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JUGEND/312: Kambodscha - Auf Skateboards in eine bessere Zukunft, Straßenkinder fit gemacht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Dezember 2013

Kambodscha: Auf Skateboards in eine bessere Zukunft - Straßenkinder fit gemacht

von Simba Shani Kamaria Russeau


Bild: © Simba Shani Kamaria Russeau/IPS

Skateboarding kann Leben verändern
Bild: © Simba Shani Kamaria Russeau/IPS

Phnom Penh, 5. Dezember (IPS) - In der Nähe des Russenmarkts in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh haben Mädchen und Jungen eine neue Freizeitbeschäftigung gefunden: das Skateboarden. Hier auf dem Parcours mit seinen farbenfrohen Viertelpipes, Rampen und Sprungschanzen, lernen sie die Tricks, Kickflips und Spitzkehren, wie sie ihre Altersgenossen in anderen Ländern draufhaben - und geben ganz nebenbei ihrem Leben eine neue Richtung.

Ihre Lehrerin ist die 20-jährige Kov Chansangva, kurz Tin genannt. "Ich stehe seit einem Jahr täglich auf meinem Skateboard", sagt sie. "Dann fühle ich mich glücklich und befreit. Mein Leben ist besser und selbstbestimmter geworden und ich habe mehr Verantwortungsbewusstsein entwickelt."

Was Skateboarding in einem Land wie Kambodscha von vielen anderen Sportarten unterscheidet, ist sein leichter Zugang für Mädchen. Kambodscha ist ein ehemaliges Bürgerkriegsland. Hier leben viele Kinder und Jugendliche auf der Straße oder tragen zum Unterhalt ihrer Familien bei. Allein für Phnom Penh wird die Zahl der Kinderarbeiter auf 10.000 geschätzt. Die Hälfte von ihnen sind Mädchen.

Die Fünf- bis 17-Jährigen sind auf Müllkippen, in Ziegelbrennereien und Fischverarbeitungshallen anzutreffen. Nur allzu oft laufen sie Gefahr, auf die schiefe Bahn zu geraten. Skateboarding hilft ihnen, ihrem Leben einen Sinn zu geben.


Lernlust wecken

Neben der Überwindung der Geschlechterkluft - auf dem Index des Weltwirtschaftsforums (WEF) belegt Kambodscha von allen ostasiatischen und pazifischen Ländern den letzten Platz - trägt der Sport auch zu einer Rückkehr der Mädchen und Jungen in die Schulen bei.

"Mädchen sind meist nicht so sportlich wie Jungen, weil sie sich diesen unterlegen fühlen", berichtet Tin. "Doch jetzt, wo immer mehr Mädchen auf die Skatebretter steigen, wird ihnen klar, dass sie sogar besser sein können."

Jede Woche finden sich fast 200 Mädchen und Jungen im Alter von fünf bis 18 Jahren im Skateboardpark der Nichtregierungsorganisation 'Skateistan Cambodia' ein. Mehr als die Hälfte der Heranwachsenden sind Kinderarbeiter, davon 40 Prozent Mädchen.

"Weil die Sportart in unserem Land neu ist und von Mädchen und Jungen gleichermaßen praktiziert wird, spielen stereotype Denkweisen keine Rolle", meint Alix Buck, eine weitere Mitarbeiterin von Skateistan Cambodia. "Bei Fußball ist das anders. Der gilt als typischer Männersport."

Skateistan Cambodia arbeitet mit Hilfsorganisationen wie die 'Cambodian Women's Development Agency', 'Damnok Toek', 'Friends International', 'Pour un Sourire D'Enfant' (PSE), 'Tiny Toones' und 'Transitions Global' zusammen, die gefährdeten Kindern aus armen Familien Bildung, Beratung und Gesundheitsdienste zukommen lassen.

Wenn sich diese Minderjährigen zum Skaten einfinden, lernen sie die Hilfsangebote der anderen Organisationen kennen und schätzen. "Ich werde wieder zur Schule gehen", meint Tin. "Später möchte ich Jura studieren, um meiner Familie helfen zu können."

Die Hälfte der 15 Millionen Kambodschaner ist unter 25 Jahre alt. Weil viele Menschen in den ländlichen Gebieten weniger als einen US-Dollar am Tag zum Leben haben, kommen sie in die Städte. Dem Nationalen Statistikamt zufolge handelt es sich bei einem Viertel der Bevölkerung um saisonale Binnenflüchtlinge, von denen 2,5 Millionen unter 30 Jahre alt sind.

"Drogenmissbrauch und Spielsucht sind für viele junge Leute ein Problem", berichtet Rath Chansopheakna, ein 24-jähriger Skateboard- und Tanzlehrer. "Als ich bei PSE mit meiner Ausbildung begann, gab es nichts auf weiter Flur. Die meisten kambodschanischen Kinder verlassen die Schule und landen auf der Straße."

PSE, ein französisches Kinderhilfswerk, bietet Jungen und Mädchen, die in den Straßen der Städte Phnom Penh, Siem Reap und Sihanoukville herumlungern, eine Schul- und Berufsausbildung an und versorgt sie auch mit Nahrung. "Bei PSE finden sich Kinder aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Skateboarding besiegt einfach alle Klassenunterschiede."


Nach Sport die Kunst

Manchmal findet im Anschluss an das Skateboardtraining Kunstunterricht statt. In den Kursen werden die Kinder mit Fotografie, Filmproduktion, Bildhauerei und Malerei vertraut gemacht. "Als ich erstmals Kindern das Skaten beibrachte, war mir gar nicht klar, wie motivierend das Ganze werden würde", meint Benjamin Pecqueur, der Landesdirektor von Skateistan. "Der Kunstunterricht ermöglicht den Kindern, sich selbst auszudrücken."

Pecqueur wurde unbeabsichtigt der Initiator des Skateboarding-Projekts. Er hatte für PSE gearbeitet, als ihm seine Schwester sein altes Skateboard nach Phnom Penh nachschickte. Kaum hatte er sich auf das Brett gestellt, war er bereits von Scharen junger Leute umringt, die es kaum abwarten konnten, das 'Ding' auszuprobieren. "Das war der Augenblick, als ich von meinem PSE-Chef gefragt wurde, Kindern das Skateboarden beizubringen."

Pecqueur schloss sich später Skateistan an, das am Aufbau des Skateparks in Phnom Penh beteiligt war. "Junge Menschen sind wichtig für das Fortkommen Kambodschas", sagt er. "Mit den richtigen Instrumentarien können sie viel für die Zukunft ihres Landes tun." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://kh.skateistan.org/team
http://www.ipsnews.net/2013/11/young-cambodians-skate-success/

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IPS-Tagesdienst vom 5. Dezember 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2013