt. Jugendliche Straftäter im Alter von zwölf bis 18 Jahren müssten eigentlich auf der Grundlage des Jugendstrafrechts von 1997 und der Kinderschutzgesetze von 2002 zur Rechenschaft gezogen werden. Doch meist werden sie nach dem Erwachsenenstrafrecht abgeurteilt, weil Ermittler und Richter nicht ausreichend über die Gesetzeslage informiert seien, kritisierte Syamsul Ridwan, Generalsekretär der Nationalen Kommission für Kinderschutz.

Bislang hat nur Bandung in West-Java einen eigenen Gerichtssaal und Zellen für Minderjährige eingerichtet. Ermittler wurden dort auch gesondert in Fragen des Kinder- und Jugendschutzes unterwiesen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.unicef.org/indonesia/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106711

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2012